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Globale Herausforderungen wie Flucht, Migration, Terrorismus, Viruspandemie und Klimawandel rufen nach lokalen Antworten, die sich digitaler Mittel bedienen, ohne sich in Daten, Algorithmen und einer Technologie des Machbaren zu erschöpfen. Gastlichkeit, Zeitverschiebung und Ansprüche künftiger Generationen liefern Stichwörter für eine Phänomenologie, die sich im Medium des Pathischen und Responsiven bewegt. Der leibliche Austausch zwischen Kultur und Natur, zwischen Eigenem und Fremdem spielt sich in wechselnden Grenzzonen ab. Kritische Diagnosen wie die von Edmund Husserl, Sigmund Freud, Walter Benjamin, Emmanuel Levinas, Jan Patocka, Paul Valéry oder Robert Musil tragen dazu bei, dass das Salz des Fremden nicht schal wird.
Was haben eruptive Geschehnisse wie Kriegsausbruch, Flüchtlingsstrom, atomare Katastrophe, Flutkatastrophe, Viruspandemie und problematische Trends wie Klimawandel, Waldsterben, Verstädterung, Globalisierung und Digitalisierung miteinander zu tun? Wo spielen sie sich ab? Eine erste Antwort könnte lauten: In allen Fällen handelt es sich darum, daß das menschliche Leben in der Welt und in der Gesellschaft schlagartig erschüttert oder langfristig verändert wird. Die übliche Ereignis- und Strukturgeschichte gerät in den Sog von Störungen, Katastrophen und Umschichtungen, die weder teleologisch noch nomologisch, noch pragmatisch durch vorhandene Ordnungsregister aufzufangen sind. Das gewohnte Leben wird aus der Bahn geworfen, Selbstverständliches, das unseren Alltag bestimmt, wird fraglich. So bedarf es neuer Antworten, jenseits der Polarität von Fortschritt und Rückgang, von Modernität und Traditionalität, jenseits von endlosem Immer-weiter oder beharrlichem Immer-wieder. Krisenhafte Ausbrüche und Einbrüche, wie wir sie heute erleben, sind nichts schlechthin Neues. Sie erinnern an mythische Urereignisse wie die Sintflut oder den Turmbau zu Babel oder an historisch dokumentierte Naturkatastrophen wie den Untergang von Pompeji, von dem Plinius der Jüngere als Augenzeuge berichtet, das Erdbeben von Lissabon, das europaweit an den Pfeilern der Theodizee rüttelte, den Einsturz der Brücke am Thay, der in Fontanes Ballade als Hexenwerk gedeutet wird, oder an historische Umwälzungen wie die Reformation und die Französische Revolution. In den Zwischenkriegsjahren des 20. Jahrhunderts steigert sich das »Unbehagen in der Kultur« bis zur fatalistischen Vision eines »Untergangs des Abendlandes«. Autoren wie Edmund Husserl, der die »Krisis des europäischen Menschentums« auf eine Lebensweltvergessenheit zurückführt, und Paul Valéry, der vor einem sich an sich selbst berauschenden »Automatismus der Kühnheit« warnt, oder Jan Patocka, der eine »Solidarität der Erschütterten« beschwört, liefern Stichwörter, deren Echo bis heute nicht verstummen will.
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10Die folgenden Überlegungen schweifen nicht aus in die Weltgeschichte, vielmehr setzen sie an bei gegenwärtigen Szenerien, allerdings begleitet von Rückblenden auf ältere Traditionen, die bis heute fortwirken. Den konzeptuellen Rahmen liefert die Phänomenologie, genauer gesagt eine responsive Phänomenologie des Fremden, die den Verfasser seit Jahrzehnten beschäftigt. Die Bruchstellen der Erfahrung kamen mit ihren wechselnden Modi von leibhaftiger, ästhetischer, hyperbolischer und sozialer Erfahrung bereits früher ausführlich zur Sprache.[1] Sie durchlaufen nunmehr eine kritische, bisweilen auch katastrophale Zuspitzung. Die Spielart von Phänomenologie, die dabei zum Zuge kommt, orientiert sich an einem starken Begriff von Erfahrung, wie er nicht nur bei Husserl, Heidegger und den französischen Phänomenologen zu finden ist, sondern ähnlich bei William James oder Henri Bergson. In einer solchen Erfahrung tritt nicht nur Neues hervor, sondern Neuartiges, das in die Ordnung der Dinge eingreift. Was hier auf dem Spiel steht, gründet in einem Doppelereignis von Widerfahrnis und Antwort, von Pathos und Response. Mit allem, was wir sagen und tun, antworten wir auf etwas, das uns widerfährt. Diese Doppelbewegung findet ihren eigentümlichen Rhythmus nicht in einem linearen oder konzentrischen Zeitgefüge, sondern in einer Zeitverschiebung, einem Ineinander von Kommen und Gehen. Wir gehen auf etwas ein, das auf uns zukommt, indem es unserer Initiative vorauseilt. Zukunft und Vergangenheit schieben sich ineinander. Der Übergang vom einen zum anderen hat etwas Beunruhigendes und Befremdendes, da wir uns, wo immer Neuartiges zu erwarten ist, auf keinem festen Boden, auf keinem fundamentum inconcussum befinden. Die Annahme, philosophisches Denken werde, selbst wenn es auf Zeitloses bedacht ist, unermüdlich von Affekten des Erstaunens und Erschreckens aus der Ruhe gebracht und wachgehalten, begegnet uns bereits frühzeitig in Platons Theaitet. Umbrüche und Erschütterungen schließen jedoch nicht aus, daß unser Denken immer wieder in einen Schlummer versinkt. Anfänge, die nicht geplant wurden, erweisen sich als Voranfänge, auf die wir wiederholt zurückgeworfen werden, ohne 11sie je einzuholen. Mit Husserl oder Heidegger sprechen wir von Stiftungsereignissen, mit Ethnologen wie Evans-Pritchard von Schlüsselideen. Darin verbindet sich philosophisches Denken mit den vielfältigen Renaissancen, Reformationen und Revolutionen in Kultur, Politik, Wissenschaft und Religion. Ebenso berührt es sich mit den Stollengängen der Psychoanalyse, die sich in eine individuelle und kollektive Vorzeit zurücktasten. Die progressio in infinitum, die Thomas Hobbes in der Morgenröte der Moderne als das höchste aller menschlichen Güter anpries, gerät aus dem Tritt, wenn Bruchstellen und Bruchlinien unsere Erfahrung durchziehen.
Der Zweitakt von Widerfahrnis und Antwort nimmt eine besondere Rhythmik an je nach Beschaffenheit dessen, was uns zufällt und zustößt, was unsere Kräfte herausfordert und sie nicht selten überfordert. Wenn ich in diesem Zusammenhang von Herausforderung spreche, so knüpfe ich an eine Begrifflichkeit an, die sich in der Zwischenkriegszeit des 20. Jahrhunderts herausbildete. Ich denke einerseits an Vertreter der Berliner Gestaltpsychologie wie K. Lewin, M. Wertheimer, K. Duncker, D. Katz, K. Koffka oder W. Köhler, die zusammen mit vielen anderen politisch Vertriebenen die gefährliche Rückseite solcher Herausforderungen zu spüren bekamen. Den sinnlichen Gestalten, die unser kognitives und praktisches Verhalten prägen und stabilisieren, werden »Aufforderungscharaktere« und »Gefordertheiten« zugesprochen, die den eingespielten Gegensatz von Sein und Sollen, von Tatsache und Norm, aber auch das kalkulierte Zusammenspiel von Daten und Algorithmen unterlaufen. Ihre grammatische Form finden Aufforderungen im lateinischen Gerundiv. Was sich als agendum, faciendum, videndum oder dicendum ankündigt, ist ein Zu-sein, etwas, das zu tun oder zu unterlassen, zu sagen oder zu verschweigen ist. Dabei treten Anreiz, Antun (lat. Affektion), Angehen, Anmutung oder Anspruch auf als Impulse, die bei leiblichen Wesen ein Eigenverhalten in Gang setzen und modulieren. In dem vielfältig genutzten Präfix >an< (gr. p???-, lat. ad-) deutet sich eine Bewegungsrichtung an, die nicht von Handelnden ausgeht, sondern auf sie zuläuft. Dieser Ansatz entspricht der mikrologischen Vorgehensweise der Gestalttheorie oder der Umweltforschung, die auf mannigfache Weise mit einer Phänomenologie sinnlicher und leibhaftiger Erfahrung verknüpft ist. Hinzu kommt als Wortführer der englische Historiker Arnold Toynbee, der aus makrologischer 12Sicht Weltgeschichte als einen Wechsel von kollektivem challenge und kollektiver response darstellt. Ich greife dieses Begriffspaar auf und lege dabei besonderes Gewicht auf eine Reihe hervorstechender Aspekte.
(1) Die elementare Form der Herausforderung, um die es hier geht, besteht nicht darin, daß ein kausales Ereignis x gemäß funktionalen Gesetzen eine Wirkung y hervorbringt oder produziert, sondern darin, daß ein Ereignis x ein Ereignis y hervorruft oder provoziert (gr. p?????s??). Das Rätselhafte liegt in dem drängenden Charakter der Herausforderung, die sich zwischen zwei Instanzen abspielt, ohne auf einer der beiden Seiten festen Halt zu finden. Die Herausforderung gleicht einem ausgeworfenen Seil, wer fängt es auf? Sie bliebe leer ohne das Entgegenkommen der Antwort, die Antwort bliebe ohnmächtig ohne das Drängen der Herausforderung. Diese Anspielung auf das kantische Zusammenwirken von Anschauung und Begriff ist nicht zu verstehen als Suche nach einer Synthese. Vielmehr begegnet uns hier eine Diastase, ein Auseinandertreten, das zugleich verbindet und trennt. Es fehlt ein ontologisches, dialektisches oder regulatives Bindeglied, das den Riß der Erfahrung heilen und die Kluft überbrücken könnte. Darin liegt kein Mangel. Nur wenn eine Lücke aufklafft und die Erfahrung an sich hält, wenn sie immer wieder Atem holt und stockt, entsteht Raum für Neues, das von gewohnten Bahnen abweicht. Der Spalt, der sich auftut, wenn die Erfahrung überraschend über sich selbst hinauswächst,...
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