Schweitzer Fachinformationen
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»So geht das keinesfalls weiter. Ich halte das nicht aus.« Marga Tilfer zog mit einem entschlossenen Ruck den nachtblauen Faden durch die Stickarbeit, an der sie schon den ganzen Nachmittag werkelte. Die Blütenranken erweckten allmählich einen misslungenen Eindruck, da zarte Nadelarbeiten so viel Energie schlecht vertrugen.
»Ich weiß ja nicht, wie oft ich das schon gehört habe.« Katharina betrachtete ihre Freundin mitleidig. »Entweder du sprichst endlich mit ihm oder du schlägst ihn dir aus dem Kopf.«
»Letzteres. Er hat mich nicht verdient. Auf keinen Fall. Ich werde den nehmen, den meine Eltern für mich aussuchen. So, wie es seit jeher Brauch ist und auch vernünftig, weil kein Vater sich derartige Flausen in den Kopf setzt, wie ich das tue. Getan habe. Denn damit ist jetzt Schluss.«
»Das ist gut.« Ohne jede Hoffnung darauf, dass diese Aussage Bestand haben würde, lächelte Katharina ihrer Freundin ermutigend zu. Dann betete sie stumm ein Ave-Maria. Erfahrungsgemäß dauerte es ungefähr bis zum »Sancta Maria, Mater Dei«, bis Fräulein Tilfer wieder anderen Sinnes wurde.
»Allerdings .«, hub Marga an, und Katharina stöhnte vernehmlich auf.
»Ich weiß, ich bin unmöglich.« Marga zeigte den Anflug einer beschämten Miene. »Es tut mir ja auch leid. Aber ich frage mich allmählich, ob ich als alte Jungfer enden werde. Und das ist nicht angenehm.«
Marga war so bezaubernd, so liebreizend, dass sich diese Frage nicht wirklich stellte. Dafür aber die, warum sie ihr Herz an einen Mann gehängt hatte, der sie nicht erhörte, obwohl er ihre Gefühle augenscheinlich erwiderte. Burkhardt Gantzer blühte regelrecht auf, sobald er Fräulein Tilfers ansichtig wurde, Katharina wusste das. Er war der beste Freund ihres Ehemannes und häufig bei ihr zu Hause anzutreffen.
»Mein Vater hätte nicht erlauben sollen, dass ich mir meinen Gemahl selbst aussuche. Das war nicht klug von ihm. Er hätte mir das nicht einfach durchgehen lassen dürfen.« Marga begann, die Stickerei der letzten Stunden wieder aufzutrennen.
»Er liebt dich eben und will seine Tochter glücklich sehen. Gib her, am Ende machst du es noch völlig kaputt.« Katharina streckte die Hand aus, aber Marga schüttelte den Kopf und warf das Ganze ungeduldig in ihren Handarbeitskorb.
»Ich gehe zu ihm. Zu Burkhardt, meine ich, nicht zu meinem Vater. Ich will es jetzt wissen. Kommst du mit?«
Katharina nickte. Jeder Grund, nicht zu früh nach Hause zurückkehren zu müssen, war ihr recht. »Aber was willst du ihm sagen?«
»Ich weiß es nicht. Ich meine, ich kann ihn doch nie und nimmer einfach fragen, ob er .« Sie brach ab. So forsch war noch nicht einmal Marga Tilfer, dass sie ungebeten ihr Herz auf einem Präsentierteller dargeboten hätte. Oder es jemandem vor die Füße geworfen hätte, damit er darauf herumtrampeln konnte.
»Du willst ihn nicht rundheraus fragen, ob er dich liebt so wie du ihn«, vermutete Katharina leise. »Das kannst du natürlich wirklich auf keinen Fall tun.« Irgendwie beneidete sie Marga sogar ein bisschen. Sie musste jedenfalls nicht ständig über die Beschaffenheit ihrer Gefühle nachgrübeln. Katharina hatte ihrem eigenen Mann lange wesentlich unentschlossener gegenübergestanden, und leicht war es dann und wann immer noch nicht mit ihm.
»Nein. Aber wir gehen trotzdem hin. Ich muss ihn sehen.«
Sie benahm sich wie ein Kind, das an einer kaum verheilten Wunde herumfingerte, um herauszufinden, ob sie noch schmerzte. Katharina wusste genau, dass sie es noch tat.
Marga griff nach ihrem Umhang, die Tage Anfang April waren nach wie vor kühl. »Kommst du?«
Katharina entging nicht der flehentliche Unterton. Unmöglich, ihre einzige Freundin zurückzuweisen. »Natürlich, meine Liebe. Lass uns gehen.«
Vom Stadthaus der Tilfers war es nur ein kurzer Weg bis zum Ratsgebäude. Burkhardt Gantzer hielt sich in der Regel dort auf, sofern er nicht auf einem seiner zahlreichen Erkundungsgänge durch die Straßen Wittenbergs war. Der Schützenmeister nahm seine Pflichten ernst. Zu seinen Aufgaben gehörte es, sich um die Wehrbereitschaft der Stadt zu kümmern, die Verteidigungsanlagen und die Waffen zu warten und ganz allgemein für die Sicherheit der Bürger zu sorgen. Im neuen Rathaus, mit dessen Bau man in diesem Jahr beginnen würde, sollte ihm ein großzügiger Raum zur Verfügung gestellt werden. Im Moment residierte er in einem Gelass des alten Ratsgebäudes, das nicht viel mehr war als eine leer geräumte Rumpelkammer.
Als Katharina und Marga eintrafen, stand er gerade über seinen Tisch und eine der zahllosen Listen gebeugt, die offenbar unabdingbar zu seinem Geschäft gehörten. Margas Schritt stockte, und Katharina konnte sich genau vorstellen, wie ihr zumute war. Eigentlich war Marga ein Ausbund an Impulsivität und Lebendigkeit, hatte indes schon vor einiger Zeit viel von ihrer Unbefangenheit verloren, jedenfalls wenn es um den Schützenmeister ging. Sachte klopfte sie an die halb geöffnete Tür, und Burkhardt hob den Kopf. Für einen Moment breitete sich ein Leuchten auf seinen zerknautschten Zügen aus, dann wandte er den Blick ab, sah an Marga vorbei und zog fragend die Augenbrauen in die Höhe.
Da waren Schritte hinter ihr, eilige Schritte. Katharina hörte es auch.
»Verzeihung, darf ich mal, ich muss zum Schützenmeister. Dringend.« Ein Mann drängte sich an ihnen vorbei, es fehlte nicht viel, und er hätte sie einfach aus dem Weg geschubst. Er war schlicht, aber ordentlich gekleidet, keiner der Stadtdiener, die unter Burkhardts Leitung standen. Trotzdem kam er Katharina bekannt vor, auch wenn er kein Kaufmann oder Ratsherr war. Dann fiel es ihr ein. Es handelte sich um Hans Ließen, er war Tischlermeister und besaß eine Werkstatt in der Nähe der Stadtkirche. Vor ein paar Monaten hatte er für Thomasus eine neue, festere Eingangstür zum Kontor angefertigt.
»Was gibt's denn, Ließen?«, erkundigte sich Burkhardt in geschäftsmäßigem Ton.
»Es ist etwas ganz Furchtbares passiert.« Ließen war außer Atem und offenbar die Eile nicht gewohnt, mit der er zum Rathaus gestürzt war.
Katharina schob sich sachte in den Raum und zog Marga hinter sich her. Auf keinen Fall wollte sie sich entgehen lassen, was Meister Ließen zu berichten hatte.
»Und das wäre?« Burkhardt war von wirklich vorbildlicher Geduld mit Menschen, die zu aufgeregt waren, um einen klaren Satz zu formulieren. Katharina stellte fest, dass ihr selbst diese Langmut fehlte.
»Ich muss Euch holen, Schützenmeister.« Ließen schnaufte. »Das müsst Ihr sehen. Da haben wir was gefunden. Schrecklich, wirklich. Wer tut denn so was? Das frage ich Euch, ich kann's mir nämlich nicht vorstellen .«
»Ließen!« Burkhardt wurde energisch, das konnte er auch. »Jetzt sagt mir, um was es sich handelt! Sonst kann ich Euch keinen Rat geben, das werdet Ihr doch wohl einsehen?«
Meister Ließen schluckte. »Wir, also das heißt, mein Geselle und ich, wir haben ein Mädchen gefunden. Auf dem Baugrund für das neue Rathaus. Hinten. Wo das Haus vom Räbener war.«
»Und was macht es, dieses Mädchen, dass es Euch so aus der Fassung bringt?«
»Was es macht?« Hans Ließens Adamsapfel hüpfte rauf und runter. »Das macht gar nichts mehr. Dem steckt ein Dolch im Leib, und es ist tot.«
Das alte Rathaus war längst zu klein geworden für das prosperierende Wittenberg und ganz entschieden zu wenig repräsentativ, weshalb der Rat vor ein paar Jahren beschlossen hatte, dass ein Neubau hermusste. Man kaufte zwanzig Hausstellen auf, was nicht ohne Streit und Ärger ablief und daher geraume Zeit dauerte. Also widmete man sich unterdessen der Planung des aufwendigen Bauprojektes und war inzwischen weit gediehen. Im nächsten Monat sollte die Grundsteinlegung sein. Noch war von der angekündigten Pracht nicht viel zu sehen, in der Baugrube waren nur Dreck, Schlamm, Kies und grob behauene Holzplanken. Und, eingehüllt in einen fadenscheinigen blaugrauen Umhang, eine tote Frau, die auf einem Sandhaufen lag.
Ungeachtet des feinen, alles durchdringenden Nieselregens kauerte Burkhardt auf dem Boden und scherte sich nicht darum, dass seine Knie im Morast einsanken. »Weiß jemand, wer sie ist?«
»Nein. Wir kennen die nicht, der Bert und ich. Nie gesehen.« Ließen spreizte in einer hilflosen Geste die Finger seiner derben Pranken.
Er hätte gerne geholfen, wusste aber nicht, wie, Katharina konnte es spüren. Ebenso beklommen wie neugierig schob sie sich ein Stückchen näher, sie stand zu weit weg, um wirklich etwas zu erkennen. Und sie wollte unbedingt wissen, was da war. Wer da war. Ihr Wissensdurst hatte sie schon öfter in Schwierigkeiten gebracht, doch auch diesmal über die Vernunft gesiegt, wie meistens. Als Burkhardt Hals über Kopf aus seiner Wachstube und mit eiligen Schritten in Richtung des Fundortes der Leiche gestürmt war, hatte Katharina ohne lange nachzudenken Margas Hand ergriffen und sich ihm und Ließen angeschlossen. Es war nicht einfach gewesen, mit ihnen Schritt zu halten, ihr Herz hämmerte immer noch von dem schnellen Lauf.
»War außer Eurem Gesellen noch jemand dabei, als Ihr sie gefunden habt?«, fragte Burkhardt.
»Nee, auf der Baustelle wird noch nicht gearbeitet, wir waren bloß da, um eine Messung vorzunehmen. Ich muss wissen, wie viel Bauholz ich bestellen soll, wenn es dann endlich losgeht.«
»Und es war niemand hier, als Ihr gekommen seid?«
Ließen runzelte die Stirn. »Bloß wir. Und die Frau.«
»Wir müssen herausfinden, ob es einen Zeugen gibt, jemanden, der gesehen hat, wie sie hergekommen ist. Kam sie auf ihren eigenen Füßen und wurde hier getötet? Oder war sie schon tot?...
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