Schweitzer Fachinformationen
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Nicht durch die Rückbesinnung auf unsere Vergangenheit werden wir weise, sondern durch die Verantwortung für unsere Zukunft. - George Bernard Shaw
Die Zeit zwischen Mitternacht und vier Uhr morgens gehört nicht den Menschen. Die meisten ziehen es vor, sich in ihre weichen Betten zu kuscheln und die Sterne und die Stille anderen Lebewesen zu überlassen. Die Nacht ist das Königreich der Fledermäuse und der Füchse, der Wölfe und der Igel.
Lautlos teilen die Schwingen einer Schleiereule den mondlosen Himmel. Ein Waldkauz ruft gelassen seine Botschaft von den Baumwipfeln. Am Ufer des Saphirsees steht ein Graureiher auf einem Bein und schläft zum sanften Glucksen der Wellen.
Nichts, aber auch gar nichts deutet darauf hin, dass in den Stunden vor Sonnenaufgang etwas Außergewöhnliches passieren könnte.
Hinter den Fenstern der Villa Cunabula brennt kein Licht. Wie eine riesige, fremdartige Blume scheint auch das Haus mit seinen Türmchen und Balkonen, Erkern und Kuppeln friedlich zu schlummern.
Nur durch das Glas des riesigen, alten Gewächshauses im hinteren Teil der Gärten dringt ein geheimnisvolles Leuchten: violett und blau, rot und orange, golden und grün. Wie Fische in einem Aquarium gleiten die Lichtquellen im Inneren träge auf und ab, flitzen dann wieder hin und her oder halten still. Nur sind es keine Fische. Es sind überhaupt keine Tiere, die hinter dem Glas durch die Luft schweben und fliegen oder sich an den Regalen entlanghangeln. Es sind Pflanzen.
Sie spiegeln sich im Wasser eines großen runden Beckens in der Mitte des Gewächshauses. Dort schwimmen See- und Teichrosen, deren weiße, lila und pinke Blüten jetzt fest verschlossen sind. Ganz anders als die braunen Augen des Mädchens, das auf dem Beckenrand liegt und den rechten Fuß ins warme Wasser hängen lässt. Es betrachtet mit einem verträumten Lächeln die fantastischen Pflanzenwesen, die über ihm durch die Luft gleiten.
Einige davon erkennt Tierra inzwischen, andere bemerkt sie heute zum ersten Mal. Wie die Säule mit der runden Steinschale, in der ein dicker Teppich aus winzigen Blättern im Wasser schwimmt. Im Beckenrand eingraviert sind die Worte: CAVE PERICVLVM und Blatta aquatica. Sie nimmt sich vor, später im Buch ihrer Urgroßmutter nachzuschlagen: Magische Pflanzen und ihre Geheimnisse. Dem Buch allein hätte Tierra wohl nie geglaubt. Selbst jetzt, wo die magischen Geschöpfe zum Greifen nahe vor ihr schweben, erscheint es ihr manchmal noch wie ein Traum, dass es solche Wesen geben kann.
Da ist die Schlingpflanze, die ihre fußballgroßen Früchte in unregelmäßigen Abständen an die nächste Glaswand schleudert, wo die orangen Kugeln abprallen und zurückfliegen, bis sie wieder an ihrer Mutterpflanze haften. Tierra hat erst nicht verstanden, was das Spiel bewirken soll. Bis sie erkannte, dass Mücken an den klebrigen Bällen hängen bleiben. Der Schlinger ist fleischfressend.
"Mondschlingen", flüstert Tierra den offiziellen Namen. "Ansas lunae."
Wie durch ein Wunder hat bislang keiner der Bälle die großen grünblauen Blütenquallen Globi medusae getroffen, die langsam auf und ab wabern. Dabei verteilen sie glitzerndes Silberpulver über dem Boden, das Tierra zum Niesen bringt. Sie weiß es nicht, aber ihre olivbraune Haut und ihr schwarzes Haar sind damit überzogen und leuchten im Mondlicht. Dazu haben sich ein paar Schlingpflanzen-Sprösslinge in Tierras dunkle Strähnen gewunden und dort blaue Blüten sprießen lassen.
Nox: Du siehst aus wie ein frisches Grab.
Tierra zuckt zusammen. Richtig. Da ist auch noch Nox, die magischste aller magischen Pflanzen, die in der Lage ist, mit Menschen zu sprechen. Zumindest mit manchen. Allerdings wünschen die sich oft, sie würden Nox nicht verstehen. Er ist weder höflich noch freundlich. Dafür kennt er erstaunlich viele Schimpfwörter und hat keine Bedenken, sie großzügig einzusetzen.
"Das ist nicht besonders nett", stellt Tierra fest und sieht die Pflanze streng an, die auf ihrem Bauch sitzt und sich an ihr linkes Knie lehnt.
Auf den ersten Blick könnte man Nox für einen Kaktus halten. Oder für eine Sukkulente. Die Luftwurzeln unter dem stacheligen Kopf benutzt er zum Laufen, zum Klettern und sogar zum Schwimmen. Doch er ist kein Kaktus. Er ist auch keine Sukkulente. Er ist ein Gedankenfresser, ein Vorator mentis - und nach eigener Aussage der beste Freund von Tierras verstorbener Urgroßmutter Flora.
Nox: Die Wahrheit muss nicht nett sein. Was kann ich denn dafür, dass ihr Menschen immer abgeschnittene Blumen auf den Boden werft, nachdem ihr einen toten Menschen verbuddelt habt?
Sofort sieht Tierra das Grab von Flora Cunabula vor sich, das auf dem Friedhof von Bergklammheim liegt. Dabei hätte es ihrer Urgroßmutter wahrscheinlich hier besser gefallen, in ihren eigenen Gärten.
"Es ist ein Zeichen der Wertschätzung", erklärt Tierra nachdenklich. "Ein Ausdruck der Zuneigung."
Nox: Nicht für die Blumen.
Tierra schnaubt. "Du musst nicht mit mir warten, weißt du? Vielleicht passiert heute Nacht auch gar nichts mehr ."
Nox: Was machen deine Ohrläppchen?
"Sie jucken", gibt Tierra zu. "Wie verrückt."
Nox: Ich bleibe.
Sie grinst. "Du bist wahnsinnig neugierig. Für eine Pflanze."
Nox: Danke. Oder war das als Beleidigung gemeint? Ihr Menschen seid doof genug, Neugier für etwas Schlechtes zu halten.
Darüber denkt Tierra nach. Er hat recht. Neugier ist tatsächlich nichts Schlechtes. Aber sie ist nicht der Grund dafür, dass Tierra um drei Uhr zweiundzwanzig nachts wach ist. Oder dass sie im Gewächshaus Wache hält.
Tierra hat eine Gabe, auch wenn sie das selbst nie so gesehen hat. Sie hat . juckende Ohrläppchen. Genauer gesagt Ohrläppchen, die immer dann jucken, wenn etwas Besonderes passieren wird. Oft weiß Tierra nicht mal, ob es etwas besonders Schlechtes oder etwas besonders Gutes sein wird. Sie weiß nur, dass etwas kommt und sie besser darauf vorbereitet sein sollte.
In den letzten Wochen sind ihre Vorahnungen deutlicher geworden. Sie weiß nicht nur, dass etwas auf sie zukommt, inzwischen kann sie auch ungefähr erahnen, aus welcher Richtung es kommt. Ob es etwas mit ihrer Familie zu tun hat oder mit der Schule oder . mit den Pflanzen, deren Hüterin sie ist. Diese gewaltige, beängstigende und wundersame Aufgabe, die Flora Cunabula ihren vier Urenkeln hinterlassen hat.
Diesmal haben ihre Ohrläppchen Tierra ins Gewächshaus geführt. In Wahrheit zweifelt sie nicht daran: Etwas kommt. Und es hat mit den Pflanzen zu tun. Vielleicht mit dem Netzwerk der Nachtschatten, das Floras Urenkel kontaktiert haben? Sicherheitshalber hat Tierra eine Dose mit fünf goldenen Beeren dabei. Die Dose ist sorgfältig beschriftet:
Wandernder Wandelwurzler - Terrigenus transitas, Ernte 2025
Es sind die ersten Samen einer magischen Pflanze, die Tierra, ihr Bruder Sol, ihre Cousine Avia und ihr Cousin Zacharias gesammelt haben. Wenn sie die Sache mit dem geheimen Netzwerk richtig verstanden haben, dann tauschen die Mitglieder untereinander Samen und Kerne, Knollen und Sporen aus. Die pflanzen sie dann in Gärten, Wäldern und Gewächshäusern auf der ganzen Welt, um seltene und magische Pflanzen zu bewahren. Also müssen die Cunabulas ihre goldenen Beeren auch teilen.
Doch seit sie dem Netzwerk die Blüte der Wandelwurzler gemeldet haben, sind Wochen vergangen, ohne ein Wort. Das geheime Netzwerk scheint nicht gerade schnell zu arbeiten.
Tierra spürt, wie sich unter Wasser etwas um ihren rechten Knöchel schlingt, und setzt sich ruckartig auf. Dadurch rutscht Nox von ihrem Bauch und landet mit einem Platsch im Becken.
Nox: Manno, pass doch auf, du Stinknelke! Ich bin keine Wasserpflanze!
Das Ding, das sich um Tierras Knöchel geschlungen hat, entpuppt sich als Verschlingender Wasserschlauch, eine im Wasser treibende fleischfressende Pflanze, die auf kleine Wasserlebewesen spezialisiert ist. Sie scheint Tierra mit einem Wasserfloh zu verwechseln, denn sie saugt sich richtig fest.
"Utricularia devoratrix", flüstert Tierra wie zur Begrüßung. So richtig glücklich ist sie allerdings nicht über den Körperkontakt. Der Verschlingende Wasserschlauch sieht nicht nur aus wie eine Schlange, sondern bewegt sich auch so. Außerdem ist er giftig.
Nox: Wenn sie dich mit ihren Dornen sticht, bist du hinüber.
Er klettert aus dem Becken und schüttelt sich wie ein Hund.
"Er ist nicht tödlich", berichtigt Tierra ihn, lässt die Pflanze dabei aber nicht aus den Augen. "Man schläft nur ein."
Nox: Und wacht nie wieder auf.
"Du bist immer so dramatisch!", sagt Tierra lachend. "Das ist nur bei ganz kleinen Kindern und Babys eine Gefahr."
Nox: Gut, wenn du weiter mit ihr kuscheln willst .
"Äh . nein, eigentlich nicht."
Nox: Dann willst du meine .
"Hilfe!", ruft Tierra, als er nicht weiterredet und versucht dabei, nicht genervt zu klingen.
Nox fasst mit einer seiner Wurzeln nach der Pflanze und zieht sie aus dem Becken, bis sie auf dem Trockenen liegt. Sofort lässt der Verschlingende Wasserschlauch Tierras Bein los und kriecht aufgeregt über den Beckenrand zurück ins Wasser.
Nox: Wenn sie austrocknet, ist sie hinüber. Deshalb hält sie immer Wasserkontakt....
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