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Johannes Voggenhuber war Mitgründer der Grünen, Klubobmann im Nationalrat und streitbarer EU-Abgeordneter. Ich wollte von ihm wissen, wie er die Gründung erlebt hat und was von den Grünen übrig geblieben ist.
Johannes Voggenhuber hat als Stadtrat für die "Salzburger Bürgerliste" in den 1980er-Jahren früh erfahren, was es heißt, sich in Österreich mit den etablierten Parteien anzulegen. Im Nationalrat hat er später von mir die Position des Klubobmanns übernommen und versucht, die Partei programmatisch auf ein Fundament zu stellen. Ich habe ihn für seine Überzeugungen geschätzt, Politik war für Johannes eine Lebensaufgabe und die Grüne Sache seine Antriebskraft. Vor allem als langjähriger EU-Abgeordneter war er eine wichtige Stimme für die Grünen. Seine Ideen vertrat er stets mit Nachdruck, was dazu führte, dass nicht jede:r seinen Vorstellungen folgen wollte und es zu Konflikten innerhalb der Partei kam. Seine streitbare Sicht auf die Grünen und die Welt war aber immer geprägt von einer Scharfsinnigkeit, die Johannes für mich zu einem guten Gesprächspartner macht, um mit ihm über die Anfänge der Grünen und die Partei 40 Jahre nach ihrer Gründung zu sprechen.
Andreas, du möchtest mit mir also über die Grünen reden. Gibt es sie noch?
Du bist sarkastisch. Sie sitzen in der Regierung. Vierzig Jahre nachdem wir für ihre Gründung gekämpft haben.
Aber sind sie überhaupt noch grün?
Das will ich mir dir herausfinden.
Es ist schade, dass die Grünen nie ein Archiv aufgebaut haben. Viele Dokumente gibt es nicht mehr, geblieben sind Zufallsfunde und subjektive Fragmente. Dabei wäre es wichtig, die Geschichte der Grünen anhand ihrer Ideen sowie gesellschaftlichen und politischen Ausgangspositionen zu schreiben. Ist man überhaupt ein Grüner, so wie man ein Roter oder Schwarzer oder Blauer ist? Das hört sich sehr nach der längst überlebten Vorstellung des österreichischen Parteienstaates an. Ich würde sagen, dass man ein Grüner ist, wenn man ökologisch denkt oder handelt. Was die Grünen bei ihrer Gründung verbunden hat, war ein gemeinsamer Leidensdruck.
Du meinst das Abarbeiten an den verkrusteten Strukturen?
Auch. Die Grünen sind die einzige österreichische Partei, die aus der Mitte der Gesellschaft entstanden ist. Überall in Österreich gab es damals Bürger:innenbewegungen, die sich an gewissen Missständen abgearbeitet haben. Wir in Salzburg haben in den 1970er-Jahren die Vereinigten Bürgerinitiativen und schließlich die Bürgerliste gebildet, um die Zerstörung der Landschaft und der Altstadt zu verhindern. Das ging nicht, ohne die Verfilzung von Politik und Bauspekulationen zu bekämpfen und gegen den asozialen Wohnbau vorzugehen. In Graz ging es um die Verschmutzung der Mur und den Feinstaub. In Tirol um den Transit. Diese Initiativen sind aus einer tiefen Betroffenheit zahlreicher Menschen aus allen politischen Lagern entstanden. Vereint hat sie der gemeinsame Leidensdruck durch die herrschenden Verhältnisse.
Du warst in den frühen 1980er-Jahren in Salzburg der erste "grüne" Stadtrat in Europa. Danach hast du maßgeblich daran mitgewirkt, dass eine gemeinsame grüne Liste bei der Nationalratswahl 1986 antritt. War für dich klar, dass es ohne Parlament nicht geht?
Für mich war klar, dass wir als Bewegung unseren Fokus erweitern müssen, wenn wir als Grüne nachhaltig Einfluss gewinnen wollen. Das habe ich in Salzburg gesehen. Dort ging es zu wie am Fischmarkt in Neapel. Die ÖVP hat sich den einen Teil der Stadt unter den Nagel gerissen, war zuständig für das Bauwesen sowie Grundstücke und hat so Milliarden für ihre Klientel gesichert. Die SPÖ wiederum war zuständig für das gesamte Personal und die Finanzen der Stadt. Die haben ihrer Klientel Posten und Karriere, Sozialwohnungen und Kindergartenplätze nach Parteibuch zugeschanzt. So sah es auch im Rest des Landes aus. Wir konnten nur etwas nachhaltig verändern, wenn wir dieses System aufbrachen. Zumal die Frage der Umweltzerstörung direkt zusammenhängt mit der sozialen Frage und der Korruption.
Es war bereits in den Anfangsjahren klar, dass eine intakte Umwelt nur mit mehr Demokratie und Transparenz möglich ist.
Natürlich. Wo wurde zum Beispiel in Salzburg spekuliert? In den Sozialwohngebieten im Stadtteil Lehen. Wer musste die Altstadt verlassen aufgrund zu hoher Mietpreise? Die Menschen mit geringem Einkommen. Und wer hat davon profitiert? Die Bauunternehmer, die gleichzeitig als Politiker im Gemeinderat saßen. Was hat das befördert? Korruption. Das war eine mafiöse Vermischung von Politik und kriminellem Geschäft zu Lasten der Umwelt, der sozialen Gerechtigkeit und der Demokratie. Das ist jetzt ein Exkurs in die politische Ideengeschichte, der mir sehr wichtig ist: Die Grünen waren die erste und einzige politische Bewegung seit der französischen Revolution, für die Natur nicht als kostenloser Produktionsfaktor gilt, den man bedenkenlos ausbeuten, manipulieren, vergeuden und zerstören kann. Bei den Grünen galt Natur immer als begrenzte und kostbare Grundlage allen Lebens. Diese Vervollständigung der politischen Ideengeschichte der letzten 250 Jahre ist das historische Verdienst der Grünen. Die ökologische Bewegung fügt den Revolutionen um bürgerliche Freiheit und Demokratie, um Grundrechte und Rechtsstaat sowie um soziale Gerechtigkeit den Kampf um den Schutz der Natur hinzu. Dieser Zusammenhang verblasst bei den grünen Parteien in Parlamenten, Ämtern und Regierungen zusehends. Sie werden immer mehr zu Einthemenparteien mit Tunnelblick.
Wir haben uns damals rund um die Proteste gegen das Kraftwerk in Hainburg kennengelernt. Mittlerweile habe ich den Eindruck, dass die Grünen mit den Umweltbewegungen von heute wenig anfangen können.
Die Grünen haben mit diesen Bewegungen gar nichts mehr zu tun. Das ist einer der Gründe, warum sie aktuell auf wackligen Beinen stehen. Der zweite ist, dass die inhaltliche Arbeit seit mehr als 20 Jahren eingestellt wurde. Raus aus Öl und Gas, rein in erneuerbare Energien. Das ist seit langem klar. Aber in welcher Gesellschaft wollen wir leben? In den 1990er-Jahren haben Sonja Puntscher Riekmann und ich das letzte Parteiprogramm für die Grünen ausgearbeitet. Seither ist hier nichts mehr passiert. Aber ein Programm ist die Grundlage und fasst die Ideen zusammen, um die sich Menschen sammeln und dient dazu, eine gesellschaftliche Vision zu vermitteln. Nur das bindet auch die Basis an die Partei und gewinnt kreative Köpfe für sie. Um diese Ideen in die politischen Institutionen zu bringen, ihr Denken und Handeln zu verändern, dafür haben wir die Grünen gegründet. Sie wollten eine Alternative sein, eine politische und gesellschaftliche Avantgarde.
Du kennst den Spruch vom Marsch durch die Institutionen, den man antreten muss, um etwas zu verändern. Nun scheinen auch die Grünen ein gutes Beispiel dafür zu sein, dass das System eher den Menschen verändert und nicht der Mensch das System.
Natürlich hat es einen Einfluss auf deine Politik, wenn du Teil des politischen Betriebes bist. Ja, es geht nicht ohne Kompromisse. Aber die Grünen haben sich in den letzten Jahren inhaltlich derart verwässert, dass sie kaum mehr als Grüne zu erkennen sind. Sie sind damit zwar in den Augen der etablierten Parteien und Medien "regierungsfähig" geworden, aber regierungsfähig heißt in diesem Zusammenhang, dass du den Konsens der arrivierten Eliten exekutieren darfst. Kleine Dinge darfst du dir herausnehmen. Aber Änderungen der Gesellschaft musst du abschwören.
Macht hat eben etwas sehr Anziehendes. Das haben wir selbst auch erlebt. Sobald es etwas zu verteilen gab - ein Mandat oder einen Job als Klubobmann - wurde gestritten und intrigiert.
Im Mittelpunkt des Streits standen aber trotzdem inhaltliche Differenzen. Die Grünen als Regierungspartei leben in erster Linie von Ämtern und Geldern, die es zu verteilen gibt. Da existiert kein Hainburg oder Zwentendorf, da gibt es keine Bürger:inneninitiativen oder Bewegungen, auf die sie sich stützen könnten. Sie haben nur die ihnen zugewiesenen Ressourcen als Minister:innen oder Abgeordnete. Würden sie diese aufgeben, wäre das wie ein Selbstmord. Also halten sie daran fest - auch wenn sie ihre Grundsätze dafür über Bord schmeißen müssen. Ich weiß schon, dass der Blick der Gründer:innen-Generation scharf ist, manchmal vielleicht ungerecht. Aber wenn ich mir anschaue, was die Grünen in der Regierung beim Thema Asyl zugelassen haben, dass ihre Europapolitik inzwischen inexistent ist - von Visionen für ein künftiges vereinigtes Europa ganz zu schweigen -, oder wenn...
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