Schweitzer Fachinformationen
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»Hat jetzt der Weißbauer doch seinen Willen. Wir haben einen neuen Fall. Damit ist der Alte dann wohl ad acta gelegt.« Mit diesen Worten begrüßte Jessica Tom, die Kapuze ihres Regencapes tief ins Gesicht gezogen. Im Schlepptau hatte sie Mayrhofer, der sich mit in den Taschen vergrabenen Händen nach allen Seiten umschaute und sichtlich auf Feierabend eingestellt war.
»Schauen wir mal. Gut, dass der Fall bei uns gelandet ist.« Tom war froh, dass die Kollegen da waren und sie offiziell mit der Arbeit beginnen konnten. Der gesamte Polizeiapparat war angelaufen. Über Julias Leiche war ein zeltartiger Regenschutz gespannt. Die Frauen und Männer der Spurensicherung wuselten herum und hatten den Tatort großräumig abgesperrt. Die wenigen Papierblätter, die die Täter in der Eile nicht hatten mitnehmen können, steckten in einer Klarsichthülle.
Tom, Jessica und Mayrhofer standen unweit des Eingangs vom Hackerhaus. Unter Jessicas Kapuze lugten orangerote Fransen hervor. Tom hatte bis heute nicht verstanden, warum seine Kollegin ihren blonden Pagenkopf mit dem eleganten, überlangen Pony orangerot gefärbt hatte. Die flotte Frisur hatte ihrer kleinen, kugeligen Figur eine vorwitzige Eleganz verliehen. Jetzt fehlten nur noch ein auffälliges Tattoo im Nacken sowie ein Nasenpiercing, und die Reminiszenz an ihre Herkunft aus dem Berliner Kiez Kreuzberg wäre perfekt.
»Mei, schon wieder ein Mord. Und diesmal direkt vorm Hackerhaus. Ihr scheints das Unheil ja regelrecht anzuziehen. Die Einschläge rücken näher, Perlinger.« Mayrhofer war sichtlich ungehalten, dass sich sein Feierabend nach hinten verschoben hatte.
»Klappe, Mayrhofer.« Blöde Sprüche konnte Tom jetzt gar nicht gebrauchen.
»Stimmt das, die Tote ist Julia Seidl?« Mayrhofer deutete auf das Zelt.
Tom nickte traurig.
»Die mit uns in der Schule war?« Mayrhofer reckte das Kinn frech nach vorne, die Hände in den Taschen vergraben.
Tom nickte wieder.
»Du hast sie ja besser gekannt.« Der Argwohn in Mayrhofers Stimme war nicht zu überhören.
»Und? Du doch auch.«
»Oh, mein Beileid, Chef«, schaltete sich Jessica ein, blickte mitfühlend zu ihm hoch und streckte ihm die Hand entgegen, die Tom automatisch ergriff. Sie war gut eineinhalb Köpfe kleiner als er. Ihn mit »Chef« anzusprechen, hatte Tom ihr nicht abgewöhnen können. Das war wohl in Berlin so üblich. Ohne ihren siebten Sinn dafür, wann sie zwischen Mayrhofer und Tom gehen musste, würden sie sich als Team in stetigen Streitereien aufreiben und rein gar nichts zustande bringen. Neben ihrer Teamfähigkeit rechnete er Jessica ihren engagierten Einsatz und ihre unkonventionelle Eigeninitiative hoch an, die jeden anderen Vorgesetzten zur Verzweiflung gebracht hätte.
»War sie eine enge Freundin?« Jessicas Mitgefühl war ehrlich, ohne Hintergedanken. Ihre hohe Empathie war gerade bei Verhören unbezahlbar. Sie konnte sich intuitiv in die Gemütslage anderer Menschen hineinversetzen, und irgendwie gelang es ihr meist, selbst hinter die schönsten Fassaden zu blicken.
»Kann man so sagen«, fuhr Mayrhofer dazwischen. »Ihr wart doch früher unzertrennlich. Wenn man's genau nimmt, müsstest du den Fall abgeben.«
Tom zwang sich, sich zusammenzureißen, denn er kannte Mayrhofers Versuche, ihn zu provozieren. Mayrhofers Vorhaben war leicht zu durchschauen. Er zielte auf Befangenheit ab. Aber das würde Tom nicht zulassen. Auf keinen Fall durfte er sich jetzt zu einer Handlung hinreißen lassen, die es Mayrhofer ermöglichte, Tom vom Fall abberufen zu lassen oder gar ein Disziplinarverfahren gegen ihn einzuleiten. Es würde nicht einfach werden. Denn Tom war längst klar, dass Mayrhofer nichts sehnlicher wünschte, als seinen Platz einzunehmen.
So weit würde Tom es allerdings nie und nimmer kommen lassen. Er grinste und klopfte Mayrhofer betont gut gelaunt auf die knochige Schulter. »Da täuschst du dich, mein Lieber. Ja, ich war mit Julia befreundet. Aber das ist lange her. Trotzdem geht mir ihr Tod nahe. Und ich will nichts lieber, als so bald wie möglich ihren Mörder stellen. Genau wie du, nehme ich an. Du hast sie schließlich auch gekannt.«
Für Tom lag es auf der Hand, dass sein Einblick in Julias Wesen und ihr persönliches Umfeld bei der Lösung des Falls einen großen Heimvorteil bedeutete. Aber er würde den Fall nur so lange behalten, bis sich herumsprach, wie gut er Julia wirklich gekannt hatte. Eine Karte, die Mayrhofer ansatzlos spielen würde. Wenn Tom ihm nicht von Anfang an klar machte, dass er dann dafür sorgen würde, dass Mayrhofer aus dem gleichen Grund vom Fall abgezogen würde. Sie würden den Fall gemeinsam lösen - oder keiner von ihnen.
Tom sah Jessicas gerunzelter Stirn an, dass sie die Problematik erkannt hatte. Er würde sich wie schon bei dem letzten großen Fall rückhaltlos auf sie verlassen können. Jetzt erwiderte sie sein warmes Lächeln. Die Gefahr drohte einzig und allein von Mayrhofer.
Je stärker das Band der Loyalität zwischen Jessica und Tom wurde, desto rigoroser war Mayrhofer auf Angriff gebürstet. »War sie diejenige, die du treffen wolltest, weil sie wichtige Hinweise zu unserem Cold Case hatte?«
Yap. Kandidat hat 100 Punkte, dachte Tom. »Wie kommst du denn da drauf?«
Er wollte erst sehen, wo Mayrhofer stand und ob er dicht halten würde. Würde er bereit sein, auch gegen Weißbauers Ansage weiter zu ermitteln. Mayrhofer war bisher bei den Prostituiertenmorden in seinem Element gewesen. Allerdings vermutete Tom, dass das weniger am Fall selbst lag. Eher daran, dass es Mayrhofer ganz einfach eine spannerhafte Lust beschert hatte, im Intimleben von fünf Prostituierten herumzuschnüffeln. Besonders, weil die 60er-Jahre die Zeit gewesen waren, in der die sexuelle Befreiung laufen gelernt hatte. Was man der Ausdrucksstärke der Zeugenaussagen und Protokolle anmerkte.
Im Moment war sein lieber Kollege so gepolt, dass er alles gegen ihn verwenden würde, um Tom aus dem Fall zu bugsieren. Es war klüger, Mayrhofer erst einmal zu beschäftigen, als ihm Bälle zuzuspielen. Bisher hatte Mayrhofer bei jedem neuen Fall ein solches Tauziehen veranstaltet. Er suchte nach Chancen, um selbst das Ruder zu übernehmen, und dafür war ihm jedes Mittel recht. Dabei war er wenig belastbar, verlor schnell den Überblick und neigte dazu, sich in Details zu verlieren.
Da Tom und Mayrhofer schon im Gymnasium Parallelklassen besucht hatten, im Pausenhof des Öfteren aneinandergeraten waren und sich später in der Polizeischule während des Unterrichts wahre Wortgefechte geliefert hatten, würde Mayrhofer in Tom nie den Vorgesetzten akzeptieren, dessen war sich Tom bewusst. Zumal Mayrhofer ein Jahr älter war als er. Die einzige Chance bestand darin, ihn abzulenken. Ihn mit Arbeit zuzuschütten und dafür zu sorgen, dass er ab und an ein Erfolgsgefühl hatte. Und darauf zu vertrauen, dass Mayrhofer die Freundschaft zwischen Tom und Julia nicht an die große Glocke hängen würde. Einzig und allein deshalb, weil das gleiche Argument auch gegen ihn zog.
»Teilen wir uns auf«, sagte Tom. »Mayrhofer, du befragst die Passanten. Jessica, wir schauen uns Julia noch mal an.« . bevor sie in die Rechtsmedizin kommt. Er verbiss sich, seinen Satz zu vollenden, denn es gab ihm einen Stich, sich Julias Körper auf einer kalten Edelstahlbahre in einem der Kühlschränke vorzustellen.
»Hier Spuren zu finden wird ähnlich schwer werden wie bei der Fischbrunnenleiche«, gab Jessica zu bedenken, als sie zu zweit waren, und fuhr fort, als Tom nickte. »Woher kennt ihr beide die Tote?«
Tom entschied, Jessica die Wahrheit zu sagen. »Julia und ich waren von der 5. Klasse an Schulkameraden. Sie hat mit ihren Eltern in einem Hinterhof in der Nähe des Asamhofs gewohnt - nur ein paar hundert Meter entfernt. Wir haben die Nachmittage und später die Abende miteinander verbracht. Mayrhofer war auch im Wilhelmsgymnasium und ursprünglich eine Klasse über uns. Er hat in der 10. eine Ehrenrunde gedreht und kam in unsere Stufe.« Er beugte sich zu Jessica herunter und flüsterte ihr ins Ohr. »Julia und ihre beiden Freundinnen Franziska und Carolyn waren der Schwarm der Oberstufe. Mayrhofer war in Julia verliebt, und sie hat ihn abblitzen lassen.« Tom richtete sich wieder auf. »Soviel zum Thema Befangenheit - auch was Mayrhofer angeht.«
»Und du?«
»In wen ich verliebt war? Wir waren eine gewisse Zeit lang so was wie unzertrennlich. Julia, Franziska, Carolyn, Marcel, Sebastian und ich.«
»Verstehe. Die Insider.«
»Die Hackenviertel-Gang haben wir uns genannt.«
»Vermutlich die Clique, in der alle sein wollten.«
Tom zuckte die Schultern. Darüber hatte er nie nachgedacht. Aber die Tragweite von Julias Tod wurde ihm mit der Erinnerung umso bewusster.
»Und wer war mit wem zusammen?«
Tom schreckte aus seinen Erinnerungen hoch. »Wir waren jung, wir haben ausprobiert. Wir wollten unsere Grenzen ausloten. Das war bei dir doch bestimmt genauso.«
Jessica sah nicht so aus, als ob sie verstand, was er meinte. »Also jeder mit jedem, wenn ich richtig verstehe. Fühlst du dich denn der Sache gewachsen? Ich meine, Julia war immerhin eine gute Freundin. Es könnte ja sein, dass im Laufe der Ermittlungen noch weitere alte Bekannte auftauchen.«
»Was meinst du wohl? Aber so was von! Und so lange es nicht die Runde macht - wo kein Kläger, kein Beklagter!«
Julia nickte.
Tom bückte sich und verschwand im Zelt. Es war inzwischen dunkel, und jemand hatte eine Art improvisierte Beleuchtung angebracht. Im Schein des künstlichen Lichts...
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