Vom Urkaninchen zum Kuscheltier
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Damit wir unsere Kaninchen verstehen und uns in sie hineinversetzen können, ist es wichtig zu wissen, wie sie sich entwickelt haben, wie sie die Welt sehen, wie sie denken und fühlen und auch, wie sie miteinander umgehen. Da Menschen zu den Jägern zählen, fällt es uns oft schwer, Kaninchen zu verstehen, auf ihre Bedürfnisse einzugehen und ihre Eigenheiten zu akzeptieren. Nach dem folgenden Kapitel werden Sie Ihr Kaninchen besser verstehen.
Seit 55 Millionen Jahren
Als Urhase oder auch Urkaninchen wird Gomphos elkema angesehen. 2005 veröffentlichte eine Forschergruppe um Robert Asher vom Museum für Naturkunde in Berlin den Fund des ersten vollständigen Skeletts in der Mongolei. Gomphos hat vor ca. 55 Millionen Jahren gelebt und ähnelt eher einem Eichhörnchen als einem Kaninchen. Genau wie die Lagomorpha (Ordnung der Hasenartigen), zu denen die Kaninchen gehören, hatte Gomphos nachwachsende Zähne. Woher der Name kommt, ist unklar. Wahrscheinlich wurde er von den Russen vergeben, die bereits vor Robert Asher und seinen Kollegen Teilstücke eines Gomphos-Skeletts ausgegraben hatten.
Verbreitung durch Seefahrt
Hasenartige waren auch in Nordamerika ansässig. Die frühsten Funde stammen aus dem Tertiär (vor 70 bis 2 Millionen Jahren). Seit dem Pliozän (vor 7 Millionen Jahren) haben sich Kaninchen in Europa und Asien angesiedelt. Die Seefahrer haben bei diesem Prozess geholfen, denn es war durchaus üblich, lebende Kaninchen mitzuführen, sie auf Inseln auszusetzen und bei der Rückkehr nachzuschauen, ob sie sich vermehrt hatten, damit man sie verspeisen konnte. Das beste Beispiel für eine Rasse, die auf diese Weise entstanden ist, ist das Porto-Santo-Kaninchen auf Madeira. Unsere heutigen Kaninchen stammen vom europäischen Wildkaninchen ab.
Das Land der Kaninchen
Die frühsten Berichte über das Zusammenleben von Menschen und Kaninchen stammen von den Phöniziern. Als die Phönizier vor ungefähr 3 000 Jahren die Iberische Halbinsel (das heutige Portugal und Spanien) entdeckten, waren sie über die große Anzahl Kaninchen erstaunt, die diesen Raum bevölkerten. Da Kaninchen den Phöniziern unbekannt waren, hielten sie sie für afrikanische Schliefer. Sie nannten das Land I-shepam-im, was soviel wie "das Land der Schliefer" bedeutet und von den Römern mit Hispania oder Spanien ins Lateinische übersetzt wurde. Spanien hat seinen heutigen Namen also den Kaninchen zu verdanken.
Biologische Systematik
Überklasse
Kiefermäuler (Gnathostomata)
Reihe:
Landwirbeltiere (Tetrapoda)
Klasse
Säugetiere (Mammalia)
Unterklasse
Höhere Säugetiere ( Eutheria)
Überordnung
Euarchontoglires
Ordnung
Hasenartige
Familien
Hasen (Lagomorpha) und Pfeifhasen (Ochotonidae)
Zur Familie der Hasen gehören die Arten Wildhase, Wildkaninchen und Hauskaninchen.
Domestizierung der Kaninchen
Die Phönizier haben die Kaninchen vermutlich noch nicht gezähmt, zumindest gibt es keine Quellen darüber. Die ersten Berichte über Kaninchenhaltung stammen von den Römern (ca. 36 vor Christus). Sie hielten ihre Kaninchen in sogenannten Leporarien. Das waren gemauerte Einfriedungen, in denen die Kaninchen lebten.
Wahrscheinlich wurden sie dort jedoch noch nicht gezielt gezüchtet. Stattdessen wurden sie mehr oder weniger sich selbst überlassen, was zur Folge hatte, dass sie sich auch vermehrten. Damit begann die eigentliche Domestikation des Kaninchens. Die Kaninchenhaltung bei den Römern hatte natürlich den Hintergrund, den Speiseplan zu ergänzen. Es ist also davon auszugehen, dass die Kaninchen in diesen Leporarien auch nicht sehr zahm und bestimmt keine "Schmusehasen" waren. Der Siegeszug der Kaninchen in Europa war jedoch nicht aufzuhalten und so wurden sie von Handelsreisenden, Soldaten und den Völkern, die durch Europa zogen, immer weiter verbreitet. Sie sind sozusagen der lebende Snack der Frühgeschichte gewesen.
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Als junges Wildkaninchen lebt es sich ziemlich gefährlich. Daher muss man wachsam sein.
Systematische Zucht
Im fünften Jahrhundert begann die systematische Zucht von Kaninchen, die jedoch nach wie vor zu Nahrungszwecken genutzt wurden. Ein Gemälde von Tizian (1530) zeigt eine Madonna mit einem weißen Kaninchen. Die frühste bekannte Abbildung eines Kaninchens ist eine Tuschezeichnung aus China, datiert im 11. Jahrhundert. Bei den sehr frühen Abbildungen handelt es sich jedoch vermutlich um Wildhasen oder -kaninchen. Vor allem von den Klöstern in Frankreich gingen die ersten Bemühungen aus, Kaninchen gezielt zu vermehren. Der Hintergrund war auch hier keineswegs, einsamen Mönchen einen kuscheligen Gefährten zur Seite zu stellen, sondern vielmehr dienten die neugeborenen Kaninchen als erlaubte Fastenspeise. Sie wurden als "laurices" bezeichnet. Diese Sitte hielt sich sehr lang an den Königshöfen und in den Klöstern, bis weit in das Mittelalter hinein. In Frankreich waren Wildkaninchen weit verbreitet und deshalb war die Zucht für die Mönche naheliegend.
Verschiedene Rassen
Die Zucht von verschiedenen Kaninchenrassen entwickelte sich im 19. Jahrhundert. Das Hermelin, eine Wieselart, war fast ausgerottet, weil sein Winterfell für den Pelzbesatz der prunkvollen Roben an Fürsten- und Königshöfen gebraucht wurde. Als Ersatz wurden gezielt weiße Kaninchen miteinander verpaart, weil ihr Fell dem des Hermelins glich. Die Kaninchenzucht, wie wir sie heute kennen, begann mit der industriellen Revolution im 19. Jahrhundert. Die Menschen bevölkerten die Städte und hatten in ihren kleinen Häusern und Hinterhöfen nicht mehr die Möglichkeit, ein Schwein oder eine Kuh zu halten. Kaninchen waren eine gute Alternative, da sie wenig Platz in Anspruch nahmen und die Familie kostengünstig mit tierischem Eiweiß versorgten. Im Lauf der Jahrhunderte änderte sich dann das Zuchtziel. Das Kaninchenfleisch trat in den Hintergrund und man begann gezielt gewisse Körpermerkmale wie Fellfarben und Ohrformen zu züchten.
Das Zwergkaninchen entsteht
Im 20. Jahrhundert entdeckte man bei besonders kleinen Kaninchen mit kurzen Ohren und kleinem Körper das sogenannte Verzwergungsgen und verpaarte die Tiere gezielt miteinander. Das heutige Zwergkaninchen war entstanden.
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Züchterisch ist heute vieles möglich, sogar "karierte" Japaner.
Wildkaninchen heute
Kaninchen sind durch den Menschen auf der ganzen Welt verbreitet worden und sind als Wildkaninchen nicht immer beliebt. Durch ihre Vermehrungsfreudigkeit - sie sind nicht umsonst ein Fruchtbarkeitssymbol - nimmt ihre Zahl stetig zu und sie können vor allem in der Landwirtschaft großen Schaden anrichten.
Die große Vermehrungsfreudigkeit der Kaninchen und ihre rasche Verbreitung wurde am besten in Australien dokumentiert. Dort gab es bis zum Jahre 1859 keine Kaninchen. Ein Engländer namens Thomas Austen brachte aus seiner Heimat 24 Kaninchen mit, um sich in Australien heimisch zu fühlen, und ließ sie auf seinem Besitz in Victoria frei. Sechs Jahre später wurden allein auf seinem Grund und Boden rund 20 000 Kaninchen getötet. Im 800 Kilometer entfernten Queensland wurden Kaninchen entdeckt, die alle von diesen ursprünglich 24 Tieren abstammten. In Australien war die Situation besonders prekär, weil die Kaninchen keine natürlichen Feinde hatten, die ihre Zahl dezimieren konnten.
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Ein wahres Kaninchenparadies - viel Futter und kein Jäger in Sicht. In solchen Gebieten vermehren sich die Mümmelmänner explosionsartig, nicht immer zur Freude der Landwirte.
Bekämpfung durch Krankheiten
Auch Bekämpfungsmaßnahmen, wie die Vergasung und das Ausgraben der Bauten sowie die intensive Jagd auf Kaninchen, konnten die Kaninchenplage nicht stoppen. Also griff man zu anderen Mitteln, um die Kaninchen auszurotten. Um 1950 infizierte man sie mit Myxomatose, einer hochansteckenden, von...