Obwohl Wilhelm Raabe (1831-1910) als gut beforschter Autor des Realismus gelten kann, der gerade in jüngerer Zeit im Kontext von Ecocriticismn und postkolonialen Studien hohes Forschungsinteresse fand, scheint ein wesentlicher Aspekt seines Schaffens bislang unentdeckt geblieben zu sein. Mit einer eingehenden Analyse von sexueller Gewalt und Machtkritik eröffnet die vorliegende Monographie ein in der Raabe-Forschung bislang gänzlich unbeachtetes Forschungsfeld, das sowohl für werkimmanente Betrachtungen als auch im Kontext der Realismusforschung weitreichendes Anschlusspotential eröffnet. Anhand von sieben zentralen Werken aus allen Schaffensperioden des Autors, zu denen auch die berühmte Chronik der Sperlingsgasse oder die als erster Umweltroman gewürdigte Erzählung Pfisters Mühle zählen, wird die intensive Literarisierung von sexueller Gewalt im Werk des Autors textanalytisch belegt und im Hinblick auf eine weitreichende Kritik an den patriarchalen Strukturen der bürgerlichen Gesellschaft interpretiert. Dabei spiegelt der maximal invasive, narrativ verbrämte sexuelle Missbrauchsakt die Gewalt einer Gesellschaft, die sich damals wie heute der Realität ihres Machtmissbrauchs weitestgehend verschließt. Der weit über die Raabe-Forschung hinausreichende Erkenntniswert dieses Buches besteht in der Offenlegung von Machtstrukturen, die bis heute so stabil sind, dass die inhaltlich zentrale Bedeutung von sexueller Gewalt im Werk Wilhelm Raabes in einer hundertfünfzigjährigen Forschungsgeschichte unerkannt bleiben konnte.
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ISBN-13
978-3-8260-9430-9 (9783826094309)
Schweitzer Klassifikation
Autor*in
Johanna Villebois studierte Germanistik und Musikwissenschaft und schloss an der Europa-Universität Flensburg ein Lehramtsstudium an. Seit 2022 ist sie dort als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Fachbereich Neuere deutsche Literaturwissenschaft tätig, ihr Forschungsschwerpunkt liegt in der Gewalt- und Geschlechterforschung.