Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
In meiner Rolle als amtliche Leseratte unserer Familie war ich früher dafür zuständig, den Helden oder die Heldin jedes Buches zu identifizieren, das ich mit meinen beiden Schwestern zusammen las.
In den meisten Büchern war das keine schwierige Aufgabe. Mal wollten wir Lucy in den Narnia-Büchern sein; irgendwann durchlebten wir unsere Anne-of-Green-Gables-Phase und schlüpften in die Haut dieses temperamentvollen Waisenkindes. Hanni und Nanni standen eine Zeit lang ganz oben auf unserer Favoritenliste; später war es Elizabeth Bennet, die Heldin des Jane-Austen-Klassikers Stolz und Vorurteil.
Beim Bibellesen fällt das Ergebnis nicht immer so eindeutig aus, vor allem in den langatmigen letzten Kapiteln des ersten Mosebuches. Mitten in den peinlichen Intrigen um die Sippe von Jakob & Co. sucht der Leser vergebens nach einer Lichtgestalt, nach irgendjemandem, der sich als vorbildlicher Protagonist für die nächste Etappe von Gottes Wirken eignen würde.
Jakob, der Erbe von so bedeutenden Patriarchen wie Abraham und Isaak, stolpert von einem Skandal in den nächsten. Sein triebhaftes Verlangen nach Liebe und Sex lässt ihn in einem widerlichen Karussell zwischen den Betten von vier verschiedenen Frauen rotieren. Dass er in und trotz allem ein Händchen für unternehmerische Hochleistungen zeigt, macht ihn zwar reich, aber dadurch nicht unbedingt bewundernswert. Er trickst und mogelt sich durch jeden Hindernislauf; irgendwann seilt er sich mit raffiniertem Geschick von seinem Onkel Laban - der gleichzeitig sein Arbeitgeber ist - ab und zieht mit dessen Töchtern plus Anhang und einem gewaltigen Anteil der erworbenen Gewinne in die Unabhängigkeit.
Wer vier Frauen mit ihren Haushalten verwalten muss, hat wenig Zeit oder Kapazität, den Nachwuchs ordentlich zu erziehen. So reiht sich Jakob in eine unrühmliche Liste von alttestamentlichen Frauenhelden ein, die von einer Überdosis an Testosteron getrieben sind und schwer dafür bezahlen müssen. Das Ergebnis seiner Bettgeschichten ist eine wüste Sippe von anspruchsvollen, sturköpfigen Söhnen, über die er keine Kontrolle hat. Söhne, die seinen Reichtum und seinen exklusiven Geschmack gerne übernehmen, aber nichts von seiner Gottesfurcht wissen wollen. König David wird eine ähnliche Familienkultur später fast das Leben kosten.
Zu der wilden Mannschaft der Jakobssprösslinge gehört auch Josef, der Zweitjüngste in der Brüderreihe - der Sohn, auf den Jakobs große Liebe, Rahel, sehnlichst gewartet hat. Warum Jakob diesen jungen Burschen so offensichtlich bevorzugt, geht aus dem biblischen Text nicht eindeutig hervor. Vielleicht ist er ein kleiner Sonnenschein, eine wohltuende Abwechslung, nachdem Vater Jakob von den anderen Söhnen nicht allzu viel Liebe und Anerkennung erhalten hat. Noch wahrscheinlicher ist jedoch, dass Jakob ihn lieber hat, weil er Rahels Sohn ist. Nach dem Tod seiner Lieblingsfrau, für die Jakob sieben Jahre lang gedient hat, stellt Josef womöglich eine tröstliche Verbindung zu ihr dar. Vielleicht sieht er ihr ähnlich und erinnert Jakob täglich an sie.
Seltsam ist, dass Jakob in der Erziehung seiner Söhne genau den gleichen Fehler macht wie seinerzeit sein eigener Vater, Isaak: einen Sohn spürbar, sichtbar auf ein Podest zu stellen. »Und Israel liebte Josef mehr als all seine Söhne, weil er der Sohn seines Alters war; und er machte ihm einen bunten Leibrock« (1.?Mose 37,3).
Das muss natürlich schieflaufen. Das Symbol für diese gravierende Ungerechtigkeit könnte nicht auffälliger sein: Zu jeder Tageszeit, aus jeder Ecke kann nun eine Palette bunter Farben aufblitzen - der kleine Bruder ist wieder unterwegs! »Als aber seine Brüder sahen, dass ihr Vater ihn mehr liebte als alle seine Brüder; da hassten sie ihn und konnten ihn nicht mehr grüßen« (1.?Mose 37,4).
Juda: War das schon wieder dieser kleine Angeber oder habe ich nur geträumt? Allmählich werde ich wohl wahnsinnig. Ich kann den Anblick dieses bunten Leibrocks nicht mehr ertragen. Wann immer ich die Augen schließe, sehe ich in meiner Fantasie nur Farben. Sie gehen ineinander über, sie kreisen umeinander, mal wellenförmig, mal in geraden Linien, und dann erscheint irgendwann sein freches Gesicht mittendrin, mit diesem arroganten Blick, der sagen will: »Ich bin der Coolste, ich bin Papas Liebling .« Den Mantel zu Lumpen zerreißen, das wär's. Mann, ich könnte den Kerl erwürgen!
Simeon: Dann erzähl ich dir lieber nichts von seiner neuesten Story.
Juda: Ach du liebe Güte. Hat er eine Engelserscheinung gehabt, oder was?
Simeon: Fast. Es wird jedes Mal krasser. Aber ich behalte es lieber für mich, sonst steigt dein Puls wieder.
Juda: Zu spät. Mein Puls ist schon auf hundertachtzig - raus mit der Sprache, Bruder! Du kannst es sowieso kaum erwarten, es mir zu sagen, gib es zu.
Simeon: Ach, es ist nur eine neue Variante der Garbengeschichte.
Juda: Lass mich mal raten. Sind wir jetzt lauter Bäume, die sich vor seinem Baum verneigen? Du schüttelst den Kopf. Hm. Pferde. Wir sind alle kleine Ponys und sinken vor Ehrfurcht auf die Knie, wenn das Josef-Ross vorbeigaloppiert. Auch nicht?
Simeon: Besser noch, Juda! Wir sind Sterne! Unsere Eltern sind die Sonne und der Mond, und alle werfen sich nieder, sobald Josef der Große, Josef der Mächtige, Josef der Weltherrscher, Josef der Unbesiegbare und der Edle, vorbeischwebt.
Juda: Das ist nicht dein Ernst, Simeon. Mir verschlägt es die Sprache. Also, wenn unser Vater jetzt nicht eingreift, dann .
Simeon: Was dann? Du, hör lieber mit deinen Drohgebärden auf, das führt zu nichts. Übrigens scheint unser Vater diesmal ein ernstes Wort mit dem hochnäsigen kleinen Schnösel geredet zu haben. Selbst ihm werden jetzt offenbar die Starallüren seines Lieblings zu viel. Sonne spielen und sich vor seinem Sohn beugen müssen - dass ich nicht lache.
Juda: Ach, unser Vater?.?Er ist schon so alt, er kann einem leidtun. Wenn dieses Spektakel weitergeht, dann hau ich ab. Ganz einfach. Soll Josef doch auf den patriarchalen Thron steigen und die Welt retten, mir kann es gleich sein.
Simeon: Hey, Bruder Hitzkopf - langsam jetzt. Mal ernst. Vergiss nicht, dass es uns alle nicht von ungefähr gibt. Auch wenn wir es manchmal für einen schlechten Scherz halten, wir sind von Gott berufen und auserwählt, wir sind die Nachkommen Abrahams - Gesegnete und Verantwortungsträger. Unsere Nachkommen sollen so zahlreich werden wie der Sand am Meer - Gott will uns zu einem großen Volk machen, das hat er unseren Vorfahren versprochen!
Juda: Ach komm, das ist doch nur eine Legende. Wer glaubt schon daran! Auserwählt? Pah! Der liebe Jahwe hätte sich eine andere Sippe aussuchen sollen. Was haben wir schon davon, auserwählt zu sein?
Simeon: Dein Ton erschreckt mich, Juda. Wir können über Gott denken, wie wir wollen, aber ihn zu verachten, das bringt nur Unglück.
Mit Jakobs Söhnen ist nicht zu spaßen, man sollte sie nicht unnötig reizen. Ihre Drohungen sind durchaus ernst zu nehmen. Nicht lange bevor sich das Drama um Josef entwickelt, haben die Brüder eine ganze Stadt dem Erdboden gleichgemacht (1.?Mose 34). Das ursprüngliche Motiv mag nobel gewesen sein - sie wollen die Ehre ihrer Schwester retten, die von einem Fürsten des Landes vergewaltigt wurde. Danach verliebt sich dieser Fürst jedoch in sie und will sie dazu überreden, ihn zu heiraten. Man könnte doch gemeinsame Sache machen, meinen die Adligen von Sichem, als sie mit Jakob in Verhandlungen treten: untereinander heiraten, lukrative Bündnisse schließen.
Ein scharfer, gieriger Blick auf Jakobs große Reichtümer hat sicherlich keine geringe Rolle in diesen Überlegungen gespielt. Levi und Simeon durchschauen den Plan und locken den sex- und geldsüchtigen Fürsten in eine Falle, indem sie darauf bestehen, dass alle Männer der Stadt sich zuerst beschneiden lassen. Die Einwohner von Sichem akzeptieren diese Bedingung für das Bündnis, doch dann fallen Jakobs Söhne mit dem Schwert über sie her, während sie noch ihre wunden Genitalien pflegen.
Diese Burschen können also töten. Wenn es in der Bibel heißt, die Brüder hassen Josef so sehr, dass sie ihm nicht einmal mehr »Hallo« sagen, dann wird es für den jungen Burschen gefährlich. In seinem Größenwahn merkt er es aber nicht einmal. Arrogante Menschen mögen ihre Kompetenzen haben, aber eins können sie nicht: über ihr eigenes Verhalten reflektieren.
Der Rest der Josefsgeschichte ist eine dramatische Kombination aus verschiedenen Elementen eines spannenden Krimis. Und sie erinnert auch ein wenig an Aschenputtel. Auf den tragischen Sturz folgen die Läuterung, der Aufstieg und schließlich das Heldentum, über viele Hindernisse hinweg.
Es ist auch eine Geschichte von Verrat, wie er nicht niederträchtiger sein könnte. Judas Idee ist es, Josef zu verkaufen. Das verschlägt einem die Sprache - wie böse kann ein Mensch nur sein? Seinen eigenen Bruder zu verkaufen und Geld für ihn zu nehmen? Nicht nur ignorieren die ruchlosen Kerle Josefs Flehen um Gnade, sie lassen ihren Vater auch noch glauben, dass der kleine Bruder von einem wilden Tier umgebracht worden sei, und pflegen diese Lüge sorgfältig über viele Jahre hinweg.
Josefs Verbannung in die Sklaverei und die erstaunliche Wende seines Schicksals nehmen den größten Teil der letzten Kapitel von 1.?Mose ein, ein...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.