Schock im Supermarkt
Lea rüttelte an der Tür, aber sie blieb verschlossen. Plötzlich flackerte das Licht, dann ging es aus. In Lea stieg Panik auf, wo hatten die Ermittlungen sie nur hingeführt? Kim klappte ihren Laptop zu.
»Lies weiter!« Franzi saß gebannt am Schreibtisch und hatte den Kopf in die Hände gestützt.
»Ich konnte nicht weiterschreiben, weil ich selbst Angst bekommen habe«, erklärte Kim, die auf einem Kissen auf dem Flickenteppich saß, eingehüllt in eine Wolldecke.
»Dann ist deine Detektivgeschichte ja die perfekte Therapie für deine Platzangst.« Franzi stand auf und balancierte ein Tablett, das sie vorsichtig vor Kim auf den Boden stellte.
»Stimmt eigentlich.« Kim hielt ihre kalten Hände über den kleinen Ofen. »Warum haben wir eigentlich keine Fußbodenheizung in unserem Hauptquartier?« Sie kicherte.
»Das würde Marie bestimmt auch gefallen.« Franzi grinste.
»Wo bleibt sie eigentlich schon wieder?«
»Hoffentlich wird sie nicht gegen ihren Willen irgendwo festgehalten.« Kim wusste, dass das Quatsch war, aber sie war gedanklich noch so mit ihrer Detektivgeschichte beschäftigt.
»Dann muss sie jetzt an etwas Schönes denken, genau wie Lea, damit ihre Platzangst nicht so schlimm wird«, meinte Franzi.
»Gute Idee, möchtest du meine Co-Autorin werden?« Kim zwinkerte ihrer Freundin zu.
»Du bist die Autorin. Ich die .«
». Sportskanone«, ergänzte Kim.
Franzi schob das Tablett zur Seite und kam mühelos in den Kopfstand. »Wenn man friert, hilft Sport am besten. Komm, mach auch mit.«
Kim nahm einen dampfenden Kakao vom Tablett. »Ich wärme mich lieber von innen.«
»Auch gut.« Franzi rollte sich vorsichtig aus ihrem Kopfstand, schnappte sich eine Decke und setzte sich Kim gegenüber auf ein Kissen.
Kim wärmte ihre Hände an dem Becher. »Es ist so super, dass deine Eltern sich endlich geeinigt haben und deine Mutter das Glashaus zum Café macht.« Sie kuschelte sich tiefer in die Decke. »Dann haben wir hier auf dem Hof unser Hauptquartier und unser zweites Stammcafé.«
Franzi pustete in ihren Kakao und nahm einen Schluck davon. »Na ja, sie öffnet das Café ja nur sonntags, also nicht täglich, sonst wäre sie ständig in ihrer Backstube. Meinem Vater ist es wichtig, dass sie auch noch Zeit für sich und für uns hat. Außerdem soll es keine Angestellten geben, sondern nur ein kleiner Familienbetrieb sein.«
»Bist du auch irgendwie eingeplant?« Kim sah Franzi besorgt an.
Franzi lächelte. »Keine Panik. Ich bin und bleibe Detektivin. Obwohl, wenn du bald eine rasende Reporterin oder Detektivromanautorin bist, vielleicht hast du ja dann keine Zeit mehr für unseren Detektivclub.«
»Ach Quatsch. Unseren Club und das Schreiben kann ich verbinden. Wenn ich erst mal eine gute Idee habe, schreibe ich schnell. Und zwischendurch brauche ich ja auch kreative Pausen, da ist die Detektivarbeit perfekt.« Sie seufzte. »Ich habe übrigens immer noch keinen Aufhänger für meine nächste Reportage.« Kim stellte ihren Becher auf das Tablett und streckte sich. »Hoffentlich habe ich keine Schreibblockade?«
In diesem Moment kam Marie herein. »Hallo, ihr zwei, tut mir leid, ich .«
Maries Blick fiel auf das Tablett mit der Kuchenauswahl.
»Genau das brauche ich jetzt.« Schnell zog sie sich ihre Winterstiefel und den pinkfarbenen Daunenmantel aus, setzte sich zwischen ihre beiden Freundinnen auf das Kissen und hüllte sich in eine Wolldecke. Dann schnappte sie sich eine Gabel und probierte die Zitronentorte, die mit kleinen Schokoherzchen verziert war. »Sieht supersüß aus und schmeckt .«, Marie überlegte, »supersüß.«
»Meine Mutter will in letzter Zeit andauernd wissen, nach was ihre Kuchen und Torten schmecken, damit sie das auf die Cafékarte schreiben kann.« Franzi stellte die Teller mit den Kuchenstücken direkt vor ihre Freundinnen.
»So wie Weinkenner den Geschmack von Wein beschreiben?« Marie breitete ihre Arme aus, so als wollte sie etwas Besonderes präsentieren. »Dieser Wein verströmt zarten Blütenduft mit einem Hauch Grapefruit.« Kim und Franzi guckten sie überrascht an. »Mein Vater hat so ein Weinbuch und fachsimpelt manchmal rum«, lachte sie und nahm noch ein Stück von der Torte. »Jetzt hab ich es: Schmeckt nach Zitrone mit einem Hauch frischer Minze, zusammen mit den Schokoherzen fruchtig herb«, versuchte sie den Geschmack zu beschreiben. »Aber zurück zu deiner Reportage. Kann dir Sebastian nicht helfen, einen Aufhänger zu finden?«
Sebastian Husmeier war Journalist bei der Neuen Zeitung und der Leiter des Schreibworkshops, an dem Kim seit einigen Wochen teilnahm.
»Er hilft mir doch schon die ganze Zeit. Neulich durften wir sogar mit ihm zu einem Außentermin im Autohaus. Es ging darum, ob Leute im Frühjahr ihren Reifenwechsel selber machen.«
Marie musste kichern. »Wow, wie aufregend.«
»Ja, ich weiß. Aber ihr hättet mal sehen sollen, wie nett er mit den Leuten da geredet hat. Der nimmt die Menschen so, wie sie sind, ohne sich lustig zu machen«, berichtete Kim. Sie nahm eine Gabel von der Schokoladentorte. »Mmmh. Richtig süß.« Sie schloss die Augen, um sich besser auf den Geschmack konzentrieren zu können. »Und lieblich! Aber auch kräftig .«
»Redest du von Sebastian?« Marie zog die Augenbrauen hoch. Augenrollend knuffte Kim Marie gegen den Arm. »Quatsch! Den würde ich anders beschreiben.«
»Echt? Wie denn?« Auch Franzi war neugierig geworden.
»Total nett und kompetent.«
»Und gut aussehend?« Marie leckte ihren Finger ab, auf dem ein kleines Schokoherz klebte.
Ohne weiter darauf einzugehen, nahm Kim einen großen Schluck Kakao. »Mich würde jetzt erst mal interessieren, warum du zu spät gekommen bist.«
Mit einem Löffel klaute Marie sich ein Stück von Kims Schokotorte. »Süß, aber leider keine Spur verführerisch. Mit einem faden Beigeschmack.«
Sie musste lachen, als sie Kims und Franzis irritierten Gesichtsausdruck sah. »Das war jetzt nicht die Beschreibung der Tarte. Ich meine Sami. Wir haben heute Mittag zusammen Pasta gekocht, dabei hat er so süß Feelin' Crazy von den Boyzzzz gesungen. Als ich mit eingestimmt habe, hat er sofort aufgehört und ich hab allein weitergesungen. Das war vielleicht peinlich.« Marie seufzte und zog sich ihre Decke fast bis unter die Nasenspitze. Sie versuchte schon länger mit Sami Voutilainen zu flirten, aber der finnische Au-pair-Junge, der bei den Grevenbroichs wohnte und auf Maries drei Jahre alten Bruder Finn aufpasste, ließ sich einfach nicht darauf ein.
»Du warst bestimmt zu gut, da konnte er nicht mithalten.« Kim zupfte an Maries Decke und zog sie ein Stück weg.
»Deshalb warst du zu spät?«
Marie hielt die Wolldecke mit beiden Händen fest. »Nach dem Essen stand Holger plötzlich vor der Tür und wollte sich mit mir zum Joggen verabreden.«
»Und?!« Kim und Franzi sahen ihre Freundin gespannt an.
»Ich hab gesagt, dass ich gerade viel zu tun habe.« Marie zog die Decke wieder hoch. »Eine echt bescheuerte Ausrede, aber warum sollte ich mich mit ihm treffen? Er hat ja jetzt Selma.«
Maries und Holgers Beziehung war von den beiden auf Eis gelegt worden, weil Holger sich in ein anderes Mädchen verliebt hatte. Zu allem Überfluss hatte Marie die beiden dann auch noch beobachtet, wie sie sich geküsst hatten.
Kim streichelte mitfühlend Maries Schulter. Doch Marie lenkte das Gespräch auf ein anderes Thema: »Gibt es bei euch was Neues?«
»Wir müssen uns noch überlegen, wie wir unser Hauptquartier besser schützen, wenn hier bald Gäste auf dem Hof herumlaufen.« Franzi stellte die leeren Kuchenteller auf das Tablett zurück.
Das professionell ausgestattete Hauptquartier der drei Detektivinnen Kim Jülich, Franziska Winkler und Marie Grevenbroich, das sich die drei Mädchen auf dem Hof der Familie Winkler im Pferdeschuppen eingerichtet hatten, sollte natürlich unerkannt bleiben.
»Wir können ja ein Schild aufhängen: Vorsicht vor dem Huhn!«, schlug Kim kichernd vor.
Tierliebhaberin Franzi hatte nämlich nicht nur ein Pony namens Tinka, sie hatte auch ein Zwerghuhn, das auf den Namen Polly hörte und mit großer Vorliebe Schnürsenkel aufpickte.
»Vielleicht können wir eine Blumenhecke pflanzen. Sieht schön aus und ist wie eine Absperrung«, überlegte Marie.
Das erinnerte Kim an den Fall Dornröschen, in dem sie vor einiger Zeit ermittelt hatten. Dieser war schon eine Weile her, kein Wunder also, dass die drei Mädchen so langsam den Nervenkitzel eines neuen Detektivfalls vermissten.
Franzi stand auf und zog sich ihre Jacke über. »Ich hab meiner Mutter versprochen, dass ich für sie einkaufen gehe. Beim Superkauf gibt es einen Standmixer im Angebot.«
»Ist das der neue Riesensupermarkt bei Kim um die Ecke?« Auch Marie sprang auf und streckte sich. »Da wollte ich schon die ganze Zeit mal hin.«
Eine Dreiviertelstunde später betraten die drei Detektivinnen den Superkauf. Kim hatte das Gefühl, in einer Flughafenhalle zu sein.
»Kommt, wir teilen uns auf. Ich besorge den Standmixer, ihr den Rest.« Marie lief los, den überdimensional großen Einkaufswagen vor sich herschiebend, und verschwand hinter einem Regal, während Kim versuchte, sich zu...