II.
Inhaltsverzeichnis Die Männer von Eifelschmitt hatten nie viel Zeit; rasch wurde geliebt, rasch wurde gefreit. Zweimal im Jahr - im Winter zu Weihnachten, im Sommer zu Peter und Paul - kamen sie heim in's enge Salmthal. Sie konnten da nicht ihren Lebensunterhalt verdienen; der Erwerb ist knapp in der Eifel, karg hängen die Äckerchen an den Bergen, lang sind die Winter, kurz die Sommer.
Es war kurz nach dem deutsch-französischen Kriege. Das Aufblühen der rheinischen Eisenindustrie machte das Heranziehen vieler Arbeitskräfte notwendig.
So hatte ein Agent irgend einen Eifelschmitter hinausgelockt, der kam zu Besuch heim, Geld in der Tasche; nun zogen die anderen hinter ihm drein, wie die Schafe hinter'm Leithammel. Vater, Sohn, Gatte, Bruder, alles wanderte aus nach Westfalen und tief in's Rheinland, wo auf der meilenweiten Ebene düstre Fabrikstädte sich zusammendrängen und mit ihrem nie stockenden schwarzen Atem aus Riesenschornsteinen den Himmel anfauchen. Die Luft ist dick vom Kohlenstaub, die reinen Wolken selbst sind angegraut; ewiger Rauch, Geprassel, Gerassel, Gekeuch, Geächz, Gestampf, Sausen von Rädern, Schnauben von Maschinen, Pfeifen von Lokomobilen, Pusten und Stöhnen von Dampfkesseln. Kein Rasten, kein Ruhen. Zur Nachtzeit bricht lodernde Glut aus Riesenbauten, an den Öfen stehen Männer, nackt bis zum Gürtel, heiß und berußt wie Teufel, die Höllenfeuer schüren. Schweißtropfen rinnen, Funken sprühen.
Hier konnte man die Eifelsöhne finden: umglüht von Flammen, eingeengt von Mauern, sehnsüchtig des Heimathimmels gedenkend, der sich rein und kühl über den Eifelkuppen wölbt; unter dem die wohnen, die ihnen das Leben gegeben; die auf sie warten, denen sie die Ehe versprochen, oder die sie schon gefreit haben; wo die Kinder nach den Vätern verlangen.
Aber dann die Heimkehr! Durchjubelte Tage, durchjubelte Nächte. - -
Heute saßen sie alle bei einander im Wirtshaus. Der alte Krumscheid mit seinem vertrockneten Holzgesicht kommandierte hinter'm Schenktisch. Ein ganzes Regiment Weiber war zur Bedienung gedungen; mit lachenden Gesichtern, flink wie Wiesel, liefen die Dirnen ab und zu. Bald wurde die von ihrem Schatz gerufen, bald jene; dann setzte sie sich für zwei Augenblicke neben ihn, wohl auch auf seinen Schoß, trank aus seinem Glas und ließ sich die glühenden Wangen streicheln.
Die schmalen Holzbänke längs der gescheuerten Tische waren dicht besetzt. Mann reihte sich an Mann. Nur wenige Frauen waren da, die kamen erst gegen abend, wenn das Tanzen losging und die Musik; wenn das Vergnügen so groß wurde, daß der Boden dröhnte vom Stampfen der Füße, Bänke umpolterten, Gläser in Scherben klirrten.
Auf dem Platz vor der Kirche, um die paar Buden, darin Halsketten, Fingerringe, Rosenkränze, Lebkuchenherzen und Gerstenzuckerstangen feilgeboten wurden, trieben sich Kinder herum, große Stücke Kirmeskuchen in den Händen, die mit Blaubeerenmus beschmierten Mäuler begehrlich gespitzt. Es hockten auch ihrer welche auf der Kirchentreppe, bliesen in die neuen Trompeten oder zeigten einander die vom 'Pappa' mitgebrachten Puppen.
Noch war die Straße feiertäglich still. Hinter den kleinen Fenstern putzten sich die Weiber; das vom vormittäglichen Kirchgang her über's Bett gespreizte Sonntagsgewand wurde einer eingehenden Musterung unterzogen. Wer noch ein besseres Kleid hatte, zog's heute nachmittag an; glücklich die, die was Neues anthun konnte, das der Mann oder der Schatz mitgebracht. Die Haare glänzten vom Strählen mit Wasser und Fett, die Röcke rauschten, die Gesichter waren blankgerieben, die Ohren rot.
Die Sonne fiel schon schräg in's Thal und malte huschende, rasch verschwindende Goldkringel an die weißgetünchten Hauswände.
Die sich bauschenden Röcke sorgsam gerafft, spazierten jetzt Mädchen am Wirtshaus vorbei, immer hin und her. Kinder balgten sich um den besten Platz vor den Fenstern, schleppten Steine herzu und Schemel, krochen hinauf und drückten die Nasen an den Scheiben platt.
Drinnen in der Schenkstube, die zugleich den Kramladen des Orts vorstellte, war die Luft dick, durchwürzt vom Duft eines ganz infamen Knasters. An den geschlossenen Fensterscheiben krochen summende Fliegen und drehten sich oben an der Decke in surrendem Spiel.
Man war noch ziemlich schweigsam, der erste Kirmestag verlief immer am wenigsten stürmisch. Doch jetzt - lautes Halloh!
"Hä, Pittchen! Helao, Pittchen. Uf dein Spezielles, Prost!"
Peter Miffert war eingetreten; das linke Bein etwas nachziehend, näherte er sich langsam dem ersten Tisch. Nicht jeder reichte ihm die Hand; er schien das garnicht zu bemerken, er hatte für alle das gleiche halb gutmütige, halb verschmitzte Lachen. Als sie zusammen rückten, ließ er sich auf dem schmalen Plätzchen am Ende der Bank nieder. Er sagte nicht: "Röckt noch ebbes" - er sagte: "Met Verlöw" und placierte seine Beine so bequem als möglich unter dem Tisch.
"No, Pittchen," rief Niklas Densborn, einer der älteren, der obenan saß, "wat schaffste? Dau giefst jao fett wie en Hammel! Dat glauwen ech der, dau has jao aach en Läwen wie onsen Hährgott in Frankreich!"
"Spaor dei Red," schrie Thomas Laufeld, ein stämmiger Bursche mit einer Stupsnase. "Dän kann dat Läwen jao bal net mieh mantenören6! Kucktelhei dat Pittchen!" Er brüllte, um sich in dem allgemeinen Gelächter verständlich zu machen, packte den neben ihm sitzenden Miffert bei'm Handgelenk, streifte ihm den Ärmel zurück und hielt gewaltsam den mageren Arm in die Höhe. "Kucktelhei, Haut on Knochen, ke halw Pündche Fleisch!"
Peter strebte, sich frei zu machen, aber ohne Gewalt, ganz sanft; sein hübsches Gesicht lächelte noch immer. "Laoß de Dommhaaten," sagte er gelassen.
Laufeld brüllte weiter, er schien einen besonderen Ingrimm zu hegen.
"Dau thätst aach besser, dau gingst met ons uf Arweit. Wat hockste hei bei de Fraleider?! Kuck" - er hielt seinen fleischigen Arm neben den dürren des Peter und schlug sich auf die herausgedrückte Brust, daß es klatschte - "dat es en Kerl! Dat micht de Arweit, on wann mer net alleweil de Menscher am Schörzenzippel hängt! Dau deierlicher7 Schmachtlappes, dürr wie en Axstill, dein Fra haot dech wohl" -
"Mein Fra aus em Spill," sagte Miffert plötzlich und machte eine kurze Bewegung, als ob er eine Fliege wegscheuche - da lag auch schon der Laufeld unter der Bank, wie niedergeschmettert.
Man half dem Gestürzten auf; ganz verdutzt stand er da und klopfte den Staub von seinen Hosen. Die anderen lachten, einige schimpften.
"Dürr wie en Axstill, äwer Kraft wie en Ochs," brummte anerkennend Niklas Densborn; und dann sich zu Miffert wendend, der dasaß, als ginge ihn all das nichts an, sagte er vorwurfsvoll: "Et es en Schand, Peter, dat dau net erunner maachst in die Fabrik; dau has Schlosser gelernt, dat kömmt der lao zo paß. On guden Verdienst gitt et lao unnen; bei owen kannste Hongerpoten kötschen!"8
Miffert zog das Maul schief; er sah unbeschreiblich faul aus in der nachlässigen Haltung, mit der etwas hängenden Lippe und dem schläfrigen Blick unter schweren Lidern. Er sprach auch schläfrig, kaum daß er die Zähne von einander brachte:
"Dir wollt mech wohl pisacken?! Hei" - er wies auf sein lahmes Bein - "dat es mer zu schanierlich, ech kann net e su trawalljen9 wie en annern." Seine Stimme wurde kläglich: "Ech haon dat Wieh im Enkel; ech haon et met uf de Welt gebraach, lao es neist bei zo maachen!"
"Ojeh, Alfanzerei," schrie Mathesen Martin und schlug auf den Tisch, daß die Gläser sprangen, "wat micht dän for Fisematenten! Wieh im Enkel - haha, wän dat zweifelt!10 Laoß de Comedi, faules Luder! Schlaofen on erum lungern on de Weibsbiller karessieren, dat es sein Gu!"11
Miffert verzog keine Miene, er hatte die Ellenbogen aufgestützt und guckte in sein Glas.
"Hän es faul, faul, dat et stinkt!"
"Jao, jao," stimmte der vorhin zu Boden geworfne Laufeld eifrig bei. "Faul wie de Sünd! Sitzt im Dreck on röhrt sech net!"
"Ehnder gänn Brameln12 Weinbeeren, als dat Pittchen arweiten duht," schrie irgend einer.
Die ganze Gesellschaft stimmte zu: "Jao, Brameln gänn ehnder Weinbeeren, hahahaha!"
Peter Miffert lachte selbst mit, ein lautloses Lachen, das ihn aber inwendig ordentlich stieß; er kniff die Augen zusammen und schüttelte sich.
"Waorom sollen ech mech e su afrackern," sagte er dann gutmütig, "dat Läwen es korz, mir haon nor einmaol Pläsir dervon. Wat de gaastlichen Hähren aach saon, wat mer haot, haot mer. Uf dat, wat mer versproch krieht" - er lachte verschmitzt und stieß einen leisen Pfiff aus - "dat gilt en Dreck!"
Die Männer sahen ihn verdutzt an. Er ließ seinen schläfrigen Blick, in dem es zu funkeln begann, reihum gehen.
"Wer waaß, wie bal hän verspillt haot! Ech muß en Dauer met eich haon, ihr Leit, dat dir eich e su schindt. Awer jeden naoch senem Ehs!"13 Er zuckte die Achseln.
Sie nickten betroffen. "Recht haot hän!" Auf viele Gesichter lagerte sich ein plötzlicher Ernst; da waren Falten eingegraben, Furchen, wie im aufgewühlten Acker, die man vorher nicht gesehn.
"Mer moß sech schinnen, on wat haot mer dervon?" murmelte der Densborn und ließ die Faust schwer niederfallen.
Eine Weile schwiegen sie alle, dann sagte der Densborn mit einem Seufzer: "Äwer et es doch emaol net anners. Hal dei dreckig Maul," schrie er plötzlich...