Schweitzer Fachinformationen
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Das Schwerste auf der Welt ist, nur einmal zu leben.
Aber es ist schön hier, der Meinung sind sogar die Geister. Morgens, wenn das Licht diesen Ort mit einem hellbeigen Farbton übergießt, steigen sie als Dunst über dem Roggen jenseits der Gleise auf und wanken auf der Suche nach ihren Namen auf die schwarzen Spitzkegel der Kiefern zu, Namen, die in keines Lebewesens Mund mehr leben. Unsere kleine Stadt erhebt sich auf einer Kruste Land an einem Fluss in New England. Als die urzeitlichen Gletscher schmolzen, wurde das Tal zu einem weltgroßen See, von dem, als er austrocknete, ein silbernes Rinnsal mit Namen Connecticut - Algonquin für langer Tidefluss - blieb. Das Sediment hier ist reich an sämtlichen lebensfördernden Stoffen. Im Näherkommen wird man flankiert von ausgedehnten Flächen daumengroßer Knospen, die leuchtend durch Aprilmatsch schießen. Binnen Monaten bilden diese Setzlinge dichtgedrängte Reihen von breitblättrigem Tabak und Silver-Queen-Mais. Jenseits des Friedhofs, dessen Steine ihre Namen an die Jahre verloren haben, führt eine gedeckte Brücke über ein Bachbett, dessen Erinnerung an Wasser nicht bis in dieses Jahrhundert reicht. Über sie kommt man zu uns. Rechts abbiegen bei Conway's Sugar Shack, entkernt und verrammelt, mit herausgeschlagenen Fenstern, der Slogan auf dem Holzschild - We sweeten soon as the crocus bloom - vom Wind zu Blindenschrift abgeschmirgelt. Im Frühling schäumen die Kirschblüten überall im County auf jedem Flecken Grün, der von Farmen oder Einkaufszentren verschont geblieben ist. Zu verdanken haben wir sie der Gänsescheiße, die seit Jahrhunderten auf diese Gegend niedergeht, wenn der Sommer die hohlen Knochen der Vögel nordwärts lockt.
Unsere Rasen sind von Besenkraut und Quecke überwuchert. Einer davon bietet jedes Frühjahr eine Reihe roter und pinkfarbener Tulpen, die Köpfe durch den Maschendrahtzaun gesteckt, an den sie sich lehnen. Die Veranda nahebei quillt von fahrbaren Kinderspielzeugen über: ein Wagen, Dreiräder, ein Feuerwehrauto, ihre Primärfarben mittlerweile zu österlichen Nuancen verblasst. Eine Milchkiste mit einem vor die Öffnung genagelten Stück altem Reifen als Klappe dient als Briefkasten, aufgestellt auf einer vergammelten Anrichte, auf dem Gummi in weißer Korrekturflüssigkeit die Aufschrift Ramirez 47. Daneben ein Futterhäuschen aus Blech in Form von Bill Clintons Kopf. Aus seinem lächelnden Mund rieseln Samenkörner und prasseln wie verhaltener Applaus jedes Mal, wenn der Fahrtwind des Güterzuges daran rüttelt, der in den unsichtbaren Nachtstunden durch die Gegend rauscht. Obwohl der Zug in unserer Stadt nicht hält, ist seine Pfeife noch drei Meilen entfernt in jedem Wohnzimmer zu hören. Eigentlich hält hier nichts außer uns. Hartford, die auf Versicherungsfirmen, Schusswaffen und Klinikbedarf, Bürokratien von Tod und Katastrophe gebaute Hauptstadt, liegt nur zwölf Minuten Autofahrt entfernt, und alle rasen auf dem Highway an uns vorbei, entweder auf dem Weg dorthin oder so schnell wie möglich von dort weg. Wir sind der verschwommene Fleck in den Fenstern eurer Züge und Minivans, eurer Greyhound-Busse, unsere Gesichter von Wind und Geschwindigkeit deformiert wie ausrangierte Munch-Gemälde. Das Einzige, was wir mit der Stadt teilen, sind die Krankenwagen, denn wir sind Hartford so nahe, dass sie uns holen kommen, wenn wir kurz vorm Sterben sind oder ohne nächsten Verwandten auf fahrbaren Krankentragen davonrattern. Wir leben an den Rändern, doch wir sterben im Herzen des Staates. Wir zahlen Steuern auf jede Rechnung, um auf den sinkenden Ufern eines Flusses zu stehen, der dabei ist, zur Totenkammer unserer Träume zu werden.
Die Schlaglöcher auf unseren Nebenstraßen sind so breit und tief, dass noch Tage nach einem sommerlichen Platzregen Elritzen in den grün-klaren Lachen umherflitzen. Und aus dem Dunkel einer unbeleuchteten Veranda durchschneidet jemandes Lachen so rasch die Luft, dass es auch ein unterdrücktes Schluchzen sein könnte. Die von Goldrute flankierte, beigebraune Bude ist der WWII Club, eine Bar mit drei Hockern und einem holzgetäfelten Automaten, der nur mit Marlboro und Honey Buns bestückt ist. Gegenüber liegen Reihenhäuser aus Ziegelstein. Ursprünglich für die Arbeiter der Papierfabrik in der Jennings Road gebaut, beherbergen sie mittlerweile Veteranen, die von sämtlichen nur denkbaren Schlachtfeldern nach Hause kommen, um auf Plastikgartenstühlen zu sitzen und auf den Bergkamm zu starren, ehe sie in verqualmte Zimmer zurückschlurfen, wo kleine Fernseher, so groß wie Menschentorsos, sie in Schlaf lullen.
Sieh nur, wie die nachtsüber von Staren geschwärzten Birken jäh zerbersten, wenn die ersten Funken der Dämmerung deren Schnäbel berühren. Wie die letzten Grillen durch Nebel singen, der auf Weiden mit dem beißenden Geruch von frisch ausgebrachtem Dung liegt. Im August sind die Bahngleise so heiß, dass einem der Gummi an den Schuhsohlen schmelzen würde, ginge man länger als eine Minute darauf entlang. Trotz dieser Hitze wächst alles Grün, als gelte es, die Winterödnis wiedergutzumachen, üppiges Moos zwischen den hölzernen Schwellen, sodass es bei einem bestimmten Einfallswinkel von sattem Licht wie Algen wirkt, als wäre die Gletscherflut über Nacht wiedergekehrt und wir wären endgültig geworden, was zu werden uns schon immer bestimmt war: biblisch.
Folge den Gleisen bis zu einer Abzweigung, die sich in zertretenem Unkraut verliert, einem Pfad, der zu einem Schrottplatz voller Schulbusse in unterschiedlichen Stadien von Amnesie führt, einige davon so alt, dass sie nicht mehr gelb sind, sondern grau wie Schiffswracks dastehen. Von Efeu überwuchert, auf den eingedellten Motorhauben kleine Ansammlungen von verdorrtem Laub, sind sie Relikte unseres Irrwegs. Geh über diesen Platz - wie es manche auf dem Nachhauseweg von der Nachtschicht bei Myers, der Sockenfabrik, oder beim ziellosen Umherstreifen an Sonntagnachmittagen, allein mit ihren Gedanken, getan haben -, und du durchquerst Generationen von Fernweh, eingebrannt in Kunstledersitze. Am anderen Ende des Grundstücks liegt die vor einer Woche geborgene Abwrackkarre, die Augenhöhle gefüllt mit warmem Coca-Cola, das Werk eines Jungen, der sein Getränk auf dem Heimweg von der Schule aus Langeweile in dieses endlose Dunkel blinder Blicke geschüttet hat.
Wenn man auf Gladness zielt und es verfehlt, findet man uns. Denn wir heißen East Gladness. Gladness selbst gibt es nicht mehr, es wurde vor fast hundert Jahren in Millsap umbenannt, nach Tony Millsap, dem Jungen, der ohne Gliedmaßen aus dem Großen Krieg zurückkehrte und zum Helden wurde - lebender Beweis, dass man in diesem Land fast alles von sich verlieren und trotzdem eine ganze Stadt gewinnen kann. Eine Handvoll von uns wollte East Millsap werden, um sich in seinem Glanz zu sonnen und Kundschaft anzulocken, aber wir anderen waren zu stolz, um uns nach einem Jungen zu benennen, dessen Rollstuhl niemals über unsere Bürgersteige glitt.
Der Winter dauert sieben Monate und beginnt Ende September, wenn auf dem Rasen vor dem Courthouse und auf den Motorhauben der an den Straßen geparkten Autos der Frost glitzert. Während Ahorne, Pappeln und Sassafrasbäume hin und her schwanken, sickert das Licht bernsteinfarben durch ihr schwindendes Laub. Sogar der Spitzturm der Lutheranerkirche wechselt bis Mittag von Taubengrau zum Farbton tagealter Butter.
Wir sind zwar skeptisch, aber nicht ohne handfeste Hoffnungen.
Unter alldem leuchtet unsere Hauptstraße von ihren beiden irischen Pubs, einem Diner, einem Blumenladen, dem God-First-Schönheitssalon, dem Panda Gate China Wok, einem Loch von Taco-Restaurant ohne Namen, einem Beerdigungsinstitut, zum Trost für die mit seiner Bestimmung verbundenen Heimsuchungen himmelblau gestrichen, einem Waschsalon, dessen Hintereingang in einen Keller führt, der genau drei Pornokabinen mit Münzeinwurf beherbergt. Zwei Häuser weiter findet sich die American Legion, wo man jeden Freitag unter einer windgeschüttelten Plane Kaffee und Kürbisbrotscheiben in Frischhaltefolie verkauft. Es gibt die Rechtsberatung für die in der Landwirtschaft beschäftigten Wanderarbeiter, hinter dem YMCA, der im vergangenen Jahr in einem seiner Seitenflügel endlich eine Fixerstube eingerichtet hat. Dann ist da noch die riesige viktorianische Villa Ecke Lilac und Main. Zuhause unseres ersten...
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