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Jedes Mal, wenn ich Luzia verärgerte, indem ich ihr nicht gehorchte und ihr angriffslustig widersprach, erklärte sie, ich sei so böse, dass ich mit meiner Ankunft auf der Welt Mutters Leben ein Ende bereitet hätte: »Du hast sie umgebracht«, schleuderte sie mir entgegen, um mich an die Schwierigkeiten nach meiner Geburt zu erinnern. Unsere Mutter war in Depressionen gefallen. Zu Hause sagten sie: »Sie ist an Melancholie gestorben.« Ich habe nie herausgefunden, was Luzia für mich empfand. Sie behauptete, weil sie schon sehr jung für meine Erziehung verantwortlich gewesen sei, habe niemand sie heiraten wollen. Kein Mann hätte mein schlechtes Benehmen ertragen. Ihr Kummer war hartnäckig. Nachdem unsere Mutter gestorben und unsere Geschwister fortgegangen waren, blieb ich als Last auf ihren Schultern zurück. Für Luzia war ich eine Sorge mehr, zusätzlich zu allen anderen: sich um das Haus, den Vater und die Wäsche der Kirche zu kümmern und vor den Launen der Leute von Tapera zu fliehen.
Anders als unsere Mutter und die Frauen aus dem Dorf schien sich Luzia nicht für die Kunst des Töpferns oder gar für die Feldarbeit zu interessieren. Sie erklärte, Ackerbau sei Männersache. Wenn sie die Frauen scharenweise zu den Mangrovensümpfen am Ufer des Paraguaçu pilgern sah, wiederholte sie stets, sie sei nicht dafür gemacht, lange in der Sonne zu bleiben und Schalentiere und Muscheln zu sammeln, wenn sie könnte, würde sie in der Großstadt leben. Von klein auf folgte ich ihr auf Schritt und Tritt. Dienstags und freitags ging Luzia zum Kloster, sammelte Vorhänge, Handtücher und Messgewänder ein und schnürte sie zu einem großen Bündel, das sie auf einem zusammengerollten kleineren Wäschestück, einem Kissenbezug oder einem kleinen Handtuch, auf dem Kopf balancierte. Jedes Mal vor dem Betreten des Klosters wurde ich ermahnt: »Fass nichts an«, »Sprich leise und renn nicht im Hof herum«, »Bitte die Pater um ihren Segen, wenn sie dich ansprechen. Bedank dich, wenn sie dir etwas schenken«. Und natürlich durfte ich nur mit ihrer Erlaubnis etwas annehmen. Ich überlegte mir, wie ich ihre Regeln übertreten könnte, vor allem die, immer zu Boden schauen und so gehen zu müssen, als wenn ich unsichtbar wäre, um die Gebete nicht zu stören. All die Ermahnungen hätten einen guten Grund, brach es einmal aus Luzia heraus: Sie wollte ihren Broterwerb als Wäscherin des Klosters nicht verlieren und für mich einen Platz in der Klosterschule ergattern.
Zu jener Zeit war unser Bruder Joaquim von einem längeren Aufenthalt in der Hauptstadt zurückgekehrt. Er führte ein Wanderleben, aber als er jung war, tauchte er ab und zu auf, um Seu Valter beim Beladen der Dadivoso mit Getreidesäcken und Gemüsekisten zu helfen. Donnerstags brachen sie von São Joaquim zum Markt nach Salvador auf, ohne zu sagen, wann sie zurückkommen würden. Damals stand ich, wenn ich die Dadivoso und andere Boote bewunderte, die auf dem Paraguaçu in Richtung der Allerheiligenbucht fuhren, in meiner kindlichen Phantasie am Steuer der Saveiros. Als mein Bruder bei Seu Valter zu arbeiten begann, lief ich hinter ihm her zum Fluss, um ihm beim Verladen der Mehlsäcke, der Palmölfässer und der Kisten mit Süßkartoffeln und Maniok zuzuschauen, in der Hoffnung, dass sie mich für arbeitstauglich halten würden. Ich träumte davon, von zu Hause fortzugehen, um nicht mehr Luzias finstere Miene sehen zu müssen, die mir zu verstehen gab, ich sei eine Last. Meine Geschwister hatten Tapera noch vor meiner Geburt verlassen. Von den meisten von ihnen gab es weder Fotos noch Erinnerungen. Ich war allein mit Luzia und meinem Vater zurückgeblieben. Da es niemanden gab, der sich in seiner Abwesenheit um mich kümmerte, musste ich Luzia schon früh überallhin folgen, bis sie mich für alt genug hielt, allein zu bleiben.
Als ich klein war, nahm Luzia mich immer mit ins Kloster. Sie ging in die Zellen und trat demutsvoll vor den Altar der Kirche, und jedes Mal, wenn sie an einem Heiligenbild oder dem Bildnis von Nosso Senhor do Bonfim, dem bedeutendsten von ihnen, vorbeikam, bekreuzigte sie sich. Ich trollte mich schweigend und versuchte zugleich, Luzia nicht aus den Augen zu verlieren und meinen Entdeckungshunger zu zügeln.
Ich durfte mich ihren Anweisungen, wie der, stets in ihrer Nähe zu bleiben, nicht völlig widersetzen. Mein Plan war, im Garten des Innenhofs Insekten zu fangen. Ich las Buckelzikaden von den Stielen der Sternfrüchte und setzte sie mir auf den Arm, gab ihnen Namen und achtete darauf, dass sie nicht unter die Schuhe der schweigend durch die Gänge schreitenden Mönche gerieten. Manchmal legten diese mir, wenn sie mich bemerkten, die Hand auf den Kopf. Sie segneten mich und schenkten mir reife Sternfrüchte, die zu pflücken Luzia mir verboten hatte. Ich trottete hinter ihr her und genoss das Gefühl von Frieden, wenn sie gemächlich und schweigend einsammelte, was gewaschen werden musste. Angestrengt bemüht, nicht aufzufallen, schwebten ihre Füße über den Boden des Klosters. Nicht einmal das Geräusch ihrer abgetragenen Sandalen war vernehmbar. Im Gegensatz zu mir, der ich, wenn ich merkte, dass ich allein war, schlurfte, als wären meine Füße Boote, die geräuschvoll die Strömung des Flusses durchbrachen und die heilige Ruhe des Klosters störten.
Wenn ich keine Insekten fand, setzte ich mich auf die Steinbank und schaute Luzia von diesem privilegierten Platz aus zu. Ich beobachtete, wie sie ihre Runde durch die Zellen machte, die Türen öffnete und schloss, lauschte dem Knarren der vergoldeten Scharniere, sah zu, wie sie die Weißwäsche zusammensuchte. Ich ging näher zu ihr, durfte aber die Räume nicht betreten, doch irgendwie gelang es mir immer, heimlich einen Blick hineinzuwerfen. Luzia trat mit gesenktem Kopf ein und schaute nach der Wäsche, sammelte sie ein, glättete sie und legte sie zusammen. Ihre Lippen bewegten sich in stummen Gebeten, und ihr Blick streifte die Kruzifixe und Heiligenfiguren. Es war das Haus Gottes, das hatte sie mich gelehrt, und dort hatte man reumütig zu büßen, was das Leben einem an Schwierigkeiten auferlegte. Auf Luzias Rücken aber bildete sich eine kleine Erhebung, ein Buckel, und ich schämte mich. Auch ihr schien er peinlich zu sein. Es gab eine Zeit, in der ich ihre Missbildung gar nicht als solche erkannte, ich verstand noch nichts vom Leben und störte mich nicht daran. Doch je älter ich wurde, desto mehr sonderte ich mich ab, um nicht den Spott der anderen Kinder ertragen zu müssen. Die frechsten schlichen sich zu Luzia, um ihr die Hand auf den Buckel zu legen und sich etwas zu wünschen. Das hatten sie von den Durchreisenden gelernt, die auf der Straße in Tapera vorbeikamen. Oft habe ich erlebt, wie meine Schwester nach Hause kam und ganz allein in den Garten ging. Vor dem kleinen Gemüsebeet blieb sie stehen und schluckte ihre Tränen herunter.
Wenn Zazau, die älteste der Schwestern, uns besuchte, schärfte sie mir wieder und wieder ein, dass ich Luzia nicht widersprechen solle: »Sie hat kranke Nerven.« Ich wusste, dass sie im Grunde genommen nicht darüber sprechen wollten, worüber die Dorfbewohner an allen Ecken tuschelten. Für sie war Luzia ein Gespenst, das alle mieden. Die Kinder plapperten auf der Straße und später in der Schule die Geschichten nach, die ihnen die Älteren erzählten: Unser Haus sei verflucht, Sachen würden von selbst kaputtgehen, Möbel würden sich aus heiterem Himmel bewegen, Gegenstände würden unvermittelt Feuer fangen. Vor allem das Feuer schien die Leute zu beunruhigen. Sie behaupteten, dass an Tagen, an denen der Mond schien, Dinge dort, wo Luzia entlangging, in Brand gerieten. Trockene Wäsche auf der Leine, eine Strohmatratze, das Gestrüpp rings um die Häuser und an den Wegen. Sie erzählten, Luzia sei von unseren Eltern zu Hause eingesperrt worden, damit die Nachbarn sich nicht an ihr vergriffen. Die ersten Merkwürdigkeiten hatten sich ereignet, als sie heranwuchs, aber niemand wusste genau, wann sie aufgehört hatten. Manche behaupteten, es sei nach dem Tod unserer Mutter gewesen, andere meinten, die Übel hätten aufgehört, als Luzia gefirmt wurde. Doch zu wissen, dass meine Schwester die Kraft der Magie besessen hatte, als es mich noch gar nicht gab, quälte mich und schürte meine Neugier umso mehr.
Eines Tages, nachdem Luzia mir eine Tracht Prügel versetzt hatte, beschloss ich, sie meinerseits zu bestrafen. Ich erzählte ihr nicht immer alles, was ich hörte und was im Dorf über sie geredet wurde. In meiner Wut plante ich etwas Heimtückisches, das sie richtig treffen sollte. Als sie gerade nicht in der Küche war, nahm ich ein Stück noch brennendes Holz aus dem Herd. Ich hielt die Flamme an den Vorhang, der die Küche vom Rest des Hauses trennte. Ich wollte Luzia treffen, es sollte so weh tun wie die Hiebe, die sie mir mit der Rute versetzt hatte, ihrer Waffe, mit der sie mich unter Kontrolle hielt. Ihrem Beispiel folgend, hatte ich nicht geweint, hatte mich ihren Strafen nicht gebeugt. Trotzdem wollte ich mich rächen. Mit meinen sechs Jahren konnte ich nicht ahnen, dass das Feuer nicht nur den alten Vorhang verbrennen, sondern auch die Decke erfassen und die Holzstreben, die das Dach stützten, verzehren würde. In kürzester Zeit breiteten sich die Flammen aus. Ich schrie »Feuer« und befürchtete das Schlimmste.
Luzia war gerade dabei, die Beete vor der Tür zu wässern. Als sie mich schreien hörte, kam sie blitzschnell ins Haus gerannt,...
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