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Adeline Virginia Stephen, die zweite Tochter von Leslie und Julia Prinsep Stephen, geboren am 25. Januar 1882, entstammt einer langen Reihe von Vorfahren, einige berühmt, andere unbekannt; hineingeboren in eine große Familie, nicht von reichen, aber wohlhabenden Eltern; hineingeboren in eine sehr redselige, literarische, Briefe schreibende, Besuche machende, typische Gesellschaft des späten neunzehnten Jahrhunderts .[1] 53 Jahre später brachte Virginia Woolf diesen Satz zu Papier, gedrängt von ihrer Schwester Vanessa, endlich ihre Autobiographie zu beginnen. Die Lebensbedingungen, in die Virginia an jenem Januartag hineingeboren wurde, waren eigentlich schlechthin ideal: Eine intakte Familie, in der sich viktorianische Konvention, widerborstiger Liberalismus und Intellekt geschickt verbanden.
Über Virginias Vorfahren lässt sich Treffliches berichten. Ihr Großvater väterlicherseits, Sir James Stephen, war ein Kolonialunterstaatssekretär. Sein Onkel, James Stephen, bekleidete die Stellung eines Kanzleivorstands am Gerichtshof des Lordkanzlers. Hervorgegangen war die Stephen-Sippe aus einem Geschlecht von Kaufleuten und Bauern in Aberdeenshire Mitte des 18. Jahrhunderts. Der erste nachweisbare Spross der Stephens, ebenfalls ein James Stephen, starb um 1750. Seine Söhne wanderten aus, suchten ihr Glück als Händler in Indien oder wählten die juristische Laufbahn. Mit der Schriftstellerei befassten sie sich bereits seit drei Generationen.
Virginias Vater, Leslie Stephen, sollte Geistlicher werden, damals ein achtbarer, aber wenig karriereträchtiger Beruf. Leslies Bruder Fitzjames hatte mehr Glück: Er stand vor einer glänzenden Laufbahn als Anwalt und Journalist in London. Leslie lebte dafür ruhiger als Fellow von Trinity Hall in Cambridge, eine Art Dozent an der Universität. Freilich gab sich Leslie mit dieser verhältnismäßig geruhsamen Beschäftigung nicht zufrieden. Die ganze Richtung widerstrebte seinem Temperament, seinem Ehrgeiz und seinem wachen Intellekt. Kritisches Denken war nicht unbedingt eine Tugend für einen Geistlichen, und Leslie war ein unbequemer Denker. Es nimmt nicht wunder, dass er mit seinen Ansichten bald hier und da anecken musste. Dazu missfiel ihm auch das Zölibat, dem er als Geistlicher unterworfen war, und überhaupt das idyllische, kontemplative Leben in Cambridge. Leslie entschied sich für eine ungesicherte und schwierige, aber verlockende Karriere als Journalist, Essayist, Kritiker, Biograph und Historiker, ähnlich seinem Bruder, der mit seiner juristischen Ausbildung nur eine bessere Ausgangsbasis als Leslie hatte. Aber Leslie hatte Glück: 1882 begann er ein gigantisches wissenschaftliches Werk, das «Dictionary of National Biography», als Herausgeber zu betreuen. Selbst steuerte er 378 Biographien zu dem Werk bei. Und er heiratete. Zur Frau nahm er sich Harriet Marian, eine Tochter des Dichters Thackeray. Mit ihr hatte er eine Tochter, Laura, die aber den Schwachsinn ihrer Großmutter geerbt hatte, deren Idiotismus täglich offenbarer wurde, die kaum lesen konnte, die Scheren ins Feuer warf, die eine Zungenlähmung hatte und stotterte .[2] Minny, wie Leslie seine Frau nannte, wurde wieder schwanger, starb aber ganz überraschend vor der Geburt. Für Leslie ein Schlag, denn er war ein Mann, der ohne Frau, die ihm den Hausstand zusammenhielt und alles nur Erdenkbare organisierte, nicht leben konnte. Das war wohl mit ein Grund, vielleicht sogar der ausschlaggebende, dass er sich verhältnismäßig rasch nach einer Nachfolgerin für Minny umschaute. Der Zufall wollte es, dass er kurz vor ihrem Tod die Witwe Julia Duckworth kennengelernt hatte, eine Bekannte der Thackerays. Julia hatte aus ihrer ersten Ehe drei Kinder; Gerald, George und Stella.
Julia war eine praktisch veranlagte Frau: Ein Punkt, der Leslie ins Auge stach, aber sie war auch schön: eine schlanke Gestalt, mit einem großen schneeweißen Gesicht, makellos, wie aus weißem Marmor gemeißelt, das vollkommene Schönheitsideal der viktorianischen Zeit. «Sie anzuschauen», schrieb Leslie in seinen Erinnerungen über Julia, «ist für mich, all das zu fühlen, was heilig genannt werden kann.»[3] Leslie warb sehr heftig um Julia, und der Gedanke, dass dieser Mann sie schlichtweg brauchte, mochte sie besonders angesprochen haben. Sie heirateten am 26. März 1878. Für Julia war es eine neue Aufgabe, die sie für ihr rastloses Wesen unbedingt brauchte, keine leichte Aufgabe, denn Leslie war kein einfacher Mann. Ganz selbstverständlich musste Julia auch die Pflege der schwachsinnigen Tochter übernehmen und sogar per Unterschrift versprechen, das Mädchen weiterzupflegen, falls Leslie einmal etwas zustoßen sollte. Leslies Welt waren das Arbeitszimmer mit den Büchern, die Freunde aus Cambridge, Oxford und London: Julia hatte so genügend Zeit, das Haus in Schwung zu halten. Leslie war für sie in der Einsamkeit des Schriftstellers und Philosophen unerreichbar. Oft, wenn er die Treppe in sein Arbeitszimmer hinaufstieg, konnte man hören, wie er sich einstimmte. Nicht in ein Lied, sondern in einen seltsamen rhythmischen Gesang nach allen möglichen Versen von Milton und Wordsworth.[4] Julia akzeptierte voll, dass Leslie sie in jeder Hinsicht und ganz maßlos brauchte, und danach richtete sie ihr Leben ein.
Julia - eine geborene Jackson - war seitens ihrer Familie schriftstellerisch nicht vorbelastet. Die Jacksons waren Staatsbeamte in den Kolonien; Julias Tante, Countess Somers, war sogar die Mutter der Herzogin von Bedford. Ein Onkel war ein französischer Adeliger, Chevalier Ambroise Pierre Antoine de l'Etang, ein Offizier des nach Indien verbannten Ludwig XIV. Alles in allem: Was dieser Familie an intellektuellem Glanz fehlen mochte, wurde durch Adel und politischen Einfluss ausgeglichen. Hinter Julia stand eine Familie, die Besitz und Einfluss hatte - die aber auch Einfluss nehmen wollte.
Pünktlich ein Jahr später, 1879, kam das erste Kind aus der neuen Ehe zur Welt, Vanessa, ein Jahr darauf Thoby, 1882 dann Virginia und wieder das Jahr darauf ein Junge, Adrian. Die Familie war komplett, immerhin mit drei eingeheirateten, vier gemeinsamen Kindern und dem schwachsinnigen Mädchen Laura.
Die Verbindung Leslie mit Julia brachte zwei Familien zusammen, die sehr verschieden waren, sich aber doch ohne große Probleme und mit einiger guter Zukunftsaussicht verbinden ließen. Leslie war spartanisch, asketisch und puritanisch, er hatte . kein Empfinden für Malerei, kein Ohr für Musik, keinen Sinn für den Klang der Sprache.[5] Julia war die wunderbare Ergänzung: Und doch war das weibliche Element in unserer Familie sehr stark. Wir waren berühmt für unsere Schönheit - die Schönheit meiner Mutter und Stellas Schönheit haben mich mit Stolz und Freude erfüllt, so lange ich denken kann.[6]
Die Welt stand den Stephens offen, das heißt: eine ordentliche Karriere, eine standesgemäße Lebenshaltung, nicht unbedingt in Luxus, aber doch mit allen Ingredienzen des gehobenen Mittelstandes. Das wird deutlich, wenn man sich anschaut, wie die Stephens lebten: Man besaß ein Haus mittlerer Größe in der Hyde Park Gate 22, das allerdings auch vielen Personen Raum bieten mußte. Elf Menschen zwischen acht und sechzig Jahre alt, lebten dort und wurden von sieben dienstbaren Geistern betreut, während tagsüber noch etliche alte Frauen und lahme Männer mit Rechen und Eimern irgendwelche Hilfsdienste leisteten.[7] Einen Diener allerdings konnte man sich nicht leisten, ebenso wenig eine eigene Droschke. Einen Wagen mietete man, wenn man ihn brauchte. Außer dem Haus in London besaß man einen Landsitz, wohin die Familie samt den Dienstboten jeden Sommer umsiedelte.
Den Kindern ließ man eine geziemende Ausbildung angedeihen: Die Jungen kamen auf die Public School, dann nach Cambridge, die Mädchen wurden zu Hause unterrichtet, meistens von den Eltern, manchmal von Hauslehrern, und sollten dann rasch und gut unter die Haube gebracht werden. Die Wirklichkeit dieses Lebensraums, dessen Standard für damalige Verhältnisse als beachtlich galt, nahm sich freilich alles andere als idyllisch aus.
Im Rückblick sah Virginia Woolf das Reich ihrer Kindheit wenig verträumt. Hyde Park Gate 22 war ein Haus mit unzähligen kleinen, sonderbar geschnittenen Zimmern für nicht nur eine, sondern für drei Familien .[8] Um uns viele Menschen zu beherbergen, baute man oben einfach ein Stockwerk dazu, oder im Parterre wurde kurzerhand ein Speisezimmer nach außen angebaut. Ich glaube, meine Mutter skizzierte, was sie wollte, auf einen Bogen Papier, um einfach die Kosten für den Architekten zu sparen. Diese drei Familien hatten ihre sämtlichen Besitztümer in dieses Haus hineingestopft. Man wusste nie, wenn man in den vielen dunklen Kredenzen und Kleiderschränken herumkramte, ob man nicht Herbert Duckworths Barristerperücke oder meines Vaters Priesterkragen - oder ein Blatt mit Zeichnungen von Thackeray ans Tageslicht beförderte . Alte Briefe füllten Dutzende schwarzer Blechschachteln. Man öffnete sie und spürte ein gewaltiges Wehen der Vergangenheit .[9]
In der Hyde Park Gate 22 verkehrten Leute mit Rang und Namen, nicht nur die so zahlreiche Verwandtschaft, besonders von Julias Seite. Tennyson, George Eliot, George Meredith, Henry James, Thomas Hardy, Thackeray, Burne-Jones, Holman Hunt, Watts gaben sich die Klinke in die Hand, Schriftsteller, Politiker,...
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