Schweitzer Fachinformationen
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»Wenn du's nur sehen könntest!«, rief Jenica, ließ sich auf den Stuhl fallen und meinte, auf diese Weise alle Fragen beantwortet zu haben.
Er kauerte etwas niedergeschlagen da, die Jacke aufgeknöpft und den Schal lose um den Hals. Seine Mutter beugte ihn in die eine Richtung, dann in die andere, um ihm vorsichtig, und als hätte sie ein zerbrechliches Paket auszupacken, die Jacke auszuziehen. Er nistete sich in die diskreten Umarmungen ein, die das Auskleiden mit sich brachte. Seine Mutter hängte die Jacke auf den Bügel, pflückte zwei vermeintliche Flusen von den Schultern und strich glättend mit der Hand darüber. Und sie tat dies mit der gleichen Zärtlichkeit wie vorhin, als die Jacke die herabhängenden Schultern und den rundlichen Bauch ihres Sohnes umfangen hatte. Dann, die Hände in die Hüften gestemmt, schaute sie, wie er so kraft- und spannungslos dahockte.
»Was sollte ich sehen?«, fragte sie und gab ihm zu verstehen, dass sie sich nach der Mühe des Auspackens nicht mit so wenig zufrieden gab.
»So weit das Auge reicht«, antwortete Jenica und gab ihr zu verstehen, dass jede Antwort unzureichend sein und bleiben müsse.
»Du arbeitest zu viel«, beschloss seine Mutter angesichts dieser verquälten Antwort. »Du müsstest dir ein paar Urlaubstage nehmen. Und was soll's, wenn jetzt Herbst ist?«, kam sie einer unausgesprochenen Frage zuvor. »Auch jetzt gibt es schöne Dinge zu sehen; schau, beispielsweise in Slanic oder in Olanesti oder Sovata, wo ich mit deinem Vater früher hingefahren bin, Gott hab ihn selig. Alle Welt will immer nur ans Meer, um dort übermütig herumzutollen! Das ist keine Erholung, da kehrst du erschöpfter zurück, als du hingefahren bist.«
»Heute habe ich echt gearbeitet«, flüsterte Jenica mit niedergeschlagenem Blick, und er hatte dabei weder die ausgeleierten Galoschen des Alten noch die rundlichen Ferkelfinger der Frau vor Augen, wie sie die Falten ihres Rocks zusammenrafften. »Ich hab gearbeitet«, wiederholte Jenica, »aber es war nicht umsonst.«
»Die müssten dir eine Prämie zukommen lassen«, und dabei strich ihm die Mutter ein paar Strähnen auf dem Kopf glatt, der allmählich kahl zu werden begann. »Die haben dich nicht verdient .«
»Erklär denen das mal .«, sagte Jenica, aber ohne damit irgendeine Absicht zu verbinden. Und damit die Dinge möglichst verworren aussähen, fügte er hinzu: »Denen steht der Sinn nur nach Gewinn.«
»Siehst du denn nicht, wie die Welt von heute aussieht?«, stand ihm die Mutter bei. »Alle rennen dem Geld hinterher, wie der Esel nach dem Hafer. Früher war es besser, alle haben das Gleiche verdient, man konnte die Leute nur aufgrund ihrer Erziehung unterscheiden. Auch las man mal ein Buch, ging ins Kino.« Dann, unvermittelt: »Sag bloß nicht, du hast schon gegessen, denn dann kannst du was erleben!«
»Ich hab einen solchen Hunger, dass ich kaum mehr aus den Augen schauen kann«, sagte Jenica schnell, aber ohne große Überzeugungskraft.
Sie packte ihn am Kinn. Und Jenica sah sich genötigt, den Blick vom Boden abzuwenden und auf die erbarmungslosen Augen seiner Mutter zu richten.
»Du sollst nicht all das blöde Zeug aus den Konserven essen«, sagte sie. »Sei bloß still«, warnte sie ihn, obwohl Jenica keinerlei Versuch unternommen hatte, sich zu rechtfertigen. »Ich will nichts hören! Konserven sind für die Erbarmungswürdigen, die nicht mehr über eine auf sie wartende Frauen- oder Mutterseele verfügen. Früher war ein Mahl ein Mahl, es gab eine Ordnung. Jetzt essen alle, wo es sich eben trifft, und dann wischen sie noch mit einem Stück Brot in dem verrosteten Konservenblech rum, um sich zu vergewissern, dass sie auch alles Gift hinuntergeschluckt haben.« Sie lächelte mysteriös: »Ich habe dir dein Lieblingsgericht zubereitet.«
Jenica konnte nur mit Mühe zustimmen, schließlich befand sich sein Kinn noch immer zwischen den Fingern seiner Mutter. Aber er hatte die Geistesgegenwart, nichts zu sagen, denn das angebliche Lieblingsgericht war jeden Tag ein anderes.
»Los«, sagte sie und tätschelte ihm die Wange. »Geh ins Bad, wasch dir die Hände und das Gesicht, damit die Sorgen der Außenwelt von dir abfallen.«
Jenica nickte zustimmend und ging, die Stirn gebeugt, ins Bad. Die ersten Gesprächsminuten mit seiner Mutter hatten ihn vollends erschöpft. Danach sollten sich die Dinge einfacher gestalten.
Er stand stocksteif da, den Blick in den Spiegel versenkt, und versuchte, sich mit dem eigenen Anblick vertraut zu machen. Er wandte das Gesicht mal nach rechts und mal nach links, berührte seine Wangen mit den Fingerspitzen, doch es half ihm nicht weiter. Die Person im Spiegel kam ihm nicht vertraut vor, und der forschende Blick des anderen ließ ihn vermuten, dass auch er ihm nicht sonderlich vertraut war. Beide schauten sie sich mit einer gewissen Enttäuschung an. Sie rührte von den schlaffen Wangen her, die von den Knochen darunter nicht mehr gestrafft wurden, von den tiefen Kerben, welche die Mundwinkel halbmondförmig herabhängen ließen, vom Doppelkinn, vom schütteren Haar auf der Schädeldecke, das ihm über die abstehenden Ohren hing. Er rieb sich das Gesicht lange mit Seife ein, versenkte es in den Handflächen, aber seine Haut glättete sich nicht. Er lächelte nachsichtig, und der im Spiegel stand ihm darin in nichts nach. Sie hatten sich anzufreunden begonnen, ohne dass dies ihren Gemütszustand wesentlich verbessert hätte. Und deshalb waren sie gleichermaßen beunruhigt, als sie hörten, wie an die Tür geklopft wurde.
»Was hast du, mein Heuschreck, ist dir schlecht?«, wollte ihm die Mutter auf der anderen Seite der Tür beistehen. »Wenn du einen verschlossenen Darm hast, weiche ich dir ein paar Trockenpflaumen ein.«
Jenica hatte sich unter den Kose-Heuschrecks gewunden, mit denen ihn seine Mutter bis zur Einschulung traktiert hatte. Er schüttelte den Kopf. Die in Wasser eingeweichten Pflaumen entsetzen ihn noch mehr als das Spitzenzeug und die Troddeln und Quasten, unter denen er auf seinen Kindheitsfotos kaum mehr zu erkennen war.
»Ich habe nichts«, sagte er, und ging ebenso langsam zurück an den Tisch. »Ich war heute sogar schon zweimal draußen .«
»Und wie war es?«, beharrte seine Mutter.
»Samtig .«, antwortete er und versuchte sich die glitschigen, vom Wasser aufgequollenen und vormals runzlig gewesenen Pflaumen aus dem Kopf zu verbannen.
»Bravo«, freute sich seine Mutter, »das ist das Wichtigste.«
Sie kam mit dem vollen Teller heran, stellte ihn stolz vor ihn hin und wartete auf seine Reaktion. Er schaute verschreckt und beklommen, bloß jetzt nichts Falsches sagen. Also stocherte er mit dem Löffel herum, bis sich etliche Stücke aus dem Inneren des Gebräus gezeigt hatten. Und ihm war, als hätte er eine Vorahnung gehabt.
»Nun«, fragte die Frau und beugte sich vor, als wollte sie die warmen Dämpfe einatmen.
»Linsensuppe«, stammelte er und begriff, dass es keinen Ausweg mehr gab.
»Mit Sellerie«, präzisierte seine Mutter, als er ein größeres Stück auf dem Löffel hatte.
Dann unterbrach sie ihn nicht mehr. Sie achtete bloß aufmerksam auf die Einzelheiten und reichte ihm prompt, was er hin und wieder zu brauchen schien, also das Salz, eine weitere Scheibe Brot, das Wasserglas und die eingelegte Gurke, die sie in einem Schüsselchen für ihn aufgeschnitten hatte.
»Tunk gut aus«, sagte sie schließlich, und Jenica nahm ein Stück Brot und brachte damit den Tellerboden zum Glänzen, worauf er den Teller von sich und in die Mitte des Tisches schob, womit er zu verstehen gab, dass er das Abendessen für beendet hielt. Aber dieses Argument erwies sich als nicht ausreichend.
»Magst du noch«, fragte seine Mutter.
Jenica lehnte ab, schob den Teller noch ein paar Zentimeter von sich weg und konnte sein Verlangen nach den Bohnen mit Eisbein beim alten Coropciuc kaum unterdrücken.
»Macht nichts«, befand seine Mutter. »Da bleibt noch was für morgen.« Ohnehin der letzte Tag, dachte Jenica resigniert.
»Also, was willst du sagen?«, begann seine Mutter einen ihrer imaginären Dialoge. »Dass du morgen Abend nicht zum Essen kommst? Fang bloß nicht wieder mit solchen Sachen an!«
»Mal sehen, was die Jungs sagen .«, versuchte es Jenica und schaute verstohlen zum Topf mit der Linsensuppe auf dem Gasherd. »Wir reden halt auch mal . Und morgen wird es wirklich etwas zu bereden geben.«
»Du machst mich fertig mit diesen Jungs!«, zeterte seine Mutter und schepperte mit den Tellern im Abwaschbecken. »Mir nichts, dir nichts, weg zu den Jungs! Haltlose, aufgeplusterte Bengel.«
Sie drehte sich um zu ihrem Sohn, der den Kopf zwischen die Schultern eingezogen dasaß, weshalb ihm der Kropf über dem wie ein Lätzchen aussehenden Hemdkragen angeschwollen war. Und trotz seines Schweigens sagte sie in dieses hinein:
»Sei du still! Verteidige sie nicht mehr, denn sie sind es nicht wert. Auch sie hätten sich bis jetzt irgendwie häuslich niederlassen können und nicht herumstreunen müssen. Ich rede nicht von dir, was hast du bloß? Du...
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