Schweitzer Fachinformationen
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HEILIGABEND, VOR NEUN JAHREN
CHICAGO
»Sind Sie sicher?«
Die Verkäuferin gibt sich keine Mühe, ihre Skepsis zu verbergen, als sie mit dem Blick meinem Finger zum untersten Regalfach hinter ihr folgt. Dort, zwischen den feineren, teureren Parfums, steht ein plumper grüner Flakon, der aussieht, als hätte man ihn versehentlich dort abgestellt.
»Es ruft nach mir«, sage ich.
Die Frau, die laut Namensschild Martha heißt, zögert, doch ich lächele nur. Schließlich seufzt sie und bückt sich, um das Parfum hervorzuholen, wobei ihre Schneeflockenohrringe glitzern. »Ich glaube, das von Armani wäre die bessere Wahl«, sagt sie, während ich den Ärmel hochschiebe. Meinen anderen Arm haben wir bereits mit fünf verschiedenen Düften bestäubt, und mir geht die unparfümierte Haut aus. »Darauf gibt es zwanzig Prozent Rabatt.«
»Das da ist einfach zu schön«, sage ich und halte ihr mein Handgelenk hin.
Pflichtbewusst sprüht sie mir den Duft auf. Als ich mich vorbeuge, um ihn einzuatmen, rümpfe ich die Nase über den künstlichen Apfelduft. Widerlich süß mit einer starken chemischen Note. Meine Schwester wird es furchtbar finden.
Also ist es perfekt.
»Ich nehme es.«
Martha hustet, als die Parfumwolke auch sie erreicht. »Falls der Preis das Problem ist, hätten wir jede Menge günstigere Alternativen.«
»Nein«, versichere ich ihr. »Das ist das Richtige. Ganz bestimmt.«
Sie öffnet den Mund, um zu protestieren, als der nächste Song aus den Lautsprechern ertönt. Irgendetwas über Schlittenglocken, Rentiere und eine fröhliche Zeit. Sie erschauert unübersehbar, und ich verziehe mitleidig das Gesicht. Ich kann nur erahnen, wie oft sie sich das Lied schon anhören musste.
»Wechseln die hier jemals die Playlist?«
»Eigentlich nicht.« Ihr Blick fällt auf das Parfum und dann auf die Menschenschlange, die sich hinter mir gebildet hat. Ich erkenne genau den Moment, in dem sie mich als hoffnungslosen Fall abstempelt. »Als Geschenk?«
»Bitte.«
Sie versteckt den Flakon in einem Haufen Seidenpapier, als ob sein Anblick sie persönlich beleidigen würde, und ich streiche im Geiste den letzten Punkt auf meiner To-do-Liste. Mit Zoes Geschenk bin ich nun offiziell fertig, um für die Weihnachtsfeiertage nach Hause zu fliegen. Oder besser gesagt für eine Woche im Dezember. Meine Familie steht nicht sonderlich auf Weihnachten, dennoch erwarten alle, dass ich nach Hause komme. Wenigstens darf ich dort für ein paar Tage das Lieblingskind sein. Seit ich zum Studium in die USA gezogen bin, haftet mir bei meinen Besuchen der Reiz des Neuen an, was bedeutet, dass ich im Grunde keine Hausarbeit zu erledigen habe. Als Zoe letztes Jahr drei Abende hintereinander das Geschirr spülen musste, war sie ziemlich genervt. Aber meine Mutter behauptete, ich würde zu sehr unter dem Jetlag leiden, und mal ehrlich, was wäre ich für eine Tochter, wenn ich meiner eigenen Mutter widersprechen würde?
»Sind Sie sicher?«, fragt Martha, die Plastiktüte fest in der Hand, und ihr professionelles Verkäuferinnenlächeln verblasst.
Ich reiche ihr das Geld und versuche, nicht über ihren Widerwillen zu lachen. »Ganz sicher.«
Ich bin gerade fertig, als mein Telefon klingelt, und meine gute Laune erhält einen erheblichen Dämpfer - es ist Hayley. Einen verwegenen Moment lang überlege ich, nicht ranzugehen. Wäre ich doch nur meinem Instinkt gefolgt, denke ich, sobald ich das Gespräch angenommen habe.
»Du musst mir einen Gefallen tun.«
Mit ihrer Stimme in meinem Ohr drehe ich mich um und bahne mir einen Weg durch den überfüllten Duty-free-Bereich am Flughafen Chicago O'Hare.
Hayley war die erste Freundin, die ich an der Northwestern kennengelernt habe. In unserem ersten Jahr wohnte sie drei Zimmer neben meinem, und als Neuling auf der Suche nach einem freundlichen Gesicht hängte ich mich an sie.
In den ersten Monaten fiel zwar nichts Bedenkliches zwischen uns vor, dennoch stellte ich schnell fest, dass es noch viel nettere Leute gab, mit denen ich meine Zeit verbringen konnte. Menschen, mit denen ich mehr gemeinsam hatte als mit der Frau, der ich ständig den Kaffee bezahlen musste, weil sie das Portemonnaie in ihrer anderen Tasche vergessen hatte. Sie ließ sich jedoch nicht abschütteln und hing auf eine Weise an mir, die ich sowohl verwirrend als auch schmeichelhaft fand - auch wenn unsere Freundschaft harte Arbeit bedeutete.
Zoe sagt immer, ich könne mich nicht richtig durchsetzen, aber so etwas lernt man ja auch nicht in der Schule. An meinem ersten Tag erhielt ich viele bunte Flyer zum Thema Freunde finden. Aber nichts darüber, wie man sie wieder loswird.
»Es ist gerade etwas ungünstig«, sage ich. »Ich bin am Flughafen, schon vergessen?«
»Es ist ein wirklich dringender Gefallen.«
»Das bezweifle ich.« Ich versuche, nicht so mürrisch zu klingen, wie ich mich fühle. »Aber sag, was ist los?«
Als sie antwortet, höre ich lautes Kaugummischmatzen. »Kann ich mir heute Abend dein blaues Kleid ausleihen? Das mit den Trägern hinten?«
»Das habe ich eingepackt.«
»Und was ist mit dem grünen, in dem du aussiehst, als hättest du Brüste?«
»Ich habe Brüste.« Ich schnaube. Die zwei brauchen nur manchmal ein bisschen Hilfe dabei, sich ins rechte Licht zu rücken. »Andrew interessiert sowieso nicht, was du anhast.«
»Andrew?«
»Dein Freund«, erinnere ich sie und versuche, nicht daran zu denken, wie sie es in meinen Kleidern treibt.
Die beiden sind seit ein paar Monaten zusammen, und ich habe ihn fast nie ohne ihre Zunge in seinem Hals gesehen. Als wir uns das erste Mal begegnet sind, waren wir beide hocherfreut, so fern der Heimat einem Iren zu begegnen, und ich plauderte munter mit ihm. Hayley schien der Gedanke, dass wir uns anfreunden könnten, allerdings nicht zu gefallen, und so hat sie uns seitdem möglichst voneinander ferngehalten. Um ehrlich zu sein, glaube ich allmählich, dass sie in ihrem Leben niemanden duldet, der sich nicht ausschließlich um sie kümmert. Doch als sie jetzt am anderen Ende der Leitung herumdruckst, ist nichts von dieser eifersüchtigen Seite zu merken.
»Was?«, frage ich und weiß, dass sie genau das von mir hören will.
»Ich überlege, mit ihm Schluss zu machen.« Sie sagt das so beiläufig, als wollte sie sich von einem alten Paar Schuhe trennen.
»Seit wann? Ich dachte, du magst ihn?«
»Ich mochte ihn.« Eine Pause. »Er macht eine Menge Witze.«
Ich verdrehe die Augen, setze meinen Weg fort und schlängle mich an den anderen Reisenden vorbei.
»Aber ich konnte ihn ja nicht kurz vor den Feiertagen abservieren«, fährt sie fort. »Ich bin schließlich kein Unmensch.«
»Nein, da hast du recht. Der kalte, dunkle Januar ist viel besser.« Armer Kerl. Bei den wenigen Gelegenheiten, bei denen wir uns unterhalten haben, wirkte er ganz nett. Oder vielleicht habe ich auch nur aus Loyalität einem Landsmann gegenüber Mitgefühl mit ihm. »Wohin gehst du heute Abend?«
»Abendessen mit Rob.« Sie kann ihre Freude kaum verbergen. »Wir sind gestern zusammen losgezogen, nachdem er .«
»Wie bitte?«
»Billys Freund.«
»Ja, ich weiß, wer Rob ist«, sage ich und stelle mir vor, wie sie mit dem muskulösen Verbindungsstudenten geknutscht hat. »Was meinst du damit, ihr seid zusammen losgezogen?«
»Wir sind nach Kendras Party zu ihm gegangen, und Molly, du glaubst nicht, was er mit seiner .«
»Du hast also mit Andrew Schluss gemacht?«, unterbreche ich sie verwirrt.
»Ich sagte, ich denke darüber nach.«
Ich brauche definitiv neue Freunde. »Du hast ihn betrogen?«
»Es ist kein Betrug, wenn ich Schluss machen werde.«
»Doch, ist es!«
»O mein Gott«, stöhnt sie. »Das ist keine große Sache.«
»Du musst mit ihm Schluss machen, wenn du dich mit einem anderen triffst, Hayley. Das ist grausam.«
»Na gut«, schnauft sie. »Gut. Ich tue es jetzt gleich.«
»Nein, nicht jetzt. Warte, bis die Vorlesungen wieder anfangen.«
»Aber du hast doch gerade gesagt .«
»Ich weiß, was ich gesagt habe.« Ich betrete ein automatisches Laufband und ziehe den Koffer näher an mich heran. Dann fällt mein Blick auf mein finsteres Gesicht in der Spiegelwand gegenüber, und ich bemühe mich, eine freundlichere Miene aufzusetzen. Vielleicht hat sie recht - wer will schon an Heiligabend abserviert werden? »Wie wäre es, wenn du dich nicht mit Rob triffst, bis du mit Andrew Schluss gemacht hast?«
»Aber ich treffe mich heute Abend mit ihm«, sagt sie, als wäre ich schwer von Begriff. »Hör zu, wenn es so eine große Sache für dich ist, schicke ich Andrew eine Nachricht.«
»Hayley, das kannst du nicht machen!«, rufe ich aufgebracht bei dem Gedanken, dass sie per Textnachricht mit ihm Schluss macht. Ich kenne den Typen zwar kaum, aber es gibt doch so etwas wie Anstand.
Am anderen Ende der Leitung wird es still, und ich glaube, sie hat endlich begriffen, wie beschissen das wäre, doch dann schnaubt sie: »Okay, Mom.«
»Hayley .«
»Ich muss jetzt auflegen.« Plötzlich klingt sie äußerst gelangweilt. »Wir sehen uns, wenn du zurückkommst.«
»Ich habe dir meinen Schlüssel dagelassen, damit du meine Pflanzen gießt, nicht damit du dir ein Kleid von mir leihst und Andrew darin betrügst.«
»Bis dann!«, ruft...
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