KAPITEL II
AUF DER UNIVERSITÄT
Inhaltsverzeichnis 1835-1841
Am 17. Oktober 1835 wurde Karl Marx als studiosus iuris ander Universität Bonn immatrikuliert, und seine ersten beiden Semester hat er an der seit 1818 wieder eingerichteten schöngelegenen Hochschule am Rhein zugebracht. Nach seinem ersten Briefe zu urteilen, kam dem angehenden Studiosen der Anfang seiner Studien angenehm und leicht vor und vermochte er, im Unterschiede von der Berliner Zeit, sogar seinem Berufsfach "Geschmack abzugewinnen". Von den ursprünglich beabsichtigten neun (!) Kollegien hat er dann doch ein Drittel gestrichen, denn nach Ausweis seines Abgangszeugnisses vom 22. August 1836 hörte er in seinem ersten Bonner Semester Enzyklopädie der Rechtswissenschaft, Institutionen und Geschichte des römischen Rechts "sehr fleißig und aufmerksam", von nichtjuristischen Vorlesungen bei August Wilhelm von Schlegel "Fragen über Homer", bei Professor d'Alton Neuere Kunstgeschichte und "mit vorzüglichem Fleiß und Aufmerksamkeit Mythologie der Griechen und Römer". Dazu kamen im Sommersemester 1836 von juristischen Vorlesungen: Deutsche Rechtsgeschichte, Europäisches Völkerrecht und Naturrecht, außerdem, wohl infolge seiner dichterischen Neigungen, Elegien des Properz bei Schlegel. Es gefiel dem Vater natürlich besser, daß der Sohn ein "Kränzchen" besuchte, als die Kneipe. Auch muß Karl zeitweise wohl übermäßig studiert haben, worauf auch der Umstand schließen läßt, daß er sich von dem gesandten Gelde viele Bücher, besonders "große Geschichtswerke", anschaffte; wenigstens warnt ihn der besorgte, überhaupt in seinen Briefen gern etwas moralisierende Vater davor, ebenso wie vor vielem Trinken und Rauchen, was der Gesundheit schade. Von seinen Lehrern gefiel ihm besonders gut der Rechtshistoriker Professor Walter.
Indessen muß der junge Student in der rheinischen alma mater wohl auch gelegentlich einmal etwas in Saus und Braus gelebt haben. Denn nach dem erwähnten Abgangszeugnis hat der angebliche bloße "Geistesmensch" sogar einmal wegen - "nächtlichen ruhestörenden Lärmens und Trunkenheit" eine eintägige Karzerstrafe bekommen. Dagegen ist der gefürchtete spätere "Verschwörer" weder zu Bonn noch später zu Berlin in den Verdacht gekommen (worüber damals eine besondere Bemerkung in das Abgangszeugnis aufzunehmen war), einer "verbotenen Verbindung unter Studierenden" angehört zu haben. Nur sei er angezeigt worden, daß er "verbotene Waffen in Köln getragen" habe: "die Untersuchung schwebt noch". Wir wissen sonst nichts davon. Ob er sich einmal duelliert hat? Der Vater schreibt ihm im Mai oder Juni 1836 einmal: "Ist denn das Duellieren so sehr mit der Philosophie verwebt?" Später hat er, als Lassalle ihn im Juni 1858 in seinem Streithandel mit Fabrize um seine Meinung gefragt hatte, in Übereinstimmung mit Engels und Wilhelm Wolff, das Duell an sich für die "Reliquie einer vergangenen Kulturstufe" und für "reine Farce" erklärt, wenn es "aus Höflichkeit gegen die sogenannte öffentliche Meinung" stattfindet, die ja im Grunde nur die Anmaßung einer "duellfähigen Clique" sei. Dagegen gibt er zu, daß Individuen "in solch unerträgliche Kollisionen miteinander geraten können, daß ihnen das Duell als einzige Lösung erscheint" (Marx an Lassalle, io. Juni 1858).
Daneben hat sich der spätere große Nationalökonom und Politiker als junger Student ausgiebig in - Poesie versucht, und zwar, dem Zeitgeist entsprechend, in romantischer Lyrik. Leider sind die schon 1836 fertiggestellten drei ziemlich dicken Gedichthefte, die in der Familie Marx aufgehoben wurden, inzwischen nach dem Berichte Rjasanovs in der neuen Gesamtausgabe von dem Enkel Jean Longuet an einen Unbekannten verliehen worden und seitdem verschollen. Wir besitzen darüber, abgesehen von zwei besonders abgedruckten, die später noch erwähnt werden sollen, nur die Notizen Mehrings, der sie sich leihweise von Marx' Tochter Laura La-fargue hatte schicken lassen, in seiner Nachlaßausgabe von 1902 (Bd. I). Danach sind es "romantische Harfenklänge", darunter "ein Lied der Elfen, ein Lied der Gnomen, ein Sang der Sirenen, Lieder an die Sterne, Glöckners Turmlied, des Sängers letztes Lied, das bleiche Mädchen, der Knabe und das Mägdlein, ein Balladenzyklus von Alboin und Rosamunde" und anderes der Art. Karl hat sogar anfangs an Drucken derselben gedacht, obwohl der treue Vater ihn vor dem Schicksal eines "gemeinen Poetleins" warnte; aber er hat auch bereits nach einem Jahre, in seinem großen Bekenntnisbriefe vom 10. November 1837, selbst darüber in sehr verständiger Selbstkritik mit den Worten geurteilt: "Alles Wirkliche verschwimmt und alles Verschwimmende findet keine Grenze, breit und formlos geschlagenes Gefühl, nichts Naturhaftes, alles aus dem Monde konstruiert, rhetorische Reflektionen statt poetischer Stimmungen". Und gar aus seinem späteren Leben berichtete die Tochter Laura dem Freunde Mehring: "Ich muß Ihnen sagen, daß mein Vater diese Verse sehr respektlos behandelt hat; allemal, wenn meine Eltern darauf zu sprechen kamen, lachten sie herzlich über diese Jugendtorheiten. "
Mit diesem glühenden Hang des Siebzehn- bis Achtzehnjährigen zu einer ziemlich formlosen Poeterei aber war ganz natürlich eine gewisse "Genialität", d. h. Unordnung in der äußeren Lebensführung, mindestens in der von dem gestrengen Vater verlangten Rechnungslegung verbunden. "Deine Rechnung ist a la Carl, ohne Zusammenhang, ohne Resultat, . . . man fordert auch von einem Gelehrten Ordnung, besonders aber von einem praktischen Juristen", so heißt es in einem Brief aus dem Winter 1835/36. Und warum die von ihm erwähnte Reise nicht unter den Ausgaben figuriere? "Du hast Dich doch hoffentlich nicht mit Fechten durchgeschlagen?" Im ganzen hatte er dem Sohne im Laufe des Semesters 160 Taler gegeben; das sei aber auch für ihn das "nec plus ultra", andere kämen mit weniger aus. Auch seinen "Studienplan" habe er noch nicht mitgeteilt. Übrigens war der Sohn auch eine Zeitlang unwohl gewesen und erhielt deshalb von der besorgten Mutter ein ganzes Bündel gutgemeinter und verständiger Ratschläge. Er wird zu Ende des ersten Semesters (am 19. März 1836) "mit Sehnsucht" von "allen" zurückerwartet.
In jener obenerwähnten Selbstkritik seiner Gedichte wollte er ihnen wenigstens "eine gewisse Wärme der Empfindung und Ringen nach Schwung" zusprechen. Solche Vorzüge zeichneten, nach den von Mehring a. a. O. S. 27f. gegebenen Proben, namentlich die Liebeslieder aus. Diese aber waren gerichtet an seine Jugendgespielin. Ende Herbst 1836 widmete er von Berlin aus alle drei Hefte, das "Buch der Lieder" wie das "Buch der Liebe" seiner "teuren, ewiggeliebten Jenny v. Westphalen". Denn nicht bloß der dichtenden Romantik hat der achtzehnjährige Student seinen Zoll bezahlt, sondern er hat auch ein zweites in den Augen der Welt sehr Unvernünftiges getan: er hat sich nach seiner Rückkehr von Bonn, noch ehe er nach Berlin in die Ferne zog, mit seiner um vier Jahre älteren, am 12. Februar 1814 geborenen Jugendfreundin verlobt, und zwar zunächst noch längere Zeit ohne Wissen von deren Eltern. Die damals zweiundzwanzigjährige Jenny war ein Mädchen von ungewöhnlicher Schönheit; sie hieß noch nach Jahren die "Ballkönigin" und "das schönste Mädchen von Trier", und ein von uns beigegebenes Bild aus ihrer Jugendzeit stellt sie in der Tat als von bestrickender Anmut dar. Aber sie besaß mehr als das, einen ungewöhnlichen Geist und Charakter und vor allem eine tiefgehende Uneigennützigkeit, denn sie opferte ihre glänzenden Aussichten der unsicheren Zukunft des Jugendfreundes. Und sie hat ihm, wie wir noch sehen werden, durch allen Sturm und Drang, ja durch furchtbare Leiden und Qualen hindurch als seine echte, unbeugsame, tapfere Lebensgefährtin die Treue gehalten, wie er ihr, bis an ihr Ende.
Von nun an spielt auch die Verlobung - von der Karl in seinem ersten, bereits Anfang September 1836 geschriebenen Briefe aus Berlin dem Vater Mitteilung gemacht haben muß - in den Schreiben des Vaters eine fast ständige Rolle. In dessen erster Antwort, datiert aus Trier am 9. September 1836, findet sich neben allerlei persönlichen Nachrichten auch eine interessante Bemerkung über Karls Persönlichkeit. Hatte Vater Marx schon in einem früheren, nach Bonn gerichteten Briefe die "Aufrichtigkeit, Offenheit und Biederkeit seines Charakters" gerühmt, so wie er auch sein Herz "gut und edel" glaube, so macht er in diesem Schreiben die Bemerkung, daß Karl wohl besser, als er selbst in seiner eigenen Jugend, es verstehe, trotz seiner "strengen Grundsätze" mit "den verschiedenartigsten Menschen umzugehen", und gebraucht gleichzeitig eine andere, prophetische Wendung: "Reibe Dich nicht auf, Du hast noch lange, wills Gott, zu Deinem und Deiner Familie Wohl und, wenn mich meine Ahnungen nicht irren, zum Wohl der Menschheit, zu leben." Das ihm anvertraute Geheimnis werde er selbst vor der Mutter einstweilen noch geheim halten. Aber Karl habe, wenn er "nach abgehaltener Selbstprüfung" auf seinem Vorhaben "wirklich beharre", fortan "die heilige Pflicht", trotz seiner jungen Jahre "sofort ein Mann zu werden".
Am 28. Dezember des Jahres tadelt er den Sohn wegen seiner Empfindlichkeit und überhaupt seiner "Exagerationen (Übertreibungen) und Exaltationen der Liebe in einem dichterischen Gemüte", mit dem er Gefahr laufe, die Ruhe des geliebten Wesens, das ihm ein unschätzbares Opfer bringe und die größte Selbstverleugnung beweise, zu zerstören, um so mehr, da sie noch nicht wisse, wie ihre Eltern, die Verwandten und die Welt die Sache aufnehmen würden. Er müsse...