Schweitzer Fachinformationen
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Der Wagen war ein Acht-Zylinder-Packard, Modell 1937. Er war schwarz wie die Uniformen der Soldaten und die amerikanischen Motorräder in der Eskorte. Es war morgens drei Minuten nach acht und bereits sehr heiß. Die beiden hinten im Wagen sprachen miteinander.
«Vater, hast du nie Angst?»
«Wovor sollte ich Angst haben, mein Mädchen?»
«Vor all den Leuten hier .»
«Hunde, die bellen, beißen nicht. An eines mußt du immer denken: verlasse dich immer auf die Armee - sie ist der einzige feste Wert, vorausgesetzt, daß sie die richtige Führung hat. Das solltest du übrigens in all den Jahren hier gelernt haben.»
«Warum verbietest du den Hausangestellten nicht das Lesen der Flugblätter?»
«Was würde das schon ändern?»
Es wurde still im Wagen. Der General wandte den Kopf zur Seite und betrachtete die vorbeihuschenden weißen Villen, ohne sie wirklich wahrzunehmen. Der Konvoi durchschnitt die langen, schrägen Kurven, die Straße war mit weißgrauem Splitt bedeckt. Pioniere hatten sie vor drei Jahren gebaut, und sie war noch befahrbar, obwohl sie an den Kanten abbröckelte.
Am Fuß des Hügels endete das künstlich bewässerte Gebiet; die Eskorte ließ die Sirenen ertönen und schwenkte ein auf die breite gepflasterte Hauptstraße, die schnurgerade von Norden nach Süden durch die Provinzhauptstadt lief.
An beiden Seiten der Straße standen weißgekalkte Mauern, die das faschistische Regime vor fünfzehn Jahren angefangen hatte zu errichten, aber die Arbeit war nie beendet worden. An einigen Stellen waren Lücken im Mauerwerk, an anderen war der schlechte Zement in den Fugen zerbröckelt, so daß Steinblöcke eingestürzt waren. Dort hatte man gewöhnliche Zaunpfähle eingesetzt, aber jetzt war der Stacheldraht bereits verrostet, und die Eingeborenen hatten ihn hier und da mit Beißzangen durchschnitten und die Enden zu ovalen Öffnungen aufgerollt. Durch die Lücken konnte man die Hütten sehen, ein wirres Durcheinander von Sackleinen, Brettern und schiefen Blechbuden.
Ein weißer Jeep, der am Straßenrand gestanden hatte, schloß sich dem Konvoi an. Vier Männer saßen darin. Ihre Helme und Uniformen waren weiß und ihre braunen bäuerlichen Gesichter starr und ausdrucklos. Sie gehörten zur Bundespolizei.
«Ich habe schon so viele Arten von Polizisten unter so vielen Regimes gesehen», sagte der Mann im Wagen.
Zerstreut und gleichgültig, als beziehe er sich auf nichts Spezielles oder als seien die Worte an niemand im besonderen gerichtet.
Die Eskorte zog einen heulenden schwarzen Strich durch die Vororte. Sie fuhr nicht besonders schnell, aber die Sirenen vermittelten den Eindruck von Effizienz und Dringlichkeit. Hühner, nackte Kinder und magere schwarze Schweine sprangen von der Fahrbahn.
Unmittelbar vor der Einfahrt zum Zentrum der Stadt befand sich auf der rauhen weißen Mauerfläche eine mannshohe kantige Inschrift: Tod für Larrinaga! Irgend jemand hatte es nachts mit roter Farbe hingekleckst. In einigen Stunden würden Männer von der Verwaltung mit ihren Eimern kommen und die Worte überkalken, die am nächsten Morgen wieder dort sein würden. Oder an anderer Stelle. Der General lächelte ruhig und zuckte die Achseln.
Die Eskorte donnerte über die mit niedrigen, staubigen Palmen bestandene Hauptstraße dahin. Hier waren die Häuser hoch und modern, viereckige weiße Kästen aus Glas und Beton, aber noch waren die Gehwege nicht sehr belebt. Die wenigen Fußgänger blieben stehen und starrten den vorbeifahrenden Konvoi an. Viele von ihnen trugen Uniform und fast alle waren bewaffnet.
Der Führer der Eskorte schwenkte quer über die kunstvoll gepflasterte Plaza, fuhr vor den Eingang zum Gouverneurspalast und gab mit erhobener rechter Hand das Zeichen zum Halten. Der Platz war groß und weiß und leer, und vor dem Portal standen nur zwei Männer, ein Infanterist in schwarzer Uniform und ein Polizist in weißer.
Der Polizist trug eine Parabellum im Halfter am Gürtel und der Soldat eine Maschinenpistole am Riemen um den Hals. Eine amerikanische Maschinenpistole mit geradem Magazin und zusammenklappbarem Gestell aus Eisen.
Von der Sorte haben wir immer noch zu wenig, dachte der General.
«Sie sind trotz allem wichtiger als alle Bodenreformen», murmelte er vor sich hin.
Der Packard hatte angehalten, aber das Paar im Fond blieb sitzen. Der Führer der Eskorte hob sein Motorrad mit einem Ruck auf den Ständer, zog die Handschuhe aus und öffnete die Wagentür. Erst jetzt rührte sich der General. Er beugte sich zur Seite, küßte seine Tochter auf die Wange und kletterte steifbeinig hinaus auf den Gehweg. Er erwiderte den Gruß der Wachtposten und ging durch die Schwingtür. Der Führer der Eskorte folgte ihm in drei Meter Abstand.
General Orestes de Larrinaga betrat die weiße Marmorhalle. Direkt vor ihm lagen die breite Treppe und die Fahrstühle, links von ihm befand sich ein glatter Empfangstisch und dahinter ein Bote mit Uniformmütze und schwarzer Satinjacke. Der General warf ihm einen freundlichen Blick zu, der Mann lächelte.
«General», sagte er und dann nichts mehr.
Er bückte sich und nahm etwas vom Regal unter dem Empfangs tisch. Der General blieb stehen und lächelte wohlwollend. Der Bote war ein ziemlich junger Mann mit offenem Gesicht und dunkelbraunen Augen.
Er sieht ängstlich aus, dachte der General. Die Leute sind ängstlich, sogar hier.
Zehn Sekunden später war General Orestes de Larrinaga tot. Er lag mit offenen Augen und zerfetztem Brustkorb auf dem Marmorfußboden. Rote Flecken breiteten sich auf dem Uniformstoff aus wie auf weißem Löschpapier. Er hatte die Maschinenpistole noch sehr deutlich erkennen können, und sein letzter Gedanke war, es ist ein tschechisches Fabrikat mit Holzgriff und rundem Magazin.
Der Führer der Eskorte hatte sie ebenfalls gesehen, aber er reagierte zu spät.
Draußen auf dem Platz hörten die Soldaten und das Mädchen im Wagen die kurze, hämmernde Salve und unmittelbar darauf die deutlicheren Schüsse, die aus einer 11-Millimeter-Parabellum stammten.
Die südlichste Provinz der República Federal ist die ärmste und die unterentwickeltste. Dort leben dreihunderttausend Menschen, aber nur zweitausend Grundbesitzer. Achtzig Prozent der Bevölkerung sind Eingeborene, davon sind die meisten Landarbeiter oder Bergleute. Fast alle sind Analphabeten. Das restliche Fünftel besteht aus Nachkommen europäischer Siedler; das ist jene Gruppe, die das Land besitzt und die Produktionsmittel kontrolliert. Die Provinz wurde immer als zu arm und zu wenig bevölkert angesehen, um sie zu einem Bundesland zu machen. Sie steht unter Bundesverwaltung, und ihr höchster Beamter ist ein Offizier, der Militärgouverneur. Er hat seinen Amtssitz in der Provinzhauptstadt, die etwa siebzehntausend Einwohner hat und auf einer Hochebene zwischen den Bergen im Norden des Distrikts liegt. Die weiße Bevölkerung lebt entweder im Zentrum der Stadt oder in der Villengegend auf einem künstlich bewässerten Abhang im Nordosten. Die rund vierzigtausend Eingeborenen leben in dem Gewirr von Hütten, die sich in beträchtlichem Abstand von den modernen Gebäuden im Stadtinneren ausgebreitet haben. Die meisten dieser Eingeborenen arbeiten in den Kohlengruben und Manganminen oben in den Bergen. Quer durch die Stadt verläuft die breite, gepflasterte Autostraße, aber nur wenige Kilometer südlich der Stadtgrenze verengt sie sich zu einer steinigen, gewundenen Bergstraße, die gerade noch für den gewöhnlichen Personenverkehr ausreicht. An der südlichen Ausfahrt liegt auch eine Reihe weißer Steinkasernen. Dort ist das dritte motorisierte Infanterieregiment stationiert.
Die Unruhen in der Gegend begannen im März 1960, als Terroristengruppen anfingen, die Gebirgstrakte im Süden zu infiltrieren. Die Partisanen, die in Patrouillen von etwa zehn Mann auftraten, waren im sozialistischen Nachbarland ausgebildet worden; sie waren gut bewaffnet und gewannen schnell an Erfahrung und Wirksamkeit.
Im Sommer jenes Jahres begannen umfassende Säuberungsoperationen, doch die Guerilla-Einheiten wurden durch das Gelände und die Einstellung der Bevölkerung zur Armee begünstigt, und so hatten die militärischen Aktivitäten nach einem halben Jahr noch immer nicht das gewünschte Ergebnis gebracht. Vielmehr hatten sich die Unruhen auf alle Teile der Provinz ausgebreitet. Die schon früher aufgelöste Kommunistische Partei entstand neu in der Form einer sozialistischen Untergrundorganisation, der Befreiungsfront, die durch punktuelle Streiks und Sabotage das Recht auf Verhandlungen zu erzwingen suchte. Gleichzeitig bildete die weiße Bevölkerung eine Bürgerwehr, die Attentate mit Terror beantwortete. Im September 1961 war die Situation unhaltbar geworden. Ohne militärische Bewachung konnten weder Arbeiten noch Transporte ausgeführt werden. Die meisten Besitzungen im südlichen Teil der Provinz waren von ihren Eigentümern aufgegeben worden; die Anzahl terroristischer Morde vermehrte das Gefühl der Unruhe, und immer mehr Menschen wurden nach summarischen Verfahren vor Militärgerichten hingerichtet.
So kam es zum Sturz der Regierung, und in den folgenden Präsidentschaftswahlen siegte der liberale Kandidat Miroslavan Radamek, ein autodidaktischer Anwalt und Sohn eines Bauern aus einem der landwirtschaftlich fruchtbaren Bundesländer im Norden. Die Wahlen fanden unter starkem internationalem Druck statt, und Radameks Name wurde als Kompromißlösung eingebracht, die notwendig war, um alle Parteien einigermaßen zufriedenzustellen.
Die Regierung verkündete energische Maßnahmen, um die Krise in den betroffenen Provinzen beizulegen. Die militärischen Operationen wurden eingestellt, und die Armee erhielt den Befehl, sich abwartend...
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