Schweitzer Fachinformationen
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Brüder, o Brüder! Das ist Freundschaft!
Es war in dem Winter, als wir in die vierte Klasse gingen. Wenn das Eis in der Fahrrinne zwischen Aspudden und Bromma frisch aufgebrochen war, waren die Eisschollen so klein, dass man unmöglich auf die andere Seite kommen konnte. Aber wenn das Eis einen Tag zufrieren konnte, war es schon einfacher. Um die Eisschollen hatte sich ein Kranz dünnes Eis gebildet, auf das man seinen Fuß setzen konnte. Jetzt musste man nur schnell genug von einer Eisscholle zur nächsten springen, dann hatte man eine Chance, auf die andere Seite zu kommen.
Wir waren vor Lindholmen, als ich ins Wasser fiel. Ganz langsam kam die Kälte durch meine Kleider gekrochen. Gleich darauf wurden sie schwerer, und es zog mich an den Beinen nach unten. Immer weiter nach unten. Ich habe versucht, mich an einer Eiskante festzuhalten. Von der Stadt kam ein Schiff angefahren. Das hatte ich vorher gar nicht gesehen. Es kam schnell näher. Es war vielleicht halb vier und schon dunkel.
Ich kann mich erinnern, dass ich in dem Moment daran dachte, dass Montag war. Ich ertrinke an einem Montag, habe ich gedacht.
Und da lag dann plötzlich Fighter auf dem Eis.
Die Hand ausgestreckt, platt auf dem Bauch.
»Nimm die Hand!«, hat er geschrien und sich den Handschuh ausgezogen. Ich griff nach der Hand. Sie war warm und groß, und er hat mich herausgezogen. Wir sind von der Rinne weggekrochen. Gerade als wir aufgestanden waren und losrannten, fuhr das Schiff hinter uns vorbei. Das Eis krachte gegen den Stahlkörper, und ich dachte: Es ist Montag, und ich bin nicht ertrunken.
Schwestern, o Schwestern! Das ist Freundschaft!
Als ich in die Wohnung komme, liegt Oma auf dem Sofa im Wohnzimmer und schläft. Sie hat die Schürze übers Gesicht gelegt und schnarcht beim Einatmen. Bei jedem Ausatmen wölbt sich der Schürzenstoff über ihrem Mund. Sie redet im Schlaf.
Ich gehe in mein Zimmer, schmeiße mich aufs Bett und lege den Arm über die Augen.
Da kommen die Fantasien. Als ob ich auf eine automatische Schiebetür von einem großen Kaufhaus zugehe. New York, here I come!
Ich gehe durch den Central Park zum Planetarium. Auf dem Rasen steht ein junger Mann mit weiten Hosen und Hosenträgern. Er jongliert mit vier Bällen. Sein Oberkörper ist nackt, und im Gesicht hat er eine Pappnase sitzen. Frauen in Shorts, dünnen Unterhemden und mit Walkman laufen vorbei, immer paarweise. Ein Polizist sieht mir hinterher. Es ist heiß. Auf einer Bank sitzt ein Mädchen mit einem breit rot-weiß gestreiften Kleid und einer über die Stirn geschobenen Sonnenbrille. Sie leckt an einem Eis. Ich setze mich neben sie. Zwischen uns ist ein Meter freie Bank, und trotzdem rückt sie noch ein Stück weiter von mir weg. Der Polizist ist stehen geblieben und sieht zu uns herüber. Er wippt auf den Füßen hin und her, vor und zurück. Den Schlagstock hält er mit beiden Händen hinter dem Rücken.
»Haben wir uns nicht schon mal in Stockholm gesehen?«, frage ich.
»Bist du Schwede?«, fragt sie ihrerseits und hört auf, an ihrem Eis zu lecken.
»Das hört man doch wohl.«
»Ja, klar.«
»Ich bin wegen einer Inszenierung in New York.«
»Ah ja, was für eine Inszenierung?«
»Othello.«
»Ah ja«, sagt sie und streckt ihre lange Zunge aus, um wieder an ihrem Eis zu lecken.
»Was für eine lange Zunge du hast«, sage ich.
»Wenn du unverschämt werden willst, kannst du gleich Leine ziehen.«
»Ich meine das nicht böse. Ich wollte nur sagen, dass sie schön ist. Lang und schön.«
Sie lacht. »Ich soll eine schöne Zunge haben? Du spinnst ja!«
»Das stimmt aber, sie ist ungewöhnlich schön. Und groß!«
Sie lässt das Eis auf den Boden fallen und steht auf, nimmt die Sonnenbrille aus ihrem Haar, setzt sie auf die Nase und geht.
»Wo wohnst du?«, rufe ich hinter ihr her.
Sie bleibt stehen und dreht sich um, schüttelt den Kopf und geht weiter.
»Wo wohnst du?«, rufe ich und laufe langsam hinter ihr her.
Wir kommen an dem Polizisten vorbei. Der Schlagstock hängt an einem Lederriemen um seinen Zeigefinger, und er wirbelt ihn in der Luft vor sich herum, fast wie einen Propeller.
Ich schrecke aus dem Schlaf hoch, als Oma plötzlich mit den Händen in den Schürzentaschen und wirren Haaren vor mir steht.
»Was habt ihr schon wieder angestellt?«, fragt sie.
»Wieso?«
»Verstell dich jetzt bloß nicht. Ihr seid in der Stenkilsgatan gesehen worden.«
»Was meinst du?«, frage ich und versuche aus New York zurückzukommen.
»Astrid hat beobachtet, wie ihr das Kanu mitgenommen habt.«
»Wovon redest du?«
»Astrid hat gesehen, wie du und Fighter das Kanu mitgenommen habt.«
Ich richte mich auf.
»Ich verstehe nicht ganz, wovon du redest.«
»Habe ich dir nicht deutlich genug zu verstehen gegeben, welche Regeln gelten, wenn du hier wohnen willst?«
»Ich weiß nicht, wovon du redest.«
»Astrid hat gesehen, wie ihr ein Kanu von einem Autodach genommen habt und damit im Wald verschwunden seid.«
»Ach so, das Kanu«, sage ich.
»Versuch nicht, dich herauszureden.«
»Wir haben unten auf den Felsen mit einem Pärchen zusammengesessen, die uns von ihrem Kanu erzählt haben. Sie konnten es nicht zum Wasser tragen, weil sie sich die Hand verstaucht hatte.«
»Erzähl keinen Blödsinn. Was waren das für Bedingungen, unter denen du hier wohnen kannst, habe ich dich gefragt!«
»Wir haben ihnen versprochen, das Kanu für sie zu holen. Das hatte also alles seine Ordnung.«
»Die Bedingung lautet, dass du keinen Blödsinn machst, hast du das vergessen?«
Ich stehe auf. »Aber, Oma, wir haben es doch nur für die beiden geholt. Sie haben uns darum gebeten. Glaubst du mir etwa nicht?«
In der Matratze ist eine Mulde zurückgeblieben, wo ich gelegen habe. Mitten in der Mulde liegt das Bündel Hunderter. Oma nimmt die Scheine in die Hand und fuchtelt damit vor meiner Nase herum.
»Und was ist das hier, wenn ich fragen darf?«
Sie starrt mich an und schüttelt ihre grauen Locken.
»Den ganzen Sommer über hast du nicht einen Handschlag getan, nicht einen Versuch gemacht, überhaupt einen Job zu bekommen. Und jetzt hast du plötzlich .«
Sie zählt nach.
»Eintausendfünfhundert Kronen! Habt ihr das für das Kanu bekommen?«
»Hör mir bitte zu, Oma.«
»Ein Dieb, das bist du, ein simpler Dieb. Verschwinde hier!«
»Oma, hör mir bitte zu!«
»Raus hier, aber sofort!«
»Oma!«
»Habe ich dir nicht gesagt, dass du in dem Augenblick rausfliegst, wenn ich annehmen muss, dass du wieder irgendeine Dummheit begehst? Habe ich dir das nicht deutlich genug gesagt?«
»Oma, wir haben einem Mädchen das Leben gerettet!«
»Glaubst du denn, dass ich ganz bescheuert bin, nur weil ich graue Haare habe?«
»Bitte, Oma, du kannst Fighter fragen, wenn er kommt.«
»Der kommt mir nicht über meine Schwelle. Ein Dieb bist du, nichts anderes. Ein simpler Dieb. Nur gut, dass Großvater das nicht mehr erleben muss.«
»Bitte, Oma, wir können auch bei ihnen anrufen.«
»Bei wem?«
»Bei denen, deren Tochter wir das Leben gerettet haben.«
»Tu das, dann glaube ich dir vielleicht. Das Telefon steht dort drüben.«
»Ich weiß allerdings nicht, wie sie mit Nachnamen heißen. Und außerdem sind sie gerade nicht zu Hause.«
»Tsss! Ausreden.«
Oma leckt sich die Lippen. »Du kannst deine Sachen packen.«
»Und wo soll ich wohnen?«
»Du wirst wohl wieder zu Hause wohnen müssen, wie alle anderen.«
»Du meinst also, dass ich wieder beim Scheißhaufen wohnen soll?«
Oma geht zum Schrank und nimmt die Tasche raus, die ich bekommen habe, als ich noch Eishockey gespielt habe. Sie zieht die oberste Schublade der Kommode auf, reißt meine Unterwäsche heraus und schmeißt sie in die Tasche.
»So, raus mit dir.«
»Das meinst du doch nicht ernst, Oma?«
»Ich meine es sogar so ernst, dass ich, wenn du in zehn Minuten nicht von hier verschwunden bist, die Polizei anrufe und ihnen erzähle, dass Astrid Strömvall aus der Stenkilsgatan heute Nachmittag zwei Jungen beobachtet hat, als sie ein Kanu von einem Autodach gestohlen haben.«
Sie schmeißt mir die Geldscheine ins Gesicht.
»Du hast noch neun Minuten.«
Sie zieht den Telefonstecker aus der Wand, nimmt das Telefon mit und schmeißt die Tür hinter sich zu.
Ich habe nicht viele Sachen, es passt alles in die Tasche. Als ich den Reißverschluss zugezogen habe, gehe ich in den Flur. Oma sitzt am Küchentisch mit dem Telefon vor sich.
Sie sieht aus wie ein Dobermannpinscher, dem jemand den Knochen stehlen wollte. Das Haar steht ihr vom Kopf ab.
»Tschüs«, sage ich.
»Adieu. Wenn du eines Tages in Långholmen landest, brauchst du gar nicht zu glauben, dass ich dich besuchen komme, lass dir das gesagt sein.«
Zuerst reizt es mich ja, sie darauf hinzuweisen, dass das Gefängnis auf Långholmen schon seit Ewigkeiten geschlossen ist, aber dann überlege ich es mir doch anders und verschwinde im Treppenhaus.
Ich schleppe die Tasche zur U-Bahnstation und setze mich auf eine Bank, warte. Es dämmert und ist kühler geworden, darum suche ich nach einem Pullover in meiner Tasche.
Nach einer Weile kommt die Bahn aus Norsborg, und Fighter kommt aus dem Wagen gesprungen. Er hat einen kleinen blauen Rucksack über die Schulter geschwungen. Ich rufe ihn und springe in den Wagen, der vor mir zum Stehen gekommen ist....
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