Schweitzer Fachinformationen
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Bruno Courrèges, Polizeichef im Tal der Vézère in der französischen Region Périgord, stieg ein wenig steif aus seinem altehrwürdigen Land Rover und blickte liebevoll über die Brücke auf das Rathaus der kleinen Ortschaft von Saint-Denis. Hinter dem Balkon mit den Fahnen Frankreichs und Europas befand sich das Büro, das er seit über einer Dekade nutzte, aber schon seit gut zwei Monaten nicht mehr von innen gesehen hatte. Nach einer Schussverletzung an der Schulter hatte er mehrere Wochen im Krankenhaus verbracht, worauf ein Aufenthalt von weiteren sechs Wochen folgte in einer Reha-Klinik für französische Polizisten, die im Dienst verwundet worden waren. An dem weniger mondänen Abschnitt der Mittelmeerküste gelegen, bot die Einrichtung gutes Essen, sympathische Gesellschaft sowie großartige Pflege und Physiotherapie. Bruno fühlte sich gut erholt, wenn er auch noch nicht voll wiederhergestellt war.
Sein treuer Basset Balzac, der ihn am Vorabend bei seiner Rückkehr nach Saint-Denis überschwänglich begrüßt hatte, sprang nun aus dem Fahrzeug und folgte ihm auf dem Fuß. Bruno war noch immer gerührt von dem herzlichen Empfang, den ihm nicht nur Balzac und sein Pferd Hector bereitet hatten, sondern auch alle Freunde, die sich im Reiterhof zur Feier seiner Rückkehr an der langen Tafel versammelt hatten. Sie hatten ihn auch häufiger im Krankenhaus besucht, zuerst in Périgueux, dann in Bordeaux, wo ihm das zerschmetterte Schlüsselbein wieder aufgebaut worden war. Als sich nach dem Abendessen alle Freunde diskret zurückgezogen hatten, war er von Pamela nach oben in ihr Schlafzimmer geführt worden. War sie in der rechten Stimmung, forderte sie gern von ihrem einstigen Geliebten und jetzt sehr engen Freund seine amouröse Leidenschaft ein. Diesmal, sagte sie neckend, sei es, um sicherzustellen, dass alles noch gut funktioniere. Und es funktionierte prima.
Nach den schweren Regenfällen in der Nacht hingen die Fahnen tropfnass herab, und die Dachpfannen glänzten. Als Bruno die Brücke passiert hatte, war ihm der hohe Pegelstand der Vézère aufgefallen. Was ihn daran erinnerte, dass Ende Oktober die eher trockene Zeit vorbei war, gerade rechtzeitig, um aus seinen Winter-Hobbys, dem Rugbyspiel und der Jagd, eine schön schlammige Angelegenheit zu machen. Jedenfalls, so sagte er sich, tat der Regen seinem Rosenkohl und dem Brokkoli gut, die er im August gepflanzt hatte. Dicht gefolgt von Balzac überquerte er den Wochenmarkt. Es waren nur wenige Kunden zu sehen, manche mit Regenschirmen, andere mit Wollmützen auf dem Kopf, wie sie auch Bruno trug, um sich gegen den kalten Wind zu schützen. Vielleicht lag es daran, dass ihn, obwohl er von seinem stadtbekannten Hund begleitet wurde, niemand zu erkennen schien, als er auf die Mairie zusteuerte.
Er stieg über die steinernen Stufen des Bürgermeisteramtes, die nach Jahrhunderten leicht konkav abgelaufen waren, hinauf in die erste Etage, in der sich sein Büro befand. Die Buschtrommeln hatten seine Rückkehr offenbar angekündigt, denn im Flur war das ganze Personal versammelt, um ihn zu begrüßen: der Bürgermeister und sein Stellvertreter Xavier, Claire, die kokette Sekretärin, und Roberte vom Sozialamt; Michel von der Baubehörde, Marie vom Wohnungsamt und sogar Laurent, der Hausmeister, mit seiner Frau und Clémentine, die Reinigungskraft. Seine Kollegin Juliette, die Polizistin von Les Eyzies, und Yveline, die Kommandantin der örtlichen Gendarmerie, umarmten ihn als Erste. Alle anderen taten es ihnen gleich, bis auf Bürgermeister Mangin, der schon an dem Willkommensdiner am Vorabend teilgenommen und eine große Flasche von Brunos Lieblingswein, einem 2009er Grand Millésime vom Château de Tiregand, spendiert hatte.
Trotz aller Herzlichkeit, mit der Bruno in der Mairie empfangen wurde, spürte er doch eine gewisse Befangenheit unter den Kolleginnen und Kollegen, eine atmosphärische Störung, als wäre irgendetwas im Haus am Brodeln. Ohne genauer bestimmen zu können, was es war, schien der Ort verändert zu sein. Er war daran gewöhnt, gleichsam an Bord eines glücklichen Schiffes zu sein, auf dem jeder mit jedem gut und liebevoll zusammenarbeitete in der Überzeugung, gemeinsam einer wichtigen Aufgabe nachzugehen. Die Hälfte der Belegschaft warf immer wieder nervöse Blicke auf die geschlossene Tür zu Brunos Büro.
»Ich bin noch zwei Wochen krankgeschrieben, bevor mich der toubib wieder für einsatzbereit erklärt, also immer mit der Ruhe«, sagte er lächelnd. »Ich wollte nur kurz einen Blick in mein Büro werfen und nachsehen, ob alles noch an Ort und Stelle ist. Nicht dass ihr alle meine Kugelschreiber ausgeliehen oder den alten Drucker kaputt gemacht habt.«
Der eine oder die andere lachte gekünstelt, und dann teilte sich die Gruppe, um Bruno den Weg freizumachen. Erwartungsvolle Blicke folgten ihm. Hatte man zusammengelegt und ihm ein Geschenk gekauft oder den Raum mit Blumen dekoriert? Bruno hoffte, dass dem nicht so war. Die Gehälter in der Mairie waren notorisch knausrig, und die meisten Kollegen hatten Familien zu ernähren. Vor der Bürotür angelangt, winkte er ihnen zu und sagte: »Schön, wieder hier zu sein, wenn auch nur auf Stippvisite.« Er trat ein.
Einen Augenblick lang glaubte Bruno, durch die falsche Tür gegangen zu sein. Der Schreibtisch stand vor dem Fenster, und auch die anderen Möbel waren umgeräumt worden. Der alte Aktenschrank aus verbeultem Stahlblech war verschwunden, mit ihm auch der Drucker, den er darauf abgestellt hatte. Anstelle des Schranks stand ein Luftbefeuchter vor der Wand, und er konnte den Duft von Räucherwerk wahrnehmen, ein Vanillearoma. Ob auch sein ewig quietschender Drehsessel ausgetauscht worden war, ließ sich auf Anhieb nicht erkennen, weil hinter dem Schreibtisch eine Frauengestalt saß, die vor dem durch das Fenster hereinfallenden Licht nur als Silhouette wahrzunehmen war.
»Hat Ihnen noch niemand gesagt, dass man anklopft, bevor man ein Zimmer betritt?«, erkundigte sich eine barsche Stimme, deren Timbre darauf schließen ließ, dass dieser vermeintliche Fehltritt nur einer von vielen war, die es zu ertragen galt.
»Nicht wenn ich mein eigenes Büro betrete«, antwortete Bruno und versuchte, sich seine Verwunderung nicht anmerken zu lassen. »Wer sind Sie, und warum sitzen Sie auf meinem Sessel?«
»Ich bin Mademoiselle Cantagnac und neuerdings dem hiesigen Chef de police als Verwaltungsassistentin zugewiesen. Und wer sind Sie?«
»Ich bin der Chef de police. Was stimmt nicht mit dem Büro, das Ihnen, wie ich vermute, ursprünglich zugeteilt worden ist?«
»Es entspricht nicht den geltenden Standards, ist zu klein und zu dunkel. Die Arbeitsplatzspezifikationen für zivile Beamte, die für die Polizei arbeiten, sind klar und detailliert beschrieben. Mir wurde gesagt, dass Sie Ihren Dienst erst Ende der nächsten Woche wieder aufnehmen, und auch nur, wenn Ihr Arzt damit einverstanden ist. Und wenn das da Ihr Hund ist, Tiere haben am Arbeitsplatz nichts zu suchen.«
»Balzac ist sehr viel mehr als irgendein Tier«, entgegnete Bruno ruhig, obwohl ihm anders zumute war. »Er ist ein perfekt ausgebildeter Spürhund, hat zwei vermisste Kinder wiedergefunden und eine an Alzheimer erkrankte Mitbürgerin gerettet, die kurz davor war zu erfrieren. Außerdem hat er uns geholfen, eine Geisel zu befreien. Sein Vorgänger wurde erschossen, als er mich vor bewaffneten Terroristen zu schützen versucht hat. Ich kann nur hoffen, mademoiselle, dass Sie sich als ebenso hilfreich erweisen wie Balzac, der mir nach dem Tod meines ersten Hundes vom Innenminister höchstpersönlich übergeben worden ist. Und jetzt würde ich gern an meinem Schreibtisch Platz nehmen und für eine Weile ungestört sein, bitte.«
Er öffnete ihr die Tür, doch sie rührte sich nicht vom Fleck.
»Wenn das hier Ihr Büro war, sollten Sie sich schämen«, blaffte sie. »Akten in völligem Durcheinander, unvollständige Einsatzberichte, keine ordnungsgemäßen Protokolle, die alljährlich verlangten Gesundheits- und Fitnessnachweise unausgefüllt, ganz zu schweigen von den fälligen Gutachten über Ihre untergebenen Kollegen in Les Eyzies und Montignac.«
»Mademoiselle Cantagnac, ich muss jetzt zu einer Unterredung mit dem Bürgermeister; sie wird ungefähr eine Stunde dauern. Wenn ich zurückkomme, möchte ich Sie in diesem Büro nicht mehr antreffen. Und sorgen Sie bitte dafür, dass Schreibtisch und Sessel wieder an ihrem Platz sind. Außerdem wäre ich Ihnen dankbar für einen Rechenschaftsbericht über Ihre bislang geleistete Arbeit hier im Haus.«
Fast hätte er hinzugefügt, dass, wenn sie seinen Auf?forderungen nicht nachkäme, ihr ein Verfahren drohe wegen Behinderung eines Vorgesetzten bei der Ausübung seiner Dienstpflichten, doch schwere Geschütze wollte er sich für spätere Gelegenheiten vorbehalten. Und die würde es aller Wahrscheinlichkeit nach geben.
»Sie sind noch krankgeschrieben«, erwiderte sie. »Solange Sie nicht offiziell wieder dienstfähig sind, haben Sie hier gar nichts zu sagen. Und wenn Sie es zum Äußersten treiben, seien Sie gewarnt: Ich habe einen schwarzen Gürtel im Büro-Judo und bin, nebenbei bemerkt, Delegierte unseres départements für die...
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