Schweitzer Fachinformationen
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Dieses Zimmer riecht nach Medizin oder anderen merkwürdigen Dingen, schimpfte sie innerlich vor sich hin, während ihre Nase zu einem beweglichen Rüssel wurde und versuchte, die innerste Seele jenes Geruchs zu erschnüffeln. Es gefällt mir nicht, daß mein Haus so riecht; ein anständiges Haus riecht nicht so. Sie hatte das Bett gemacht und in den Sportzeitungen geblättert, die überall im Zimmer verstreut lagen. In den Taschen der Anzüge des stark riechenden Gastes fand sie keinerlei Hinweis, auch nicht bei der Unterwäsche, die ordentlich in die Schubladen der Kommode gestapelt war. Das ständige Aufleuchten und Verlöschen der Leuchtreklame ihrer eigenen Pension verstärkte mit seinem Helldunkel noch das Gewitter, das sich auf Doña Conchas Gesicht abzeichnete. Das Licht überraschte sie in verärgerter Ratlosigkeit, der Schatten stürzte sie in hochkonzentrierten Argwohn. Am Ende ist er ein Fixer. Noch mehr Scheiße, das kommt nicht in Frage; in diesem Haus und diesem Viertel gibt es schon genug Scheiße. Aber er sah nicht aus wie einer dieser Verrückten, die an der Nadel hängen, sondern wie ein gesunder und kräftiger Mann; er sprach leise und war stets sehr sauber gekleidet. Vom benachbarten Zimmer aus hatte sie besorgt gehört, wie oft ihr Gast duschte und dabei das Wasser so ausdauernd auf seinen Körper plätschern ließ, als hätte er vor, ihr Wasserbudget zum Überlaufen zu bringen. Wenn alle Gäste so reinlich wären wie er, müßte sie ihre Pension schließen, allein der Wasserkosten wegen.
Sie trat auf den Balkon hinaus, um welke Blätter von den Geranien zu entfernen, liebevoll über die Efeuranken zu streichen, die aus einer Pflanzschale hingen, und den Anblick der erst vor drei Monaten angebrachten Leuchtreklame zu genießen, die sie als Besitzerin dieser Pension auswies. Ein Leben lang hatte sie dafür gekämpft. Kauf mir ’ne Pension, Pablito! Ich brauch ’ne Pension, mein Busen wird dir nicht ewig gefallen, und wenn er dir nicht mehr gefällt, machst du dich aus dem Staub und kennst mich nicht mehr, und ich kann anschaffen geh’n, als billige alte Kuh! Pablito hatte viel über ihre Altersvorsorge gelacht, doch immer weniger, immer weniger, bis er dieses Asthma bekam und sozusagen im Angesicht des Todes das Geld hergab. Sie bekreuzigte sich und betete ein paar Zeilen aus dem Vaterunser zu Ehren des respektvollsten Liebhabers, den sie gehabt hatte. Du fehlst mir so, Pablito! Du fehlst mir so. Aber er fehlte ihr kein bißchen, wenn sie ehrlich war, und anstrengend genug war es gewesen, sein Elefantengewicht auszuhalten, fast zwanzig Jahre lang; wenn sie sich allerdings vorstellte, wie er tot und allein in seinem Sarg lag, tat er ihr leid, und sie vergoß ein paar Tränen. Von ihrem Balkon aus betrachtete sie die Umgebung, befleckt von der Dämmerung und den endgültigen Schatten der heruntergekommenen Mietshäuser. Drei Animierlokale, ein fossiles Milchgeschäft, zwei Pensionen, ein paar lückenhaft bewohnte Treppenhäuser, wo Südamerikaner, Schwarze aus dem Senegal und alte Leute überlebten, ansonsten nur Gebäude, die vor Alter, Verlassenheit und Vergessen in sich zusammenfielen. Gerne hätte sie ihre Pension im Ensanche eröffnet, aber Pablo mußte auch seine Familie versorgen, und es war schon viel gewesen, daß er an sie gedacht und ihr genug vermacht hatte, um diese beiden Stockwerke in der Calle de San Rafael anständig einzurichten. Der Notar besaß einen schrägen Humor. Er hatte angesichts ihres Busens gelacht und gesagt, sie könne froh sein, daß Señor Pablo Safón so ein altmodischer Kerl gewesen sei.
»Solche Geschenke bekommt in dieser Stadt schon seit dem Eucharistischen Weltkongreß keine Geliebte mehr!«
Sehr witzig. Die streunenden Provinzler und Fünfzigjährigen tauchten aus dem Halbdunkel der Dämmerung auf, um sich unentschlossen vor den Hurenbars zu versammeln. Diese Männer! Du brauchst sie nur am Schniedel zu packen, und du machst mit ihnen, was du willst, und sie gehen zugrunde – und wie sie zugrunde gehen in diesen Zeiten, wo es keine Kontrollen und nichts gibt, wo drogensüchtige Schlampen die Straße beherrschen und dir eine gemeine Krankheit anhängen, die dich fertigmacht. Wie die heruntergekommene, schmutzige Göre dort unten, die, mit tausend Halsketten behängt, auf eigene Rechnung anschaffen geht, die Calle de San Rafael rauf und runter, und den Kerlen einen »literarischen Fick« verspricht.
»Was sagst du zu denen, Kleine?«
»Was geht Sie das an?«
»Ist doch nur Neugier, Mensch!«
»Ob Sie einen literarischen Fick wollen.«
»Und was soll das sein, Kleine?«
»Ein blöder Spruch. Ich weiß schon, was ich sage.«
»Aber die wissen es nicht, Kindchen! Die kommen doch alle vom Dorf oder von der Baustelle, aus Matadepera oder Santa Coloma. Du hast das Gewerbe wohl in Pedralbes gelernt.«
Da war sie wieder, die Göre. Marta hieß sie. Sie hatte versucht, ihr schmutziges Haar in Ordnung zu bringen, Lippenstift aufgelegt und die Wimpern getuscht, was ihren Augen den Reiz wilder, trauertragender Sterne verlieh. Sie tat ihr leid, denn sie war noch schlimmer hinter dem Stoff her als der Teufel hinter der armen Seele, und aus allen Ecken kontrollierte sie ein mieser Zuhälter, der noch fertiger war als sie selbst. Ab und zu sah das Mädchen herauf zur Pension Conchi, scheinbar verärgert über das Aufflammen und Verlöschen der Leuchtreklame, aber auch um nach Doña Concha zu spähen, die die Ellbogen aufs Geländer gestützt hatte. Später würde sie heraufkommen, ein Bocadillo mit Sardinen oder Mortadella verzehren und den kleinen Milchkaffee trinken, den sie bei Doña Concha bekam, wann immer sie wollte.
»Ein Bocadillo und einen Kaffee jederzeit. Von mir bekommt jeder, der es braucht, ein Bocadillo und einen Kaffee. Aber keine Schweinereien!«
Das Mädchen tat ihr leid, so belesen und so elend; sie machte die verkommensten Matrosen auf englisch an und bekam schon einmal von einem vierschrötigen Betrunkenen das Gesicht mit Schlägen tapeziert, weil er meinte, sie mache sich über ihn lustig, als sie zu ihm sagte:
»Caballero, verspüren Sie vielleicht die morbide Neugier, ein paar kleine Brüste zu streicheln, die von violetten Brustwarzen gekrönt sind wie bei den jugendlichen Heldinnen der Fünfziger-Jahre-Romane?«
Der »Caballero« schlug ihr zweimal ins Gesicht. Und dann viermal. Also sechsmal. Der kleine Zuhälter stürzte hysterisch kreischend aus einem Hauseingang, in der Hand ein winziges Stilett von der Sorte, mit der man früher Bleistifte anspitzte. Doña Concha ging hinunter, sagte dem Betrunkenen, sie scheiße auf alle seine Toten, und sagte alles, was eine Frau zu einem vierschrötigen Kerl sagen muß, damit er die Eier als Krawatte um den Hals trägt: Scheißkerl, schwuler Sack, Hurensohn und Faschist. Vor allem der ›Faschist‹ hatte ihn verunsichert und eingeschüchtert, und er war abgezogen wie ein totalitäres und total geschlagenes Heer. Auch im Vollrausch hatte er das Gespür für die Zeitläufte nicht verloren, und die waren nun mal demokratisch. In jener Nacht hatte das mit dem Bocadillo und dem Kaffee begonnen.
»Wenn du nichts ißt, schaffst du’s nicht mal mehr, dir einen Schuß zu setzen!«
Das Argument war überzeugend. Nach dem zweiten Kaffee war das Vertrauen groß genug, um zu fragen:
»Hör mal, hast du Gefühle, wenn dich ein Kerl besteigt?«
»Kommt drauf an; mit Gleitcreme macht’s mir nichts aus, und ohne ist es wie ein Klistier.«
»Was weißt du schon von Klistieren, Mädchen! Zu meiner Zeit bekam man das, wenn man nicht aufgepaßt hatte.«
»Mir haben sie die in der Entziehungskur verpaßt, gegen die Verstopfung.«
»Schöne Art, seinem Beruf nachzugehen! Ich hab auch auf der Straße angefangen, bis ich Pablito und noch zwei, drei andere kennengelernt habe, weil, nur mit Pablito, das reichte nicht für alles. Und dann machte man eben die Beine breit und ließ sie ran, aber ein bißchen Interesse muß man schon zeigen; wenn der Freier nur Gleichgültigkeit in deinem Gesicht sieht, fühlt er sich nicht mehr als Mann, und dann ist Schluß mit lustig und mit dem Trinkgeld, und der Freier ist weg. Zu dir ist bestimmt noch keiner ein zweites Mal gekommen.«
»Weiß ich nicht, ist mir auch egal.«
Dort stand sie, die Göre, und wartete, auf einen unsicheren Kunden und ein sicheres Bocadillo. Machte sich Sorgen um Marçal, ihren scheintoten Zuhälter, den sie in einer Art Barmherzigkeits-Exerzitium mitschleppte. Er lag im Halbschlaf in irgendeinem Hauseingang, im Leib die kalte Hitze der letzten Dosis. Eines Tages würde man auch sie – die Nadel noch in der Ader – tot auf einer Toilette finden, und es würde gewiß nicht die Toilette ihres Zuhauses sein....
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