Schweitzer Fachinformationen
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Zuviel Villa für so wenig Personal. Die Frau, die die Tür zur Straße öffnete, war ihrer Kleidung nach weder das Dienstmädchen noch die Gärtnerin, nicht einmal eine Frau für alles, wirkte jedoch durch die Art, in der sie ihn aufforderte, ihr durch den Garten zu folgen und die Schuhsohlen auf der Fußmatte abzustreifen, als hätte sie die Villa mitsamt der Familie Brando selbst geboren. Sie ging konzentriert, mit gesenktem Kopf, blickte nach links und nach rechts, ob irgend etwas das universelle Gleichgewicht in dem von ihr kontrollierten kleinen Teil des Universums störte, und zeigte keinerlei Interesse an dem Eindringling, der durch diesen Morgen, diesen Garten und das Leben der Brandos gehen würde, ohne daß auch nur sein Name der Erinnerung wert war.
»Wie war doch Ihr Name?«
»Carvalho, Pepe Carvalho.«
Sie ging auf Zehenspitzen über den Fußboden, dessen Säuberung sie so viel Mühe gekostet hatte, und überließ Carvalho seinen Mutmaßungen über die äußeren Erkennungszeichen des Señor Brando. Eine Mischung aus Tradition und preisgekröntem spanischen Design, Möbel vom eigenen oder von fremden Großvätern sowie Belege dafür, daß Barcelona eine der fünftausend Welthauptstädte des Designs ist. Aber vielleicht fehlte es an Harmonie; da war zuviel Sammlerleidenschaft und Wille, einen Geschmack auszustellen, dem das Vergehen der Zeit nichts anhaben konnte. Die Hausangestellte war hinter einer Tür verschwunden und tauchte auf der Schwelle wieder auf, wie die Krankenschwestern in teuren Arztpraxen.
»Wären Sie so freundlich einzutreten?«
Sie ließ ihm den Vortritt und schloß die Tür hinter ihm mit so großer Vorsicht, daß Carvalho aus der Befürchtung heraus, das Holz sei brüchig, mehr Aufmerksamkeit auf ihre Beschaffenheit richtete als auf den Mann, der ihn in der Tiefe seines Büros erwartete. Zu groß für ein privates Arbeitszimmer, wirkte es wie eine Kopie der Büros aller Pseudointellektuellen, die auf diese Weise die Größe ihrer verkannten Begabung demonstrieren wollen. Aus seiner langen Erfahrung als Voyeur von Büros und Klos wußte Carvalho, daß die Pseudointellektuellen auf die einen wie die anderen große Sorgfalt verwenden und bisweilen sogar ungewöhnliche Synthesen aus beiden erzielen, über die noch in keinem Einrichtungsmagazin berichtet wurde.
»Ich bin ein Versager, und meine Frau hat mich vierzehn Tage nach der Hochzeit zum erstenmal verlassen. Aber vor allem anderen gehen Sie bitte auf den Flur hinaus und öffnen Sie ganz plötzlich die zweite Tür links! Vertun Sie sich nicht, die zweite Tür, und ganz plötzlich! Wenn es nicht zuviel verlangt ist, gehen Sie auf Zehenspitzen bis zur Tür und dann, nicht vergessen, ganz plötzlich - zack!«
Er mochte ein Versager sein, aber sein Schreibtisch war ein teures Modell, das Holz der Bücherregale stammte aus einem Luxuswald, und die Lampe war aus hochkarätigem Metall. Mit anderen Worten, er wirkte wie ein solventer Kunde, der sich das Vergnügen leisten konnte, Carvalho zu einem Narren zu machen, der auf Zehenspitzen über einen Flur schleicht und mit Entschiedenheit eine Tür öffnet. Er erfüllte die Anweisungen genau, bis er die Tür erreichte, blieb aber dann stehen und legte sein Ohr an das Holz, das nach Luxusfirnis duftete. Entweder war es eine Hi-Fi-Aufnahme, oder jemand vögelte dort drinnen, mit der Perfektion schwedischer Gymnastik und dem Keuchen von Leuten mit einer Promotion in heimlichen Leidenschaften. Rückzug kam nicht in Frage. Er überwand den falschen Widerstand des vergoldeten Türknaufs und half mit der Schulter nach. Das Mädchen war vom Geschlecht des alten Mannes aufgespießt, der unter ihm lag. Sie war blond, hatte birnenförmige Brüste und schnelle Reflexe, denn sie wandte das Gesicht zur Tür, hörte kurz auf zu keuchen und rief: »Papa! Du bist ein Hurensohn!«
In diesem Moment runzelte der Alte die Stirn, wobei offen blieb, ob er das Gesicht des Eindringlings zu erkennen versuchte oder zu früh zum Orgasmus gekommen war. Carvalho überlegte, sich zu entschuldigen, beschränkte sich jedoch darauf, behutsam die Tür zu schließen und ins Büro dieses Brando zurückzukehren, der ihn in der Gewißheit des Erfolgs seiner Initiative erwartete.
»Was haben Sie gesehen?«
»Ein junges Mädchen .«
»Siebzehn Jahre . Meine Tochter.«
»Sie schlief .«
»Vögelte.«
»Mit einem Herrn, der sich ärgerte.«
»Einem Mann, der ihr Vater sein könnte.«
Brando war zufrieden. Er war weder groß noch klein, weder dick noch dünn, extrovertiert und stolz darauf, die Dinge beim Namen zu nennen, wie die Menschen aus Aragón oder Navarra. Er stammte aus Navarra, wie er bekanntgab, aber sein Familienname sei wohl mitteleuropäischen Ursprungs.
»Brando. Bekannt, nicht? Sehr amüsant, das mit Marlon Brando.«
Ein flüchtiger Moment der Selbstgefälligkeit, um sofort wieder in Melancholie zu versinken.
»Ich bin ein Versager. Meine Frau verließ mich zum erstenmal vierzehn Tage nach der Hochzeit, dann kam sie zurück, wir bekamen einen Sohn, der mir vor kurzem das Geschäft weggenommen hat, und als Dreingabe diese Tochter. Als die Kleine zehn Jahre alt war, verließ mich meine Frau endgültig, für einen Turner, der bei einer Weltmeisterschaft mal den sechsundzwanzigsten Platz belegt hat. Die Ringe waren seine Spezialität. Später stürzte er unglücklich, blieb gelähmt, und meine Frau führt heute ein Fitneßstudio. Das habe ich bis jetzt nicht verstanden. Als wir zusammenlebten, bestand ihr einziger Sport darin, sich die Nägel zu schneiden und Make-up aufzulegen. Mögen Sie Frauen mit viel Make-up?«
Carvalho zuckte die Achseln.
»Sie sind etwa in meinem Alter. Finden Sie nicht auch, daß nichts für das Gesicht einer Frau so gut ist wie Wasser und Seife?«
Es war zwar eine Wiederholung, aber Carvalho zuckte wieder nur die Achseln. Brando erzählte sich jetzt selbst irgend etwas. Die Lippen bewegten sich, aber es war nicht zu hören, was er sagte. An manchen Tagen wird Geduld zur beruflichen Tugend, und so ließ sich Carvalho von den feinsten Weichheiten des eher gesteppten als gepolsterten Sessels einfangen und stimmte sich darauf ein, daß Brando von seiner mentalen Reise zurückkehrte.
»Jeden Morgen kommt das Mädchen in den Anrichteraum, um dort mit ihrer neuesten Eroberung zu frühstükken. Sie paßt genau den Moment ab, in dem ich dort bin, stellt ihn mir vor, zwingt uns zur Unterhaltung und behandelt uns, als seien wir die Männer ihres Lebens. Vor zwei Jahren spielte ich noch den modernen Vater, der alles versteht, und mußte zwei oder drei Jünglinge aus der Abschlußklasse über mich ergehen lassen. Sie war fünfzehn. Als dann die erste Hälfte des neuen Schuljahrs begann, schleppte sie einen von der Sorte an, die Radiodebatten moderieren und in einer Stunde die ganze Galaxie in Ordnung bringen. Ein kleiner Typ mit grauem Bart und katalanischem Akzent. Ich warf sie raus. Monate später kam sie zurück, schwanger, nicht von dem Moderator, sie wußte selbst nicht einmal, von wem. Ich schickte sie mit einer meiner Cousinen nach London. Sie wissen schon, weshalb. Und seit sie wieder hier ist, drücke ich beide Augen zu, plaudere am Frühstückstisch . Aber jetzt geht es um etwas anderes.«
»Meinen Sie den Alten, der mit ihr im Bett liegt?«
»Nein. Der gehört zu den kleineren Übeln. Er ist ein großartiger Mensch und kann zuhören. Er behandelt sie wie ein Vater. Nein, nein, darum geht es nicht. Hoffentlich bleibt er länger bei ihr . Aber ich fürchte, sie benutzt ihn gegen mich. Sooft sie kann, zieht sie gehässige Vergleiche. Alfredo ist genauso alt wie du, Papa, und solche Dinge, die mich kränken. Er nicht. Er ist ein Caballero.«
»Also?«
Die Stunde der Wahrheit war gekommen. Brando wurde traurig, sehr traurig.
»Neulich wurde sie abends bei einer Razzia verhaftet. Die Polizei fahndete nach Ausländern, nach Illegalen ohne Papiere, und sie war dabei. Ich ging und holte sie raus, aber sie wollte mir nicht erklären, was sie dort zu suchen hatte. Die Polizei sagte, man habe beobachtet, wie sie in der Gegend herumlungerte, und sie als Tochter aus gutem Hause eingestuft, die nach einem Dealer sucht . Verstehen Sie? Dabei bin ich absolut sicher, daß sie weder schnupft noch fixt. Daß sie nicht fixt, ist eindeutig, denn ich gehe manchmal, wenn sie sich im Schlaf aufdeckt, in ihr Zimmer, um sie zuzudecken, und schaue mir die Stellen an, wo man die Nadel einsticht. Und daß sie nicht schnupft, ist so sicher, wie ich Brando heiße. Nur wer selbst schnupft, kann beurteilen, ob ein anderer schnupft oder nicht. Ich nehme Kokain, seit ich dreißig bin, allerdings mit Verstand, das ist richtig. Und ich garantiere Ihnen, daß sie nicht schnupft. Es macht mir Sorgen, daß sie sich in diesen Vierteln herumtreibt. Was sucht sie da? Ich wollte Alfredo aushorchen, den Alten, der mit ihr im Bett ist, aber er beklagte sich nur bitterlich über sie, ganz bitterlich. Das...
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