Schweitzer Fachinformationen
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Laura. Heute. Donnerstag, 19:00 Uhr. Branston, Connecticut.
Lippenstift, kirschrot.
Ich wähle die Farbe, weil sie fröhlich ist und leuchtet. Optimismus in einem kleinen Röhrchen. Genau das brauche ich heute Abend.
Das Gästebad im Haus meiner Schwester ist unglaublich klein, mit Deckenschräge und einem winzigen, ovalen Spiegel. Der Lippenstift balanciert am Rand des Waschbeckens.
Ich trage ihn als Erstes auf, damit ich es mir nicht mehr anders überlegen kann, rolle den Optimismus quer über meine Lippen. Dann der Concealer. Zwei Streifen unter meine braunen Augen, schon verschwinden die dunklen Schatten wochenlanger Schlaflosigkeit. Roséfarbenes Rouge verleiht meinen Wangen Farbe. Sie haben viel zu lange keine Sonne gesehen.
Schlaflose schlafen tagsüber.
Meine Schwester Rosie hat mir ein hübsches Kleid geliehen. Schwarz mit winzigen Blümchen.
Trag doch zur Abwechslung mal ein Kleid. Dann fühlst du dich hübsch.
Rosie ist gerade dreißig geworden. Sie hat einen Ehemann und ein Kleinkind - Joe und Mason. Sie wohnen in einem Haus in den Hügeln von Branston, zehn Kilometer vom Stadtzentrum entfernt. Und eineinhalb Kilometer von dem Ort, an dem alles angefangen hat. Der Straße, in der wir aufgewachsen sind. Deer Hill Lane.
Rosie sagt, sie hätte ohnehin keine Gelegenheit, das Kleid zu tragen. Der Rock sei im Weg, wenn sie Mason nachjage, und abends reiche es höchstens für ein Bier im Einkaufszentrum, für alles andere sei sie zu müde. Es klingt, als vermisste sie die Zeit, in der sie nichts Besseres zu tun hatte, als sich zu schminken und schön anzuziehen. Dabei braucht sie weder das Kleid noch die Gelegenheit, es zu tragen, denn ihre Tage sind voller ungestümer Umarmungen und lautem Gelächter und klebriger Küsse.
Ihrem Mann Joe ist es ohnehin egal. Er vergöttert sie. Auch nach dreizehn Jahren Ehe. Auch nachdem sie in derselben Straße aufgewachsen sind. Auch mit Mason in ihrem Bett und einem alten Haus, an dem ständig etwas kaputtgeht, und obwohl Rosie nie ein Kleid trägt.
Er vergöttert sie, weil sie früher ständig hübsche Kleider für ihn getragen hat und er noch immer diesen Menschen in ihr sieht.
So ein Mensch muss ich heute Abend sein.
Ich wühle in einem Haufen Handtücher und Kleidungsstücken nach meinem Handy. Dann rufe ich in der App das Profil auf und wecke die Hoffnung. Jonathan Fields. Sein Name klingt wie ein Lied.
Jonathan Fields. Ich habe ihn auf einer Dating-Website namens findlove.com entdeckt. Dieser Name sagt alles. Jonathan Fields ist vierzig. Seine Frau hat ihn vor einem Jahr verlassen, weil sie nicht schwanger werden konnte. Das Haus hat sie behalten. Er fährt einen schwarzen BMW.
Das hat er mir erzählt.
Ich habe mit Jonathan Fields telefoniert. Er sagte, er möge weder E-Mails noch SMS, die seien zu unpersönlich. Eigentlich hasse er Online-Dating, aber ein Freund habe seine Verlobte über findlove.com gefunden. Es sei kein Portal für schnelle Affären. Nicht eben mal schnell über den Touchscreen wischen. Man brauche eine Stunde, um sein Profil zu erstellen. Die Fotos würden geprüft und genehmigt. Jonathan Fields sagte, es sei, als würde die eigene Großmutter ein Blind Date organisieren, worüber ich lachen musste.
Jonathan Fields sagte, mein Lachen gefalle ihm.
Mir gefiel seine Stimme, und nun, da ich mich an sie erinnere, wird mir ganz warm. Ich merke, wie sich meine Mundwinkel nach oben kräuseln. Ein Lächeln.
Ein verdammtes Lächeln.
Ich habe viel von meinem Job erzählt, was es leichter machte, wenig über mich zu verraten.
Ich habe einen eindrucksvollen Lebenslauf vorzuweisen, nachdem ich mir mein Leben lang ein Bein ausgerissen habe. Princeton . MBA an der Columbia . Job an der Wall Street!
»Wall Street« ist ein Begriff, der immer zieht, so antiquiert er mittlerweile sein mag. Ich arbeite in Midtown, weitab der Wall Street. Und die Firma, bei der ich bin, ist nicht annähernd so sexy wie Goldman Sachs. Ich sitze am Schreibtisch und lese Zeug und schreibe Zeug und hoffe bei Gott, dass es richtig ist, was ich schreibe, weil die Leute in unserer Firma auf meinen Rat hin Geschäfte machen. Den Rat einer 28-Jährigen, die einen Seelenklempner braucht, der ihr sagt, wie sie sich benehmen soll.
Jonathan Fields arbeitet bei einem Hedgefonds in Downtown Manhattan, daher versteht er meine Arbeit.
Das hat er jedenfalls gesagt.
Ich habe nichts über meine Kindheit hier erzählt, in der ich mit den Nachbarskindern durch den Wald hinter unserem Haus gestreunt bin. Ich und Rosie - und Joe, dessen Familie in unserer Straße wohnte, bis er auf die Highschool kam und sie weiter in die Stadt zogen.
Ich habe ihm auch nicht erzählt, weshalb ich jahrelang nicht mehr hier gewesen bin.
Ich nutze keine sozialen Medien, niemals, also kann er mich nicht überprüfen. Ich habe ihm auch nicht den Nachnamen meines Vaters verraten. Lochner. Über Google stößt man noch immer auf Laura Lochner und das, was sie vor Jahren getan oder nicht getan hat - die können sich nie so recht entscheiden. Seit ich von hier weggegangen bin, benutze ich meinen mittleren Namen, den Nachnamen meiner Mutter. Heart. Laura Heart. Ist das nicht ironisch? Ich habe mich nach dem einen Ding in meinem Inneren benannt, das sich kaputt anfühlt.
Verschweigen ist nicht lügen.
Rosie hat Joes Nachnamen Ferro angenommen, sodass es in ganz Connecticut keine Lochners mehr aus unserem Klan gibt.
Ich sagte ihm, ich käme im Minivan meiner Schwester. Er sei blau. Und peinlich. Ich müsse mir ein neues Auto kaufen, aber ich hätte immer so schrecklich viel zu tun.
Es klopft. Ich mache auf, Joe steht verlegen vor mir. Er trägt noch den Anzug aus der Kanzlei, hat aber die Krawatte gelockert und den ersten Hemdknopf geöffnet. Joe ist eins siebenundachtzig und kommt kaum durch den Türrahmen, ohne sich zu bücken. Sein Bauch wölbt sich über die Hose, die zu eng geworden ist. Aber er sieht trotzdem attraktiv aus.
»Ich soll dir sagen, du sollst das Kleid anziehen«, sagt er, als würde es ihm die Eier abklemmen, über Frauenkleidung zu sprechen.
Von unten erklingt die Stimme meiner Schwester. »Zieh das verdammte Kleid an, das ich dir gegeben habe!«
Joe lächelt und reicht mir ein Glas Bourbon. »Deine Schwester mit ihrem Mundwerk. Unser Kind ist jetzt schon gearscht.«
Ich merke, wie mein Lächeln breiter wird, und würde am liebsten weinen. Joe liebt meine Schwester. Sie liebt ihn. Beide lieben Mason. Liebe, Liebe, Liebe. Ich bin von ihr umgeben und bereue, dass ich so lange nicht hier war. Doch ich weiß auch, weshalb ich weggegangen bin. Die Liebe ist zwar hier, aber ich bekomme sie nicht zu fassen.
Ich trinke einen Schluck Bourbon.
»Na ja, das war zu erwarten, oder? Du hast eine Lochner geheiratet.«
Joe verdreht die Augen. Schüttelt den Kopf. »Ich weiß. Kann ich noch aussteigen?«
»Schwerlich.«
Joe seufzt. Er wirft einen Blick auf das Kleid, das an der Stange des Duschvorhangs hängt. »Na schön. Zieh einfach das Kleid an. Und dieser Typ - falls sich herausstellt, dass er ein mieser Kerl ist, trete ich ihm so gewaltig in den Arsch .«
Ich nicke. »Kapiert. Kleid. Arschtritt.«
Als er weiterspricht, verblasst mein Lächeln. »Bist du sicher, dass du schon so weit bist?«
Ich bin wegen eines Mannes heimgekehrt, wegen einer Trennung, das ist alles, was sie wissen. Mir fehlte der Mut, ihnen mehr zu erzählen. Sie sind glücklich, dass ich wieder da bin. Überglücklich. Und ich könnte es nicht ertragen, ihnen dieses Gefühl zu nehmen, indem ich ein weiteres dunkles Kapitel meines Lebens enthülle. Sie haben keine Antworten von mir verlangt, was mir verrät, dass sie mit dem Schlimmsten rechnen - und es eigentlich gar nicht wissen wollen. Vielleicht ist der Glaube daran, dass ich mich geändert habe, für sie genauso wichtig wie für mich. Vielleicht können wir von jetzt an eine normale Familie sein, weil ich nicht mehr ich bin.
Trotzdem muss es ein bisschen übertrieben wirken, dass ich in meinem begehrten Job eine Auszeit nehme, dass eine erwachsene Frau wegen einer Trennung bei der Familie ihrer Schwester einzieht. Der Trennung von einem Mann, dem sie nie begegnet sind, von dem sie nicht einmal gehört hatten. Wie ernst kann das schon gewesen sein? Rosie verströmt diese Frage permanent, das merke ich genau.
Mir fällt wieder ein, was Joe gerade gesagt hat. Bin ich schon so weit? Ich schaue ihn an und zucke mit den Schultern. »Wahrscheinlich nicht.«
»Super«, sagt er sarkastisch.
Fast das gleiche Gespräch hatten wir schon früher am Tag, in der Küche. Joe lief im Kreis, wischte die Arbeitsplatte ab, horchte auf die Geräusche der Spülmaschine und schien zufrieden, dass er alles wieder in Ordnung gebracht hatte, nachdem er von der Arbeit gekommen war. (Er ist ordentlich. Rosie nicht.) Er ist wie ein glücklicher Hamster in seinem Laufrad.
Amüsier dich einfach. Denk nicht zu viel darüber nach. Ich würde barfuß über Scherben laufen, um einen Abend für mich zu haben!
Rosie hatte seinen Arm geboxt, und er hatte theatralisch geseufzt, als sehnte er sich nach seinem Leben als Single zurück. Das taten beide gern. Rosie morgens, wenn sie mir in der Küche Kaffee macht und sich über den langen Tag beklagt, der vor ihr liegt. Joe abends, wenn wir mit unserem Bourbon...
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