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»Die Frage ist doch, ob die Vorfälle miteinander zu tun haben«, sagte Knutsson. »Zuerst der Mord an Dahlin, der wie ein gefolterter Märtyrer an den Baum gefesselt war, und zwei Tage später diese seltsamen Zeichen an der Kirche und der Bank.«
Um neun Uhr am Morgen waren alle im Besprechungszimmer versammelt. In der Nacht hatte Nyström Hultin und Delgado nach Hause geschickt. Beide wohnten in der Innenstadt und hatten es nicht weit. Sie selbst hatte entschieden, durchzuarbeiten. Sie hatte sich gemeinsam mit dem Wachdienst der Bankgesellschaft die Aufnahmen der Kamera angesehen. Erfolglos. Zu der fraglichen Zeit war niemand in der Nähe des Geldautomaten gefilmt worden. Dann hatte sie Bo Örkenrud und zwei seiner Kollegen bei der Sichtung der Tatorte begleitet, doch außer einer Unmenge an Patronenhülsen hatten sie wenig Aufschlussreiches gefunden. Aufgelesene Zigarettenkippen, Fasern, Haare: Das alles konnte von überall her stammen.
»Si vis pacem, para bellum«, hatte Örkenrud gesagt, als er auf dem Boden gekniet und die Patronenhülse, die zwischen den Enden seiner langen Pinzette klemmte, betrachtet hatte.
»Wie bitte?«, hatte Nyström gefragt.
»Das ist Lateinisch. Wenn du den Frieden willst, bereite dich zum Krieg. Flavius Regetius, wenn ich mich nicht irre. Irgend so ein alter Römer. Der Ausdruck Parabellum ist noch übrig geblieben von seinem Spruch. Und so heißen die kleinen Biester hier, 9 x 19 Millimeter. Sie werden auch 9-mm-Luger genannt, nach dem Ingenieur, der sie vor mehr als hundert Jahren entwickelt hat. Die Parabellum ist die Standardmunition für viele Pistolen und Maschinenpistolen. Für eine Uzi zum Beispiel oder die berühmte MP5 von Heckler und Koch.«
»Aha«, hatte Nyström gesagt, in die aufgehende Sonne geschaut und dem Gezwitscher der Vögel im Linnépark gelauscht.
Nun stand Knutssons Frage im Raum. Sie war so müde, dass sie kaum noch denken konnte, trotz der zweiten Thermoskanne grünem Tee, die vor ihr stand. Die anderen hielten sich an Kaffee.
»Lasst uns systematisch vorgehen. Haben die beiden Taten etwas gemein?«, fragte Stina Forss.
»Ja, das Seltsame«, sagte Hultin.
»Eine unheimliche Aura«, meinte Delgado. »Da ist ein religiöses Element. Ein gestellter Märtyrertod. Und auf der anderen Seite diese fünfzackigen Sterne. Pentagramme. Teufelszeichen. An einer Kirche, wohlgemerkt.«
»Und was ist mit der Bank?«, gab Nyström zu bedenken. »Warum die Bank? Glauben und Geld. Wie soll das zusammenpassen?«
»Keine Ahnung«, sagte Knutsson. »Ich habe jedenfalls ein Konto bei Nordea.«
»Und du gehst nur Weihnachten in die Kirche«, stichelte Delgado.
Alle lachten, sogar Nyström musste lächeln.
»Ha, ha«, sagte Knutsson.
»Das Risiko«, schlug Lindholm vor.
Alle sahen den jungen Mann an.
»Wie meinst du das, Göran?«
Ihm fuhr Farbe ins Gesicht.
»Nun, ich habe darüber nachgedacht. Beide Male geht der Täter, wenn wir diesen MP-Schützen denn so nennen wollen, ein extrem hohes Risiko ein. Ich meine, Dahlin wird im Freien getötet. Vorher foltert man ihn. Das kostet alles Zeit. Zwar ist Musön nicht mehr für Fußgänger zu erreichen, nachdem die Treidelbrücke gekappt worden ist, aber trotzdem könnte ja ein Boot vorbeifahren. Oder Spaziergänger auf Hissö Dahlins Schreie hören. Aber damit nicht genug. Der Leichnam wird auf ein Boot gebracht und über den See gefahren. Auch da läuft man Gefahr, gesehen zu werden. Und das Riskanteste steht noch bevor. Der Täter muss den Toten ans östliche Seeufer schaffen, auf diesen Parcours schleifen und an einen Baum binden. Das alles obwohl er weiß, dass dort bald ein Sportturnier beginnt und sich ein Haufen Menschen in der Nähe tummeln. Also, wenn das kein beträchtliches Risiko ist. Und der Schütze von letzter Nacht handelte ebenfalls sehr waghalsig. Mit einem automatischen Gewehr in der Innenstadt herumzulaufen und zweimal damit zu schießen . dazu gehört schon eine gewisse Chuzpe.«
»Eine was?«, fragte Knutsson.
»Mut, Dreistigkeit«, erklärte Delgado. »Ein jiddisches Wort.«
»Kann man auch auf Schwedisch sagen«, brummte Knutsson und verschränkte seine Arme auf seinem Bauch.
»Genau«, sagte Hultin und es blieb offen, ob sie damit Knutsson zustimmte oder Lindholms Ausführung.
Forss meldete sich zu Wort.
»Ich finde, an dem, was Göran sagt, ist eine Menge dran. Beide Taten, auch wenn sie sich natürlich darin unterscheiden, dass bei der ersten ein Mensch getötet wurde und es sich bei der zweiten im Grunde nur um Sachbeschädigung handelt, zeugen von einer sehr ausgeprägten Handlungsbereitschaft. Von unbedingtem Willen. So etwas tut man nicht mal einfach so. Man braucht ein starkes Motiv.«
»Und was könnte das für ein Motiv sein? Abgesehen von totalem Wahnsinn und völliger Geisteskrankheit natürlich, meine ich«, fragte Hultin und blies sich die Fransen ihres Ponys aus dem Gesicht.
»Wo ist da der Unterschied?«, fragte Delgado.
»Wir haben den Leichnam von Dahlin alle gesehen. Dazu kommt, was Kimsel und Örkenrud in ihren Berichten geschrieben haben. Eine dramatische Übertötung. Ein Maß an Gewalt, das weit über das Ziel, jemandem das Leben zu nehmen, hinausgeht. Das Schlagen und Brechen von Knochen. Das Opfer soll leiden, Schmerzen empfinden. Die Exkremente am Körper, eine maximale Demütigung. Darum ging es dem Täter: Vernichtung, Leid, Erniedrigung. Und das Ganze in einem besonderen dramaturgischen Rahmen. Ein Mord, inszeniert wie ein frühchristliches Martyrium, wie die Legende um den heiligen Sebastian. Wir finden also einerseits Hass, einen starken Vernichtungswillen, anderseits verlangt die Umsetzung dieser radikalen Auslöschungsfantasie ein Höchstmaß an Kontrolle. Eine akribische Vorbereitung und einen genauen Zeitplan. Hass und Kontrolle, das sind zwei Komponenten, die nur in ganz wenigen Fällen zusammentreffen.«
»Und es führt von der Frage vom Wie zum Wo.« Nyström knüpfte an Forss' Gedanken an.
»Warum macht sich der Täter die Mühe? Nimmt, wie Göran ausgeführt hat, das Risiko auf sich und bringt Dahlins Leichnam über den See auf den Parcours der Bogenschützen? Damit muss er doch etwas wollen! Der Fundort der Leiche gehört zu seiner Inszenierung. Aber warum? Ich finde keine andere Antwort, als dass es eine Verbindung zu einem der Schützen geben muss, auch wenn sich Magnus Hasselgreen als Sackgasse entpuppt hat.«
»Noch ist die DNA-Analyse seines Haars nicht abgeschlossen«, merkte Hultin an.
Delgado konterte: »Er hat eine plausible Geschichte, er hat ein Alibi - und außerdem: Du hast das arme Würstchen doch gesehen. Ein Mobbingopfer. Meinst du wirklich, dass er seinen Lehrer abschlachtet, weil dem ein blöder Spitzname rausgerutscht ist?«
»Abschlachten? Also wirklich!«, sagte Nyström. »Ein bisschen mehr Respekt vor dem Toten, bitte!«
»Entschuldigung«, sagte Delgado, aber es klang nicht besonders kleinlaut.
Hultin grinste. Wie immer, wenn Delgado etwas auf den Deckel bekam. Der zeigte ihr seinen Mittelfinger.
»Es reicht jetzt«, sagte Nyström. »Tragt euren Rosenkrieg woanders aus.«
Das saß. Beide zogen ein Gesicht. Hultin und Delgado waren im letzten Jahr für einige Monate ein Paar gewesen, was jeder im Präsidium mitbekommen hatte. Genau wie das unrühmliche Ende der Geschichte.
»Das mit diesem Sankt Sebastian«, sagte Forss schnell, um die Situation zu überspielen, »wer von euch hätte das erkannt? Wer hätte den Bezug zu dem Heiligen hergestellt?«
Knutsson zuckte mit den Achseln, Lindholm schüttelte den Kopf. Hultin und Delgado schmollten.
»Keiner«, sagte Nyström. »Niemand von uns. Auch niemand von den Bogenschützen, bis auf diesen Mönch.«
»Kein Wunder, der ist ja auch katholisch«, knurrte Knutsson.
»Das bin ich auch«, sagte Delgado.
»Aber nur auf dem Papier«, zischte Hultin verächtlich.
»Ruhe jetzt«, rief Nyström.
»Genau. Der Italiener«, sagte Forss. »Das unterscheidet ihn mit Ausnahme von Hugo, dessen Eltern aus Südamerika kommen, von fast allen anderen hier. Ich meine, beinahe jeder Schwede ist protestantisch. Und in der protestantischen Kirche spielt die Heiligenverehrung so gut wie keine Rolle. Ein katholischer Mönch dagegen kann wahrscheinlich die meisten Heiligen und Märtyrer rauf und runter beten.« Dann, an Delgado gewandt: »Gab es eigentlich vorher im Internet eine Teilnehmerliste von dem Turnier?«
Er zog seinen Laptop zu sich heran und tippte darauf herum. Es dauerte keine zehn Sekunden, dann sagte er: »Bingo.«
Nyström fragte: »Worauf willst du hinaus, Stina?«
Die kleine Frau schob sich eine Strähne ihres drahtigen, rostbraunen Haars aus dem mit Sommersprossen übersäten Gesicht.
»Was, wenn das der Grund ist?«, fragte sie. »Was, wenn er den Leichnam Dahlins nur deshalb zu dem Turnier bringt, weil er sichergehen will, dass es wenigstens einen gibt, der seine Inszenierung versteht? Der sein Werk richtig interpretieren kann. Eine Art Übersetzer, sozusagen.«
»Das wäre doch verrückt«, sagte Hultin leise.
»Da hast du ausnahmsweise recht«, sagte Delgado.
In diesem Moment ging die Tür auf und Per Rydberg, der an der Rezeption Dienst hatte, trat in den...
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