Schweitzer Fachinformationen
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Kimmo Joentaa stand auf wackligen Beinen und fragte sich, ob das wirklich Westerberg war.
Er hatte den Tag verschlafen. Er hatte sich in der Klinik noch einige Namen und Adressen geben lassen. Angehörige von Anita-Liisa Koponen. Dann war er nach Karjasaari gefahren, auf der schmalen, langen Straße, die über das Wasser führte.
Er hatte das Elternhaus von Anita-Liisa Koponen ausfindig gemacht, das gepflegt, aber verlassen unter einer blassen Sonne am Waldrand gestanden hatte. Danach war er zur Schule gefahren.
Eine freundliche Sekretärin hatte einige Minuten lang in Unterlagen geblättert und abschließend befürchtet, dass der Name einer Aushilfslehrerin, die vor mehr als zwanzig Jahren nur einen Sommer lang da gewesen war, schwer ausfindig zu machen sei. Aber sie hatte versprochen, sich zu melden, falls sie fündig wurde oder jemanden fand, der weiterhelfen könne.
Er hatte sich anschließend im einzigen Hotel am Ort eingemietet, hatte eine Weile mit dem Laptop auf dem Schoß auf dem Bett gesessen, ohne eine Nachricht von Larissa zu erhalten, hatte Sundström darüber in Kenntnis gesetzt, dass er in Karjasaari ermittle - »Wo? Was?«, hatte Sundström erwidert - und war schließlich gegen Nachmittag in seinem Hotelzimmer, Sekunden nachdem er endlich den Kopf auf das Kissen gelegt hatte, eingeschlafen. Und jetzt fragte er sich vage, ob er noch immer träumte.
»Kimmo«, sagte Westerberg.
»Marko«, sagte Joentaa. Er freute sich, ihn zu sehen. Ein Mensch, an den er lange nicht gedacht hatte und der ihm dennoch sofort vertraut war. Er hatte den beiden, Westerberg und seinem Kollegen, eine Weile zugehört, während sie über Namen gesprochen hatten, falsche und richtige, und Westerberg hatte den Spielautomaten mit Münzen gefüttert, ohne sich auf das Spiel zu konzentrieren.
Falsche Namen, richtige Namen. Die gewählte Rufnummer ist nicht vergeben. Während Westerberg ihm seinen jungen Kollegen Seppo vorstellte, begriff Joentaa, was ihn am Anblick Westerbergs so gefreut hatte. Einem Menschen zu begegnen, mit dem man nicht rechnet. Der überall hätte sein können, aber genau hier war, in diesem dunklen Hotel, an diesem Spielautomaten.
Er dachte an den Schlüssel unter dem Apfelbaum, an das Licht hinter den Fenstern.
Er setzte sich an den Tisch, an dem Seppo bereits saß und der bedeckt war von Aktenordnern, die denen ähnelten, in denen Joentaa in der Nacht zuvor geblättert hatte. 2711 Hinweise. Engel. Teufel.
»Schön, dich zu sehen«, sagte Westerberg.
»Ja«, sagte Joentaa, und Seppo fragte, ob er Kaffee trinken wolle und deutete auf eine weiße Kanne.
»Gibt's auch Tee?«, fragte Joentaa.
»Äh .«
»Ich war eigentlich runtergekommen, um mir einen Tee zu machen«, sagte Joentaa. Er stand auf, aber Westerberg kam ihm zuvor.
»Kommt sofort«, sagte er. »Ich mach dir einen.«
»Kamille«, sagte Joentaa.
Nach wenigen Minuten kehrte Westerberg zurück, stellte behutsam die Tasse vor Joentaa ab, im angrenzenden Restaurant begann eine Liveband, Tango zu spielen, und es war Seppo, der schließlich nach einiger Zeit des Schweigens die naheliegende Frage stellte. »Wenn du also . äh . auch Polizist bist«, sagte er.
Joentaa nickte. Die getragene Musik drang gedämpft in den weiten Frühstückssaal, in dem sie saßen, und Joentaa spürte einen merkwürdig weichen, fast angenehmen Schmerz hinter der Stirn.
»Was machen wir dann eigentlich alle hier?«, fragte Seppo.
»Tja«, sagte Westerberg.
»Du bist doch . beruflich hier«, sagte Seppo.
Joentaa nickte. Er betrachtete die Akten, die Seppo beiseitegeschoben hatte. »Könnt ihr mir erzählen, worum es geht?«, fragte Joentaa.
Westerberg nickte Seppo zu, und Seppo begann zu erzählen. Joentaa warf nur ab und an eine Frage dazwischen und hörte gespannt zu. Als Seppo endete, war auch die Musik im Restaurant verstummt, und einige Schatten glitten vorüber, kaum hörbar eine gute Nacht wünschend.
Joentaa lehnte sich zurück und trank den letzten, kalten Schluck des Kamillentees.
Ein toter Firmeninhaber in Helsinki.
Ein toter Politiker in Tammisaari.
Eine verwirrte, glasklare Frau in einer Klinik in Ristiina.
Eine unbekannte Tote auf dem Friedhof in Turku.
»Ja«, sagte er, und Seppo ging, um Kaffee zu holen. In einiger Entfernung ratterte die Maschine, und Joentaa sah Westerberg an, der immer dann hellwach war, wenn er so müde wirkte wie jetzt, und er dachte an das, was Seppo zuletzt erzählt hatte.
An einen falschen Namen auf einer fein gestalteten Visitenkarte.
An einen freundlich grüßenden Mörder.
Seppo brachte den Kaffee, und Westerberg fragte: »Und was führt dich her?«
»Die unbekannte Tote«, sagte Joentaa. »Ihr habt das sicher verfolgt.«
»Die Komapatientin, die in der Klinik in Turku .«, sagte Westerberg.
Joentaa nickte.
»Oh«, sagte Seppo.
»Was hat sie mit Karjasaari zu tun?«, fragte Westerberg.
»Ich weiß es noch nicht«, sagte Joentaa. »Ich bin unter den Hinweisen auf eine Frau gestoßen, die ausgesagt hat, dass die Tote ihre Klavierlehrerin gewesen sei.«
»Klavierlehrerin«, sagte Westerberg.
»Ja, im Sommer 1985, hier in Karjasaari.«
»Sommer 1985«, sagte Seppo.
»Karjasaari«, sagte Westerberg.
»Die Aussage der Frau galt zunächst als unglaubwürdig, da sie in psychiatrischer Behandlung ist. Ich habe sie in einer Klinik in Ristiina getroffen.«
»Dann hat sie . einen Namen genannt?«
Joentaa schüttelte den Kopf. »Sie scheint den Namen nicht zu wissen oder möchte ihn nicht nennen. Sie bezeichnet die Frau als Engel.«
»Engel«, sagte Westerberg.
»1985«, sagte Seppo.
»Ich weiß nicht genau, warum ich dem Hinweis gefolgt bin. Eine Freundin von mir . hat mir nahegelegt, im Zusammenhang mit der Toten nach Anzeichen von Gewalt zu suchen . tatsächlich hat auch die Obduktion Hinweise auf zum Teil lange zurückliegende Gewalteinwirkungen erbracht. Und die Aussage der Zeugin, Anita-Liisa Koponen, ist voller Andeutungen dieser Art.«
»1985«, sagte Seppo noch einmal. »Nur dann?«
»Was meinst du?«, fragte Joentaa.
»Du sagst, dass die Zeugin das Jahr 1985 nannte.«
Joentaa nickte. »Ja, stimmt. Sie sagte, dass die Frau nur in diesem Jahr da gewesen sei, genau genommen sogar nur in diesem Sommer, sie hätte eine erkrankte Lehrerin vertreten und sei dann selbst erkrankt.«
»Sommer 1985«, sagte Seppo und sah Westerberg an.
»Hast du das Foto?«, fragte Westerberg.
Seppo nickte und entnahm einem der Ordner ein Foto, das er zu Joentaa hinüberschob. »August 1985«, sagte Seppo. »Ganz rechts ist Happonen, daneben Forsman.«
Joentaa nahm das Bild. Die Sonne auf dem Foto schien wesentlich heller als das schwache Licht in dem Raum, in dem sie saßen. Eine helle, vergangene Sonne. Zwei Jungen in Badehosen, die nicht mehr lebten. Zwei Männer, die er nicht kannte.
»Wer sind die beiden anderen?«, fragte er.
»Haben wir noch nicht ausfindig gemacht«, sagte Westerberg.
Joentaa drehte das Bild um und las den Text. 19. August 1985. Wir haben gegrillt. Von der Sache wird nicht geredet. Sie hat mich angelächelt. Alle sind wie immer, und R. sagt, dass ich mir keine Gedanken machen soll. Er hob den Blick.
Joentaa hielt das Foto gegen das dämmrige Licht und konzentrierte seinen Blick auf die Frau im Hintergrund. Sie stützte den Kopf in eine Hand. Die Augen hinter der Sonnenbrille verborgen.
»Die Frau?«, fragte er.
»Wissen wir nicht«, sagte Seppo.
Sommer 1985, dachte Joentaa.
»Wir sind dran, die Personen auf dem Bild zu identifizieren, aber es ist schwierig«, sagte Seppo.
»Weder Happonens Eltern noch Forsmans Schwester erkennen jemanden«, sagte Westerberg. »Happonen wollte sogar seinen eigenen Sohn nicht erkennen.«
Joentaa hob den Blick.
»Seine Frau war zugänglich, aber der Vater . hat irgendwie dichtgemacht, als es um das Foto ging. Und um die Jugend seines Sohnes. Ähnlich wie die Schwester des anderen Toten, Forsman.«
Joentaa dachte an die Frau mit dem klaren, überschminkten Gesicht in der Klinik. Das schaffe ich schon, hatte sie gesagt, bevor sie die Tür hinter sich geschlossen hatte.
»Ich würde gerne mit Happonens Eltern sprechen«, sagte er.
Westerberg nickte. Seppo gähnte und fuhr sich mit der Hand über die Augen. Westerberg begann, die Melodie zu summen, die die Tangoband im nahe gelegenen Restaurant zuletzt intoniert hatte.
»Gut«, sagte Seppo. »Also, Forsman, Happonen, die Unbekannte aus Turku. Das hängt zusammen. Sind wir uns da einig?«
Westerberg hörte auf zu summen, gab aber keine Antwort, und Joentaa dachte an Roope, der auf ein leeres Tor schoss, weil die Torhüterin fehlte.
»Hallo?«, fragte Seppo.
»Lasst uns morgen weiterdenken«, sagte Westerberg und stand auf. »Schlaft gut, ihr beiden.« Er ging noch einmal zu dem Pokerautomaten und sah ihn fragend an, als erwarte er sein Geld zurück. Dann wendete er sich ab. »Schlaft gut«, sagte er noch einmal und ging.
»Ja . bis morgen dann«, sagte auch Seppo.
»Bis morgen«, sagte Joentaa.
Seppo sammelte die Akten ein, und Joentaa sagte:...
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