Schweitzer Fachinformationen
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Es war sehr still in der Werkstatt und Timon mochte das. Malerei war etwas Ehrfurcht einflößendes, beinahe etwas Heiliges. Nicht nur, weil sie dem Ruhme Gottes diente, wie Meister Stefan immer wieder betonte, sondern auch, weil sich im Malen selbst etwas Göttliches manifestierte. Dann, wenn simple Menschen imstande waren, ein Abbild der Welt zu erschaffen, so reich und überwältigend wie das himmlische Jerusalem selbst.
Sofern der Maler über Talent verfügte.
Wie Timon. Das hatte der Meister selbst zu ihm gesagt, doch wusste er es auch so. Ein Mann wie Stefan Lochner, der Erste seiner Zunft in dieser Stadt, hatte es nicht nötig, sich mit minderbegabten Lehrlingen abzugeben. Dabei hatte Timon großes Glück gehabt, als Schüler aufgenommen worden zu sein, denn er entstammte keiner Malerfamilie. Sein Großvater und sein Vater sowie dessen Brüder waren Goldschmiede, es wäre nur natürlich gewesen, dieser Tradition zu folgen. Jedoch lechzte Timon nach Farbe, nach der Brillanz, dem Feuer, das ihr innewohnte. Daher strebte er auch nicht danach, Mathias nachzueifern, obwohl dies durchaus nahegelegen hätte. Der Geselle war nicht nur für Natur- und Landschaftsdetails, sondern auch für das Vergolden der Hintergründe und Nimben zuständig. Bislang hatte der Meister noch keinerlei Anstalten gemacht, Timon dafür einzuteilen.
Er würde einen Teufel tun, sich in irgendeiner Weise um dieses Thema verdient zu machen. Um alles andere schon, denn er liebte die Werkstatt. Wirklich alles darin. Den Duft, die Farben, die Konzentration, die in der Luft lag, wenn jeder in seine Arbeit vertieft war. Und er liebte Ordnung. Deshalb widmete er sich gerade freiwillig der Aufgabe, das Werkzeug aufzuräumen und an den vorgeschriebenen Platz zu befördern. Eigentlich hätte Hanß das tun müssen, aber es war leicht, ihn zu übergehen. Hanß duckte sich immer weg.
Timon blickte sich um. Die Staffeleien waren einheitlich zum Nordfenster ausgerichtet, die Spachtel gereinigt, die Behältnisse mit den Pigmenten und die Blasen mit angerührten Farben in Reih und Glied platziert, Federkiele und Griffel übersichtlich angeordnet, die Vorzeichnungen sortiert und gestapelt, die Pinsel sämtlich gereinigt und aufgereiht: Schweinsborsten auf der einen Seite, Rotmarder auf der anderen.
Zufrieden betrachtete Timon sein Werk. Noch zufriedener, als die Tür sich öffnete und der Meister den Raum betrat. Es konnte nicht schaden, wenn er merkte, wer hier für einen reibungslosen Ablauf sorgte.
Tatsächlich. Lochner lächelte erfreut. »So gefällt mir das«, sagte er in den stillen Raum hinein. »Hanß, warst du das?«
Der Junge wurde feuerrot und senkte den Kopf. »Also nicht«, erkannte sein Herr und blickte sich um. Alle waren beschäftigt. Reinhold mit einer Handstudie, Dietbert starrte auf die Farbblasen, die vor ihm standen, und suchte offensichtlich nach einer Entscheidung, welche er greifen sollte, Mathias strichelte an den Blumen und Gräsern, an denen er seit Wochen arbeitete.
»Timon«, ging Lochner ein Licht auf. »Du warst das. Ausgezeichnet. Aber hatte ich dir nicht aufgetragen, die Gewandfalten auf deiner Zeichnung zu überarbeiten?«
Timon nickte eifrig. »Hab ich gemacht. Und als ich fertig war, dachte ich, ein bisschen Aufräumen könne nicht schaden.«
»Gut, gut«, murmelte Lochner gedankenversunken, sein Blick ruhte auf dem säuberlichen Arrangement der Materialien und Werkzeuge. Schließlich wandte er sich ab und musterte mit gerunzelter Stirn seine Angestellten.
»Timon«, sagte er langsam. »Wo ist der Rotmarderpinsel?«
»Die Rotmarderpinsel liegen ganz links. Neben den Federn.«
»Das sehe ich. Ich sehe aber nicht den neuen Rotmarderpinsel für Verschmelzungen und Abstufungen.«
Timon betrachtete den Tisch. »Der ist nicht da.«
»Das sage ich doch gerade!«, fuhr Lochner auf, und Timon unterdrückte den Drang, einen Schritt zurückzuweichen.
»Ich meine, der war nicht da. Deshalb konnte ich ihn nicht aufräumen«, erklärte er unsicher. Es war nicht schön, den Meister zu verärgern. Es war das Gegenteil von dem, was er sich wünschte.
Lochner hob die Hände. Es sah beinahe so aus, als wolle er sich entschuldigen, und Timon entspannte sich ein wenig. »Natürlich. Alle mal herhören! Hat einer von euch den neuen Fächerpinsel in Gebrauch?«
Kollektives Kopfschütteln. Nur Dietbert verstieg sich zu einem gebrummelten »Nee, Meister, brauch ich grad gar nicht«.
»Mitkommen«, sagte Lochner nach einem kurzen Moment des Schweigens, und Timon trabte mit klopfendem Herzen hinter ihm her, bis sie in den hübschen Innenhof gelangten, der Vorder- und Hinterhaus miteinander verband. Der Apfelbaum in der Mitte trug bereits Früchte, doch waren sie noch sehr klein und sehr grün.
»Jetzt pass mal gut auf«, sagte Lochner leise, aber Timon unterbrach ihn, weil er es nicht aushielt.
»Damit hab ich nichts zu tun, dass der Pinsel weg ist! Ich wollte bloß Ordnung schaffen, weiter nichts.«
»Es gibt aber keine Ordnung, wenn Dinge in meiner Werkstatt verschwinden. Ich mag das nicht. Ich mag es nicht, wenn ich mir wegen meines Betriebes Sorgen machen muss.« Lochner reckte kämpferisch das ohnehin energische Kinn. »Wir halten es folgendermaßen. Du hast offenbar einen guten Überblick und sollst ihn nutzen. Ich will sofort informiert werden, wenn dir irgendetwas seltsam vorkommt.«
»Natürlich«, erwiderte Timon und konnte sein Glück kaum fassen. »Ihr könnt auf mich zählen, Meister.«
»Das weiß ich.« Meister Stefan zog die Brauen zusammen und blickte ihn eindringlich an. »Und das tue ich auch. Aber kein Wort zu den anderen, hörst du?«
»Verdächtigt Ihr denn jemanden, den Pinsel gestohlen zu haben?«, platzte Timon heraus, ehe er sich zügeln konnte.
Lochner schüttelte entschieden den Kopf. »Ich kenne jeden Einzelnen hier seit Jahren und kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, einer von euch würde mich bestehlen. Ich will bloß keine Unruhe in der Werkstatt. Ich will, dass einer die Augen offen hält und alle anderen unbehelligt ihrer Arbeit nachgehen können.«
»Ihr hättet keinen Besseren finden können«, sagte Timon mit allem Ernst, den er trotz des inneren Jubels in seine Stimme legen konnte. »Ich werde aufpassen wie ein Luchs.«
Goddert Baarth war ein Mann mit einem mächtigen Schädel, und wenn er zornig war, senkte er das Kinn, bis es fast auf seiner Brust ruhte. In solchen Momenten sah er aus wie ein Stier vor dem Angriff.
Adrian hasste das. Er war Goddert sehr ergeben, und es warf ihn aus der Bahn, sich vor ihm zu fürchten. Er hatte auch keinen Grund dazu. Eigentlich. Sein Herr hatte sich ihm gegenüber nie anders als grundanständig verhalten.
»Du gehst jetzt und tust, was ich dir sage«, grollte Godderts tiefe Stimme durch den Raum.
»Ein Warnschuss würde völlig reichen«, gab Adrian kühl zu bedenken. Irgendwann während seiner langen Jahre in diesem Haus hatte er gelernt, sich den Schneid nicht abkaufen zu lassen. Goddert Baarth hasste Widerspruch, aber er imponierte ihm auch.
»Dir vielleicht schon, mir nicht.« Goddert verschränkte die Arme auf der Tischplatte. »Der Mann hat klafterweise Holz geliefert bekommen, und nun scheint ihm entfallen zu sein, dass man bestellte Ware bezahlt. Ich lasse mir nicht auf der Nase herumtanzen. Von dir auch nicht, mein Freund.«
Adrian verzog keine Miene. »Rutger versucht nicht, Euch zu übertölpeln, Goddert. Er ist lediglich in Zahlungsschwierigkeiten und bittet um Aufschub.«
Baarth schob den wuchtigen, überreich geschnitzten Lehnstuhl zurück, in dem er vorzugsweise saß. Das Ding war entsetzlich unbequem, wie Adrian wusste, seitdem er ihn eines Nachmittags heimlich ausprobiert hatte. Doch er war herrschaftlich und imposant, und er machte jedem Besucher deutlich, wer hier das Sagen hatte und im Zweifel am längeren Hebel saß.
Goddert erhob sich, umrundete den Tisch und baute sich vor Adrian auf. Der zwang sich, sitzen zu bleiben, was genau genommen unerhört war. Niemand, der Goddert Baarth unterstand, ruhte seinen Hintern auf einem Stuhl aus, wenn der Herr sich in der Senkrechten befand. Goddert kniff die Augen zusammen, enthielt sich jedoch eines Kommentars.
»Ich bin mir durchaus darüber im Klaren, dass Schulden einzutreiben zu den Aufgaben gehört, die dir am wenigsten zusagen«, stellte er fest, und Adrian hätte nicht zu sagen vermocht, ob er sich den unterschwellig drohenden Klang nur einbildete.
»Durchaus nicht«, widersprach er gelassen, denn das war Goddert gegenüber die beste Strategie. »Doch kommt es auf die Art der Zahlungsverweigerung an. Im vorliegenden Fall ist es nicht so, als hätte der Mann sein Holz entgegengenommen und damit in seiner Schmiede ein munteres Feuer entfacht, sähe nun aber nicht ein, warum er dafür zahlen soll. Er kann einfach nicht. Die letzten Wochen fiel er aus, da er sich durch einen unseligen Unfall den Arm gebrochen hat und sein Geselle kurz zuvor auf Wanderschaft gegangen war. Wer hätte die Aufträge erledigen sollen? Keine Aufträge, keine Einnahmen. Er wird zahlen, sobald er dazu in der Lage ist.«
»Komm mit.«
Adrian erhob sich gehorsam - und überrascht - und folgte seinem Herrn, der mit großen Schritten den riesigen Raum durchquerte, Godderts Allerheiligstes. Sie betraten den Flur, durchquerten die weiträumige Diele und standen schließlich draußen auf den Stufen vor der blank polierten Eingangstür aus schwerem Eichenholz. Dort blieb Goddert stehen und sog tief die würzige Landluft ein, die nach frisch...
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