Schweitzer Fachinformationen
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VORWORT ZUR TASCHENBUCHAUSGABE
Die Denkströmung des modernen Linksliberalismus, die Linkssein in erster Linie über Lifestyle-Fragen und moralische Haltungsnoten definiert und dabei die Privilegien gut situierter Großstadtakademiker mit persönlichen Tugenden verwechselt, ist ein zentraler Gegenstand dieses Buches. In ihm wird erklärt, warum der moderne Linksliberalismus weder links noch liberal ist und wie er den alten wirtschaftsliberalen Politikempfehlungen nach der Jahrtausendwende ein frisches, progressives Image verpasst hat. Außerdem wird beschrieben, welche Veränderungen im Sozialgefüge dem Aufstieg des Linksliberalismus zum Meinungsführer in der öffentlichen Debatte der meisten westlichen Länder zugrunde lagen.
Es sind auch anderthalb Jahre nach Erscheinen des Buches immer noch die gleichen Meinungsführer und die gleichen Medien, die die öffentliche Diskussion in unserem Land prägen. Die Dominanz des Linksliberalismus wurde durch den Regierungseintritt der Grünen als der linksliberalen Partei par excellence sogar weiter verstärkt. Aber die linksliberalen Erzählungen haben sich verändert. Ihr Sound ist kaum noch wiederzuerkennen.
Wenige Tage nach dem Überfall Russlands auf sein Nachbarland am 24. Februar 2022 hielt der deutsche Bundeskanzler im Bundestag eine mit stehenden Ovationen gefeierte Rede, in der er eine Zeitenwende beschwor. Nichts sei mehr wie zuvor, mit dem Ausbruch des Ukraine-Krieges seien wir in einer anderen Welt aufgewacht. Deshalb müsse sich auch die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik grundsätzlich neu orientieren. Konkret kündigte Olaf Scholz gewaltige Rüstungsvorhaben an, für deren Finanzierung zusätzliche Schulden in Höhe von 100 Milliarden Euro aufgenommen werden. Außerdem stellte Scholz der ukrainischen Führung Waffenlieferungen in Aussicht, deren Umfang und militärische Zerstörungskraft in den Folgemonaten immer größer wurden.
Scholz< Zeitenwende bedeutet für Deutschland aber nicht nur das definitive Ende der Ära militärischer Zurückhaltung. Der von vielen SPD-Politikern mit Reue, Scham und Buße zelebrierte Abschied von der unter Willy Brandt eingeleiteten und von seinen Amtsnachfolgern mehr oder minder fortgesetzten Entspannungspolitik, ohne die es die deutsche Wiedervereinigung wahrscheinlich nicht gegeben hätte, hat auch dramatische ökonomische Folgen. Denn angestrebt wird eine vollständige Neuausrichtung der deutschen Handelsbeziehungen und der Abbruch möglichst aller wirtschaftlichen Kontakte zu unserem großen europäischen Nachbarn im Osten, wobei der geplante Verzicht auf die vergleichsweise billige russische Energie und die russischen Rohstoffe besonders schwerwiegt. Denn sie waren und sind Existenzbedingungen einer wettbewerbsfähigen deutschen Industrie, und Ersatz, zumal bezahlbarer, ist nirgends in Sicht.
Aber was zählen harte Wirtschaftsdaten, und auch unschöne historische Reminiszenzen stören offenbar nicht: Die grüne Außenministerin will »Russland ruinieren«!1 Auf diesem zweifelhaften Pfad hasten und taumeln die Ampelpolitiker seither wie Getriebene, denen ein Blick zurück oder auf abzweigende Seitenwege streng untersagt ist. Es geht immer nur in eine Richtung. Egal, wo der Weg endet. Egal, ob die Sanktionen wirken. Egal, wie hoch der Preis ist, den wir dafür zahlen.
Dabei bestehen die Wegmarkierungen aus schlichten, einprägsamen Botschaften: Putin ist der neue Hitler. Mit Putin zu verhandeln ist Appeasement-Politik. Wer mit einem Aggressor Handel treibt, macht sich schuldig. Die Ukrainer kämpfen für unsere Freiheit und sterben für Europa. Die Ukraine muss diesen Krieg militärisch gewinnen. Dafür müssen wir ihr immer mehr und immer leistungsfähigere Waffen liefern. Sonst steht der Russe bald vor unserer Tür.
Kriege werden nicht nur mit Panzern und Raketen geführt, sie brauchen auch emotional eingängige Erzählungen, um die Öffentlichkeit bei der Stange zu halten. Da den wirklichen Kriegsgründen meist wenig Romantik innewohnt, können Nazi-Vergleiche oder einfach erfundene Geschichten für die nötige Emotionalisierung sorgen. Schon die Bombardierung von Belgrad durch die NATO wurde mit dem moralischen Imperativ »Nie wieder Auschwitz« gerechtfertigt. Dass es den sogenannten Hufeisenplan, mit dem angeblich sämtliche Albaner aus dem Kosovo vertrieben werden sollten, und die serbischen Konzentrationslager nie gab, erfuhr die interessierte Öffentlichkeit im Nachhinein. Unvergessen auch der tränenreiche Auftritt der Tochter des kuwaitischen Botschafters vor dem amerikanischen Kongress, die zur Einstimmung auf den ersten Irak-Krieg als angebliche Krankenschwester schilderte, wie irakische Soldaten kuwaitische Frühchen brutal aus ihren Brutkästen gerissen hätten. Die PR-Agentur Hill & Knowlton hatte das Setting damals professionell arrangiert und vermutlich vorher mit dem Mädchen geprobt. Etwas weniger anrührend war die Rede von US-Außenminister Colin Powell vor dem UN-Sicherheitsrat, in der er den versammelten Nationen der Welt die Lüge auftischte, der Irak verfüge über Massenvernichtungswaffen. »Wir haben gelogen, wir haben betrogen und wir haben gestohlen. Wir hatten ganze Ausbildungskurse darin«,2 fasste Ex-CIA-Chef Mike Pompeo diese Praxis einmal gut gelaunt zusammen.
Heute erzählt Putin dem russischen Volk, bei seiner Spezialoperation gehe es vor allem um den Kampf gegen ukrainische Nazis und den dortigen Faschismus. Große angelsächsische PR-Agenturen wiederum machen uns das Gleiche im Hinblick auf Russland weis. Wenn man Putin nicht stoppt, so die Botschaft, überfällt er morgen Polen und übermorgen marschiert er durchs Brandenburger Tor. Durch diese Deutung wurde aus einem regionalen Konflikt unser Krieg, den wir jetzt, koste es, was es wolle, führen müssen. Und es kostet viel, vor allem für Europa und ganz besonders für Deutschland. Aber die Frage »Wem nützt es?« stellen ja heute nur noch Verschwörungstheoretiker.
Die letzten Monate sind ein Lehrbeispiel dafür, in welchem Ausmaß emotional wirkmächtige Erzählungen - professionell aufbereitet, mit ausdrucksstarken Bildern unterlegt und mit geballter Medienmacht nahezu ohne Störgeräusch abweichender Meinungen in jedes Wohnzimmer und auf jedes Smartphone gesendet - das rationale Denken blockieren können. Selbst das untrügliche Gespür, das Menschen normalerweise für ihre eigenen Interessen haben, kann unter solchen Bedingungen ausgeschaltet werden. Nicht bei allen und wahrscheinlich auch nicht auf unbegrenzte Zeit, aber doch bei sehr vielen und bemerkenswert lange.
Es stimmt: Russland hat einen Angriffskrieg gegen die Ukraine begonnen. Dieser Krieg ist völkerrechtswidrig, brutal und durch nichts zu rechtfertigen. Darüber kann und sollte man sich empören. Doch worin besteht die »Zeitenwende«? Waren all die anderen völkerrechtswidrigen, brutalen und durch nichts zu rechtfertigenden Angriffskriege, die allein in den ersten zwei Jahrzehnten des 21. Jahrhunderts in bedenklich großer Zahl stattgefunden haben, weniger empörenswert? Ist neuerdings jeder Aggressor ein Wiedergänger Hitlers? Und weshalb dürfen die USA, Saudi-Arabien oder die Türkei auf dem Staatsgebiet anderer Länder bomben, foltern und Kriegsverbrechen begehen, ohne dass solche Untaten jemals mit Sanktionen geahndet werden?
Im Namen des »Kriegs gegen den Terror« haben allein die Vereinigten Staaten sieben Länder überfallen. Sie und ihre Verbündeten haben im Irak oder in Libyen ganze Städte dem Erdboden gleichgemacht. Sie haben geächtete Waffen wie Streubomben und Uranmunition eingesetzt. Sie haben in Afghanistan, Pakistan, Syrien, dem Jemen oder Somalia bisher über 100 000 Angriffe mit Drohnen ausgeführt und dabei Frauen und Kinder zerfetzt, die das Pech hatten, zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen zu sein. Sie haben Staaten, die ihren Bürgern zuvor Stabilität und einen gewissen Wohlstand bieten konnten, in unregierbare Failed States verwandelt, deren Bewohner sich seither gegenseitig massakrieren, weil islamistische Banden um die Macht kämpfen. Niemand kennt die genaue Zahl der Opfer dieser Kriege, sicher ist, dass sie die Million übersteigt.
Heute geschieht in der Ukraine Schreckliches. Auch hier sterben Frauen und Kinder und von vielen Städten und Dörfern in den Kampfgebieten sind nur noch rauchende Ruinen übrig. Aber weshalb...
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