Schweitzer Fachinformationen
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Ein zierlicher Frauenfuß erscheint in meinem Blickfeld, bekleidet mit einem edlen Brautschuh aus cremefarbenem, feinstem Satin. Mein Schuh. Mein Fuß! Merkwürdig! Habe ich nicht normalerweise ziemlich breite Plattfüße? Habe ich mir möglicherweise einige Zehen oder ein Stück von der Ferse abgehackt, um in dieses zarte Schuhwerk zu passen? Ruckedigu, Blut ist im Schuh. Na, und wenn, dann war es das wert! Ich habe jetzt auch gar keine Zeit, darüber nachzudenken. Stattdessen sehe ich verzückt an mir herunter. Dieses Kleid ist märchenhaft, der weite Rock bauscht sich um meine Oberschenkel, die sich auf magische Weise plötzlich lang und schlank anfühlen, die Korsage schmiegt sich an meinen Körper und drückt meine Brüste zu einem beachtlichen Dekolleté zusammen. Ich bin begeistert. Mit den Augen folge ich der Spur aus weißen Rosenblättern, die sich über den weinroten Teppich schlängelt, der durch die voll besetzten Bankreihen der Kirche hindurch bis zum Altar führt. Gemessenen Schrittes schreite ich über die Blüten hinweg, begleitet von den »Ooohs« und »Aaahs« der Kirchengemeinde. Vereinzelt erkenne ich Gesichter in der Menge: Dort sitzt meine beste Freundin Viola, die langen schwarzen Haare zu einer extravaganten Frisur hochgesteckt, und dort meine Mutter mit bereits verschmierter Wimperntusche. Auch mir treten jetzt die Tränen in die Augen, als ich Olaf vorne am Altar stehen sehe. Er sieht einfach fabelhaft aus in seinem nigelnagelneuen Smoking, wie er augenscheinlich nervös von einem Bein aufs andere tritt und mich erwartet. Mit schimmernden Augen und einem leichten Lächeln auf den Lippen gehe ich auf ihn zu. Ich scheine eine Augenweide zu sein, denn Olaf bleibt im wahrsten Sinne der Mund offenstehen. Dann tritt der bärtige alte Pfarrer in seiner festlichen weißen Robe mit rotgoldener Borte an uns heran, bedeutet der Gemeinde mit einer Handbewegung, wieder Platz zu nehmen und wendet sich mit einem gütigen Ausdruck in den Augen nun uns, dem Brautpaar, zu. Mein Herz beginnt vor lauter Vorfreude und Aufregung ein wenig heftiger zu schlagen, als er den Mund öffnet und sagt:
»Sie haben Post.« Wie bitte?
Und dann verschwimmt alles vor meinen Augen, der Pfarrer, Olaf und die flackernden Kerzen auf dem Altar. Die Zierleiste auf dem Gewand des Priesters wird blasser, verliert ihre Farbe und Leuchtkraft und ist schließlich nur noch eine merkwürdig beige-rosafarbene Fläche. Simone Behrens (das bin ich) erwacht aus ihrem Tagtraum und landet wieder unsanft in Langenweiler (das ist ein 6000-Seelen-Kaff bei Essen). Ich blicke genau auf Balduin Dröses kahlen Schädel. Ein paar mickrige Strähnen hat er von links nach rechts über die speckig glänzende Haut gekämmt. Glaubt er wirklich, dass er dadurch irgendjemandem weismachen kann, er hätte noch Haare auf dem Kopf? Herr Dröse, von mir insgeheim Baldi getauft, ist mein direkter Vorgesetzter und sitzt mir im Großraumbüro der Datenverarbeitungsabteilung der Vereinsbank Langenweiler gegenüber, und das seit nunmehr fast fünf Jahren. Jeden Tag, Montag bis Freitag von neun bis siebzehn Uhr. Jetzt hebt er seinen Kopf und guckt mich misstrauisch an. Immer wieder erwischt er mich dabei, wie ich auf seine Platte starre und meinen Gedanken nachhänge. Er mustert mich mit seinen kleinen grauen Schweinsäuglein und verzieht die schmalen Lippen zu einem Grinsen, das seine nikotinverfärbten Zähne entblößt. O Gott, hoffentlich denkt der nicht, ich würde mich nun doch für ihn interessieren. Auf der letzten Betriebsfeier habe ich seine Hand auf meinem Hintern zwar mit einem halben Liter Bier über seinen kahlen Schädel quittiert, aber solche Kerle können da ja unglaublich ignorant sein. Ich muss echt darauf achten, ihn nicht ständig anzugucken.
»Sie haben Post«, hallt die erstaunlich hohe, ja weibliche Stimme des Pfarrers in meinem Kopf nach. Ach, natürlich. Seufzend wende ich mich meinem Computer zu und checke meinen E-Mail-Briefkasten. Eine Nachricht von Olaf. Wenn man vom Teufel träumt, kriegt man 'ne E-Mail.
»Ach ja, so eine junge Liebe is doch watt Schönes«, ertönt es anzüglich hinter meiner Schulter. Ertappt drehe ich mich um. Da steht Gerda Ulbrich, eine fünfzigjährige rundliche Person mit grauem Haar und gutmütigem Charakter, die hier seit über zwanzig Jahren zum Inventar gehört. Junge Liebe ist gut, Olaf war mein erster und gleichzeitig letzter Freund. Wir sind ein Langenweiler Vorzeige-Pärchen, haben uns quasi mit der Geschlechtsreife in der Tanzschule kennen gelernt. An meinem sechzehnten Geburtstag fragte mich Olaf dann, ob ich mit ihm »gehen« würde, und von da an gingen wir miteinander. Zur Tanzstunde, ins Kino, zum Schüler-Rock-Festival, drei Monate später das erste Mal ins Bett und so ist das jetzt seit zehn langen und manchmal auch -weiligen Jahren. Alle Welt, einschließlich meiner Wenigkeit, fragt sich allmählich, wann Olaf denn nun endlich mit mir zum Traualtar gehen wollen wird. Ja doch, ich habe solche Tagträume nicht ohne Grund!
»Wann wird denn nun endlich geheiratet«, fragt Gerda auch prompt zum etwa hundertfünfzigsten Mal und beginnt interessiert, meine E-Mail zu lesen. Schnell wechsle ich das aktive Fenster auf meinem Bildschirm und mache Gerda grinsend auf das Postgeheimnis aufmerksam. Baldis Kopf schnellt hoch und er schaut mich eifersüchtig an. Gerda hält mir eine Schachtel mit Nougatkonfekt hin.
»Willste?« Eine der zahlreichen Unsitten in unserer Abteilung ist, dass ständig Süßigkeiten gefuttert werden. Ich habe jedes Jahr ein Kilo zugenommen und noch ist kein Ende in Sicht. Ergeben seufzend nehme ich eine Praline und stecke sie in den Mund.
»Danke«, sage ich zu Gerda und greife, bevor sie weitergeht, schnell noch mal zu. Dann wende ich mich wieder meinem Bildschirm zu.
»Hi Moni! Wolltest Du Jever oder Köpi für die Party? Fahre nach der Arbeit zum Getränkemarkt und müsste das wissen. Olaf.«
Ich schmelze ob dieser unromantischen E-Mail nicht gerade dahin, ganz im Gegensatz zu der Nougatpraline auf meiner Zunge. Irgendwie hat unsere Beziehung reichlich an Romantik verloren.
»Hi Olaf! Köpi. Bis heute Abend dann«, haue ich lieblos in die Tasten, will gerade auf Senden klicken, als ich es mir noch mal anders überlege. Wenn das so weitergeht, unterhalten wir uns bald nur noch in Steno-Manier:
»Wie geht's?«
»Gut.«
»Essen?«
»Ja.«
»Sex?«
»Migräne.«
»Oh.«
Nein, danke. Entschlossen lösche ich die E-Mail und fange noch mal von vorne an. Wie man in den Wald reinruft, so schallt es heraus und die Wetten stehen eins zu sieben, dass Olaf mir morgen, am fünfzehnten Oktober, meinem sechsundzwanzigsten Geburtstag, die entscheidende Frage stellen wird!
»Du Frau, ich Mann?«
»Okay.« Nochmals: Nein danke. Also: »Hallo, mein Süßer! Ich finde Köpi am besten. Lieb, dass Du für mich die Party schmeißt. Ich vermisse Dich ...«
Hier halte ich kurz inne. Vor neun Stunden habe ich ihn das letzte Mal gesehen, mit einer Zahnbürste im und Schaum vor dem Mund. Ist also vielleicht etwas zu dick aufgetragen. Also schreibe ich stattdessen:
»Freu mich auf heute Abend. Ich liebe Dich. Küsse von Deiner Moni.«
Senden und ab die Post!
Ich beobachte den Dröse, wie er die heute siebzehnte Rot-Händle (heute war mal wieder nicht viel zu tun, was mir die Zeit zum Zählen gab] mit seinen gelben Wurstfingern in den überquellenden, gläsernen Aschenbecher drückt, der, egal wie voll, höchstens zweimal in der Woche von ihm geleert wird. Und zwar dienstags und freitags, also heute. Unser Büro stinkt dementsprechend.
Ich schaue ein wenig aus dem Fenster, aber draußen ist es fast so grau und nebelig wie hier drinnen. Trostlos. Baldi steckt sich immer abwechselnd Zigarette Nummer achtzehn und ein klebriges Erfrischungsstäbchen in den Mund und schmatzt dabei leise. Ich assoziiere mit den Dingern ja ehrlich gesagt Pflichtbesuche bei der Oma, wo es außerdem noch ebenso ungenießbare Sachertorte und Caro-Kaffee gibt, aber Baldi ist ganz wild drauf. Ich verbringe die restlichen zehn Minuten bis zum Feierabend damit, darauf zu warten, dass er durcheinanderkommt und an einem Erfrischungsstäbchen zieht, oder (noch besser) seine Zigarette aufisst. Schließlich gebe ich die Hoffnung auf, dass er mir diesen Gefallen tun wird und fahre meinen Computer herunter. Es ist genau 16.59 Uhr.
Baldi zieht im Schneckentempo seinen ewig gleichen kackbraunen Mantel an, klemmt die Tasche unter den Arm und schleicht zur Stechuhr. Umständlich kramt er nach seiner Karte, pling, das altbekannte Geräusch, und plötzlich hat Baldi einen Zahn drauf, den man ihm gar nicht zutrauen würde, wenn man das Schauspiel nicht schon seit Jahren verfolgen würde. In null Komma nix ist er meinem Blickfeld entschwunden. Kopfschüttelnd blicken Gerda und ich ihm hinterher, während wir unsererseits ausstechen.
»Hast du nicht morgen Geburtstag, Kind«, erkundigt sie sich.
»Ja, wir feiern rein heute Abend«, entgegne ich unvorsichtigerweise und fürchte im gleichen Augenblick, dass sie sich jetzt möglicherweise selber einlädt.
»Ach, wie schade, ich hab heute Theaterkarten«, bedauert sie und ich atme erleichtert auf. »Sag mir Bescheid, ob er dich endlich gefragt hat, ich habe ein Vermögen gewettet.«
Jetzt fühle ich mich doch irgendwie unter Druck gesetzt, aber Gerda guckt mich so hoffnungsvoll an, dass ich ermutigend nicke und geheimnisvoll sage:
»Da hast du dich bestimmt nicht vertippt. Ich hatte heute eine Vision, dass sich etwas in meinem Leben ändern wird.«
Gerda lächelt glücklich.
»Wirklich?«
»Wirklich!«
Natürlich hatte ich keine Vision, ich bin kein besonders medialer Typ. Trotzdem sollten sich meine Worte als wahr...
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