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Kapitel 1
Übersinnliches Gehör
Meine kleine Schwester ist eine Drama Queen. Im wahrsten Sinne des Wortes. Jade spielt tatsächlich am Broadway.
Sie klatschte in die Hände und applaudierte den Schülern, die gerade mutig für das Musical Joseph vorgesprochen und -gesungen hatten. »Ihr wart heute alle echt großartig! Morgen verteilen wir die Rollen und fangen gleich mit unserer ersten Probe an. Das wird episch!«
Jade war für eine Woche zu Besuch bei der Familie in der Bay Area. Sie hatte angeboten, in dem Jugendzentrum, wo ich arbeitete, ehrenamtlich zu helfen. Weil die Zeit nicht für ein ganzes Stück reichte, hatte Jade vorgeschlagen, nur eine Schlüsselszene aus dem Musical mit den Kids einzustudieren, die dann Ende der Woche aufgeführt werden sollte.
Ich liebte meinen Job als Leiterin der Kunstabteilung im Mission Youth Center. Er war so ungefähr das Einzige in meinem Leben, was funktionierte. Der Nachteil bestand darin, dass mich dort alles an meinen Ex Elec erinnerte, der früher als Sozialpädagoge dort gearbeitet hatte. So hatten wir uns auch kennengelernt. Er hatte seinen Job ebenfalls geliebt, bis er nach unserer Trennung kündigte, um nach New York zu gehen. Er war umgezogen, um bei ihr zu sein. Ich schüttelte den Kopf, um die Gedanken an ihn und Greta zu verscheuchen.
Jade griff nach ihrer Handtasche. »Ich muss noch mal in deine Wohnung, um mich ein bisschen frisch zu machen und einen Happen zu essen.«
Ich war eben erst in eine neue Wohnung, nur ein paar Blocks von meinem Job entfernt, umgezogen. Der Vertrag für die Bleibe, die ich auf der anderen Seite der Stadt zusammen mit Elec gemietet hatte, war endlich ausgelaufen. Obwohl mein Ex mir seinen Anteil der Miete für die noch verbleibende Zeit geschickt hatte, konnte ich es kaum erwarten, dort rauszukommen. Jeder Winkel erinnerte mich an ihn und die schlimmen Monate, die ich nach unserer Trennung durchgemacht hatte.
Meine neue Wohnung lag in der südlichen Mitte des Mission District. Ich liebte die Atmosphäre in meinem neuen Viertel. Die Straßen waren von Cafés und Ständen mit Obst und Gemüse gesäumt. Es gab viel Latino-Kultur, was zwar toll war, mich aber auch wieder an Elec erinnerte, der halber Ecuadorianer war. Das Leben war einfach voller kleiner Erinnerungen an den Kerl, der mir das Herz gebrochen hatte.
Jade und ich spazierten den Gehsteig entlang, und sie kaufte ein paar Papayas an einem Stand. Daraus wollte sie uns einen Smoothie zubereiten. Außerdem gönnten wir uns noch zwei Kaffees zum Mitnehmen.
Ich öffnete den Deckel meines Bechers, als wir weiterschlenderten. »Na, Schwesterchen, das hätte ich auch nie gedacht, dass wir uns mal gleichzeitig im selben Beziehungsstatus befinden würden.«
Jade war kürzlich von ihrem Freund, einem Musiker, verlassen worden.
»Ja. Der Unterschied besteht nur darin, dass ich in meinem Alltag so viel mehr Ablenkung habe als du. Dabei ist es nicht so, dass ich nie an Justin denke. Und dass ich nie traurig wäre, aber meine Aufführungen beschäftigen mich derart intensiv, dass mir fast keine Zeit bleibt, um mich in meinem Kummer zu suhlen, verstehst du?«
»Ich hab dir schon von meinen Therapiestunden am Telefon erzählt, oder?«
Jade nippte an ihrem Kaffee und schüttelte den Kopf. »Nein.«
»Also, ich habe da diese Psychologin entdeckt, die auf Traumata nach gescheiterten Beziehungen spezialisiert ist, aber sie wohnt leider in Kanada. Jedenfalls haben wir einmal pro Woche eine Therapiesitzung am Telefon.«
»Und hilft es?«
»Es hilft immer, über eine Sache zu reden.«
»Klar. Aber, und das ist jetzt nicht bös gemeint, du wirkst nicht so, als ginge es dir besser. Du kannst doch auch mit Claire oder mir darüber reden. Jedenfalls brauchst du nicht einen Haufen Kohle ausgeben, um mit jemand Fremdem zu reden.«
»Die einzige Zeit, wenn ich überhaupt mit jemandem reden kann, ist abends. Da hast du deine Auftritte, und Claire ist dann vollauf damit beschäftigt, eine glückselige frischgebackene Ehefrau zu sein. Außerdem hatte sie noch nie Liebeskummer. Sie kann bestimmt zuhören, aber sie kapiert es nicht.«
Unsere ältere Schwester Claire hat ihre Highschool-Liebe geheiratet. Zwar standen wir drei uns während unserer Kindheit in der Nähe von Sausalito alle nahe, doch war es mir immer lieber, mich Jade anzuvertrauen.
Als wir bei meinem Apartmenthaus ankamen, blieb meine Schwester stehen und setzte sich auf eine der Bänke in der Ecke des umzäunten Innenhofs. »Lass uns hier noch unseren Kaffee austrinken.« Dann wanderte ihr Blick über den Rasen zu meinem Nachbarn, der mal wieder obenrum nackt war. »Okay . wer ist denn der Hottie mit der Beanie, der das ganze Anwesen verunstaltet?«
»Was hast du bloß immer mit Beanies?«
»Justin hat immer eine getragen. Deshalb mag ich sie. Schlimm, was?«
»Das ist echt schlimm.«
»Sagt diejenige, die immer noch im Shirt von ihrem Ex schläft.«
»Es ist einfach gemütlich. Das hat nichts mit Elec zu tun«, log ich. Das war die einzige Sentimentalität, die ich mir erlaubte. Es machte mich traurig, aber ich trug es trotzdem.
»Also . wer ist der Typ?«
Ich kenne den Namen meines Nachbarn nicht, aber ich hatte ihn einmal gesehen, als er Graffiti an die Betonmauer sprühte, die das Grundstück umgab. Was er da sprayte, war echte Kunst gewesen, nicht irgendein Graffiti. Das Ganze stellte eine Mischung aus Sternbildern und geografischen Motiven dar. Der Typ fügte immer wieder Neues hinzu, quasi work in progress. Ich konnte nur vermuten, dass er vorhatte, die ganze Einfriedung zu gestalten und die komplette Mauer auszunutzen.
»Er wohnt im selben Gebäude, sogar direkt nebenan.«
»Was treibt er denn da? Haben die ihm das erlaubt?«
»Keine Ahnung. Als ich ihn das erste Mal hier draußen sah, dachte ich noch, das wäre Vandalismus. Aber es scheint keinen zu stören, und offenbar hindert ihn niemand daran. Er vergrößert das Wandgemälde jeden Tag. Es ist wirklich ganz schön. Wobei ich finde, dass es nicht zu seiner Persönlichkeit passt.«
Jade pustete in ihren Kaffee. »Wie meinst du das?«
»Er ist nicht besonders nett.«
»Hast du mal mit ihm geredet?«
»Nein. Er ist einfach unfreundlich. Ich hab's mal mit Blickkontakt versucht, aber er marschierte nur an mir vorbei. Und dann hat er noch diese zwei Riesenköter, die ziemlich fies sind. Sie bellen andauernd. Mit denen geht er jeden Morgen spazieren.«
»Vielleicht ist er so eine Art Inselbegabter. Du weißt schon, weil er richtig gut malt. Oder vielleicht ein Genie mit beschränkten sozialen Fähigkeiten. Wie nennt man das doch gleich . Asperger?«
»Nein. Er kann durchaus kommunizieren. Ich hab ihn schon ein paar Leute anbrüllen hören. Ich bin mir ziemlich sicher, dass er so was nicht hat. Der Typ ist einfach unfreundlich. Der hat kein Asperger. Ist eher nur ein Arschloch.«
Jade lachte glucksend. »Ich finde, du solltest unbedingt mal mit einem Körbchen voller frisch gebackener Muffins bei ihm vorbeischauen. Das macht man unter Nachbarn doch so. Vielleicht wird er dann ein bisschen lockerer . oder macht dich lockerer.«
»Muffins, ja? Was sollte ich ihm deiner Meinung nach damit signalisieren?«
»Du bringst ihm einfach Muffins. Wenn ich hier wohnen würde, ich würde es sofort machen. Aber ich wohne hier ja nicht. Du schon. Und du brauchst dringend mal Ablenkung. Ich sage dir . das ist er.«
Ich bewunderte seine breiten Schultern und den gebräunten muskulösen Rücken, während er beim Sprayen den Arm auf und ab bewegte. »Meine Güte, erinnert er dich denn nicht an Elec? Tattoos auf den Armen . dunkelhaarig. Künstler. Ganz ehrlich, das ist die letzte Sorte Typ, die ich gerade brauche.«
»Das heißt, wenn einer aussieht wie Elec oder ihm sonst wie ähnelt, dann scheidet er automatisch aus? Weil er sich genau wie Elec verhalten würde? Glaubst du das? Das ist doch total dämlich.«
»Vielleicht ist es dämlich. Aber das Letzte, was ich will, ist nun mal jemand, der mich auch nur im Geringsten an ihn erinnert.«
»Tja, jammerschade, denn Elec war verdammt heiß, und dieser Kerl . ist sogar noch heißer.«
»Kannst du mir verraten, warum wir das hier diskutieren? Der Typ grüßt mich noch nicht mal. Er hat sich nicht für diese eingebildete Version von Die Bachelorette angemeldet. Er ist nicht an mir interessiert.«
In dem Moment wischte mein Neighbor Dearest sich plötzlich den Schweiß von der Stirn, nahm die Schutzmaske vor Nase und Mund ab und steckte die Spraydosen in einen schwarzen Seesack. Den warf er sich dann über die Schulter. Als ich schon dachte, er würde den Innenhof verlassen und verschwinden, kam er direkt auf uns zu. Verärgert stellte ich fest, dass mein Puls sich beschleunigte.
Sein Blick war auf mich gerichtet. Zwar starrte er mich nicht wütend an, aber er lächelte auch nicht. Das Sonnenlicht fiel direkt in seine blauen Augen und ließ sie im Kontrast zu seiner gebräunten Haut erstrahlen. Jade hatte recht. Der Typ sah wirklich umwerfend aus.
»Die mit Blaubeeren mag ich am liebsten«, sagte er.
»Was?«
»Muffins.«
»Oh.«
Jade schnaubte, sagte aber nichts und überließ die ganze Peinlichkeit mir.
»Und ich bin weder unsozial noch inselbegabt. Ich bin nur ein guter alter Dreckskerl . mit übersinnlich scharfem Gehör.«
Dann grinste er und marschierte davon, bevor ich irgendetwas erwidern...
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