Schweitzer Fachinformationen
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2 DEN REST DES TAGES verbrachte ich in einer Flaute. Kein Wind mehr, nirgends.
Aber so war das beim Segeln, es gab nie perfektes Wetter. Entweder man hatte zu wenig Wind oder zu viel, und er wehte grundsätzlich von der falschen Seite. Man musste viel Demut haben, um trotzdem vorwärtszukommen, guten Scotch und einen Motor.
Ich warf meinen Fünf-PS-Yamaha-Außenborder am späten Nachmittag an, weil ich hungrig geworden und der Whisky ausgetrunken war. Nachschub gab es nur an Land, und deshalb ertrug ich das lärmende Geröhre des Außenborders, auch wenn ich nicht verstand, dass man im zweiten Jahrzehnt des dritten Jahrtausends noch immer nicht in der Lage war, leise, ja lautlose Verbrennungsmotoren zu bauen. Wir konnten mit Drohnen die Araber ins Jenseits bomben, aus der Atomkraft aussteigen und Forschungsroboter zum Mars schießen, während unsere Kinder drahtlos per Smartphone in alle Welt kommunizierten - aber unsere Außenbordmotoren klangen immer noch wie zu Zeiten von Carl Benz.
Wer ein Boot besitzt, braucht auch einen Liegeplatz dafür. Zwar war ich stolzer Pächter eines direkt am Bodden gelegenen Grundstücks, und dort gab es sogar einen Steg. Für den Angelkahn hatte der immer gereicht, doch nun war ich Besitzer eines Folkebootes mit einem Meter zwanzig Tiefgang. Und das war zu viel. An alles hatte ich gedacht beim Kauf des Bootes, nur an den Tiefgang nicht. Wieso auch? Es gab einen Steg, und es gab ein Boot - das sollte doch passen! Tat es aber nicht, denn als ich an meinem Steg zum ersten Mal anlegen wollte, blieb ich gut dreißig Meter davor im Schlick stecken. Näher kam ich nicht heran, da half alles nichts. Der Bodden ist berühmt für seinen modrigen Schlick. Man kann darin nicht stehen, aber eben auch nicht schwimmen.
Tja, Pech gehabt. Aus der Traum vom eigenen Boot vorm Haus. Ich brauchte einen anderen Liegeplatz. In Barth gab es dafür zwei Möglichkeiten. Entweder man ging in die Marina am »Vinetablick«, doch dort zahlte man fast zweitausend Euro pro Saison. Günstiger wäre ein Liegeplatz in einem der vielen Segelvereine von Barth, doch dafür musste man Vereinsmitglied werden. Zwar boten viele Vereine auch Gastliegeplätze an, doch die waren dann wieder teurer - da könnte man sich dann auch gleich in die Marina einmieten.
Nun war ich noch nie der große Vereinstyp. Zu meiner Zeit in Berlin hatte ich es mal in einem Poolbillard-Club versucht und war dort grandios gescheitert, weil ich mich nur bedingt an diverse Satzungen halten wollte und den Sinn des Beitragssystems nicht verstand. Zudem gingen mir die Vereinsoberen mit ihrer Wichtigtuerei auf den Sack - ja, wenn wenigstens passable Billardspieler darunter gewesen wären. Aber die wirklich spannenden Typen fand man vor allem in dunklen, rauchigen Kneipen weit außerhalb des Clubs. Echte Zocker, die ihren Gegner in einem Durchlauf über die Bande in den totalen Ruin spielen konnten. Ein paar von denen hätte ich gerne in unserem Club untergebracht, doch daraus wurde nichts. Im Gegenteil, ich wurde gleich mit rausgeschmissen. Im Berliner Poolbillard-Club wollten sie nicht zocken, sondern spielen.
Jetzt war ich drauf und dran, wieder Vereinsmitglied zu werden. Obwohl man mich gewarnt hatte: »Segler sind schlimmer als Kleingärtner!«
Aber mit derlei Sprüchen konnte ich nichts anfangen. Weder war ich jemals Kleingärtner, noch kannte ich welche. Ich fing gleich mit den Seglern an.
Nennenswerte Wirtschaft gab es in Barth seit der Wende nicht mehr, weshalb ich den alten Wirtschaftshafen ansteuerte, wo zwischen den alten Ziegelspeichern neben der Bootswerft Rammin und der Happy-Charter-Basis der Nautische Yachtclub seinen Sitz hatte. Ein gemeinnütziger Verein, der sich der Tradition des Segelsports verpflichtet fühlte und daher besonders stolz auf seine Jugendabteilung zur Förderung des Nachwuchses war.
Schon weit vor der Hafeneinfahrt sah ich die Optis der Jüngsten auf dem Wasser, streng beaufsichtigt von Paula, einer stets braun gebrannten, drahtigen Mittzwanzigerin mit wippendem Pferdeschwanz, die in Greifswald Sportmedizin studierte und mit einem Megafon bewaffnet in ihrem Motorschlauchboot die kleinen weißen »Optimisten-Jollen«, wie die Kindersegelbötchen genannt wurden, umkreiste wie ein Schäferhund seine Herde.
Aufgabe der Jüngsten war, diverse Bojen in einem zuvor festgelegten Kurs zu umfahren, was aber wegen des schwachen Windes nur bedingt möglich war. Die meisten der Kinder, allesamt zwischen sechs und zwölf Jahre alt, flachsten herum, übten Kenterungen und bespritzten sich mit Wasser, ohne sich groß um Paulas knarzende Lautsprecherbefehle zu kümmern.
»Willy: auf die Ruderstellung achten! - Caja: das Segel dichter! - Luca: Wenn du deinen Kurs so beibehältst, muss du an der Tonne Malte ausweichen und verlierst wertvolle Sekunden!«
Ich drosselte den Motor etwas und winkte Paula mit weit ausladenden Armbewegungen zu. Das war wichtig, denn als ich meinen Antrag auf Mitgliedsanwartschaft im Nautischen Yachtclub stellte, wurde mir ein längerer Vortrag gehalten, in dem Kameradschaft, Hilfsbereitschaft und sportliches Verhalten gleich mehrfach angemahnt wurden.
»Wie damals die Likedeeler, haben Sie das verstanden?«
Aber waren das nicht Piraten?
Wie auch immer, ein betont maritimer Gruß an die Jugendtrainerin konnte nicht schaden: »Moinsen, Paula! Und immer eine Handbreit Wasser unterm Kiel, was?«
»Schwarzer Kegel, Spitze nach unten«, brüllte sie zurück.
Bitte? Ich verstand nicht gleich.
»Wenn Sie die Segel oben haben und trotzdem motoren, müssen Sie den Kegel setzen.« Sie fuhr mit ihrem Schlauchboot heran. »Sonst erkennt man nicht, dass Sie ein Motorfahrzeug sind.«
»Ich denke, man hört es. Der Motor macht ja so einen Lärm, dass .«
»Das tut nichts zur Sache«, unterbrach sie mich streng, »so sind nun mal die Schifffahrtsregeln.«
»Vielen Dank.« Ich lächelte freundlich. »Beim nächsten Mal denke ich dran.«
»Und setzen Sie Ihr Segel richtig durch, die Falten im Vorliek müssen raus.« Sie hob die Hand zum Gruß und gab wieder Gas. »Wiederschaun.«
»Wiederschaun.« Ich starrte aufs Segel. Was war jetzt noch mal das Vorliek? - Egal! Ich nahm die Pinne wieder in die Hand und konzentrierte mich aufs Anlegemanöver.
Der Nächste war Jann Giehrling. Den kannte ich schon. Der Yachtwart und Hafenmeister saß immer auf seiner Bank vorn an der Pier vor der Charterbasis und wartete auf einlaufende Boote. Dann rannte er wie der Blitz los und half beim Anlegen. Was mir völlig recht war, allein hätte ich so meine Schwierigkeiten damit.
»Kein Wind draußen, was?«, erkundigte er sich.
»Entweder nichts oder echte Hammerböen«, erwiderte ich, »ich hatte manches Mal gut zu kämpfen.«
»Das ist gar nichts.« Jann Giehrling setzte sich mit abgeklärter Seemannsmiene zu mir an Bord. »Das ist ein Fliegenschiss gegen das, was ich da draußen schon mitgemacht hab. In meinen aktiven Jahren, meine ich.«
Ich wusste gar nicht, dass Jann Giehrling auch mal aktiv gewesen war. »Was haben Sie denn gemacht?«
»Na, ich bin zur See gefahren«, er steckte sich eine Zigarette an, »Hochseefischerei, zu DDR-Zeiten damals. Und da sind wir vor den Färöern mal in eine weiße Böe geraten . Die Hölle, sag ich Ihnen! Wellen wie Hochhäuser. Unser Kahn lag minutenlang auf der Backbordseite. Neunzig Grad, der Wasserdruck hat uns drei Luken weggesprengt. Da fing sogar unser kommunistischer Parteisekretär wieder an, gen Himmel zu beten. Ja, wer so was mal erlebt hat, der weiß, was eine Hammerböe ist.« Er sah neugierig in meine Kajüte. »Sagen Sie mal, haben Sie kein Bier da?«
»Nee«, bedauerte ich. »Ich hatte Whisky. Aber der ist alle.«
»Na, so geht das aber nicht.« Giehrling rang um Fassung. »Man muss immer ein Anlegebier an Bord haben. Grundsätzlich! Das ist so 'ne Art Gesetz unter Seeleuten. Alles andere wäre unanständig.«
Das wollte ich auf keinen Fall sein. »Ich spendiere uns eins. An Ihrem Kiosk, okay?«
»Das ist kein Kiosk«, belehrte er mich, »das ist mein Hafenbüro, in dem ich auch Bier verkaufe, weil so Landratten wie Sie ständig vergessen, was nach dem Anlegen zu tun ist.«
Bier trinken. Ich verstand und erhob mich. »Na denn: Auf geht's!«
»Da kann ich Ihnen gleich noch die Geschichte von den drei Kaventsmännern vor Island erzählen.« Giehrling stand ebenfalls auf. Prüfend sah er mich an. »Sie wissen, was Kaventsmänner sind?«
Ich überlegte. »Große Wellen?«
»Wellen?« Er lachte dröhnend auf. »Brecher sind das, riesengroß! Die können Ihnen den Frachter komplett zertrümmern. Vor Schottland hat so 'n Ding mal eine ganze Bohrplattform versenkt. Mit Mann und Maus. Die haben es noch nicht mal geschafft, rechtzeitig ihren Hubschrauber zu starten. Das Einzige, was von denen übrig geblieben ist, waren ein paar Rettungswesten, die später an die norwegische Küste getrieben sind.«
»Und Sie hatten gleich drei von diesen .?«
»Drei gewaltige Kaventsmänner.« Giehrling nickte bedeutungsvoll. »Der erste zerschmetterte das Ruderhaus und knickte die Masten wie Streichhölzer. Nach dem zweiten fiel der Motor aus. Wir waren manövrierunfähig und schlugen sofort quer. Dann kam der dritte, so ein Monstrum hatte ich noch nie gesehen. Bestimmt vierzig Meter hoch, und das Ding machte einen Lärm, dass wir unsere eigenen Angstschreie nicht mehr hören konnten. Denn wir hatten die Hosen tüchtig voll, das können Sie sich ja vorstellen .«
Lieber nicht. Ich hörte ohnehin nicht mehr zu, denn ich hatte ein paar Stege weiter die »Batavia« entdeckt. Und den rotgesichtigen Herrn,...
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