Schweitzer Fachinformationen
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Ilium, New York, ist in drei Teile gegliedert.
Im Nordwesten leben die Führungskräfte und Ingenieure, die Staatsdiener und ein paar wenige Fachkräfte; im Nordosten stehen die Maschinen; und im Süden, jenseits des Iroquois River, vor Ort bekannt als Homestead, wohnen alle anderen.
Würde man die Brücke über den Iroquois sprengen, würde das an der täglichen Routine kaum etwas ändern. Nur wenige Menschen zu beiden Seiten des Flusses haben einen Grund, ihn zu überqueren, von Neugier mal abgesehen.
Während des Kriegs hatten die Führungskräfte und Ingenieure in Hunderten von Iliums in ganz Amerika ohne ihre Männer und Frauen auskommen müssen, die in den Kampf gezogen waren. Produktion fast ohne Arbeitskräfte - das war das Wunder, das den Krieg gewann. Im Jargon der Nordseite des Flusses war es das Know-how, das den Krieg gewann. Die Demokratie verdankte ihre Existenz diesem Know-how.
Zehn Jahre nach dem Krieg - nachdem die Männer und Frauen heimgekehrt, die Unruhen niedergeschlagen und Tausende aufgrund der Antisabotagegesetze inhaftiert worden waren - streichelte Doktor Paul Proteus in seinem Büro eine Katze. Proteus, die wichtigste und brillanteste Person in Ilium, war erst fünfunddreißig und bereits Direktor der Ilium-Werke. Er war groß, dürr, fahrig und ernst, und die sanften Züge seines schmalen Gesichts wurden durch die Gläser seiner dunkel umrandeten Brille verzerrt.
Proteus kam sich im Augenblick allerdings nicht sonderlich wichtig oder genial vor, schon seit längerem nicht mehr. Im Augenblick war seine größte Sorge, ob die schwarze Katze sich in ihrer neuen Umgebung wohlfühlen würde.
Jene, die alt genug waren, um sich daran zu erinnern, aber zu alt, um ihm Konkurrenz zu machen, sagten voller Wohlwollen, dass Doktor Proteus ganz wie sein Vater aussah, als der ebenso alt gewesen war, und man ging allgemein davon aus - mancherorts durchaus missgünstig -, dass Paul es in der Organisation ebenso weit bringen würde wie sein Vater. Doktor George Proteus war zum Zeitpunkt seines Todes der erste Direktor für Industrie, Handel, Kommunikationswesen, Nahrungsmittel und Rohstoffe des ganzen Landes gewesen, eine Position, an die in ihrer Bedeutung nur die Präsidentschaft der Vereinigten Staaten heranreichte.
Doch die Chancen, dass die Proteus-Gene an die nächste Generation weitergegeben wurden, lagen bei null. Pauls Frau Anita, die während des Krieges seine Sekretärin gewesen war, konnte keine Kinder bekommen. Blanke Ironie, dass er sie heiratete, nachdem sie verkündet hatte, sie sei, nach einer ziemlich ausschweifenden Siegesfeier im Büro, ganz gewiss schwanger.
»Gefällt dir das, Kätzchen?« Mit Besorgnis und insgeheimer Freude fuhr der junge Proteus mit einer zusammengerollten Blaupause über den Katzenbuckel. »Mmh-ooh, gut, hm?« Er hatte die Katze am Vormittag in der Nähe des Golfplatzes entdeckt und als Mäusefängerin für die Fabrik mitgenommen. Erst letzte Nacht hatte eine Maus die Isolierung eines Steuerdrahts durchgenagt und die Gebäude 17, 19 und 21 vorübergehend lahmgelegt.
Paul betätigte die Gegensprechanlage. »Katharine?«
»Ja bitte, Doktor Proteus?«
»Wann ist meine Rede fertig getippt?«
»Ich bin gerade dabei, Sir. In zehn, fünfzehn Minuten, versprochen.«
Doktor Katharine Finch, die einzige Frau in den Ilium-Werken, war seine Sekretärin. Genau genommen war sie eher Statussymbol denn richtige Hilfe, allerdings machte sie sich ganz gut als Vertretung, wenn Paul krank war oder früher nach Hause gehen wollte. Nur die hohen Tiere, Fabrikdirektoren und höher, hatten Sekretärinnen. Während des Krieges hatten die Führungskräfte und Ingenieure herausgefunden, dass der Großteil der Büroarbeit - wie fast alle niederen Arbeiten - schneller, effizienter und billiger von Maschinen erledigt werden konnte. Anita hatte kurz vor der Entlassung gestanden, als Paul sie heiratete. Jetzt zum Beispiel war Katharine irritierend unmaschinenhaft, trödelte mit Pauls Rede herum und schäkerte gleichzeitig mit ihrem mutmaßlichen Liebhaber, Doktor Bud Calhoun.
Bud, Manager des Ölterminals in Ilium, arbeitete nur, wenn Öl per Schiff oder Pipeline angeliefert oder weitergeleitet wurde, und verbrachte die übrige Zeit - wie auch jetzt - damit, Katharine mit seinem überschwänglichen Südstaatensingsang zu besäuseln.
Paul nahm die Katze und trug sie zu dem Fenster, das die ganze Wand einnahm. »Da draußen gibt es jede Menge Mäuse, Kätzchen.«
Er zeigte der Katze ein altes Schlachtfeld in Friedenszeiten. Hier an der Biegung des Flusses hatten die Mohawks die Algonquins überwältigt, die Holländer die Mohawks, die Engländer die Holländer und die Amerikaner die Engländer. Heute lag dort auf den Knochen, verrotteten Palisaden, Kanonenkugeln und Pfeilspitzen ein an jeder Seite achthundert Meter langes Dreieck aus Stahl- und Ziegelbauten - die Ilium-Werke. Wo früher die Männer gebrüllt, aufeinander eingehackt und mit der Natur gerungen hatten, summten, brummten und klackerten nun die Maschinen und produzierten Teile für Kinderwagen, Kronkorken, Motorräder, Kühlschränke, Fernseher und Dreiräder - die Früchte des Friedens.
Paul schaute über die Dächer des großen Dreiecks hinüber zu der sich gleißend im Iroquois spiegelnden Sonne und darüber hinaus nach Homestead, wo viele der Namen der Pioniere noch immer fortlebten: van Zandt, Cooper, Cortland, Stokes .
»Doktor Proteus?«, meldete sich Katharine.
»Ja, bitte?«
»Es ist wieder an.«
»Nummer Drei in Halle 58?«
»Jawohl. Das Licht ist schon wieder an.«
»Na gut. Rufen Sie Doktor Shepherd an und fragen Sie ihn, was er dagegen unternimmt.«
»Aber der ist doch heute krank.«
»Dann muss ich mich wohl selbst darum kümmern.« Proteus zog den Mantel an, seufzte schwer, nahm die Katze und ging in Katharines Büro hinüber. »Bleiben Sie sitzen, bleiben Sie sitzen«, sagte er zu Bud, der sich auf dem Sofa fläzte.
»Hatte ich vor«, meinte Bud.
Drei Wände des Büros waren von oben bis unten mit Messgeräten vollgestellt, bis auf die Türen zum Flur und in Pauls Büro. Die vierte Wand war ganz aus Glas, genau wie bei Paul. Die zigarettenschachtelgroßen, mit einem glänzenden Messingschild versehenen Messgeräte waren identisch und wie Ziegel aufgestapelt. Jedes einzelne war mit einer Maschineneinheit im Werk verbunden. Ein rot leuchtendes Juwel an der Ostwand zog den Blick auf das siebte Messgerät von unten, fünfte Reihe von links.
Paul tippte auf das Messgerät. »Aha, schon wieder: Nummer Drei in 58 produziert Ausschuss.« Er ließ den Blick über alle Wände schweifen. »Das war wohl alles, hm?«
»Ja, nur das eine.«
»Was haben Sie denn mit der Katze vor?«, fragte Bud.
Paul schnippte mit den Fingern. »Gut, dass Sie fragen. Ich habe eine Aufgabe für Sie, Bud. Ich möchte ein Ortungsgerät haben, das der Katze hier anzeigt, wo sie eine Maus findet.«
»Elektronisch?«
»Das will ich hoffen.«
»Dazu bräuchte man eine Art Sensor, der eine Maus riechen kann.«
»Oder eine Ratte. Bitte arbeiten Sie in meiner Abwesenheit daran.«
Bud Calhoun würde tatsächlich einen Mausalarm entwickeln, einen für Katzen verständlichen. Das wurde Paul bewusst, als er in der blassen Märzsonne zu seinem Wagen ging. Hin und wieder fragte er sich, ob er selbst sich nicht in einer anderen Epoche wohler gefühlt hätte, aber dass Bud genau zur richtigen Zeit lebte, stand außer Frage. Buds Denkweise entsprach genau jener, die seit Gründung der Nation als ausgesprochen amerikanisch galt - die ruhelose, sprunghafte Art und Vorstellungskraft eines Tüftlers. Bud stellte die Krönung ganzer Generationen von Bud Calhouns dar, zumindest kam er ihr recht nah, so als sei nahezu die gesamte amerikanische Industrie in einer einzigen aberwitzigen Maschine vereint.
Paul blieb an Buds Auto stehen, das neben dem seinen stand. Bud hatte ihm schon mehrere Male dessen besondere Ausstattung vorgeführt, und spaßeshalber ließ Paul sich von dem Auto zeigen, was es konnte. »Auf geht's«, sagte er zu dem Wagen.
Ein Summen und Klicken und schon sprang die Tür auf. »Einsteigen, bitte«, kam es vom Band unter dem Armaturenbrett. Der Anlasser orgelte, der Motor sprang an, brummte im Leerlauf, und das Radio lief.
Vorsichtig drückte Paul auf einen Knopf an der Lenksäule. Ein Motor schnurrte, eine Mechanik murrte leise, und die beiden Vordersitze legten sich flach nebeneinander wie ein müdes Liebespaar. Paul erinnerte das an einen OP-Tisch für Pferde, den er mal in einer Tierklinik gesehen hatte. Das Pferd wurde neben den senkrecht gekippten Tisch geführt, daran festgeschnallt, betäubt und dann von der motorgetriebenen Tischplatte in Behandlungsposition gebracht. Er konnte schon Katharine Finch sehen, wie sie daniedersank, während Bud auf den Knopf drückte und säuselte. Mit einem zweiten Knopf ließ Paul die Sitze wieder hochfahren. »Tschüss«, sagte er zu dem Wagen.
Der Motor ging aus, das Radio verstummte, und die Tür schlug zu. »Lass dir nicht die Butter vom Brot klauen«, rief das Auto, und Paul stieg in seinen Wagen. »Lass dir nicht die Butter vom Brot klauen, lass dir die Butter nicht vom Brot klauen, lass dir nicht .«
»Mach ich nicht!«
Buds Auto verstummte zufrieden.
Paul fuhr den breiten sauberen Boulevard entlang, der die Fabrik teilte, und sah die Gebäudenummern vorbeihuschen. Ein...
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