Schweitzer Fachinformationen
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Bei Tagesanbruch wachte Luz auf dem Fußboden des Wohnzimmers auf, ihr Kopf in zwei Teile geborsten. Ihr Hirn, pochend vor Schmerz wie ein tumbes Orakel, ging die Ereignisse der Nacht noch einmal durch: der zärtliche Halbschlummer, sie und Ray die Arme leicht umeinandergewunden und immer wieder die Nähe des anderen suchend, sich an den anderen schmiegend. Rays Zucken. Luz, die ihn hielt, seine geballten Fäuste glättete. Ray, der sich in einer ungezählten Stunde von hinten an sie presste. Sie, die ihm schlaftrunken half und ihren Unterleib entgegenschob, damit er zu ihr kommen konnte. Er, der in sie hineindrängte, sich leise in ihr bewegte, ihr Gesicht in den Teppich gedrückt. Er, der schnell kam und sie zu sich umdrehte und ihre Klitoris eine Weile streichelte, bevor sie weitermachte. Ray, seine große Hand auf ihrer Kehle und den gekrümmten, feuchten Zeigefinger in ihrem Mund, der herbe Geschmack. Sie, die wie wild zu zucken begann, kam und wieder in den Schlaf versank.
Der Regentanz war zu einer wilden, phantastischen Träumerei verflogen, nur dass Ray sich jetzt auf sie rollte und sie intensiv küsste, der Geruch von Alkohol in seinem Atem, und über ihnen, auf der Raumfahrtzeitaltercouch des Hollywood-Sternchens das Kind zu weinen begann.
Sie sahen sich an - was hatten sie getan?
Das Kind weinte weiter, ein leises, gepresstes Wimmern. Luz warf sich eine Robe des Hollywood-Sternchens über, und in dem Moment kletterte Ig, Po zuerst, von der Couch. Luz hatte, daran erinnerte sie sich jetzt, die lose Windel abgenommen und das Kind auf die Couch gelegt. Eine Weile sahen sie sich gegenseitig an, alle drei. Luz sagte: »Wir sollten sie waschen.«
Ray sagte: »Wir sollten ihr zu essen geben.« Er zog sich Hosen an und ging in die Küche. Ig stand nackt im Sonnenlicht, das durch die Glaswand strömte. Einen Moment lang betrachtete sie Luz, dann ließ sie mit leicht geöffnetem Mund und dem Ausdruck höchster Konzentration einen gelbbraunen Bach auf den Birkenparkettfußboden des Hollywood-Sternchens pladdern.
Mistverdammtermist, sagte Luz.
Ray kam herein, in der Hand eine Schachtel Graham-Cracker. »Was - oh. Sie braucht Windeln.«
»Ich weiß.« Luz rannte nach oben und kam mit einer Maxieinlage und einem psychedelischen Hermès-Schal zurück. Ray wischte die Pfütze mit einem monogrammierten Badetuch auf, und Ig kroch auf der steinernen Kamineinfassung entlang und streckte den nackten Po in die Höhe.
»Komm mal her«, sagte Luz, aber Ig kreischte und wollte die Erforschung der Kaminumrandung fortsetzen. Luz wartete, dann nahm sie Ig, die sich wand und mit den Ärmchen ruderte, und legte sie auf die Ottomane. »Kannst du sie halten?«, fragte sie, und Ray hielt das Kind. »He, he«, sagte er und lenkte es mit ulkigen Grimassen und Gesten ab, die Luz noch nie bei ihm gesehen hatte. Endlich und mit erheblicher Mühe gelang es Luz, den Schal zwischen Igs krummen Beinchen durchzuführen. »Für jetzt geht es so«, sagte sie zu Ray, von dem sie sich beobachtet fühlte.
Ray ließ Ig los, und das Kind rannte los, stolperte und hätte sich beinahe den Kopf an der Glasplatte des Couchtisches zerschmettert. Ig flog hin und heulte lauthals. Luz eilte herbei und nahm sie auf den Schoß. Ray gab ihr die Schachtel mit den Crackern, und Luz brach einen in Viertel und versuchte, Ig mit einem Keks zu beruhigen.
»Kann sie die essen?«, fragte Ray.
Luz zuckte die Schultern. »Sie hat Zähne.«
Ig hörte nicht auf zu schreien, ihr breites Gesicht war rot wie eine Tomate und glänzte vor Tränen. Luz zeigte ihr den Cracker, aber das Kind schrie zum Steinerweichen, wie Luz' Mutter gesagt hätte. Und tatsächlich schien es, als würden die Mauern einstürzen, wenn Ig nicht bald aufhörte zu schreien. Ihr Geschrei, schrill wie eine Sirene, schnitt in den weichen, noch schlafenden oder noch trunkenen Teil von Luz' Gehirn. Ray vollführte einen verrückten kleinen Tanz und hüpfte von einem Fuß auf den anderen. Luz hoffte, er würde aufhören. Hilflos schwenkte sie den Cracker. Plötzlich hörte Ig auf zu weinen, nahm in jede Hand ein Stück Cracker und stopfte sich einen in ihren kleinen speicheltriefenden Mund.
Dann aß sie noch einen und noch einen. Jedes Mal wenn sie sich einen Cracker in den Mund geschoben hatte, jammerte sie nach einem neuen, so dass sie immer drei zur Zeit hatte: zwei in den Fäusten und einen, der im Mund aufweichte. Luz gab Ray mit einer Handbewegung zu verstehen, dass er aus der Küche neue holen solle, und er kam mit einer noch verschlossenen Packung zurück. Er stellte sie neben Luz auf die Couch. »Was zu trinken«, sagte Luz.
Ray kam mit der Rationscola, und Luz sah ihn an. »Was anderes haben wir nicht«, sagte er. Das Wasser von gestern hatten sie gestern getrunken. Luz half dem Kind, die Cola zu trinken, und sah zu, wie es den Sirup mit Keks vermischte und einen süßen Brei in seinem Mund machte.
Danach wollte Ig raus, und sie gingen zusammen in den Garten. Auf der Terrasse schob Ray etwas Dürres mit dem Fuß aus dem Weg, Ig nahm beide Cracker in eine Hand und hielt sich mit der freien knubbeligen Faust an Luz' Zeigefinger fest. Ig führte sie zu der Sonnenliege, deren Segeltuchbespannung schon jetzt brütend heiß war, und sagte: »Was das?«
Ray sagte: »Liegestuhl.«
Er sagte: »Pool.«
Er sagte: »Springbrunnen.«
»Frösche.«
»Gitter.«
»Wanne.«
»Pelzmantel.«
»Wasserleitung.«
»Steine.«
Sie waren im Steingarten - der sich inzwischen allerdings kaum von dem restlichen Garten unterschied, nur dass er nach einer zweifelhaften Interpretation des Begriffes Zen angelegt worden war -, als Ig an dem Schal um ihren Po zu zerren begann. Luz zog den Knoten auf und lockerte den Schal, gerade rechtzeitig, bevor eine kleine senfgelbe Wurst herausrollte. Sie nahm das Kind flugs in den Arm, eilte mit ihm in die Ecke des Gartens, wo Ray die Sickergrube ausgehoben hatte, und hielt es darüber. Ig ließ die Cracker fallen und fing an zu weinen. Luz sagte: »Ich weiß«, und Ig wand sich und ruderte mit den Armen, und gleichzeitig fielen gelbe Knödel aus ihr heraus, von denen einige auf Luz Füßen landeten. Luz wollte sie abschütteln, aber einer steckte zwischen ihrem großen Zeh und dem nächsten fest.
»Meine Güte. Was hat sie gegessen?«, fragte Ray.
Luz wischte Igs Po mit der Einlage ab, dann wischte sie sich den Fuß sauber, dann warf sie die Einlage und den Hermès-Schal in die Sickergrube. »Woher soll ich das wissen?«
Ray sah hinunter in die Grube, als bedauerte er das unwürdige Ende des beschissenen Schals. »Sollten wir den nicht behalten?«
»Sie hat Tausende davon.«
Ray schob die Sofas und die modischen tiefen Sessel aus der Bibliothek, der Halle und dem Salon zusammen und baute daraus im Wohnzimmer einen Kinderstall. Er entfernte die Wehtuer, wie er sie nannte, und klebte Tesakrepp über die Steckdosen, obwohl der Strom nicht mehr angeschlossen war. Dann schwang er sich einen nach dem anderen die gläsernen Couchtische auf die Schulter, brachte sie nach vorn und warf sie in die Schlucht. Auf der Suche nach Spielzeug fand Luz in der Bibliothek ein altes Telefon mit Wählscheibe, das sie in den Kinderstall stellte. Sie sammelte die bunten Matrjoschkas des Hollywood-Sternchens, ein paar guatemaltekische Sorgenpüppchen und Kachina-Puppen aus Pappelholz, die im Gästezimmer lagen, zusammen und legte sie in den Kinderstall, worauf Ray fragte, ob sie sich nicht einen Hexenzauber an den Hals holen würden, wenn sie ein Kind mit diesen Puppen spielen ließen, dazu kam eine ausgestopfte Schildkröte, an deren lackiertem Kopf mit den Glasaugen Ig prompt zu knabbern begann.
Von da an lief die Ig-Show, ein Reigen bezaubernder Niedlichkeit. Anscheinend brauchte Ig ein Kleid, und Luz zog ihr eins der französischen Seidenunterhemden des Hollywood-Sternchens an, das sie an der Seite mit einem Haargummi hochband. Ig verlangte ständig nach Crackern, und Ray brachte die Vorräte aus der Speisekammer, um herauszufinden, welche Igs Lieblingssorte war. Da Ig alles in den Mund steckte, füllte Luz einen Gazebeutel mit Rationsreis und machte daraus ein Beißkissen, das Ig sofort Nini taufte. Ig wollte laufen, laufen, also machte Ray ihr aus Korkplatten, die er von der Wand in der Bibliothek abschlug, und Klebeband ein Paar Schuhe, und Luz drehte im Garten des Hollywood-Sternchens mit dem Kind geduldig endlose Runden, während sie einen Papiersonnenschirm über Ig hielt, der mit einem Kirschblütenmuster bedruckt war, so dass es aussah, als würden die Blüten auf Igs Gesicht sprießen.
Gemeinsam entschlüsselten Luz und Ray Igs Gesten: Fäuste in den Augenhöhlen, O-beiniger Gang und Zerren an ihrer Seidenwindel, stummes Öffnen und Schließen des Mundes, hervortretende Augen.
Sie machten eine Liste von dem, was Ig mochte und was nicht. Was sie mochte: Cracker, Steine, Rationscola, Fragen, ihre neuen Schuhe, das Ding des alten Telefons, wenn sie mit dem Hörer auf die Gabel drückte, das Auf- und Zuschieben der Schiebetüren, den Werkzeuggürtel, das Gebrabbel, das Ray zu ihrer Erheiterung machte, Klettern - die Treppe rauf und runter, auf der Kaminumrandung, von der Raumfahrtzeitaltercouch rauf und runter.
Was sie nicht mochte: die Sickergrube, Windelnwechseln, den leeren Pool, Glas, den Pelzmantel, der im Garten Patina ansetzte, bestimmte Stoffe (Polyester, Chintz, Samt, Schaffell), gewisse Geräusche (das Quietschen der Handpumpe, Tritte auf der schwebenden Treppe, Luz' Summen), die Sonne, die...
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