Schweitzer Fachinformationen
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London 1913: Die Schwestern Clara und Nancy arbeiten als Aufseherinnen in einem Frauengefängnis, in dem auch viele Suffragetten inhaftiert sind. Besonders Nancy ist fasziniert von der Frauenrechtlerin Daisy. Nachdem diese aus dem Gefängnis entlassen wird, folgt Nancy ihr und schließt sich der Suffragetten-Bewegung an. Als Nancy nach einem Brandanschlag verhaftet wird, stehen die beiden Schwestern sich schließlich wieder gegenüber - diesmal auf verschiedenen Seiten der Gitter ...
Sobald Clara von der Arbeit weg kann, macht sie sich auf den Weg. Sie eilt die Seven Sisters Road hinunter bis zu dem kleinen Reihenhaus und schließt die Tür auf und geht hinein. Ihr Vater hat sich beim Geräusch des Riegels aus seinem Sessel erhoben, sinkt jedoch gleich wieder hinein, als er sieht, dass sie es ist. Sie zieht den Mantel aus und findet einen freien Haken dafür.
»Ist sie oben?« Sie setzt bereits einen Fuß auf die Treppe, und er lässt sie ohne ein Wort hinaufsteigen. Aber sie spürt seinen Blick, bis sie den Treppenabsatz erreicht.
In dem Schlafzimmer, das sie betritt, brennt nur eine Öllampe, die auf einer kleinen Kommode steht. Clara stellt die Flamme größer. Ihre Schwester liegt im Bett und dreht sich sofort zur Wand, um sich vor dem Licht zu verkriechen wie ein Insekt im Erdreich.
»Nicht!« Nancy bedeckt mit einer Hand ihr Gesicht und zieht sich die Decke bis über die Schultern.
Clara schnalzt mit der Zunge. »Ich muss dich doch ansehen können, oder?«
»Da gibt es nichts zu sehen«, entgegnet ihre Mutter, die mit finsterer Miene auf dem Stuhl in der Zimmerecke sitzt.
Nancy hechelt wie ein Hund. »Mach, dass es aufhört«, jammert sie. »Oh, es soll aufhören!«
Clara tritt ans Bett und kniet sich hin. Sie legt eine Hand auf Nancys Kopf, weil ihr das angemessen erscheint.
»Sie will es nicht rauskommen lassen«, erklärt ihre Mutter rundheraus.
Clara zieht ihrer Schwester den Arm vom Gesicht.
Nancy schließt die Augen. Ihr Mund ist zusammengekniffen, die Knie hat sie eng an den Leib gezogen. »Es tut weh, Clara. Es tut furchtbar weh, und es hört nicht auf.«
Clara schaut zu ihrer Mutter. »Wie lange geht das schon so?«
»Seit heute Mittag. Ich bin sofort losgegangen, um dich zu holen.«
»Ich konnte nicht weg.«
»Ich habe an der Pforte eine Nachricht hinterlassen.«
»Ich musste meine Arbeit erst zu Ende bringen, vorher wollten sie mich nicht gehen lassen.«
Ihre Mutter wendet sich auf dem Stuhl ab, damit sie ihre Töchter nicht sehen muss. Sie schlägt die Beine übereinander und setzt eine entschlossene Miene auf.
»Hast du nach der Hebamme geschickt?«, fragt Clara.
»Er war dagegen.«
»Er ist ein Trottel.«
»Meint, ich sollte inzwischen wissen, wie es geht, weil ich euch zwei bekommen habe. Er sagt, wir müssten allein damit fertigwerden.«
Clara steht auf und geht zu der Schüssel auf dem Frisiertisch. Das Wasser ist kalt. Sie nimmt einen Waschlappen, taucht ihn ein, wringt ihn aus und kehrt damit ans Bett zurück. Nancys Haare sind verschwitzt. Clara streicht sie ihr aus dem Gesicht und hinter die Ohren und legt ihr den Waschlappen auf die Stirn. Die Bettdecke schlägt sie bis zu den Knien zurück, und als Nancy danach greifen will, fängt Clara ihre Hand ab.
»Du glühst, Nancy. Du musst abkühlen.«
»Sie ist krank«, sagt ihre Mutter. »Sie sollte im Bett bleiben.«
»Sie ist nicht krank.«
»Ich will schlafen«, jammert Nancy. »Nur schlafen, sonst nichts.« Sie kneift die Augen zu, als eine neue Wehe heranrollt wie eine Welle an den Strand. »Oh, es soll aufhören. Bitte, irgendjemand soll machen, dass es aufhört!«
Ihre Mutter kommt ans Bett. »Das hättest du dir vorher überlegen sollen, nicht wahr!«
Clara sieht sie wütend an, bis sie zu ihrem Stuhl zurückgekehrt ist. »Ich gehe jetzt die Hebamme holen.« Sie zieht ihren Rock glatt. »Es wird nicht lange dauern. Gib acht, dass sie sich nicht weiter erhitzt.«
Als sie die Zimmertür öffnet, steht da ihr Vater und weicht vor ihr zurück. Sie geht an ihm vorbei. Am Treppenabsatz sagt sie: »Ich hole die Hebamme.«
»Nicht nötig«, schnauzt er, dann folgt er ihr die Treppe hinunter.
Halb erwartet sie, dass er seine Hand auf ihre Schulter legt. Wenn es ihm ernst ist, wird er sie nicht gehen lassen. Doch am Fuß der Treppe bleibt er stehen, während sie das Wohnzimmer durchquert und ihren Mantel vom Haken nimmt. Sie fährt in die Ärmel und hebt die Haare über den Kragen.
»Hast du nicht gehört?« Er wird laut, aber sie weiß, er will damit nur das Gesicht wahren, wie ein Hund, der einen Passanten anknurrt. »Ich sagte, das ist nicht nötig!«
»Man kann es richtig oder falsch machen, wie bei allem«, erwidert sie ruhig. »Irgendwas könnte schiefgehen.«
»Wäre keine Katastrophe, oder?« Er geht zu seinem Sessel und setzt sich. »Vielleicht sogar das Beste. Das Beste für uns alle.«
Clara schlüpft hinaus und eilt die Straße entlang, froh, von ihm weg zu sein.
Die Hebamme, mit der sie zurückkommt, hat eine knappe, nüchterne Art und beachtet den Vater kaum, sondern nickt ihm nur zu, während sie auf die Treppe zuhält. Das ärgert ihn, und er langt nach Claras Arm, um sie aufzuhalten.
»Ich werde sie nicht bezahlen«, zischt er. »Das ist dir doch klar?« Aber er lässt sie los. »Als hätte ich lauter Katzen um mich«, brummt er, als sie den Treppenabsatz erreicht.
Ihre Mutter steht mit der Hebamme am Frisiertisch. »Das Wasser ist kalt«, bemerkt die Hebamme.
»Wir haben sie gekühlt«, erklärt die Mutter und zeigt auf Nancy, die sich die Bettdecke wieder bis zum Kinn hochgezogen hat.
Die Hebamme geht zum Bett. Sie zieht die Decke zurück, sodass Nancy zusammengekrümmt und wimmernd den Blicken ausgesetzt ist. »Kommen Sie, Liebes.« Sie fasst sie bei den Schultern und dreht sie behutsam herum, damit sie ihr Gesicht sieht. Eins der beiden Kissen schüttelt sie auf. »Versuchen Sie, sich ein wenig aufzusetzen.« Aber Nancy jammert nur ängstlich und verloren. Die Hebamme nickt Clara zu. »Geben Sie mir meine Tasche.« Als Nächstes schickt sie die Mutter nach unten, um heißes Wasser zu holen.
Clara sieht zu, wie die Hebamme ihrer Schwester das Nachthemd bis über die Hüften hochschiebt. Die plötzliche Nacktheit bringt sie aus der Fassung, und sie wendet sich ab. Der Anblick erzeugt ein Gefühl des Ausgeliefertseins, bei dem ihr schwindlig wird. Doch so ist sie niemandem eine Hilfe, das ist ihr klar. Sie ermahnt sich streng. Was hier passiert, ist Realität, und nichts kann sie daran ändern. Also ist es besser, sie stellt sich dem, genau wie Nancy es tun muss. Sie holt tief Luft, um einen klaren Kopf zu bekommen, bevor sie sich wieder zum Bett umdreht.
Die Hebamme legt die Hände an Nancys Bauch. Behutsam tastet sie über die Seiten bis zum Nabel, dann nimmt sie ein hölzernes Hörrohr aus der Tasche und hält das eine Ende an den Bauchnabel, das andere an ihr Ohr. »Tritt er häufig?«
»Weiß ich nicht«, antwortet Nancy mürrisch und erschöpft.
»Wie bitte? Sie haben ihn nicht gespürt? Dann müssen Sie einen Bauch aus Stein haben, denn er hat ein kräftiges Herz.«
»Hat er?«
»Da ist bei ihm alles in Ordnung.«
Nancy umklammert ihr Kissen und zieht es sich vors Gesicht, als eine Wehe kommt. »Warum kommt er dann nicht?«
»Weil es noch nicht so weit ist.«
Nancy bricht in Tränen aus. Weinend verzieht sie das Gesicht und kneift die Augen zu.
Rasch greift die Hebamme nach ihrer Hand und legt sie fest auf den Bauch. »Fühlen Sie, wie er tritt? Da! Spüren Sie das?«
Nancy reißt staunend die Augen auf. »Das ist es?«
»Haben Sie das nicht gewusst?«
Clara tritt näher. Sie möchte auch den Bauch ihrer Schwester anfassen, um zu fühlen, wie es ist, ein lebendiges, tretendes Wesen in sich zu haben.
Da passiert etwas, das Nancy zum Lachen bringt. »Oh, oh, der kleine Bursche.« Sie schiebt die Finger zum unteren Rand des Bauches. »Er versucht es, nicht wahr?«, fragt sie die Hebamme. »Er versucht, sich rauszuschieben.«
Schweigend schauen die drei auf den Bauch, wie man auf ein Naturschauspiel wartet, und ganz plötzlich zeichnet sich ein Fuß an der Bauchdecke ab, als würde sich das Kind abstoßen und umdrehen, und die Schwestern blicken einander an, weil sie wissen wollen, ob die andere es auch gesehen hat. Halb erschrocken, halb staunend halten sie den Atem an.
»Kommen Sie, und helfen Sie Ihrer Schwester aus dem Bett.« Die Hebamme macht Clara Platz, und zusammen greifen sie Nancy unter die Arme und heben sie auf die Beine.
»Wohin soll sie gehen?«
»Nirgendwohin. Nur auf und ab. Das tut beiden gut. Sorgt für den Fortgang der Dinge. Bringt Luft in ihre Lunge.«
Clara ist fast zu ängstlich, um Nancy anzufassen, greift ihr aber um die Taille, und es ist doch nicht so seltsam wie geglaubt. Aneinandergelehnt halten sie sich bei den Händen und gehen im Zimmer hin und her, fünf Schritte zum Fenster und zurück. Bis vor einem Jahr haben sie sich ein Bett geteilt. Clara kennt also den Leib ihrer Schwester, die Figur unter dem Nachthemd, jedoch nicht so, nicht prall und schamlos und nachlässig. Nancy ist keine, zu der schwere Brüste und ein großer runder Bauch passen. Sie ist ein stilles Mädchen. Sehr schüchtern.
Ihre Mutter kommt mit heißem Wasser zurück und erschrickt beim Anblick der beiden. »Wieso bist du aufgestanden? Du musst liegen.« Um Zustimmung heischend schaut sie zur Hebamme, bekommt aber keine. »Ich werde eine Bettpfanne holen«, sagt sie und wendet sich zum Gehen. »Dein Vater sagt, du hättest ihn in den Pub getrieben.«
Die Hebamme setzt sich auf den Stuhl in der Ecke. Sie nimmt ihr Strickzeug aus der Tasche und widmet sich schweigend ihrer Handarbeit, während die Schwestern auf und ab gehen.
So hat Clara sich das nicht vorgestellt. Sie war nach Hause gekommen, um nach ihrer jüngeren Schwester zu sehen, ihr zu...
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