Schweitzer Fachinformationen
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Kritisiert, geschätzt, der möglichst raschen Vernichtung preisgegeben: Therapeutische Schulrichtungen liegen bis heute im Widerstreit miteinander und bestimmen, wohl durchaus zu Recht, das Bild moderner Psychotherapie. Die Merkmale einer therapeutischen Schulrichtung ( Kasten 2) bauen stringent auf der zugrunde liegenden Philosophie, dem Menschenbild, der Weltanschauung, dem Basisparadigma, oder wie immer man den Boden des jeweiligen Denk- und Handlungsgebäudes nennen mag, auf.
Darstellung des zugrunde liegenden anthropologischen Verständnisses und Bemühen um eine maximale Breite desselben (Philosophische Perspektive)
Umfassende Aussagen zur Einbettung des Verfahrens in die aktuellen kulturell-gesellschaftlichen Verhältnisse (Soziologische Perspektive)
Theorie der psychischen Störungen und deren Therapie (Krankheits- und Veränderungstheorie) (Psychopathologische Perspektive)
Theorie des therapeutischen Geschehens (Prozess- und Beziehungstheorie, Wirkfaktorentheorie) (Psychologische Perspektive im eigentlichen Sinne)
Wissenschaftlicher Nachweis der Quantität und Qualität ihrer Wirkung (Wirksamkeitsperspektive)
Wie nun berücksichtigen die Therapieschulen das »Existenzielle« in ihrer Theorie und Praxis? Es empfiehlt sich hierbei eine Aufteilung in die beiden »klassischen« Therapieschulen einerseits und die »Spezialisten« für Existenzielles andererseits.
Viele Protagonisten der Verhaltenstherapie haben sich von den philosophischen Wurzeln der Psychotherapie entfernt, definieren ihre Therapierichtung als Naturwissenschaft und akzeptieren nur mathematisch-naturwissenschaftliche Forschungsmethoden. Der bekannte Hamburger Verhaltenstherapeut und Fachbuchautor Harlich H. Stavemann beschreibt »auch nach langjähriger Ausbildung in kognitiven Verfahren und Therapietechniken« eine Unvorbereitetheit »auf die lebensphilosophischen Fragen« der Patienten und stellt eine »gewaltige Lücke« fest, »die erst durch mühsames Auseinandersetzen mit und Reflektieren von relevanten Themen nach und nach zu füllen war«41. Er stellt einen eklatanten »Trainingsmangel« und vermeidende Einstellungen bezüglich philosophischer Themen fest und plädiert, als große Ausnahme seines Faches, für eine »Philosophische Wende« in seiner Disziplin42.
Auf den ersten Blick erscheint auch eine Verbindung existenzialistischer Aspekte mit dem Mainstream verhaltenstherapeutischer Theorieentwicklung unvereinbar. Erkenntnistheorietisch widersprechen bereits die positivistischen Grundparadigmen und die daraus abgeleitete, auf ausschließlich statistisch-naturwissenschaftlichem Niveau begründete empirische Orientierung allen existenzialistisch-philosophischen Ansätzen grundlegend. Verhaltenstherapie ist in den sie dominierenden Hauptströmungen auch zunächst nicht idiosynkratisch orientiert, sondern interessiert sich, im Gegensatz zum Diktum des Existenzialismus, in erster Linie für das, was der Mensch mit anderen gemeinsam hat (statistische Gruppenvergleiche)! Jedoch, so stellen die beiden namhaften Verhaltenstherapeuten Noyen und Heidenreich fest, ». Tod, Freiheit, Isolation und Sinn zeigten sich dabei regelhaft auch in kognitiven Verhaltenstherapien, in denen ihnen aber nicht per se eine Bedeutung zukommt .«43. Und zutreffend weisen sie darauf hin, ». dass die Menschenbilder beider Ansätze zunächst sehr unterschiedlich erscheinen und eine Integration deshalb unseres Erachtens sehr vorsichtig erfolgen sollte«44. Dem steht auf den ersten Blick die kurze Darstellung einer »Existenziellen Verhaltenstherapie« des Heidelberger Psychologieprofessors Peter Fiedler45 entgegen, einem der wichtigsten zeitgenössischen deutschsprachigen Autoren moderner kognitiver Verhaltenstherapie. Bei genauer Betrachtung muss dessen Nutzung des Terminus »existenziell« aber infrage gestellt werden, bezeichnet er doch alltagssprachlich z. B. Adoleszenz, Menopause, Umbrüche in der Familie, Wochenbett .46 als »existenzielle Krisen« und schließt damit in keiner Weise an den existenzialistischen Diskurs an. Z. T. finden sich Formulierungen gar im Widerspruch zu diesem, z. B. wenn er den Fokus auf die Lösung der Krise47 legt oder in einer technischen Darstellung verhaltenstherapeutischer Arbeit Existenzielles am Werke sieht, wenn etwa »die Beziehung zwischen Therapeut und Patient ins Stocken gerät« oder »eine Psychotherapie in eine existenzielle Krise entgleitet«48. Mehr im Sinne Sartres ist da schon Fiedlers Betonung der Mitwirkung und Widerspruchsmöglichkeit (Freiheit) der Patienten und sein abgestufter Vorschlag, 1. einer empathischen Sinndeutung durch den Therapeuten und 2. der Wiederherstellung von Autonomie und Verantwortung. Eine prägnante Zusammenfassung, wann und wie denn einige der existenziell-psychotherapeutischen Praktiken in primär störungsspezifische Behandlungskonzepte einzubauen sind, beschreibt der gleiche Autor jüngst erneut unter dem Blickwinkel der therapeutischen Beziehung. Hier werden Transparenz und Positivierung, Akzeptanz möglicher Faktizität und die Suche nach einem Ausweg sowie Faktizität und unveränderliche, schicksalhafte Gegebenheiten als zentrale Denkfiguren benannt.49
Neben dieser in der verhaltenstherapeutischen Literatur sehr seltenen Bezugnahme auf Existenzielles postulieren Noyen und Heidenreich folgende Gemeinsamkeiten zwischen Verhaltenstherapie und den existenziellen, hier vor allem aber auf die logotherapeutische Richtung (s. u.) fokussierten Therapieformen50:
»Störungsaufrechterhaltende Bedingungen« weisen eine große Nähe zu »daseinshinderlichen Bedingungen« auf.
Ziel- und Werteklärung passen zusammen mit der »Intentionalität« der Logotherapie.
Kognitive Verhaltenstherapie und Logotherapie kämpfen gegen »Hyperreflexion«51.
Arbeit gegen kognitive Grundannahmen entspricht logotherapeutischer Arbeit der »Einstellungsmodulation«.
Anzufügen ist hier tatsächlich, dass Viktor Frankl, der Begründer der Logotherapie (s. u.), sich zeitlebens über die geringe Wertschätzung seitens der Verhaltenstherapie, obwohl diese viele seiner Konzepte übernahm, ärgerte und diesen Ärger nicht selten auch öffentlich kundtat!
Sichtet man die moderne verhaltenstherapeutische Mainstream-Literatur im Überblick, so fällt jedoch primär auf ». wie in einem neuen Behaviorismus das Aushalten der Tragik und der individuellen Krise therapeutisch beschwichtigt und der existenzielle Schmerz der Seele palliativ sanft zugedeckt wird«52. Und doch bestätigen nicht unerhebliche Ausnahmen die Regel. So meinen etwa Luoma, Hayes und Walser: »Wir können als Menschen nicht leben, ohne vom Leiden berührt zu werden . Vielleicht ist es ein geradezu trauriger Umstand, dass das Streben nach Wohlgefühl oft im Zentrum der gesellschaftlichen Vorstellungen über psychische Gesundheit steht . Das Leugnen der Unvermeidbarkeit von Schmerz erzeugt viel Kampf und Leiden«53. Die von ihnen entwickelte Acceptance and Commitment Therapy (ACT)54 »sei zwar . in einem gewissen Sinne der kognitiv-behavioralen Therapie (KBT) zuzurechnen«55, steht allerdings von ihrer gesamten Grundphilosophie außerhalb der allermeisten kognitiv-verhaltenstherapeutischen Ansätze und ist in diese kaum zu integrieren. Die angestrebte Akzeptanz innerer Erlebnisse (Gefühle und Gedanken) und ein engagiertes Verfolgen zuvor erarbeiteter Ziele erinnern an Sartres Vorstellungen von den unveränderlichen der existenziellen Bedingungen und der daraus folgenden Verpflichtung. Die »Kreative Hoffnungslosigkeit« der ACT macht auch deutliche Anleihen beim vom Existenzialismus als für die menschliche Entwicklung konstitutiv gesehenen Gefühl der Verzweiflung:
»Therapeutisch bezieht sich der Begriff darauf, dass der Therapeut das Empfinden der Vergeblichkeit des Kampfes, in den sich der Patient verstrickt hat, ebenso bestätigt wie die Tatsache, dass der Klient anfängt, sich völlig neuen Möglichkeiten zu öffnen .«56
Trotz dieser hier nur beispielhaften Parallelen, die sicher noch erweitert werden könnten, gibt es in der ACT aber leider keinerlei ausgearbeiteten oder auch nur benannten Bezug zum...
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