Schweitzer Fachinformationen
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Das Klirren von Kristallgläsern. Farah Rosendahl fängt das selbstgefällige Grinsen ihrer Chefin auf, die ihr über die Köpfe hinweg zuprostet. Kommentarlos dreht sie sich um und verlässt die Feier. Das hätte sie besser gleich während der Ansprache von Monique Durant-Biedenkopf getan, in der sie sich ausgiebig mit den Forschungsgeldern rühmte, die die Rechtsmedizin der Uniklinik Hamburg-Eppendorf akquirieren konnte. Doch Farah wartete darauf, ihren Namen zu hören. Zumindest beiläufig in einem hingenuschelten Nebensatz. Wie ein Kind, das nach der Anerkennung seiner Mutter lechzt. »Hey, warte mal!«
Farah ist schon fast am Auto, als ihr Kollege Lars Kerkhoff sie einholt.
»Sei mir nicht böse, aber ich will nur noch heim. Die Egoshow war einfach zu viel.«
Lars überholt sie. »Jetzt warte doch mal!«
Er will ihr den Weg abschneiden, doch sie geht einfach weiter, treibt ihn rückwärts vor sich her, bis er abrupt stehen bleibt und sie auflaufen lässt. Farah entfährt ein dumpfer Laut, als sie gegen seinen Oberkörper prallt, sein Aftershave wahrnimmt. Citrus, leicht herb. Nicht zu aufdringlich. Wie gut er riecht. Ein zutiefst irritierender Gedanke in diesem unpassenden Moment. Benommen tritt sie einen Schritt zurück, hebt die Hände und lässt sie wieder sinken, als ihr aufgeht, wie das wirken muss. Falls Lars sich wundert, lässt er es sich zumindest nicht anmerken.
»Ich versteh dich ja.« Er lächelt, seine Stimme klingt heiser. »Aber Hauptsache ist doch, was wir mit der Kohle alles anfangen können, die du an Land gezogen hast, oder?«
»Ich werde nicht gerne ausgenutzt.« Farah marschiert an ihm vorbei, bringt Abstand zwischen sie beide, um diese seltsame Verbindung zu unterbrechen, die ihre Sinne vernebelt. Noch immer konfus reißt sie die Tür des Wagens auf und pfeffert ihre Handtasche hinein. »Sie will Karriere machen, und zwar um jeden Preis. Ich weiß jetzt schon, wie die Presse Monique morgen wieder hochjubelt.«
Lars hat die Hände in die Manteltaschen geschoben und lehnt sich gegen ihr Auto. Viel zu nah. Warum kommt er ihr so nah? Erst als sie mit dem Rücken gegen die offene Wagentür stößt, merkt Farah, dass sie instinktiv zurückgewichen ist. Kein Wunder, dass viele sie für distanziert oder gar arrogant halten.
»Die Chefin hat in der Aufregung sicher nur vergessen, dich zu erwähnen.«
»Vergessen?« Ungläubig schnauft Farah. »Das war pure Berechnung, und das weißt du genau.«
Dass Monique eben die durchgemachten Nächte unterschlagen hat, in denen Farah über Anträgen gebrütet hat, die so lang wie ihre Dissertation waren, ist nur einer von vielen Nadelstichen. Jeder einzelne zu klein, um dahinter eine böse Absicht zu vermuten, und doch in Summe zu schmerzhaft, als dass sie sie weiter ignorieren kann.
»Willst du das Auto nicht lieber stehen lassen?«
»Ich habe doch nur ein kleines Glas getrunken«, protestiert Farah, obwohl sie weiß, dass er recht hat.
»Kann schon sein, aber du bist aufgewühlt. Dazu noch dieses Schietwetter.« Lars schlägt den Mantelkragen hoch, um dem heulenden Wind etwas entgegenzusetzen, der über den Parkplatz fegt. Dann sieht er sie an, durchdringend, ernst, nimmt ihre Hand. Sein Daumen streicht über ihre Haut und hinterlässt eine unsichtbare Spur der Wärme, die kribbelt, als sei sie elektrisch aufgeladen.
Perplex starrt Farah auf ihre Hände, dann auf seinen Mund, der sich zu einem Lächeln verzogen hat. Ein ausgesprochen hübscher Mund. Für einen waghalsigen Moment stellt sich Farah vor, dass er sich vorbeugen und sie küssen könnte. Doch Lars steht nur da, den Blick unverwandt auf sie gerichtet.
»Komm, ich fahr dich nach Hause. Ich bin eh nicht scharf auf die lahme Veranstaltung da drinnen.«
Es wäre nur vernünftig, sein nettes Angebot anzunehmen. Farah ist müde, wütend, und in den Nachrichten haben sie vor überfrierender Nässe gewarnt. Aber etwas hält sie davon ab, mit ihm zu fahren. Jemand.
Frederik. Und seine Eifersucht, die ihr so lange geschmeichelt hat, bis sie sich gegen Lars richtete. Inzwischen traut sich Farah kaum noch, in Freddys Gegenwart über ihn zu sprechen, dabei schätzt sie ihn sehr. Als Freund und Kollegen. Auch wenn Freddy ihr permanent einzureden versucht, dass da mehr ist zwischen ihnen.
»Danke, aber ich brauche ein bisschen Zeit für mich. Wir sehen uns Montag.«
»Fahr vorsichtig.«
Farah gleitet auf den Fahrersitz und startet den Motor. Schnell, um es hinter sich zu bringen. Ihre Entschlossenheit ist brüchig. Es dauert erstaunlich lange, bis der Impuls abebbt, die Bremse durchzutreten. Als sie es endlich wagt, in den Rückspiegel zu schauen, ist Lars verschwunden. Natürlich.
Sie packt das Lenkrad fester. Gleich Montag wird sie ihn zum Essen einladen und sich dafür entschuldigen, dass sie ihn hat stehen lassen. Auch wenn das zwangsläufig Diskussionen mit Freddy nach sich ziehen wird.
Die Straße wird enger, sodass die Bäume bedrohlich näher rücken. Farah bremst ab, schaltet einen Gang runter. Allmählich verraucht der Ärger und macht Platz für Grübeleien. Weshalb hat Moniques Rede sie dermaßen aus der Fassung gebracht? Steckt gekränkte Eitelkeit dahinter, ist es das? Geht es hier nur um alberne Befindlichkeiten, den Applaus, der ausgeblieben ist? Nein, die Sache reicht tiefer.
Farah muss der Wahrheit ins Auge sehen. Es lässt sich ohnehin nicht länger leugnen. Monique kann sie nicht ausstehen. Punkt. Seit Professorin Durant-Biedenkopf vor zwei Jahren den Posten der stellvertretenden Institutsleiterin übernommen hat, lässt sie Farah ihre Antipathie spüren. Sieht Monique eine Konkurrentin in ihr? Hat sie Angst, dass sie ihr den Posten streitig machen könnte? Das wäre lächerlich. Farah hat keinerlei Ambitionen in diese Richtung. Im Gegenteil.
Für sie gibt es kaum etwas Erfüllenderes als die Detektivarbeit der Rechtsmedizin mit ihren tröstlich rationalen Lösungen. Ihr Platz ist am Sektionstisch, nicht in der Verwaltung. Tatsächlich wurde ihr der Posten bereits mehrmals angeboten, bevor Monique den Zuschlag erhalten hat. Womöglich reicht allein das schon aus, um ihr Misstrauen gegen sie zu schüren.
Die Lichtkegel ihres Autos streifen über Baumstämme neben der Landstraße, die sich durch das Gelände windet. Obwohl die Strecke eng ist und Schilder aus der Erde ragen, die vor Wildunfällen warnen, ist Tempo siebzig erlaubt. Die Einheimischen interessiert das nicht. Sie fahren hundert, manchmal schneller. Genau wie der Wagen, der in dieser Sekunde um die Kurve schießt.
Das Fernlicht blendet Farah im Rückspiegel, sodass sie blinzeln muss und instinktiv abbremst, bis die Scheinwerfer verschwinden, weil ihr der Idiot auf der Stoßstange hängt. Sicher irgendein Nachtschwärmer auf dem Weg zum nächsten Club, mit reichlich Alkohol im Blut. Sie atmet tief ein, um ihr Herz zu beruhigen, das schneller wummert als die Bässe, die der Wind zu ihr trägt.
Ein sachtes Tippen aufs Gaspedal, und dieser Proll würde ihre Rücklichter am Horizont verschwinden sehen. Doch der Tempomat hält die Tachonadel bei Strich siebzig. Zu derartigen Manövern lässt sie sich nicht hinreißen. Weder beabsichtigt Farah, ihr eigenes Leben zu riskieren, noch will sie falsche Signale senden und diesen Typen zu einem Rennen provozieren. Dass es ein Typ ist, der sie bedrängt, daran besteht für Farah kein Zweifel, obwohl die Fahrerkabine außerhalb ihres Sichtfeldes liegt.
Es sind meist Männer, die zu riskanten Fahrmanövern neigen und sich und andere in Unfälle verwickeln. In der Rechtsmedizin sieht sie fast täglich, was Stahl und Beton mit dem menschlichen Körper anrichten. Diese Bilder von zermalmten Knochen und Fleisch sollte man zur Abschreckung auf Plakatwände ziehen. Wie die Fotos von Raucherlungen auf Zigarettenschachteln.
»Was zur .?«
Hinter ihr blendet der Fahrer auf, hupt, schert abwechselnd rechts und links aus, bis er offenbar die Geduld verliert und aus dem Windschatten taucht. Das Auto schließt zu Farah auf. Ein roter Golf, zwei Insassen, die trotz des Regens die Fenster heruntergekurbelt haben. Der Beifahrer beugt sich heraus, legt Zeige- und Mittelfinger vor den Mund und lässt seine Zunge dazwischen zappeln, woraufhin sein Kumpel grölt und wie wild hupt. Farah verdreht die Augen, weicht keinen Millimeter zur Seite. Auch nicht, als der Golf über die durchgezogene weiße Linie fährt, die die beiden Fahrbahnen trennt.
Der Wagen kommt so nah, dass sie schon das Kreischen von Stahl auf Stahl zu hören meint. Noch eine Handbreit näher, und er wird an ihrem zwei Tonnen schweren Kokon zerschellen. In ihrem klapprigen Polo aus Studienzeiten wäre Farah jetzt der Angstschweiß aus jeder Pore gedrungen. Die Assistenzsysteme und Airbags ihres neuen Range Rovers hingegen vermitteln ihr ein Gefühl der Kontrolle. Obwohl sie nicht beeinflussen kann, welche hirnrissige Aktion die Kerle als Nächstes aushecken. Oder was geschieht, wenn ihnen jemand entgegenkommt.
Farah schaltet die Dashcam ein. Ein Geschenk von Frederik, als ihre Beziehung noch frisch war. Sein Plädoyer für das Teil hätte auch vor Gericht Bestand gehabt. Die Aufnahmen sind als Beweismittel zulässig, Urteil vom BGH, Aktenzeichen soundso, in den USA hat die fast jeder, und so weiter und sofort. Schließlich ließ Farah sich breitschlagen, die Kamera zu installieren. Rechtsanwälte können ziemlich überzeugend sein. Außerdem wollte sie nicht mit ihm streiten. Leider ist die Dashcam nicht nur peinlich, sondern auch noch nutzlos, wie...
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