Leich-Zeit
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Glühwurm: Herrschaften da is irgendwas ziemlich schiefgelaufen!!!
Peter 69: Wir sitzen richtig in der Scheiße!
Glühwurm: Was denn für Scheiße?
Peter 69: ganz grosse scheisse!!!
*
Kolonat Schleycher startete seinen zweiten Versuch. Nachdem gestern Abend das Licht und der Ton ausgefallen waren und er sich erst mal zum Affen der Partei gemacht hatte, würde heute hoffentlich nichts mehr schiefgehen. Mit dem Manuskript seiner Rede fest in der Hand schritt er zum Rednerpult. Die Fraktion war noch immer ziemlich erheitert, und er hatte heute Morgen beim Frühstück mehr als genügend dumme Sprüche zum Thema »Herrgott und die plötzliche Dunkelheit« über sich ergehen lassen müssen. Aber er ertrug sie mit Fassung. Schließlich war er jetzt Minister und mit einer gewissen Gelassenheit gesegnet. Zumindest erwartete man das von ihm, und er hatte nicht vor, sich von einem lächerlichen Stromausfall aus der Fassung bringen zu lassen. Dass es mit seinem Nervenkostüm im Moment nicht zum Besten stand, brauchte ja keiner zu wissen.
Am Rednerpult klopfte er lieber noch mal gegen das Mikrofon, was sofortiges allgemeines Gelächter auslöste. Schleycher konzentrierte sich. Der Boden war bereitet, nun konnte er mit dem Säen beginnen. Das biblische Bild gefiel ihm gut, und mit ihm kehrten die Ruhe und das Selbstbewusstsein wieder in ihn zurück.
»Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen der Fraktion. Ich hoffe, dass mit Gottes Hilfe diese Rede ohne Energieausfälle gehalten werden kann.« Wieder Lacher. Die Fraktion war wirklich ein Kindergarten. »Ich möchte deswegen auch ohne weitere Umschweife mit dem Kern und wichtigsten Punkt meiner Legislaturperiode beginnen. Wie ich gestern schon kurz erwähnte, ist es oft nicht möglich, in der Politik allen Bedürfnissen der Menschen gerecht zu werden und ihre Wünsche zu befriedigen.«
An der rückwärtigen Seite des Saals hatte sich die Tür geöffnet, und die Staatssekretärin aus dem Umweltministerium huschte herein. So unauffällig wie möglich drückte sie sich an der Seite der aufgestellten Stuhlreihen vorbei. Schleycher bemerkte, dass sie ziemlich blass aussah. Trotzdem fuhr er unbeirrt fort: »Deswegen, liebe Freunde, werde ich heute etwas vorstellen, das .«
Doch dann hatte Gabriele Haier das Rednerpult erreicht. Ihr Blick verriet eine Angelegenheit von außerordentlicher Dringlichkeit. Sein erster Auftritt vor der Fraktion in Banz schien wirklich unter keinem guten Stern zu stehen. Wehe, drohte Schleycher der Staatssekretärin in Gedanken, wehe, das ist nicht wichtig.
»Entschuldigung, ich glaube, ich muss eine kurze Pause einlegen .«, unterbrach er seine Rede und drehte das Mikro von sich weg. Dann zischte er sie an: »Ich hoffe wirklich, du hast einen guten Grund, mich hier zu unterbrechen, Gabi.«
»Ja, den hab ich allerdings«, flüsterte sie zurück.
Die weitere Unterhaltung stellte sich für die versammelte CSU-Fraktion so dar, dass der Umweltminister die Botschaft seiner Staatssekretärin wortlos zur Kenntnis nahm und anschließend ohne äußerliche Regung bekannt gab, dass er seine Rede leider erneut vertagen müsse. Es sei etwas Persönliches geschehen, das keinen Aufschub dulde. Er bat nochmals um Entschuldigung und verließ so gemessen wie möglich den Raum. Gabi Haier folgte ihm eilig. Nur ein wirklich enger Vertrauter hätte bemerkt, dass in Umweltminister Schleycher ein Chaos wütete.
*
Als Kommissar Haderlein am Tatort in Kemmern eintraf, hatte die Bamberger Landpolizei bereits alles aufgeboten, was ihr zur Verfügung stand. Die Einstiegsstelle der Bootsfahrer war weit um die Kemmerner Brücke herum abgesperrt, und die Beamten hatten bereits mit etlichen Schaulustigen zu kämpfen, die sich das Spektakel nicht entgehen lassen wollten. Auch sein »Lieblingsreporter« von der lokalen Presse war natürlich schon anwesend und schoss ganze Bilderserien vom Tatort, so er ihn einsehen konnte. Unten an der Brücke durchkämmten die Herren der Spurensicherung das Gelände, und auf dem Main patrouillierte ein Boot der Wasserwacht. Aber wo zum Teufel blieb Lagerfeld? Er war doch vor ihm losgefahren.
Haderlein parkte seinen Fiat auf einer Wiese am nahe gelegenen Sportgelände und befahl Riemenschneider, ruhig auf der Rückbank sitzen zu bleiben. Das Ferkel ergab sich sang- und klanglos seinem Schicksal, und der Kommissar schritt den Abhang zum Pegelpfeiler hinunter. Dabei entdeckte er auch Lagerfeld, der mit einer Flasche Sekt und ein paar Gläsern in der Hand recht lässig am Brückensockel lehnte. Der Kriminalhauptkommissar schüttelte verständnislos den Kopf. Zwei Meter weiter sah er eine männliche Leiche, die mit dem Kopf im Wasser hängend am Pegelpfahl festgebunden war. Er wühlte sich durch die kontinuierlich anwachsende Menschenmenge und näherte sich seinem Kollegen. Als Lagerfeld ihn erblickte, kam er strahlend mit der Sektflasche und den Gläsern auf ihn zu.
»Was soll das denn werden, Lagerfeld?«, erkundigte sich Haderlein schroff. »Ist das hier die versteckte Kamera oder so was Ähnliches? Wenn ja, werde ich Sie gleich neben dieser Attrappe da im Main versenken. Lagerfeld?«
Doch der junge Kommissar ließ sich nicht beirren und strahlte weiterhin ausgesprochen gute Laune aus. »Kaa Sorche, Chef, die Leiche is echt. Und zwar Ihre fünfzigste. Herzlichen Glückwunsch, Chef. Des is a runda Sach. Ich hab mer gedachd, da könnerd ich mit Ihnen amal a weng anstoßen. Wechen dem Jubiläum.« Und mit der Erklärung ließ er den bereits vorsorglich gelockerten Korken mit lautem Knall in den Main fliegen. Das Publikum fuhr erschrocken auf, der Sekt quoll über, und Lagerfeld begann eifrig, die Gläser zu füllen.
Die Augen von Kommissar Haderlein bohrten sich wie glühende Lanzen in die seines untergebenen Kollegen. »Lagerfeld, hören Sie sofort mit dem Blödsinn auf!«, herrschte er ihn an. »Wenn Sie dieses absonderliche Fest schon unbedingt mit mir feiern möchten, dann nicht in aller Öffentlichkeit. Haben Sie mich verstanden?« Nebenan wurden von der Presse bereits die ersten Fotos des Sektempfanges geschossen.
»Wie Sie wolln, Chef. Ich hab's ja bloß gud gemaant«, maulte Lagerfeld und verkroch sich beleidigt mit der Flasche zur Spusi unter die Brücke, doch auch die Spurensicherer lehnten dankend seinen Sekt ab. Frustriert rauchte er erst mal eine Zigarette. Sollten diese Miesepeter doch sehen, wie sie ohne ihn klarkämen.
Der Hauptkommissar begab sich zum Pegelpfeiler. Sein Kollege trieb ihn noch in den Wahnsinn. Bei dem Gedanken, dass Lagerfeld irgendwann seinen Job bei der Bamberger Dienstelle übernehmen würde, schauderte es ihn manchmal. Eigentlich hieß der junge Kommissar gar nicht so, sondern hatte einen ganz banalen Namen: Bernd Schmitt. Aber weil er seine dünnen Haare hinten zu einem idiotischen Zopf zusammenzubinden und vorne eine dicke, dunkle Sonnenbrille zu tragen pflegte, wurde er schon immer wie der große Modeschöpfer genannt. Haderlein fand die Erscheinung absolut lächerlich, aber sein Kollege stand drauf. Das Outfit hatte sogar schon eine Dienstaufsichtsbeschwerde nach sich gezogen - allerdings ohne Konsequenz. Weder die Form der Haartracht noch die Gestaltung von Sonnenbrillen im Dienst war klar geregelt. Also war Lagerfeld eben Lagerfeld geblieben. Man konnte von ihm halten, was man wollte, im Grunde seines Herzens war er eine Seele von Mensch und ein Tollpatsch. Auch wenn ein Fettnapf nur zu ahnen war, Lagerfeld, so viel war sicher, würde ihn finden und darin versinken. Er fand sogar dort Fettnäpfe, wo für Normalmenschen keine waren. Lagerfeld war der typische Mann fürs Grobe, und wenn's um fränkische Spezifikationen ging, geradezu unersetzlich. Eigentlich war er ein wirklich guter und engagierter Kriminalbeamter, aber eben manchmal etwas sehr direkt und vor allem sehr fränkisch.
»Dürfte ich mal die Erkenntnisse der Spusi vermelden, wenn's recht wäre?«, holte eine Stimme Haderlein aus seinen Gedanken zurück.
»Ja natürlich, schießen Sie los«, gab er schleunigst zurück. Vor ihm stand der diensthabende Beamte Ruckdeschl der Abteilung »Big Brother«, wie sie im internen Jargon genannt wurde. Heute war er etwas undezent in Neopren gekleidet, als Accessoires fungierten die typischen Tauchgeräte. Während er die Aluminiumflasche ablegte, wanderte sein ungemütlicher Blick hektisch zwischen ihm und Lagerfeld hin und her. Haderlein vermutete, dass die Spurensicherung die Idee mit dem Sekt nicht gutgeheißen hatte.
»Also, unsere wertvollen Erkenntnisse sind eigentlich ziemlich schnell erzählt, wenn nicht wieder kleinere Festivitäten den Ablauf stören«, krähte er Haderlein angriffslustig entgegen, zog ihn unauffällig, aber bestimmt auf die Seite und bedeutete ihm, direkt am Ufer stehen zu bleiben. »Also«, wiederholte Ruckdeschl seinen schwergewichtigen Satzanfang und fuchtelte mit dem rechten Arm unbestimmt in Richtung Pegelpfeilerleiche, während seine Augen unruhig über die Notizen flogen, die eine knappe DIN-A4-Seite bedeckten. »Also, die Leiche ist männlich und irgendwas um die fünfundvierzig Jahre alt, würde ich sagen. Todeszeitpunkt würde ich mal auf Mitternacht plus/minus zwei Stunden festlegen. Ohne der Autopsie vorgreifen zu wollen, tippe ich mal zu neunundneunzig Prozent auf Ertrinken.«
»Sakrament, ist der aber schwer!«, wurde er zwischenzeitlich von den restlichen Mannen der Spusi unterbrochen, die mit tatkräftiger Hilfe Lagerfelds die Leiche ins Trockene zogen und sie vorsichtig ins Ufergras betteten.
»Schauen wir uns den Gegenstand...