Schweitzer Fachinformationen
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Der Wagen kroch mit ungefähr zehn Stundenkilometern die Straße entlang. Er fuhr in der Mitte, so als ob er sich in der nächtlichen Dunkelheit am Mittelstreifen entlangtastete, und selbst dort machte er hin und wieder einen unsicheren Schlenker.
Céleste Kreydenweiss, Chef de Police von Eguisheim, stieß ihren jungen Brigadier Luc Bato mit dem Ellenbogen an. «Der Fahrer ist voll wie ein Fass, den müssen wir rausholen.»
Luc nickte und hob die Kelle.
Als der Fahrer die beiden Beamten der Police Municipale bemerkte, schien er für einen kurzen Moment Gas geben zu wollen. Dann überlegte er es sich offensichtlich anders, bremste ab und kam am Straßenrand zum Stehen.
Céleste kniff die Augen zusammen. «Das Auto kenne ich doch .», murmelte sie überrascht.
Sie gingen zur Fahrerseite und klopften an die Scheibe. Ein großer Mann saß zusammengesunken auf dem Fahrersitz: Henri Breton, der Wirt des Dorfbistros, dem Café du Marché. Bislang war er weder durch übermäßiges Trinken aufgefallen noch durch sonstige unvernünftige Verhaltensweisen. Im Gegenteil. Henri Breton war der Inbegriff verlässlicher, leicht langweiliger Biederkeit. Als Céleste noch einmal klopfte, senkte sich die Scheibe mit einem schwachen, resigniert klingenden Surren. Ein Schwall alkoholgeschwängerter Luft drang aus dem Inneren des Autos. Im Fußraum des Beifahrersitzes kullerten leere Flaschen herum.
«Henri!» Céleste öffnete die Tür. «Steig bitte mal aus.» Als er nicht reagierte, beugte sie sich ins Auto und zog den Schlüssel ab.
Henri stieg schwerfällig aus und fiel prompt Luc in die Arme, der Mühe hatte, den großen Mann aufzufangen.
«Das Leben ist ein einziger großer Misthaufen .», brummelte Henri und blieb schließlich schwankend stehen. Luc Bato hielt ihn an den Schultern fest.
«Wir fahren dich jetzt nach Hause», sagte Céleste.
«Nich nach Hause .», lallte Henri. «Nich nach Hause .» Er begann, sich unbeholfen gegen Lucs Griff zu wehren.
«Sei doch vernünftig, Henri», sagte Céleste. «Du bist stockblau. Was ist denn in dich gefahren, in dem Zustand Auto zu fahren?»
«Nich nach Hause .» Mit einem Ruck riss er sich von Luc los und taumelte nach hinten. Dabei verlor er das Gleichgewicht und fiel in den zugewucherten Straßengraben, der an dieser Stelle die Weinberge von der Straße trennte. Undeutliches Fluchen drang herauf.
Die beiden Polizisten sahen sich an und seufzten. Als klarwurde, dass Henri weder in der Lage noch willens war, aus eigener Kraft aus dem Graben herauszuklettern, stieg Luc hinunter, um Henri zu helfen. Augenblicklich ertönte lautstarker Protest, dann hörte man einen dumpfen Schlag, und etwas Schweres fiel zu Boden.
«Luc?» Céleste leuchtete mit der Taschenlampe in den Graben.
Luc Bato saß etwas belämmert im Gestrüpp und befühlte stöhnend seine Nase. «Er hat mir eine reingehauen!», beschwerte er sich, mehr überrascht als wütend.
Inzwischen hatte sich Henri aufgerappelt, und er versuchte schwankend, den Graben entlang zu flüchten, doch auch Luc hatte sich wieder gefangen. Er sprang auf und umklammerte den sich heftig Wehrenden von hinten - mit dem Ergebnis, dass beide wieder stürzten und auf dem Boden weiterrangelten. Irgendwann gelang es Luc mit der Hilfe von Céleste, den Betrunkenen wieder nach oben auf die Straße zu manövrieren.
«Verdammt, Henri, was ist denn los mit dir?», schimpfte Céleste, während sie den Mann zu ihrem Wagen beförderte. «Hast du noch alle Tassen im Schrank?»
«Mein Auto .», nuschelte Henri, als Luc ihn auf den Rücksitz ihres Dienstwagens bugsierte. «Ich brauche mein Auto .»
«Heute Abend brauchst du gar nichts mehr.»
«Aber .» Henri plumpste auf den Sitz, nur um sofort wieder aufzustehen - versuchsweise zumindest.
Céleste drückte ihn mit einer Hand zurück auf die Rückbank. «Jetzt bleib mal hier, verdammt! Wir bringen dein Auto nach Hause.» Céleste warf ihrem Brigadier einen Blick zu. «Könnten Sie .?» Sie stutzte und richtete ihre Taschenlampe auf Lucs Gesicht. «Auweia!», rief sie. «Henri hat Sie ja voll erwischt.» Das linke Auge des jungen Brigadiers war blaurot verfärbt und schwoll bereits an, und er blutete heftig aus der Nase. Sie reichte ihm ein Taschentuch. «Schaffen Sie das?»
Luc nickte und hielt sich das Papiertuch an die Nase. «So ein Idiot», brummte er unter dem Tuch hervor, das sich jetzt schnell rot färbte. «Was hat er sich nur dabei gedacht?»
Céleste seufzte. «Falls es Ihnen ein Trost ist, ich glaube nicht, dass Henri überhaupt viel gedacht hat.»
Henri Bretons Haus lag etwas außerhalb von Eguisheim, inmitten von Weinbergen und Feldern. Céleste fuhr mit dem Dienstwagen voraus, Luc mit Henris Auto hinterher. Kurz bevor sie ihr Ziel erreichten - Céleste hatte bereits abgebremst und den Blinker gesetzt, um in die Einfahrt einzubiegen -, öffnete Henri die Wagentür und sprang mit überraschendem Elan aus dem Auto. Bis Céleste den Wagen angehalten hatte, war Henri bereits über die Straße gelaufen und in den Weinbergen verschwunden. Unwirsch trabte sie, gefolgt von Luc, durch die ordentlich aufgereihten Weinstöcke, leuchtete mit der Taschenlampe umher und rief nach Henri. Als sie einen Ast brechen hörte, lenkte sie den Lichtstrahl in die Richtung, aus der das Geräusch gekommen war, und entdeckte Henri, der etwa hundert Meter weiter offenbar gegen einen Weinstock gelaufen war und sich gerade wieder aufrappelte.
«Henri, du Hornochse, bleib endlich stehen!», schrie sie, der Wirt torkelte jedoch unbeirrt weiter.
Widerwillig nahm Céleste erneut die Verfolgung auf. Aber schon nach wenigen Metern stolperte sie und schlug der Länge nach hin. Ein stechender Schmerz durchzuckte ihren Knöchel. Als Luc näher kam, angeleitet vom lautstarken Fluchen seiner Chefin, bedeutete sie ihm mit der Hand, Henri zu folgen, und sah sich um. Sie war in ein Loch getreten, das sie übersehen hatte. Es dauerte keine fünf Minuten, da kam Luc mit Henri im Schlepptau zurück. Den Wirt hatten nach dieser letzten Anstrengung seine Kräfte offenbar endgültig verlassen. Luc hatte ihn untergehakt und trug ihn mehr, als dass Henri selbst lief. Céleste lächelte gequält. Es hatte durchaus seine Vorteile, einen großen, durchtrainierten Brigadier an der Seite zu haben.
Ächzend stand sie auf und humpelte den beiden hinterher. Ihr Fuß sandte schmerzende Signale an ihr Gehirn, und am liebsten hätte sie Henri Breton einfach hier irgendwo sitzen lassen, als Strafe dafür, dass er sie in seinem Suff so sinnlos durch die Pampa gejagt hatte. Es passte gar nicht zu dem sonst so braven Wirt, sich dermaßen zu betrinken. Aber was wusste sie schon. Gründe zu saufen gab es schließlich genug auf der Welt.
Am nächsten Morgen, nach einer kurzen, unruhigen Nacht, war Célestes rechter Knöchel auf die Größe einer kleinen Honigmelone angeschwollen, und der Fuß ließ sich nicht mehr bewegen. Sie musste sich eingestehen, dass sie um einen Arztbesuch wohl nicht herumkam. Gottlob war ihr Hausarzt, der junge Dr. Schupfer, nicht weit von ihrer Wohnung entfernt in der Rue du Rempart.
Dr. Laurent Schupfer war eigentlich gar nicht mehr so jung, er war längst in den Vierzigern, im Dorf hieß er allerdings noch immer «der junge Dr. Schupfer», weil es eben noch einen alten gab. Der alte Dr. Schupfer, Maurice, war zwar schon seit fast fünfzehn Jahren im Ruhestand, doch sehr zum Leidwesen seines Sohnes ließ er es sich dennoch nicht nehmen, einige seiner «Stammkunden» weiterhin selbst zu behandeln. Bei der Regelung der Übergabe hatte er sich dafür extra noch einen Raum ausbedungen, wo er seine Patienten empfangen konnte. Lieber als dort praktizierte er jedoch in seinem Stammlokal, dem Café du Marché, wo er seinen Frühschoppenfreunden bei Bedarf zwischen zwei Gläsern Riesling ganz zwanglos Spritzen gegen Rückenschmerzen in den Allerwertesten verpasste. Sein Sohn Laurent war da erheblich spießiger: Die Behandlungen fanden ausschließlich in der modern ausgestatteten Praxis statt.
Céleste kannte den alten Dr. Schupfer seit ihrer Kindheit, zog es aber dennoch vor, sich in ärztlichen Angelegenheiten an seinen Sohn zu wenden. Ihr Opa Théo und der alte Maurice Schupfer waren seit über einem halben Jahrhundert allerbeste Freunde, und sie war sich nicht sicher, wie gut es um die Diskretion der alten Herren bestellt war. Das bisschen Privatsphäre, das man sich in einem so kleinen Dorf wie Eguisheim überhaupt bewahren konnte, durfte man nicht leichtfertig aufs Spiel setzen.
Es war noch recht früh, und die Sonne kroch gerade erst über die spitzen Dächer der stattlichen Fachwerkhäuser, die den Marktplatz säumten, als sich Céleste zu Fuß auf den Weg machte. Als Krücke nahm sie einen Regenschirm zu Hilfe. Allerdings hatte sie sowohl die Stabilität des Regenschirms als auch die Schmerzen falsch eingeschätzt, die jegliche Belastung des Fußes mit sich brachte, und so kam sie nur sehr schleppend voran.
«Salut Céleste!» Paul, der Metzger, der dabei war, seinen Laden zu öffnen, winkte ihr zu, während er eine Tafel in Form eines Schweines vor die Tür stellte, auf der das Mittagsgericht des Tages angekündigt wurde.
«Guten Morgen, Paul!», grüßte Céleste lächelnd zurück.
«Ist das nicht was für dich?» Paul deutete auf die Tafel. Er kannte Célestes Vorliebe für deftiges Essen. Céleste warf einen Blick auf das lachende Schwein: Es gab Rôti de porc...
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