An Bord des "Stadium", 18. Mai.
Um 5 Uhr weckte mich das Herablassen des Ankers. Er fiel in den Hafen von Syra. Durch die Luke neben meinem Bette sah ich Meer und Himmel noch immer grau und auf dem Verdecke hörte ich den Regen wie gestern trommeln. So schlief ich noch eine Stunde länger und fand später auf dem Verdecke dasselbe Wetter wieder. Schmutz und Lärm halfen ihm den Aufenthalt dort oben recht unbehaglich zu machen. Man lud Kohlen ein; dazwischen drängten sich die Verkäufer der Südfrüchte, um unsere Deckpassagiere zu verköstigen. Zu beiden Seiten des Dampfers lagen große Boote mit offenen Säcken voll von Nüssen, Mispeln, Kirschen, Citronen, gedörrten Feigen, Mandeln, Paradiesäpfeln und Artischocken; andere die mit Zwiebeln, Knoblauch, Salat und wieder andere die mit Fischen, frischen und geräucherten, beladen waren. Käufer und Verkäufer suchten sich um den größern Vortheil durch das lauteste Geschrei zu betrügen, die Meisten verstanden sich nur durch Geberden. Ich habe nirgends das Auge schneller fassen sehen was das Ohr nicht begreift, als bei diesen Griechen. Indeß die Männer handelten, lamentirten die Frauen, rangen sie das Wasser aus den getränkten Decken, um sie endlich doch wieder gegen den noch immer strömenden Regen auszuspannen. Nur die Kinder waren sorglos und gleichgiltig für das geschäftige Treiben um sie.
Syra, eine ansehnliche Stadt, liegt auf den Abhängen der Felsenberge, die den Hafen ziemlich enge einschließen; die Häuser steil über einander und oben in eine Spitze zusammenlaufend, daß die ganze Stadt einem großen riesigen Thurme ähnlich sieht. Der Verkehr des Hafens ist ein reger; französische, griechische, russische und österreichische Dampfer bemerke ich darin, und zwei Lloydschiffe sind eben aus Smyrna und Athen angekommen, zwei andere rüsten sich zur Abreise dorthin. Das unserige nimmt eine Menge Passagiere auf; das ist aber auch Alles, was mir in den fünf Stunden unserer Rast auffällt. Im freien Meere sieht man sonst die schönen Formen berühmter Inseln, heute ist jede Aussicht durch den Regen verschlossen.
Erst um 10 Uhr fährt das Schiff und wenige Minuten vor dem unserigen das, welches rechts hinüber, wo wir herkamen, nach dem Piräus steuert. Kaum ist jenes außer dem Hafen, so verrathen seine Schwankungen das, was auch unseren Passagieren bevorsteht. Ein starker Wind, der sich inzwischen erhoben, erregt die bis zum Morgen so ruhige See. Wir fahren nach dem Canale, der zwischen Tynos und Mykone aus dem Inselmeere des Archipel in das freiere ägäische führt, aber Regen und Nebel dunkeln so die Luft, daß wir selbst von diesen doch so nahen Küsten nichts sehen. Das Wetter wird gleich nach der Ausfahrt das schlechteste. Die See geht hoch, der Wind bläst stark und schon um 4 Uhr mißhandelt uns ein förmlicher Sturm. Beim Essen erscheinen außer dem Capitän und Arzte nur ich und ein junger Grieche, die Anderen liegen krank und in sich gezogen in ihren Cabinen, oder die, welche Linderung von der frischen Luft erwarten, oben auf dem Verdeck in Plaids und Mäntel gewickelt. Der Regen läßt nach, aber das Wüthen des Windes und der Wellen wächst von Stunde zu Stunde. Zuerst waren es regelmäßige, gleichgemessene Schwingungen, die das Schiff von hinten nach vorne emporhoben, als wolle es zu den Mastspitzen hinauf und dann von solcher Höhe wieder hinab sich auf den Meeresgrund versenken. Man konnte den Wellen entgegenkommen und ihnen mit der Erwartung gewissermaßen ausweichen. Jetzt aber ist auch dieser letzte Rest gezähmter Lebensart verloren gegangen und sinnlos wirft der Sturm das Schiff nach allen Seiten, bald rechts und schleudert uns in dieser schiefen Lage vorwärts, oder links und wir fliegen zurück in ein tiefes Wellenthal. Zerschellt die Gewalt des Wassers an dem Körper des Schiffes, dann schlägt es die Wände hinauf und kehrt mit salzigem Sturzbade das Verdeck ab; der Vordertheil desselben steht fortwährend unter Wasser. Seekrank, gepeinigt von der Angst und doch Alle lautlos liegen dort die hunderte von Männern, Frauen, Kindern aneinander und an den Boden geklammert. Es ist als ob die Größe des Elementes ihnen Schweigen aufzwänge. Und so wie gebannt ist das ganze Schiff. Eine einzige, schwankende Lampe brennt unheimlich unten in der großen Kajüte; alles Uebrige ist leer, still, wie ausgestorben, als treibe das Schiff schon eine jener gespenstigen Geistererscheinungen auf der tobenden See, womit die Phantasie der Seeleute ihr grausiges Element bevölkert hat. Lange stand ich hinten neben dem Steuerruder. In dem Auf- und Abtauchen in die Wogen, in dem Heulen des Windes, in dem Herumfliegen der Schaumballen schrumpfte mir der Dampfer, der mir gestern noch so stattlich erschienen war, zu einer Nußschale zusammen; klein, wie wenn ich ihn mit ein paar Schritten durchmessen könnte, däuchte er mir in dem Unmäßigen, das um ihn ist.
Schon um 7 Uhr ist es vollkommen Nacht. Ich harre aus auf dem Verdecke. Das Unmögliche wird möglich, das Unwetter steigert sich noch, und scheint selbst da seine Grenzen noch nicht gefunden zu haben. Mir ist auch das nicht unangenehm. Etwas wie stolzes Selbstbewußtsein erhebt mich, daß der Mensch das Alles ertragen, daß der Geist, das Göttliche in ihm, diese Elemente bemeistern kann. Im Sturme, im wilden Drange der Gefahr, erkennt erst der Mensch seine Kräfte; die Windstille erschlafft, und der Soldat wie der Seemann handelt erst, wenn der Tod ihm vor den Augen steht. Und wie der Mensch, so die ganze Natur; ihre größten Thaten, die Alpen und die Wüsten, hat sie durch Revolutionen erzeugt; Gletscher und Helden wollen riesige Geburtswehen haben, zu Grunde geht dabei nur, was schon angefressen von der Fäulniß ist. Daher dann die sonderbare Erscheinung, daß oft körperlich starke und gesunde Menschen unter dem ersten Angriffe zusammenbrechen, während scheinbar gebrechliche und was man nervöse Naturen nennt, widerstehen und siegen. Die Einen haben in der Gewohnheit der Unthätigkeit den Willen und die Fähigkeit verloren, während die Anderen in der Aufregung ihres inneren Lebens den Geist, der endlich doch das Entscheidende ist, nicht blos erhalten sondern sogar gestärkt haben.
Ein Element aber, das man liebt, wie ich das Meer liebe, kann einem nichts zu Leide thun. Die Natur ist nicht wie die Menschen, die unsere edelsten Gefühle mit Undank vergelten.
An Bord des "Stadium", 19. Mai.
Trotz des höllischen Lärmens, denn die Balken und das Getäfel krachten um und über meinem Bette auf das jämmerlichste, muß ich gestern Abend bald und fest eingeschlafen sein, denn was die Nacht über geschehen, mußte ich mir heute Morgens auf dem Verdecke erzählen lassen. Erst um 9 Uhr war ich erwacht, und das nur, weil ich plötzlich das Stillestehen der Maschine fühlte. Ich vermuthete uns vor den Dardanellenschlössern, wo irgend eine gesetzliche Förmlichkeit den Capitän zum Beilegen zwinge; doch rief ich dem Diener und frug nach der Ursache. Es sei nichts, man sehe nach der Maschine. Oben aber fand ich, statt der nachbarlichen Küsten der Dardanellen, links unbegrenztes Meer, rechts, und das auch dort nur in weiter Ferne, niederes Festland und tief drinnen einen hohen, dunklen, einsam aufragenden Gebirgszug; vor uns eine Insel; die Luft kalt und farblos. Wo fuhren wir? War das schon die Propontis, dieses Eiland die steinerne Marmora? Man lachte meine Frage aus; die Fahrt eines ganzen Tages liege noch zwischen uns und jenen Zielen; das rechts sei allerdings Asien, aber die Stätte von Troja, und die Insel vor uns Tenedos. So haben uns der Sturm und die Wellen, die gegen uns waren, aufgehalten. Ihre Gewalt war gewachsen über das Widerwärtigste hinaus, was sie sonst nur im Winter vermögen, bis sie dem Dampfer das rechte Schaufelrad zertrümmerten. Die Maschine mühte sich danach vergebens ab. Sie mußte stille und das Schiff mit Hilfe der Segel so gestellt werden, daß das Rad nothdürftig ausgebessert werden konnte. Das Schiff lag auf seiner linken Seite und soll von den empfindlichsten Stößen gepeitscht worden sein. Alle waren wach, auf und quälten sich und die Officiere der Bemannung mit ihren Besorgnissen. Nur ich schlief. Auch jetzt noch kommen wir nur langsam vorwärts, die See ist noch immer gegen uns.
Nach 10 Uhr sind wir bei Tenedos, links zeigt es sich mit nackten, niederen Bergen; Imbros daneben höher und mit Umrissen, wie ich sie dem Auge wohlgefälliger noch nicht gesehen, das Mächtige ist dem Zierlichen gepaart. Ob das dahinterliegende Samothrace ihnen beigemischt ist, kann ich nicht unterscheiden und von der unwissenden Umgebung auf dem Dampfer nicht erfahren. Auf der anderen Seite, also rechts wo das Festland, breitet sich die Ebene von Troja aus. So zeigt sich mir Asien gleich zuerst mit einem der denkwürdigsten seiner Felder. Grüne Grabhügel kennzeichnen unverkennbar die geweihte Stelle. Auch hier also Gräber, die die Wärter der Erinnerung sind. Alles um sie herum scheint verlassen, ausgestorben, keine andere Spur von Priamos' Stadt, der ragenden Ilion und dem Kampfe der Götter und Menschen.
Es ist diese Sprache der Gräber vielleicht noch niemals ganz verstanden worden. Das ganze Leben über sehen wir den Menschen mit der Wahl seiner Grabstätte beschäftigt, und nach seinem Tode wird es der erste Gedanke des Trostes für seine Hinterbliebenen, ihm ein schönes Denkmal zu errichten. Die anderen Geschöpfe kennen diesen Wunsch nicht; die Menschheit aber durchzieht er so weit sie lebt und bis in ihr höchstes Alterthum zurück. Ueberall findet sich, bei dem einen Volke nur deutlicher als bei dem anderen, der Glaube ausgesprochen, daß die Ruhe der Todten und der Genuß der Unsterblichkeit an die Erhaltung eines Grabes gebunden sei. Man hat diesen Wahn durch das Motiv der Eitelkeit erklären wollen, die sich über den Tod hinaus zu...