Schweitzer Fachinformationen
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Am frühen Nachmittag hatte Ingrid Nyström ihr Team zu einer ersten Besprechung im Präsidium zusammengerufen. Es schneite mittlerweile stärker. Der pappige, feuchte Schnee blieb an der abgeschrägten Panoramascheibe kleben und bildete Inseln und Schollen, die, wenn sie eine kritische Größe erreicht hatten, ins Rutschen gerieten, absackten und dann für einige Sekunden den Blick auf die Dämmerung freigaben, die sich auf den Oxtorget legte. Nyström musste an Bo Örkenrud denken, der mit seinen Leuten immer noch im Schneetreiben draußen auf dem Eis des zugefrorenen Toftasees arbeitete, um mögliche Spuren zu sichern. Vor morgen früh war nicht mit seinem Bericht zu rechnen. Åsa Hylanders Leichnam befand sich mittlerweile in der Pathologie. Das Bild des geschundenen Körpers der Frau ging Nyström nicht mehr aus dem Kopf. Sicher, sie hatte in ihrem Beruf schon viele Tote gesehen und manchmal waren die Leichname in keinem guten Zustand. Wie zum Beispiel der Körper des Mannes aus dem Kongo, dessen Foto sie am Morgen ihren Studenten gezeigt hatte. Doch bei aller Routine hatte der Anblick der toten Åsa Hylander eine starke Reaktion in ihr ausgelöst. Wahrscheinlich lag es an dem gespaltenen Schädel und daran, dass die Finger bis auf die Daumen allesamt fehlten. Davon ging etwas so ungemein Hilfloses aus, dass Nyström ganz flau wurde. Wieder und wieder fühlte sie sich in den Todeskampf der armen Frau hineinversetzt. Allein in dem dunklen, tödlich kalten Wasser. Verzweifelt nach der rettenden Eiskante tastend, greifend, um sich schlagend. Der rasende Schmerz in den Händen, das spritzende Blut, die Erkenntnis, verloren zu sein, das Wasser nie wieder zu verlassen, dem Mörder in die Augen sehen zu müssen, bevor er zu dem letzten, endgültigen Schlag ausholt, und die vollkommene Unterlegenheit zu spüren .
Nyström musste mehrmals schlucken und fühlte, wie trocken ihr Hals war. Kajsa Persson hatte ihre Mutter im Krankenhaus identifiziert, dann war sie fast zusammengebrochen. Ihr Mann hatte sie beim Hinausgehen stützen müssen. Nyström hatte die weiteren Angehörigen der Toten informiert. Åsa Hylanders Eltern lebten mehr als fünfhundert Kilometer entfernt in einem Dorf in der Nähe von Uppsala. Ansonsten gab es noch einen jüngeren Bruder, der als Versicherungsangestellter arbeitete. Zu ihrem Exmann hatte Hylander, die nach der Scheidung wieder ihren Mädchennamen angenommen hatte, nach Aussagen der Eltern und der Tochter keinen regelmäßigen Kontakt mehr. Die Frage, ob Hylander einen Lebenspartner oder festen Freund hatte, hatten sie nicht mit Sicherheit beantworten können. Åsa sei, was das anging, sehr verschlossen gewesen. Obwohl sie sich sicher waren, dass sie nach der Trennung verschiedene Beziehungen gehabt hatte, habe Åsa so gut wie nie darüber gesprochen. Nur an einen ehemaligen Partner ihrer Mutter hatte Kajsa gute Erinnerungen, einen netten Arzt mit iranischen Wurzeln, dessen Name sie allerdings nicht mehr wusste.
Nyström hatte die verwandtschaftlichen Verhältnisse auf ihrem geliebten Whiteboard skizziert. Ermutigend sah sie in die Runde, zumindest hoffte sie, dass es so wirkte. Ihre Mitarbeiter sollten nicht merken, wie mitgenommen sie war.
»Dann mache ich mal den Anfang«, sagte Kent Vargen. Wie immer trug er ein sorgfältig gebügeltes weißes Hemd und eine schmale Krawatte. Der seriöse Gesamteindruck, den der erfahrene Ermittler aus Stockholm machte, wurde in Nyströms Augen nur ein wenig durch das amerikanisch wirkende Schulterholster gestört, das Vargen über dem Hemd trug. Aber vielleicht war das ja in der Hauptstadt Mode gewesen. »Ich denke, ich spreche für uns alle, wenn ich sage, dass die zeitlichen Parameter im Moment Prioriät haben sollten.«
»Was?«, fragte Lasse Knutsson und blickte von seinem neuen Smartphone auf, an dem er seit einigen Tagen unablässig herumfummelte.
»Kent meint den Todeszeitpunkt«, sagte Delgado genervt.
»Genau. Danke.« Vargen zwinkerte Delgado zu.
Nyström nickte.
»Natürlich«, sagte sie. »Die Pathologin tut, was sie kann. Besonders optimistisch klang Ann-Vivika allerdings nicht. Das Opfer hat in eiskaltem Wasser gelegen, das verzögert natürlich sämtliche Zerfallsprozesse des Körpers. Sie hat bereits angedeutet, dass der Leichnam womöglich zur genaueren Bestimmung nach Linköping muss. In dem Fall kann es Wochen dauern, bis wir ein endgültiges Ergebnis haben. Erinnert ihr euch an den Estonia-Fall? Da kam der Abschlussbericht Monate nachdem wir den Fall gelöst hatten.«
Knutsson lachte.
»Das sind mir dort vielleicht Quacksalber!«, begann er. »Der Linköpinger an sich ist ja .«
»Uns würde ja zunächst schon eine grobe zeitliche Einordnung weiterhelfen«, unterbrach ihn Vargen und schnippte einen Staubfussel von seiner Manschette.
»Montagmorgens geht niemand in die Sauna«, brummte Knutsson. Er klang angefasst. »Außerdem hätte sie dann zur Arbeit gemusst.«
»Sagen wir also zwischen Freitag- und Sonntagabend«, schlug Nyström vor.
»Der Zeitrahmen ist zu groß für eine effektive Zeugenbefragung!« In ihrer typischen Abwehrhaltung saß Stina Forss mit vor der Brust verschränkten Armen am Tisch und zupfte missmutig an ihrer Unterlippe. »Und für eine Rekonstruktion der Tat viel zu vage. Wenn das die Basis unserer Ermittlung sein soll, dann Prost Mahlzeit.«
Nyström spürte eine Gereiztheit in sich aufsteigen. So unangenehm wie ein Kratzen im Rachen. Stina Forss hatte etwas an sich, mit dem Nyström nicht gut umgehen konnte, eine renitente, bisweilen besserwisserische Art.
»Das letzte Telefonat hat sie am Freitagabend geführt«, sagte Delgado und tippte auf Hylanders Handy herum, das sich in einer durchsichtigen Plastikhülle befand. »Ab Samstagmorgen dann nur unbeantwortete Anrufe und ungeöffnete SMS.«
»Das ist doch schon mal ein Anhaltspunkt«, befand Nyström.
»Dann sollten wir uns als Nächstes über den Tathergang Gedanken machen.« Vargen nahm das Gespräch wieder an sich. »Das gesamte Szenario - der Bademantel und die Clogs neben der Abtauchstelle, die abgetrennten Finger auf dem Eis, die Blutspuren - deutet darauf hin, dass Hylander beim Saunieren überrascht worden ist. So wie ich das sehe, hat der Täter zugeschlagen, als die Frau nach einem Saunagang zum Abkühlen in das Eisloch abgetaucht ist. Als sie wieder herausklettern wollte, hat er mindestens dreimal auf sein Opfer eingeschlagen - das legen zumindest die äußerlichen Wunden des Leichnams nahe: zwei an den Händen und eine, wahrscheinlich fatale, auf dem Kopf. Alle Hiebe müssen mit großer Kraft ausgeführt worden sein, der dritte hat ihr ja geradezu den Schädel gespalten.«
Wieder blitzen vor Nyströms innerem Auge die Bilder aus der Pathologie auf. Vargens Worte beschrieben die Horrorfilmsequenz, die sich wieder und wieder in ihrem Kopf abspielte.
»Sie sah wirklich grauenhaft aus«, sagte Knutsson mit belegter Stimme.
»Die Tatwaffe?«, fragte Forss.
»Ann-Vivika vermutet eine Axt oder ein Beil«, antwortete Nyström. »Womöglich auch ein schweres Fleischermesser oder eine Machete. Genauer wollte sie sich noch nicht festlegen.« Sie sah Vargen an. »Ich finde, das klingt alles sehr plausibel. Oder ist jemand anderer Meinung?«
Alle blickten zu Forss, aber sie schüttelte nur leicht den Kopf. Nyström verspürte einen leichten Stich. Sie war es doch, die diese Ermittlung leitete!
»Kommen wir zum Täter und zu einem möglichen Motiv«, fuhr sie fort. Sie klopfte mit ihrem Stift auf das Whiteboard. »Ein Liebhaber? Der Exmann? Ein eskalierender Nachbarschaftsstreit? Bis jetzt drängt sich nichts direkt auf, oder was denkt ihr?«
Knutsson hob die massigen Schultern und ließ sie wieder fallen. Sein Stuhl ächzte. »Dieser Nachbar, Nisse Norrstedt, kam mir schon ein wenig schräg vor. Vielleicht sollten wir sein Alibi .«
»Ich kann mir ehrlich gesagt noch gar kein Bild von der Frau machen«, sagte Vargen.
»Auf jeden Fall mag sie harten Sex«, erklärte Forss und legte die durchsichtige Beweistüte mit den Handschellen auf den Tisch. »Entweder hat sie einen Polizisten als Lover oder eine gute Bezugsquelle im Internet. Jedenfalls ist das Qualitätsware.« Forss zeigte das Foto, das sie von der Kühlschranktür genommen hatte. »Möglicherweise kam Mr. X hier in den Genuss. Kann natürlich aber genauso gut nur ein Bild ihres Vaters sein. Ich denke, wir wissen mehr, wenn wir das Handy und den Rechner ausgewertet haben. Besonders Fotos sind ja oft sehr informativ.«
»Darauf warte ich schon sehnsüchtig«, sagte Delgado. »Was ich in den Archiven und im Netz über sie gefunden habe, ist eher mager. Liegt zum Teil natürlich an ihrem Alter.«
»Was meinst du damit?«, fragte Nyström.
»Bist du zum Beispiel bei Facebook?«, entgegnete Delgado. »Twitter, Instagram, Snapchat?«
Nyström schüttelte den Kopf.
»Ich bin bei Facebook!«, trumpfte Knutsson auf und hatte schon wieder sein neues Smartphone in der Hand.
»Ja, seit letzter Woche Mittwoch, um genau zu sein.« Delgado lächelte. »Genau das meine ich damit. Ebenso blass sind die digitalen Fußspuren von Åsa Hylander. Das Internet ist, was sie angeht, ziemlich leer. Sie hatte vor Ewigkeiten einen Autounfall, das war aber keine große Sache. Vor etwa zehn Jahren hat sie einmal ein Reitturnier gewonnen; soweit ich es beurteilen kann, bestreitet sie aber schon länger keine...
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