Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
«Du kannst keinen Ozean
überqueren, indem du einfach
nur aufs Wasser starrst.»
Rabindranath Tagore
(bengalischer Dichter)
Wenn wir am Strand stehen und Richtung Wasser schauen, sieht alles aus wie immer: Das Meer erscheint endlos und unveränderlich - ganz gleich, ob in St. Peter-Ording an der Nordsee, in einer idyllischen Bucht auf Mallorca am Mittelmeer oder auch weiter weg, sagen wir, auf einer Trauminsel der Malediven im Indischen Ozean.
Wir verlieren unseren Blick im unergründlichen Dunkelblau seiner Tiefen, holen erstaunt Luft, wenn wir auf einem Boot sitzend metertief auf den Grund gucken können, machen am puderzuckerfeinen Strand Fotos vom türkisfarbenen Wasser. Tauchen zaghaft unsere Zehen in eiskalte Wogen, zucken zurück, wenn der Bauch langsam nass wird, oder schmeißen uns vergnügt in sommerwarme Fluten. Wir genießen es, wenn das Meer ruhig daliegt, als wäre es ein Spiegel des Himmels - die leicht gluckernden Geräusche bringen jede Faser des Körpers zu einem friedvollen Innehalten. Oder wir schaudern beim Anblick seiner Wellen, weil wir wissen, wie kraftvoll, unaufhaltsam und zerstörerisch sie sein können.
Für die meisten Menschen hat das Meer eine Bedeutung. Sei es Erholung, sei es Lebensunterhalt, sei es Angst, sei es Freiheit.
Für mich persönlich ist es meine innere Heimat. Ich bin dort glücklicher als anderswo. Manche Menschen ziehen ihre Kraft aus dem Wald, manche fühlen sich in den Bergen zu Hause, ich ziehe meine Energie aus dem Wasser. Wenn ich meinen Blick übers Meer schweifen lasse, er ungestört bis zum Horizont wandern kann, kommt in mir ein unbeschreibliches Hochgefühl auf. Ich atme ruhiger, bewusster, kraftvoller. Ich fühle mich befreit.
Seit einigen Jahren wird diese unbändige Freude allerdings immer häufiger durch ein dumpfes, schweres Gefühl getrübt, weil ich weiß: Hier stimmt etwas nicht. Der Anblick der Wellen täuscht eine heile Welt vor, die unter der Wasseroberfläche nicht existiert. Die Realität stimmt nicht mit unseren positiven Assoziationen überein. Der Ort, der uns bei jedem Besuch Glück, Ruhe und Euphorie verschafft, wertvolle Momente, an die wir uns Jahre später noch erinnern, ist noch nie so bedroht gewesen wie jetzt. Der Ort, der uns unendlichen Reichtum durch seine Fische schenkt, wird von uns behandelt wie eine Müllkippe. Das Meer befindet sich in einer historischen Krise. Bedroht von menschgemachter Klimaerhitzung, von Übersäuerung, Plastikmüll und Überfischung.
Wir konnten uns bisher nicht vorstellen, dass wir dem Meer jemals bleibenden Schaden zufügen könnten. Wir glaubten, das Meer sei schlicht zu groß dafür. Aber dem ist nicht so. Deswegen ist es jetzt unsere Aufgabe, das Gleichgewicht wiederherzustellen.
Genau dafür kämpfe ich.
Als Meeresbiologin und leidenschaftliche Taucherin sehe ich mich als Anwältin der Meere. Mein Blick ist vor allem wissenschaftlicher Natur, aber meine persönliche Affinität für das Meer weckt meinen Beschützerinstinkt. Ich empfinde die Ozeane fragiler als andere Orte. Ist es nicht schon allein unglaublich faszinierend, sich in ein vollkommen anderes Element zu begeben, in dem wir nur kurze Zeit Besucher sein können? Wenn ich mir vorstelle, dass diese schillernde, reiche, geheimnisvolle Welt immer mehr zu einem grauen, vermüllten und leergefischten Ort wird, zerreißt es mich innerlich. Ich möchte die unglaubliche Vielfalt der Ozeane bewahren. Den Menschen zeigen, wie schützenswert die Meere sind, weil sie wiederum uns viel mehr beschützen, als wir es wahrhaben wollen.
Zu meinem Bestimmungsort ist das Meer in meiner Kindheit geworden. Geboren und aufgewachsen in Dortmund, mitten im Ruhrgebiet, sind meine Eltern mit mir und meiner Schwester Jahr für Jahr in den Sommerferien an die Ostsee gefahren. Das Meer hat damals etwas in mir ausgelöst. Ich fand es als kleines Mädchen ganz und gar unglaublich und fesselnd, dass alles Leben aus dem Meer kommt und die Ozeane der größte Lebensraum auf unserem Planeten sind. Ich nahm das Meer sogar mit nach Hause: Jahrelang träumte ich davon, unter Wasser atmen zu können. Wollte ich im Traum schnell rennen, habe ich mich mit einer Schwimmbewegung vom Boden abgehoben und schwamm los. Das fühlte sich so lebendig, so real an, dass ich immer wieder irritiert war, dass es in Wirklichkeit nicht funktionierte.
Als ich mit über 20 tauchen lernte, wurde mein Traum ansatzweise wahr. Die Bewegungen kamen mir so vertraut vor, und ich fühlte mich «angekommen». Die Schwerelosigkeit, verbunden mit dem, was ich unter Wasser sah, die Farbenpracht, die Lebewesen lösten eine ungeahnte Euphorie in mir aus, von der getragen ich durchs Wasser schwebte. Das ist bis heute so, wenn ich mal dazu komme, einen Tauchgang zu machen. Alle Sinneszellen ploppen auf, die Herzfrequenz verlangsamt sich, ich werde vollkommen ruhig. Unter Wasser zu sein, ist für mich, als käme ich nach Hause, als hätte ich ein verlorenes Puzzleteil meines Selbst wiedergefunden.
Dass es so etwas wie Meeresbiologie als wissenschaftliche Disziplin gibt, war mir als Jugendliche nicht klar. Nach meinem Realschulabschluss beschloss ich, gleich noch das Abitur zu machen. Einfach weil ich keinen blassen Schimmer hatte, was ich sonst tun sollte. An der weiterführenden Schule hatte ich das Glück, endlich Lehrer zu bekommen, die mich inspirierten, und ich begriff, was ich zuvor nicht kannte: dass Lernen Spaß machen kann und Neugierde etwas Gutes ist. Besonders Biologie hatte es mir angetan. Allein der menschliche Organismus als Wunderwerk aus 100 Billionen Zellen, die reibungslos Tag für Tag zusammenarbeiten - wie spannend war das denn?
Für meine Berufswahl maßgeblich verantwortlich war dann ein Erlebnis, das ich während einer kirchlichen Jugendreise in Schottland hatte. Ich saß an der Küste, den Blick aufs Meer gerichtet, als hinter mir ein Bus angefahren kam, aus dem eine große Gruppe junger Leute ausstieg. Sie wuselten geschäftig am Strand herum, nahmen dann etliche Wasserproben, zogen sich am Ende ihre Taucheranzüge an und sprangen ins Meer. Auf ihrem Bus stand «Meeresbiologische Abteilung der Universität Schottland». Sofort schoss mir durch den Kopf: «Ach was, so etwas gibt es? Das will ich auch machen.»
Gesagt, getan, und so bin ich fürs Studium nach Bremen gegangen. Zu der Zeit, 1991, herrschte dort Aufbruchstimmung. Neue marine Forschungsbereiche wurden ausgebaut und alles war spannend und neu: das Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie, das Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung, das Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung. Ich habe mein Studium genossen. Für meine Abschlussarbeit reiste ich nach Akaba in Jordanien, um dort etwas über die Ökologie von Korallenriffen zu lernen. Dafür durfte ich tauchen - und zwar nicht nur tagsüber, sondern auch mitten in der Nacht, weil das Plankton nachaktiv ist und nur dann wandert.
Meinen ersten Nachttauchgang werde ich nie vergessen. Es war so unfassbar dunkel: Die wissenschaftliche Station in Akaba liegt fernab der Lichter der Stadt, und außerdem war Neumond. Als ich bis zu den Knien im Wasser stand, konnte ich meine Füße schon nicht mehr sehen. Ich hatte ganz schön Angst, aber kneifen ging natürlich nicht. Wir sind zu zweit getaucht, und als ich meine Lampe angestellt hatte, war das Allererste, was ich sah, ein knapp drei Meter langer Tiefseefisch, das Licht reflektierend wie ein Spiegel, mit unglaublich langen und spitzen Zähnen. Vor lauter Schreck habe ich die Lampe sofort wieder ausgeschaltet. Gleich drauf aber wieder an, denn einen solchen Fisch wollte ich doch lieber nicht aus den Augen verlieren. Wiedergesehen habe ich ihn allerdings nicht. Dieser Tauchgang auf knapp zehn Meter Tiefe dauerte keine 20 Minuten, denn dann hatte ich meine 20-Liter-Sauerstoffflasche, die sonst etwa eine Stunde hält, schon leer geatmet. Ich war einfach wahnsinnig aufgeregt, permanent habe ich nach diesem Tiefseefisch Ausschau gehalten und bin meinem Tauchbuddy so auf die Pelle gerückt, dass der sich kaum noch bewegen konnte. Aber das blühende Riff in der Nacht gesehen zu haben, wenn die Korallen ihre Tentakel ausfahren, ist bis heute unvergesslich.
Ganz «nebenbei» ist aus diesem beeindruckenden, intensiven Erlebnis auch noch die Partnerschaft meines Lebens hervorgegangen: Meinen Tauchbuddy habe ich später geheiratet, wir sind inzwischen seit über 20 Jahren ein Paar und haben zwei Kinder miteinander. Viele Dinge verbinden uns - aber die Liebe zum Meer und das Engagement für den Schutz der Ozeane ist eines der stärksten Bänder, die wir zueinander haben.
Bei den Tauchgängen konnte ich allerdings auch das erste Mal mit eigenen Augen sehen, welche unmittelbaren Auswirkungen es haben kann, wenn etwas ins Meer gespült wird, was dort nicht hineingehört. Im Golf von Akaba ist das nördlichste Korallenriff der Welt angesiedelt. Akaba ist Jordaniens einziger Seehafen, und neben Tourismus ist der Export von Phosphatdünger ein wichtiger Wirtschaftszweig. Der Phosphatstaub, der beim Beladen der Schiffe entweicht, gelangt am Ende ins Meer und ließ mit der Zeit den Algenwuchs in der Bucht stark ansteigen. Während meiner Tauchgänge bei Tag konnte ich sehen, wie ein Teil der Korallenriffe unter dem Algenbewuchs regelrecht begraben wurde. Korallen brauchen aber Licht und klares Wasser, um überleben zu können. Mittlerweile steht das Riff unter...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.