Schweitzer Fachinformationen
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Gemeinde Jork im Alten Land, Februar 1937
»Ach, hier steckst du, ich hab dich schon überall gesucht«, rief Klara erleichtert. Fritz saß auf einer Holzbank auf der Rückseite des Pfarrhauses, wo er mit seinen Eltern lebte. Das Fachwerkhaus neben der Jorker Kirche war nicht groß und wirkte im Vergleich zu Elisabeth Landahls perfekt geführtem Haushalt manchmal ein klein wenig verwahrlost, aber Klara liebte die Gemütlichkeit und Wärme im Haus von Pfarrer Hansen und seiner Frau.
Fritz hockte zusammengekauert, die langen Arme um seine angewinkelten Beine geschlungen, und starrte über die kahlen Apfelbäume, deren Äste sich unter der Last des Schnees krümmten, hinweg in die Ferne. Ein Lächeln huschte über sein schmales Gesicht, als er die Freundin erblickte, die durch den tiefen Schnee auf ihn zustapfte, mit geröteten Wangen und leuchtenden Augen. Ihre roten Locken quollen unter einer weißen Pudelmütze hervor.
»Was machst du denn hier draußen, ist dir nicht kalt?«, erkundigte sie sich und zog ihren dunkelgrünen Wintermantel fester um sich. »Du hast ja ganz blaue Lippen. Willst du etwa hier festfrieren?« Sie ließ sich neben ihm auf der Bank nieder, hob die Füße an und schlug sie gegeneinander, dass der Schnee nur so von ihren braunen Schnürstiefeln spritzte. Dann fiel ihr die melancholische Stimmung auf, in die sie offenbar geplatzt war. »Was ist mit dir?« Sie griff nach seiner klammen, rot gefrorenen Hand und schob sie gemeinsam mit ihrer in die Tasche ihres Mantels.
»Nichts«, wehrte er ab, doch sie schüttelte den Kopf.
»Nichts, nichts, das sagst du immer. Mit dir stimmt doch was nicht. Entweder rückst du jetzt gleich mit der Sprache raus, oder ich bohre so lange nach, bis du es dann schließlich doch tust. Aber dann sollten wir nach drinnen gehen.«
»Es ist nichts.« Über den vorwurfsvollen Blick aus ihren hellgrünen Augen musste er trotz allem lachen. »Na schön. Es ist wegen der HJ. Mein Vater will nicht, dass ich hingehe.«
»Na und? Sei doch froh. Oder hast du Lust, im Gleichschritt durch die Gegend zu marschieren und Heil Hitler zu brüllen?«
»Das nicht, es ist . Alfred hat es mir heute erzählt. Angeblich vergeben sie Universitätsstipendien nur noch an Leute, die bei der Hitlerjugend waren. Du weißt doch, dass ich Arzt werden will. Aber meine Eltern haben nicht genug Geld und deshalb .«
»Das ist bestimmt nur ein Gerücht«, versuchte Klara ihn zu trösten. Ihre warmen Finger schlangen sich in der gefütterten Höhle der Manteltasche um seine. »Hitlerjugend ist doch doof, allein diese Klamotten! Hast du dir Ilse mal angeguckt in ihrer schrecklichen Klettweste? Wer hat die Dinger bloß entworfen? Ehrlich, der Schnitt ist ja schon unvorteilhaft genug, aber dann noch diese Farbe . Sieht aus wie Erbrochenes, findest du nicht?«
»Na ja.«
»Ich bin froh, dass ich nicht zu dem Verein gehöre. Lagerfeuer hin oder her. Das mit deinem Studium kriegen wir schon irgendwie hin.« Aufmunternd lächelte sie ihn an. »Komm, wir gehen ein bisschen Schlittschuh laufen. Das bringt dich auf andere Gedanken.«
Sie beide hatten zu Weihnachten Schlittschuhe geschenkt bekommen und fast den gesamten Winter auf dem großen, zugefrorenen Ententeich hinter dem Hof von Klaras Eltern ihre Pirouetten gedreht.
»Ist gut«, stimmte Fritz zu.
»Aber nicht auf dem langweiligen Ententeich. Es ist kalt genug, da können wir auf der Elbe laufen«, bestimmte Klara.
»Das geht doch nicht«, erhob Fritz Einspruch, während sie ihn schon hinter sich herzog. »Es ist nicht erlaubt. Was ist, wenn wir einbrechen?«
Sie wandte sich um und blitzte ihn herausfordernd an. »Das Leben ist viel lustiger, wenn man ab und zu ein Risiko eingeht.«
»Ja. Oder viel kürzer.«
»Feigling!«, grinste Klara.
Zehn Minuten später schnallten sie sich die Kufen unter ihre Schuhe und traten auf die zugefrorene Oberfläche der Elbe, die unter einer Schicht Neuschnee lag. Die Luft war schneidend kalt, der Himmel stahlblau.
»Siehst du, kein Problem!« Klara streckte Fritz die Hand hin, und gemeinsam glitten sie hinaus aufs Eis. Der Wind pfiff ihnen ins Gesicht, Klaras lange kupferfarbene Haare flatterten, und der aufwirbelnde Schnee zu ihren Füßen stob nach allen Seiten.
»Und jetzt ein Kreisel«, rief Klara und bremste so abrupt, dass Fritz gegen sie taumelte. Sie umschlang ihn mit den Armen, um ihn am Fallen zu hindern. Obwohl seine Nase sich vor lauter Kälte schon ganz taub anfühlte, konnte er Klaras Geruch wahrnehmen, diese Mischung aus Vanille, Sandelholz und Seife. Er wusste, dass sie seit Langem schon heimlich das Parfüm ihrer Mutter benutzte. »Also los.« Sie streckte ihm die gekreuzten Arme entgegen, ergriff seine Hände und begann, sich mit ihm zu drehen, wie sie es schon so oft auf dem Ententeich getan hatten. Schneller und immer schneller wirbelten sie um die gemeinsame Achse.
»Stopp, Klara, nicht so schnell!«
Sie lachte und warf den Kopf zurück. Dann knirschte es laut unter ihren Füßen.
Klara stieß einen Schrei aus, als die Eisdecke mit einem lauten Krachen zerbarst. Im nächsten Moment schlug das eiskalte Wasser über ihnen zusammen.
Klaras dicker Wintermantel und das Kleid darunter fühlten sich bleischwer an. Etwas schien ihr die Lungen zusammenzupressen, sie riss erschrocken die Augen auf und sah als Erstes ihr eigenes Haar, das wie fremdartige rote Algen im Wasser schwamm. Über ihr brachen die Strahlen der Wintersonne durch die Wasseroberfläche. Eine Hand schloss sich fest um ihren Arm und zerrte sie nach oben. Zeitgleich mit Fritz tauchte sie aus dem Wasser und rang keuchend um Atem. Die eiskalte Luft brannte wie Feuer in ihren Lungen, und sie begann zu husten. Zum Glück hatten sie sich wieder näher in Richtung Ufer bewegt, sodass Fritz, der im letzten Jahr in die Länge geschossen war und sie mittlerweile um Haupteslänge überragte, im Wasser stehen konnte. Besorgt strich er ihr die nassen Haare aus dem Gesicht.
»Geht's dir gut? Geht's dir gut?«, fragte er immer wieder und schlang die Arme um sie. »Klara, geht es dir gut?«
»Ich hasse es, wenn du recht hast«, erwiderte sie hustend, und er grinste.
Während Klara noch immer nach Luft rang, begann Fritz, mit der Faust eine Schneise in das sie umgebende Eis zu schlagen und zog sie mit sich in Richtung Ufer.
»Haben wir ein Glück, dass uns das nicht weiter draußen passiert ist. Komm, wir müssen schleunigst aus den Sachen raus, sonst bekommst du noch eine Lungenentzündung.«
Ach ja, und was ist mit dir?, verkniff sie sich zu sagen, als er ihr aus dem Wasser half. Seine Lippen waren bereits dunkelblau, und er schlotterte am ganzen Körper.
»Los, zu euch nach Hause!« Fritz eilte voran, doch Klara hielt ihn am Arm zurück.
»Auf keinen Fall, bist du wahnsinnig?« Auch wenn sie sich nichts sehnlicher wünschte, als so schnell wie möglich die nassen Kleider loszuwerden und in eine heiße Badewanne zu steigen, so war sie doch nicht scharf darauf, irgendjemandem zu Hause ihren Tauchgang in der Elbe erklären zu müssen. Was seine jüngste Tochter betraf, hatte Jakob Landahl einen ausgeprägten Beschützerinstinkt, und vermutlich würde er Fritz vorwerfen, nicht genug auf sein Mädchen aufgepasst zu haben. Es würde rein gar nichts bringen, ihm zu erklären, dass es Klaras Idee gewesen war. »Kannst du dir vorstellen, was mein Vater sagt, wenn er uns so sieht?«
Auch Fritz wurde bei diesem Gedanken sichtbar mulmig zumute. »Aber immer noch besser, als zu erfrieren, oder?«, fragte er zögernd.
»Da bin ich mir nicht so sicher. Komm, wir gehen in unsere Scheune«, bestimmte Klara und lief voran. »Die ist auch näher.« Mit brennenden Lungen legten sie die gut dreihundert Meter zu den Landahl-Obstfeldern zurück, an deren Rand die Scheune lag. Fritz machte sich an dem metallenen Riegel zu schaffen, während Klara bibbernd danebenstand.
»Also, eins steht fest«, brachte sie mühsam hervor, während ihre Zähne vor Kälte aufeinanderschlugen, »d-d-d-dich nenne ich lieber nicht n-n-noch mal Feigling.«
Fritz rang sich ein Grinsen ab und stieß dann die Holztür auf.
»Bitte sehr, mein Fräulein«, sagte er mit einer einladenden Handbewegung und betrat hinter ihr die geräumige Scheune. Der Geruch von Rost, Gummi und feuchtem Holz schlug ihnen entgegen. Im hinteren Teil stapelten sich ausrangierte und reparaturbedürftige Arbeitsgeräte, auf der linken Seite befand sich ein großer Vorrat an Feuerholz, fein säuberlich übereinandergeschichtet. Auch hier war es natürlich nicht eben warm, aber zumindest waren sie vor dem pfeifenden Wind geschützt. »Wir müssen aus den Sachen raus. Guck mal da hinten, ich glaube, da sind ein paar Decken.« Damit schälte Fritz sich auch schon aus seiner klatschnassen Winterjacke und lief hastig zur Rückseite der Scheune.
Klara ließ ihren kiloschweren Mantel zu Boden fallen und öffnete die Knöpfe ihres Kleides. In Unterwäsche und Strumpfhaltern schlang sie sich die Arme um den Oberkörper.
»Fritz, ich erfriere«, rief sie, woraufhin dieser mit einem Deckenberg auf dem Arm herbeieilte, bei ihrem Anblick allerdings wie angewurzelt stehen blieb. »Was ist denn?« fragte sie.
Er brauchte einen Moment, um sich von dem Schreck zu erholen. Die weiße Wäsche, durch das Wasser so gut wie durchsichtig geworden, verhüllte kaum etwas von Klaras Körper. Der dünne Stoff klebte an ihrer Silhouette und gab den Blick frei auf ihre festen Brüste, deren Brustwarzen sich durch die Kälte aufgerichtet hatten, ihre schlanke...
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