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Freitag, 23. Juni
Gruppeninspektor Kurt Kowalski war den ganzen Arbeitstag über wie auf Nadeln gesessen. Mehrmals hatte er seinen Kumpel Walter angerufen, nur um sich versichern zu lassen, dass man am Abend ganz, ganz sicher hinüberfahren werde.
Nunmehr aber schien es Sax, als hätte es sein Freund gar nicht mehr so eilig damit. Auf seine Aufforderung hin, doch endlich vorwärtszumachen, kam aus dem Badezimmer nur ein »Glei, Waldi, da zwickt was!«
Es dämmerte bereits an diesem ungewöhnlich heißen Juniabend, als Kurt Kowalski frisch rasiert, mit Faltenstopp eingecremt und mit »Code Ice« eingesprüht das Badezimmer verließ - freilich ohne an die Barthaare in der Waschmuschel, die Parfümspritzer und die fettigen Fingerabdrücke am altmodischen Allibertspiegel auch nur einen Gedanken zu verschwenden. Darüber würde sich am Montagmorgen Theresia Wimmer, von allen ihr Nahestehenden Resi genannt, maßlos ärgern. Sie putzte einmal pro Woche Kowalskis Dreizimmerwohnung. Die dralle Mittvierzigerin warf ihm regelmäßig seine mangelnde Reinlichkeit vor und noch viel mehr seine Unart, alles liegen zu lassen, wo es ihm aus der Hand rutschte. Genützt hatte das bisher wenig bis nichts. Er hatte zwar das eine oder andere Mal ein betretenes Gesicht gemacht und hoch und heilig versprochen, sich zu bessern, aber es nützte nichts, er hatte das Messie-Gen in sich. Zumindest ein halbes, denn sein Schlafzimmer inklusive Kleiderkasten hinterließ er nur in allerwichtigsten Ausnahmefällen unaufgeräumt. Also nur dann, wenn ein brisanter Kriminalfall seine volle Aufmerksamkeit verlangte. Doch davon konnte ja hier am Arsch der Welt, wie er die Gegend immer noch nannte, wenn er die Einheimischen ärgern wollte, keine Rede sein.
»Und, was is jetzt?«, fragte Sax ungeduldig.
»Glei, die rennt uns ned davon! Anziehen sollt i mir schon noch was!« Kowalski wanderte in Boxershorts hinüber ins Schlafzimmer.
Sax dämpfte seine Marlboro aus und leerte die halbe Dose Freistädter Bier in einem Zug. Als sein 20 Jahre jüngerer und genauso viele Zentimeter größerer Kumpel zurückkehrte, war er wie immer in seiner Freizeit todschick gekleidet. »Bist endlich fertig?«
Kowalski trug ein pinkes Shirt und einen hellgrauen Hugo-Boss-Anzug.
»Des wirst ned brauchen!«, kommentierte Sax, der in Jeans, schwarzem Black-Sabbath-Shirt und, trotz der Hitze, in einer abgewetzten Lederjacke einen beinahe verwegenen Eindruck machte, wären die dicke Hornbrille und die Glupschaugen nicht.
»Kleider machen Leute«, antwortete Kowalski mit einer von seinem Vater übernommenen Lebensweisheit. Seit er vor ein paar Jahren vom normalen Streifendienst in die Kriminalpolizei gewechselt war, lebte er nach dieser Devise und war stets tadellos in Markenanzügen gekleidet. Das hielt er auch hier so, wenn auch nur in der Freizeit, im Dienst gab es ja Uniformpflicht. »Sodala, von mir aus könn ma.«
»Hast die Adresse?«
»Vom Server? Klar wie Kloßbrühe.« Kowalski griff in seine Innentasche und zog einen Zettel mit abgedruckter Satellitenkarte heraus. »Schau!« Er deutete auf die Umrisse eines Gebäudes. »Da steht da Server.«
»Das is vor Vyssí Brod«, wusste Sax. »Zirka einen Kilometer davor. Eins der ersten Häuser auf der rechten Seite, a bisserl abseits von der Straße.«
Als sie über den Marktplatz zu Kowalskis Wagen gingen, rief ihnen beim Gasthaus Zöllner ein Bariton hinterher: »Hallo, Kurti, Waldi! Geht's guad?«
»Servas, oide Haut!«, antwortete Walter Sax. »Schön aufpassen, Karli, dass nix gstohlen wird, goi!«
Der über 60-jährige, hagere Mann, der mit seinem struppigen Vollbart und den kreuz und quer stehenden Haaren eher an einen pensionierten Taliban als an einen Reichenthaler Kleinhäuslersohn erinnerte, nickte eifrig und winkte den beiden. Karl Musil war das Reichenthaler Faktotum, von den Einheimischen mit einem mitleidvollen Unterton zumeist nur »unser Hausl« genannt. Wenn man unter sich war, fielen aber auch deftige Ausdrücke. Dorftrottel, Bleampl oder Hirnederl waren noch die freundlichsten.
Musil hatte seine Eigenheiten. So hielt er sich ständig auf dem Marktplatz auf. Im Laufe des Tages wechselte er von der Holzbank vorm Adler zu einer anderen beim Brunnen in der Mitte des Platzes und schließlich an den kleinen Tisch in einer Nische beim Gasthaus Zöllner, dem zweiten Reichenhaler Wirtshaus, das am unteren Ende des Platzes lag. Das waren seine Beobachtungsplätze, von wo er alle grüßte, die an ihm vorbeikamen, den vorbeifahrenden Autos winkte und dafür von den Wirtsleuten und manchem Einheimischen mit seinem Lieblingsgetränk Cola, einem Paar Frankfurter oder einer Leberkässemmel belohnt wurde. Karl Musil hatte das unbedarfte Gemüt und den Intellekt eines Volksschülers. Er war vertrauensselig, lief denen, die er mochte, wie ein Hund nach und war zu allen freundlich.
Seine Geschichte war weniger freundlich, wie Kowalski bald nach seinem Einzug in Reichenthal erfahren hatte. Musil stammte von einem kleinen Bauernhaus aus der direkt an der tschechischen Grenze liegenden Ortschaft Allhut. Damals in den 1950ern, als Musil ein paar Jahre alt gewesen war, hatte es auf dem Land, vor allem in entlegenen Regionen, noch eine haarsträubende Unsitte gegeben. Weil die Bauersleute tagsüber auf den Feldern gearbeitet hatten, hatten sie keine Zeit für ihre kleinen Kinder gehabt. Damit diese nicht stundenlang schrien, hatte man ihnen in Mohn, Most oder Schnaps getunkte Stofflutscher gegeben. Mit verhängnisvollem Erfolg: So manches Kind war nicht nur vorübergehend ruhiggestellt, und Hirnschäden waren keine Seltenheit.
»Das is a Hausl, manche sagen aa Hausdepp, aber i ned«, hatte ihn Walter Sax kurz nach Kowalskis erster Begegnung mit Karl Musil aufgeklärt. »Hausl deshalb, weil diese Menschen, wenn sie älter worden sind, den ganzen Tag auf der Bank neben dem Eingang sitzen und auf Haus und Hof aufpassen, solang die andern aufm Feld sind.« Früher sei das gang und gäbe gewesen, hatte er Kowalski, der das als Stadtkind nicht kannte, ferner erklärt. Vor dem Krieg, als zehn, zwölf Kinder noch normal waren. Auch später habe praktisch jeder Bauernhof seinen Hausl gehabt wegen des Alkohols - und wegen der Inzucht unter den Großbauern, damit der Besitz nicht aufgeteilt werden musste. »Unser Dorf-Hausl is da Karli, der passt seit über 20 Jahr auf den Ort auf, nachdem seine Mutter verunglückt is und da Vater seinen Kummer in Schnaps ertränkt und den Hof verkauft hat. Vorher hat er wie alle aufn Hof aufpasst«, hatte Walter Sax Musils freudlose Geschichte geschildert. »Das Positive daran is, dass der Karli seine Lage ned wirklich begreift. Aber wir im Ort haben immer ein Aug auf ihn und kümmern uns um ihn. Musil wohnt gratis in einer winzigen Kammer im Gasthaus Zöllner und wird von den Gemeindebürgern mit Essen, Kleidung und dem Nötigsten versorgt. Dafür passt er aufn Ort auf. Das is der Deal«, hatte Sax schief grinsend gesagt.
Sie gingen an Karli vorüber zu Kowalskis Audi A3. Kowalski fiel ein, dass er zwar wusste, dass Karlis Vater den Hof verkauft hatte, nicht aber, ob er noch lebte. »Gibt's eigentlich Karlis Vater noch?«, fragte er Sax.
»Der is völlig abgesandelt. Wahrscheinlich lebt er - wenn er noch lebt - in Linz auf der Straße.« Sax seufzte. »Der hat des Geld fürn Hof in ein paar Monaten durchbracht, und dann is er verschwunden.«
»Und da Karli? Der muss ja damals schon um die 40 gwesen sein?«
»Jo jo, aber eben mit dem Geist eines Zweitklasslers, maximal. Der is völlig verwahrlost gwesen, wie wir ihn nach Wochen am Dachboden gfunden haben. Da haben wir ihn in den Ort gholt und seitdem .«
»Tja«, grummelte Kowalski, als er hinterm Lenkrad Platz nahm. »Du, Waldi, was hast eigentlich deiner Susi gsagt?«
»Wegen heut Abend? Dass wir in den Supermarkt nach da Grenz zum Einkaufen fahren, Tschick und so.«
»Gscheiter Plan, da nehmen wir uns aa a guats tschechisches Bier mit«, beschloss Kowalski und startete den Wagen. »Am besten schaun wir vorher im Supermarkt vorbei, ned dass nachher zua is!«
Eilig hat er's ned, wunderte sich Sax. Aber ihm war's recht, weil er die ganze Unternehmung ohnehin nicht zu seinen allerbesten Ideen zählte. Andererseits, allein hätte er den verliebten Gockel niemals hinüberfahren lassen. Außerdem zweifelte er daran, dass sie an der Adresse überhaupt jemanden aus Fleisch und Blut antreffen würden. Und wenn, dann sicher nicht Kurts Sexy Sunny, davon war er hundertprozentig überzeugt. Unseriösen Sexdating-Seiten - und um eine solche handelte es sich seiner Meinung nach - ging es nur ums Abcashen. Die Sache mit dem jungen Pöschko war ihm Beweis genug. Die arbeiteten mit allen möglichen Hinhaltetaktiken, damit alles virtuell blieb und kein reales Treffen zustande kam. Nur um die notgeilen Eseln möglichst lange bei der Stange zu halten. Der Ausdruck brachte ihn zum Schmunzeln. Er sah den notgeilen Esel neben sich an.
»Is was?«
»Na, na, nix.« Sax grinste süffisant in sich hinein.
Als sie das Ortsschild hinter sich gelassen hatten und auf der Böhmerwaldbundesstraße Richtung Bad Leonfelden fuhren, fragte er seinen Kumpel: »Du, wie is eigentlich unser Plan?«
»Äh, i weiß ned.«
»Meinst ned, dass wir uns was überlegen sollten?«
»Jo, schon.«
»Wir können doch ned einfach hingehen, anläuten und sagen, so, da sind wir.«
»Wieso?«, fragte Kowalski. Dann besann er sich. Wo der Waldi recht hat, hat er recht, sagte er sich und dachte darüber nach, was...
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