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UND DIE SCHLANGE WAR LISTIGER ALS ALLE TIERE AUF DEM FELDE UND SPRACH ZU DER FRAU.
Ich weiß nicht genau, wie lange ich vor ihrer Türe stand, bevor ich mich dazu überwinden konnte, bei ihr anzuklopfen. Das Gespräch mit der Schlange hatte sich besser entwickelt, als ich erwartet hatte. Auch wenn wir uns die meiste Zeit über tatsächlich nur angeschwiegen hatten und es auch recht lange gedauert hat, bis wir uns miteinander verständigen konnten, ohne dass ich ihr gleich widersprechen musste oder sie in ihre Absurditäten zurückgefallen wäre, war der Abend zumindest keine Verschwendung gewesen. Meinem ersten Eindruck zum Trotz hatte sie sich als eine recht nette Frau herausgestellt. Wenn sie erst einmal auf ihre Spinnereien verzichten würde, könnte sie sich möglicherweise durchaus noch zu einem vollwertigen Menschen entwickeln. Doch bis dahin würde es wohl noch ein langer Weg werden.
Das Einzige, was ich bis jetzt bereute, war, dass ich mich noch immer nicht dazu überwinden konnte, ihr gegenüber mein Panacea zu erwähnen. Es würde den Übergang für sie deutlich erleichtern und würde auch weniger von unserer Zeit verschwenden. Dennoch riet mir meine innere Stimme, dass es noch zu früh dafür wäre und ich ihr etwas mehr Zeit geben sollte.
Kaum hatte ich endlich an ihre Türe geklopft, öffnete sie sich mit einem leisen Quietschen. Für einen Moment war ich so irritiert, dass ich mitten in meiner Bewegung innehielt und wie festgefroren dastand. Das Mädchen strahlte mich an.
»Hi, Mister. Hast du heute wieder Enten versenkt?«
Ich löste mich aus meiner Starre und versuchte mich zu entspannen. »Nein, heute nicht. Wie bist du eigentlich so schnell zur Türe gekommen?«
Sie senkte ihren Blick und zeichnete mit ihren Füßen kleine Kreise in den Staub. »Ähm, ich war in der Nähe?«
Mir ging plötzlich ein Licht auf. »Du hast hinter der Tür auf mich gewartet, oder?«
»Und wenn es so wäre?«
Ich konnte mich auch irren, aber ich meinte zu erkennen, wie sich ein feiner Rotton auf ihren Wangen ausbreitete.
»Wenn du gewusst hast, dass ich hier bin, warum hast du mich nicht hereingelassen?«
»Weil du nicht geklopft hast?» Sie hob ihren Kopf und strahlte mich plötzlich wieder an. »Möchtest du jetzt hereinkommen? Die Tür steht offen.«
»Klar. Deswegen bin ich ja hier.«
Sie griff nach meiner Hand und zog mich in ihre Wohnung hinein. Der ätzende Geruch von Aceton hatte sich inzwischen verflüchtigt, war aber dem körnigen Geschmack von Baustaub gewichen. Erst jetzt fiel mir auf, dass das Mädchen ein scharfkantiges Werkzeug in ihrer anderen Hand trug.
»Ist das ein Spachtel? Bist du gerade am Renovieren?«
»Nein, ich mache Pfannkuchen. Irgendwie nehme ich immer zu wenig Butter, sodass sie steinhart werden und in der Pfanne anbrennen.«
»Das ist ein Scherz, oder?«
»Yep.«
»Du solltest vielleicht noch etwas an deinem Humor arbeiten.«
»Nicht nötig. How do you know that you've got mice in your basement?«
»Woher?«
»Because you've got elephants in your belfry.«
Ich schloss meine Augen und schüttelte den Kopf. »Und woher weißt du, dass du einen Elefanten im Zimmer hast?«
Ihre Augen weiteten sich sichtlich. »Woher?«
»Am Schweigen deines Zuhörers, wenn du aus heiterem Himmel plötzlich Elefantenwitze erzählst.«
Für einen Moment versteiften sich ihre Gesichtszüge, doch dann begann sie zu kichern und grinste mich an. Wie jemand mit so unnatürlichen Augen ein so unschuldiges Lächeln aufsetzen konnte, war mir schleierhaft.
»Ich arbeite gerade an meiner Wand. Willst du sehen, was ich mache?«
»Klar.«
Sie zog mich in ihr Schlafzimmer. Das Zimmer war genauso schlicht, wie die restliche Wohnung. Ein kleines Bett, ein paar Schränke, eine ungelesene Ausgabe des Satiremagazins Monthly Python auf einem Nachttisch und eine fahle Raufasertapete waren die einzigen Details, die mir spontan ins Auge fielen. Dazu stand neben der Türe ein dreibeiniger Hocker, auf dem ordentlich angerichtet einige Werkzeuge lagen. Der Fußboden zu seinen Füßen dagegen war über und über mit Betonstaub und Tapetenfetzen bedeckt, die Wand dahinter mit Löchern durchsetzt. Die Schäden waren nur oberflächlich und dürften keine Gefahr darstellen, doch war es wohl besser, sie zu füllen, bevor sie noch größer wurden.
Das Mädchen ließ meine Hand los und setzte den Spachtel an die Wand. Mit einem scharfen Quietschen, das mir die Haare zu Berge stehen ließ, schabte sie einen breiten Streifen der Tapete ab und ließ ihn achtlos zu Boden fallen.
»Das ist ein Projekt, an dem ich seit ein paar Jahren arbeite. Jeden Montag nehme ich mir etwas Zeit und bearbeite die Wand.«
»Wenn du die Schäden im Beton reparieren willst, kann ich dir auch gerne dabei helfen. Dann zieht es sich auch nicht mehr so sehr in die Länge und du kannst hier wieder etwas Normalität einkehren lassen.«
Sie starrte mich an als hätte ich einen schlechten Witz gemacht. »Was meinst du?«
»Die Löcher in den Wänden. ich nehme an, du willst sie stopfen?« Mein Blick fiel wieder auf den Hocker mit den Werkzeugen. Unter ihnen befanden sich auch ein schwerer Hammer und ein Meißel aus geschwärztem Eisen. Mir dämmerte etwas. »Du hast die Löcher selbst geschlagen, nicht wahr?«
»Natürlich habe ich das.«
»Warum?«
Das Mädchen legte den Spachtel zu den anderen Werkzeugen auf den Hocker und griff sich Hammer und Meißel. Ohne mir zu antworten, setzte sie den Meißel an die Wand und hämmerte drei weitere Löcher in den Beton. Soweit ich es sagen konnte, ging sie dabei willkürlich vor. Schließlich legte sie die Werkzeuge wieder zurück auf den Hocker und eilte aus dem Raum hinaus. Als sie zu mir zurückkehrte, hielt sie eine kleine Palette mit einem Klecks schwarzer Farbe und einen Pinsel in der Hand. Sie reinigte die Zwischenräume von Betonstückchen und Baustaub, tunkte den Pinsel in die Farbe und begann vorsichtig, eine dünne Linie zwischen die neu eingeschlagenen Löcher zu zeichnen.
»Eine kluge Frau hat einmal gesagt, dass Glück aus vielen kleinen Punkten besteht, Unglück aber aus Strichen. Die Impressionisten haben den Unterschied nie verstanden.« Sie kicherte. »Wenn ich so darüber nachdenke, hat sie Rosinen gemocht.«
»Du hast mir meine Frage nicht beantwortet.«
»Nicht? Und ich dachte, das hätte ich getan.« Sie drehte sich nicht zu mir um, sondern hielt ihre Aufmerksamkeit völlig auf die graue Wand vor ihr gerichtet. »Wenn du glücklich sein willst, musst du dich mit glücklichen Gedanken umgeben. Ich wollte keine Rosinen an meine Wand kleben, also habe ich stattdessen kleine Löcher in sie geschlagen.«
»Und warum malst du nun Linien zwischen die Löcher?« Ich hatte auf einmal das Gefühl, mich plötzlich wieder mit der Schlange zu unterhalten und nicht mehr mit dem Mädchen. »Du hast doch selbst gesagt, dass Linien Unglück bedeuten sollen.«
»Ohne sie wäre das Glück unvollkommen.«
»Du widersprichst dir selbst.«
»Tue ich das?« Sie hielt einen Moment inne und ließ den Pinsel durch die Luft kreisen. »Nur weil sich etwas widerspricht, bedeutet das noch lange nicht, dass es sich auch gegenseitig ausschließen muss.«
»Doch, das tut es. Deswegen widerspricht es sich ja.«
»Und wie willst du dann wissen, was Glück ist, wenn du das Unglück noch gar nicht kennengelernt hast?«
»Wie willst du glücklich sein, wenn du unglücklich bist?«
»Woher willst du wissen, dass ich unglücklich bin?«
»Woher willst du wissen, dass du bereits glücklich bist?«
Das Mädchen seufzte leise und legte seine Malutensilien zu den anderen Werkzeugen. Als sie sich mir wieder zuwandte, hatte sich in ihrem Gesicht ihr übliches Lächeln breitgemacht.
»Weißt du, was ich mache, wenn ich etwas niedergeschlagen bin? Ich setze mich auf mein Bett und versuche an meiner Wand Tiere zu entdecken. Willst du es einmal ausprobieren?«
Der Betonstaub brannte mir in den Augen und der Unsinn der Schlange war auf Dauer nur schwer zu ertragen. Dennoch nickte ich ihr zu. Wenn es dabei half, das Mädchen bei Laune und damit die Schlange im Zaun zu halten, war es das allemal wert. Vielleicht ließ sich dadurch sogar ein Weg finden, mit dem ich zu ihr durchdringen und ihr mittelfristig dabei helfen konnte, ihren Wahnsinn zu überwinden.
Das Mädchen setzte sich auf ihre Bettkante und zog mich zu sich herunter. Ehe ich mich versah, hatte sie bereits einen...
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