Im MfS-Wörterbuch wird die "Hauptaufgabe des MfS" beschrieben als "die sich aus den Sicherheitserfordernissen der sozialistischen Gesellschaft und der Sicherheitspolitik der Partei ergebenden generellen Anforderungen an die Arbeit des MfS. Diese generelle Anforderung besteht in der Gewährleistung der staatlichen Sicherheit der DDR vor allen Angriffen innerer und äußerer Feinde."1 Hier blieben die MfS-Wissenschaftler noch recht allgemein, wenngleich bemerkenswert ist, daß die inneren vor den äußeren Feinden genannt werden. Ein wenig präziser werden Sinn und Zweck des Sicherheitsapparates im dritten Absatz dieser Definition beschrieben: "Insgesamt muß die Erfüllung der H. des MfS zu Arbeitsresultaten führen, die geeignet sind, der Partei rechtzeitig strategische und taktische Informationen über den Gegner zur Verfügung zu stellen, den Feind in seinen Ausgangsbasen im Operationsgebiet aufzuklären, zu stören und zu bekämpfen, feindliche Machenschaften gegen die DDR zu verhindern, innere Feinde zu entlarven und die Sicherheit der DDR unter allen Lagebedingungen zu gewährleisten sowie Schäden und Schadenshandlungen durch Vorbeugung, höhere Wachsamkeit, Disziplin und Ordnung zu verhindern."2 Unter dem Stichwort "Sicherheitspolitik, sozialistische" wird der Auftrag des MfS eher verschwommen und beschönigend dargestellt, wenn es heißt, daß die Sicherheitspolitik "friedensschaffenden, friedenserhaltenden und friedensgebietenden Charakter" besäße, "revolutionär-schützend", dazu "humanistisch", "internationalistisch", "parteilich, objektiv und wissenschaftlich" und "Ausdruck sozialistischer Gesetzlichkeit" sei. Etwas konkreter wird es am Schluß: "Das MfS hat ausgehend vom einheitlichen Klassenauftrag der Partei an die Schutz- und Sicherheitsorgane vorrangig alle subversiven Angriffe des Gegners, insbesondere auf die Verteidigungsfähigkeit des Sozialismus, die störungsfreie Durchsetzung der ökonomischen Strategie der Partei und die ideologischen Grundlagen der Weltanschauung der Arbeiterklasse, vorbeugend zu verhindern, rechtzeitig aufzudecken und wirksam zu bekämpfen."3
Dennoch werden die drei Hauptfunktionen des bürokratisch-militärisch organisierten MfS-Repressionsapparates nicht hinreichend deutlich, nämlich zugleich Nachrichtendienst (MfS-Kürzel: "Aufklärung"), politische Geheimpolizei (MfS-Kürzel: "Abwehr") und juristisches Untersuchungsorgan (Strafverfolgung) gewesen zu sein. Das MfS verstand sich als "ausführendes Organ der Diktatur des Proletariats [.] unter Führung der SED auf Grundlage der Beschlüsse der SED",4 wobei das Idiom "Diktatur des Proletariats" der geblümten Rede zuzurechnen ist, handelte es sich doch um die Diktatur der SED oder genauer: der SED-Führung, repräsentiert durch das Politbüro und den Apparat des Zentralkomitees der SED. Deren über vierzig Jahre fehlende demokratische Legitimation sowie die mangelnde und deshalb propagandistisch permanent beschworene Akzeptanz durch die Bevölkerung führte zu einer machtpolitischen Kompensation des Mißtrauens der vormundschaftlichen Partei gegenüber ihrem Mündel Volk, letztlich zu der wahnhaften SED-Sicherheitsdoktrin und dem unangemessenen Wuchern des Sicherheitsapparates.
Daß die Machtsicherung durch das MfS letztlich eine "zerstörerische Stabilisierung"5 war, da sie auch die dogmatische Starre und Reformunfähigkeit zementierte, ist eine der optimistisch stimmenden Erkenntnisse aus dem Untergang der DDR-Diktatur und ein schönes Beispiel für das Wirken einer Geschichtsdialektik, die sich auch gegen jene richtete, die sie ständig im Munde führten.
In der Verpflichtung, die jeder hauptamtliche Mitarbeiter des MfS zu unterzeichnen hatte, stand auf Seite 1: "Bei der Abgabe dieser Verpflichtung bin ich mir bewußt, daß das Ministerium für Staatssicherheit ein zuverlässiges und der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands treu ergebenes Organ des Ministerrates der Deutschen Demokratischen Republik ist, in deren Auftrag es wichtige politisch-operative und militärische Aufgaben zur Festigung unserer Arbeiter-und-Bauern-Macht und zur Sicherung des Friedens durchführt."6
Da die SED nicht nur den politischen, sondern auch den ideologischen Führungsanspruch für sich reklamierte und rigoros durchsetzte, wirkte sich das auf den gesamten "gesellschaftlichen Überbau" aus, darunter nicht zuletzt auf Kunst und Literatur. Auch und gerade dieser Bereich war durch das MfS abzusichern, weshalb das MfS einen spezifizierten Sicherheitsauftrag zur Durchsetzung der SED-Kulturpolitik und die entsprechenden, dafür zuständigen Diensteinheiten besaß. Dies war ab 1964 die "Linie XX", verantwortlich für: Staatsapparat, Kirche, Kunst, Kultur und "politischen Untergrund", sie war das Zentrum der nach innen gerichteten Repression. In Mielkes Befehl 20 /69 vom Juni 1969, der die Bildung der Abteilung XX /7 anwies, wird die sicherheitspolitische Bedeutung der Kultur unterstrichen: "Die Kultur in ihrer Gesamtheit, im besonderen Maße die Massenkommunikationsmittel, sind auf Grund ihrer Stellung im gesellschaftlichen Gesamtsystem, vor allem bei der politisch-ideologischen Bildung und Erziehung der Menschen, bedeutende Faktoren im Prozeß des Klassenkampfes zwischen Sozialismus und Imperialismus."7 In der zu diesem Befehl gehörenden "Dienstanweisung 3/69 zur Organisierung der politisch-operativen Arbeit in den Bereichen der Kultur und Massenkommunikationsmittel" wurden Sinn und Zweck der SED-Kulturpolitik so beschrieben: "Das strategische Ziel der sozialistischen Kulturpolitik besteht in der Herausbildung der sozialistischen Menschengemeinschaft und in der Schaffung der gebildeten sozialistischen Nation, die zugleich als Vorbild auf Westdeutschland und andere kapitalistische Länder ausstrahlt."8 Die "Wirksamkeit unserer sozialistischen Ideologie", verkündete Mielke in seinem Referat auf der Dienstkonferenz vom 13. Juli 1972, sei die "Kernfrage" und der "rote Faden", der sich durch alle Dokumente und Beschlüsse der Partei zur Kulturpolitik hindurchziehe, diese von der Partei vorgegebene "Linie und Aufgabenstellung" gelte es mit den Mitteln und Methoden des MfS durchzusetzen.9 Dieser generelle kulturpolitische Auftrag des MfS wird detaillierter in der Planung für die Jahre 1986 bis 1990 unter Punkt 4.5. "Sicherung und Unterstützung der Kulturpolitik der Partei" beschrieben: "Mit dem Ziel, die Durchsetzung der sozialistischen Kulturpolitik zuverlässig zu sichern und wirksam zu unterstützen, ist die politisch-operative Arbeit des MfS darauf auszurichten, - die gegnerischen Bestrebungen zur ideologischen Einflußnahme auf kulturpolitischem Gebiet rechtzeitig zu erkennen, sorgfältig zu verfolgen, zu analysieren und ihnen wirksam zu begegnen; - Versuche feindlich-negativer Kräfte, die Beschlüsse und Orientierungen der Partei, des Staates und kulturpolitischer Gremien zu ignorieren, zu unterlaufen bzw. zu verfälschen, aufzudecken und in geeigneter Form zurückzuweisen; - ein Wirksamwerden gegnerischer und feindlich-negativer, oppositioneller Kräfte im kulturpolitischen Bereich konsequent zu unterbinden."10 Pointierter formulierte Mielke stets, wenn er vor seinen Tschekisten sprach, so auf der Delegiertenkonferenz der SED-Grundorganisation der HA IX vom 27. November 1985. Hier brachte er die dienende Rolle des MfS gegenüber der SED-Führung auf den prägnanten Satz: "Keine unserer Maßnahmen darf die Linie der Partei beeinträchtigen oder gar stören."11 In einem Vortrag, der sich ausdrücklich auf diese ministerielle Vorgabe bezog, forderte der vortragende Spezialist der HA IX die "wirksamste Unterstützung und aktive Durchsetzung" der SED-Kulturpolitik, der sich "alle Entscheidungen, Maßnahmen und Vorgehensweisen unterzuordnen" hätten. Dieser Bereich sei besonders wichtig, aber auch besonders sensibel, da die "Kunst- und Kulturschaffenden der DDR" im "Zentrum der feindlichen Angriffe" ständen. Dem Gegner ginge es vor allem um "die Störung des Vertrauensverhältnisses und die Dokumentierung eines angeblichen Widerspruches zwischen der Partei und den Kunst- und Kulturschaffenden in der Darstellung eines angeblich in der DDR und anderen sozialistischen Staaten herrschenden Gegensatzes zwischen ,totalitärem Staat und künstlerischer Freiheit', zwischen ,Macht und Geist'; die auf der Grundlage angestrebter ideologischer Einbrüche beabsichtigte Schaffung ideologischer Stützpunkte unter den Kunst- und Kulturschaffenden zur Verbreitung antisozialistischer, bürgerlicher Theorien, Lebensauffassungen und Wertvorstellungen als Ausgangspunkt für weitergehende subversive Handlungen, insbesondere für die Installierung und Formierung einer inneren Opposition in der DDR; den gezielten, organisierten und sowohl ideell als auch materiell unterstützten Mißbrauch der vielfältigen Formen künstlerischer Betätigung zu vielschichtigen,...