Zweites Kapitel.
Hadjar.
Inhaltsverzeichnis
Die Targui (Mehrzahlform von Tuareg), eine Berberrasse, bewohnten ursprünglich Ixham, das Gebiet zwischen Touat, der großen, fünfhundert Kilometer südöstlich von Marokko gelegenen Oase, und Timbuktu im Süden, dem Niger im Westen und Fezzan im Osten. Zur Zeit, wo die vorliegende Geschichte spielt, hatten sie sich aber weiter nach dem Osten der Sahara zurückziehen müssen. Ihre zahlreichen, teils seßhaften, teils nomadisierenden Stämme sammelten sich damals in der Mitte der ausgedehnten, sandigen Ebenen, die in arabischer Sprache mit Outha bezeichnet werden, d. h. in der Gegend, wo die algerische Wüste mit der tunesischen zusammenstößt.
Schon seit einer Reihe von Jahren, nach dem Auflassen der Vorarbeiten für die Schaffung eines Binnenmeeres im Lande Ared, das westlich von Gabes liegt - ein Unternehmen, dessen Schöpfer der Kapitän Roudaire gewesen war - hatten der General-Resident und der Bey von Tunis die zahlreichen Targui aufgefordert, sich in der Oase um die Schotts (Salzsümpfe) anzusiedeln. Im Hinblick auf die kriegerische Natur hatte man sich mit der Hoffnung getragen, daß sie vielleicht die Gendarmen der Wüste werden könnten. Ein Irrtum... noch mehr: wenn die Herstellung eines Meeres der Sahara je wieder in Angriff genommen werden sollte, würden sich alle jene Stämme der Überflutung der Schotts entschieden widersetzt haben.
Vor der Öffentlichkeit diente der Tuareg zwar als Führer, selbst als Beschützer der Karawanen, seine Plünderungssucht und seine Räubernatur hatten ihn aber in so schlechten Ruf gebracht, daß man ihm nur mit Mißtrauen begegnen konnte.
Als der Major Paing, schon vor vielen Jahren, durch die gefährlichen Gegenden des »schwarzen Landes« zog, war er in höchster Gefahr gewesen, bei einem Überfalle durch die schrecklichen Eingebornen hingechlachtet zu werden, und bei der 1881 unter Leitung des Kommandanten Flatters von Ouargla ausgegangenen Expedition war der mutige Offizier samt seiner Begleitmannschaft in Bir-el-Gharama elend umgekommen. Die Militärbehörden von Algerien und Tunis mußten sich unausgesetzt zur Verteidigung bereit halten, um die Überfälle der an Kopfzahl reichen Stämme abzuwehren.
Unter den Targuistämmen galt der der Ahaggar mit Recht als einer der kriegslustigsten. Deren angesehenste Häuptlinge traf man gewiß bei jeder der örtlich beschränkten Erhebungen an, die die Erhaltung des französischen Einflusses an der langen Grenze der Wüste so schwierig machen. Der Gouverneur von Algerien und der General-Resident von Tunis, die immer scharf aufpaßten, hatten besonders die Gegend der Schotts oder Sebkhas im Auge zu behalten. Die hohe Bedeutung des Planes - der den Hauptgegenstand dieser Erzählung bildet - der Schaffung eines großen Binnenmeeres, leuchtet deshalb wohl von selbst ein. Dieser Plan bedrohte vor allem die Targuistämme, er mußte sie eines beträchtlichen Teiles ihres Einkommens berauben, das sie aus der Führung von Karawanen bezogen, und wegen der erhöhten Leichtigkeit, sie zu unterdrücken, die Überfälle seltener machen, denen bisher so viele zum Opfer gefallen waren.
Die Familie Hadjars gehörte im engern Sinne dem Stamme oder der Sippe der Ahaggars an und zählte zu den einflußreichsten unter diesen. Wegen seiner Tatenlust, seiner Kühnheit und Unbarmherzigkeit galt der Sohn Djemmas von jeher als einer der gefährlichsten Anführer der ruchlosen Horden des ganzen Gebietes, das sich bis zum Süden der Auresberge hin erstreckt. Im Laufe der letzten Jahre waren zahlreiche Überfälle auf Karawanen oder auf schwache Soldatenabteilungen von ihm ausgeführt worden, und sein Ansehen wuchs immer mehr bei den Stämmen, die sich allmählich nach dem Osten der Sahara, der ungeheuern vegetationslosen Sandwüste dieses Teiles des afrikanischen Festlandes, zurückgedrängt sahen. Die Schnelligkeit seiner Bewegungen war geradezu verblüffend, und obgleich die Behörden die Führer der Soldaten beauftragt hatten, sich seiner um jeden Preis zu bemächtigen, hatte er sich doch jeder Verfolgung zu entziehen gewußt. Wurde seine Anwesenheit in der Nähe einer Oase gemeldet, so erschien er gewiß plötzlich in der Umgebung einer andern. An der Spitze einer zahlreichen Rotte von Targui, die ihrem Anführer an Wildheit gleichkamen, durchstreifte er das ganze Land von den Schotts Algeriens bis zur Kleinen Syrte. Die Kafilas wagten sich gar nicht mehr durch die Wüste oder doch nur unter dem Schutze einer mannstarken Eskorte. Auch der so umfängliche Handelsverkehr zwischen den tripolitanischen Märkten litt sehr fühlbar unter diesem Zustand der Dinge.
Dennoch fehlte es nicht an Militärposten, weder in Nefke noch in Gafsa oder in Tozeur, dem politischen Hauptorte dieser Gegend. Alle Expeditionen aber, die gegen Hadjar und seine Bande unternommen worden waren, hatten niemals den gewünschten Erfolg, und dem abenteuerlustigen Krieger war es stets geglückt, seinen Häschern zu entschlüpfen. bis zu dem - jetzt einige Wochen zurückliegenden - Tage, wo er einer französischen Truppenabteilung in die Hände fiel.
Dieser Teil des nördlichen Afrikas war damals der Schauplatz einer jener Katastrophen gewesen, die im schwarzen Erdteile ja keine Seltenheit sind. Es ist bekannt, mit welcher Leidenschaft, welcher Hingebung und Unerschrockenheit seit einer Reihe von Jahren so viele Forscher, die Nachfolger eines Burton, Spike, Livingstone, Stanley und noch andrer, hier auf Entdeckungen ausgezogen sind. Man könnte deren Hunderte aufzählen, und wie viele werden auf diese Liste noch bis zu dem Tage kommen, wo dieser vierte Teil der Alten Welt alle seine Geheimnisse enthüllt haben wird! Wie viele dieser gefahrenreichen Forschungszüge sind aber auch unglücklich abgelaufen!
Der neueste betraf einen mutigen Belgier, der sich mitten in die wenig besuchten und wenig bekannten Gebiete des Touat gewagt hatte.
Nach Zusammenstellung einer Karawane in Konstantine verließ Karl Steinx diese Stadt in der Richtung nach Süden. Viele Leute zählte seine Karawane freilich nicht: im ganzen nur zehn Männer, in der Umgebung angeworbene Araber. Pferde und Meharis (eine gewisse Art sehr schnellfüßiger Dromedare) dienten ihnen zum Reiten und auch als Zugtiere für die beiden Wagen mit dem Material der Karawane.
Zunächst erreichte Karl Steinx Ouargla auf dem Wege über Biskra, Tougourt und Negoussia, wo er alle seine Vorräte leicht ergänzen konnte. Die genannten Städte sind auch der Sitz von französischen Beamten, die es sich angelegen sein ließen, den Forschungsreisenden zu unterstützen.
In Ouargla unter dem zweiunddreißigsten Breitengrade befand er sich schon sozusagen im Herzen der Sahara.
Bisher war der Zug recht gut verlaufen, zuweilen zwar unter recht großer Anstrengung, doch ohne ernsthaftere Gefahren. Bis in diese schon recht entlegenen Gebiete machte sich freilich der französische Einfluß geltend. Die Targui erwiesen sich, wenigstens dem Anscheine nach, als unterworfen, und die Karawanen konnten ohne besondres Risiko dem Handel im Innern nachgehen.
Während seines Aufenthaltes in Ouargla sah sich Karl Steinx aber zu einigen Veränderungen in seiner Begleitmannschaft genötigt. Mehrere von den Arabern, die bis hierher mitgegangen waren, weigerten sich plötzlich, ihm noch weiter zu folgen. So mußte er sie wohl oder übel ablohnen, was aber nicht ohne Schwierigkeiten abging, da die Leute unverschämte Forderungen stellten. Immerhin erschien es ratsamer, sich ihrer zu entledigen, da sie sich entschieden widerwillig zeigten, und es gefährlich erschien, sie unter der Eskorte zu behalten.
Anderseits hätte der belgische Reisende gar nicht weiterziehen können, ohne die Fehlenden zu ersetzen, und erklärlicherweise hatte er unter den vorliegenden Verhältnissen keine große Wahl. Er glaubte sich auch aus aller Verlegenheit gezogen zu haben, als er die Dienste mehrerer Targui annahm, die sich ihm anboten und, wenn sie auch hohe Lohnforderungen stellten, doch versprachen, ihm bis zum Ziele seiner Reise, gleichviel ob an der West- oder der Ostküste des afrikanischen Festlands, zu folgen.
Obwohl Karl Steinx gegen die Zugehörigen des Tuaregstammes ein gewisses Mißtrauen hegte, kam ihm doch keine Ahnung, daß er Verräter in seine Karawane aufgenommen hätte und daß diese schon seit ihrem Abzuge aus Biskra von der Rotte Hadjars heimlich beobachtet wurde, da dieser schreckliche Häuptling nur die Gelegenheit abwartete, sie zu überfallen. Jetzt, wo er Genossen Hadjars unter seinen Leuten hatte, konnten diese ihn leicht dahin führen, wo Hadjar dem Reisenden auflauerte.
Und so kam es auch. Von Ouargla aus zog die Karawane weiter nach Süden, überschritt den Wendekreis und erreichte das Land Ahaggar, von wo aus sie sich, nach Südosten abweichend, nach dem Tschadsee begeben sollte. Vom vierzehnten Tage nach seinem Aufbruche an traf jedoch von Karl Steinx und seinen Leuten keinerlei Nachricht mehr ein. Was mochte der Grand dafür sein? Hatte die Kafila das Seengebiet des Tschad erreicht und befand sie sich wohl gar schon auf dem Heimwege nach Osten oder Westen?
Die Expedition des jungen Belgiers hatte natürlich das lebhafteste Interesse vorzüglich bei den geographischen Gesellschaften erweckt, die sich besonders mit den Reisen nach dem Innern Afrikas beschäftigten. Bis Ouargla waren sie über den jetzigen Zug auf dem Laufenden erhalten worden. Noch von hundert Kilometern über diese Stadt hinaus trafen dann noch einige Nachrichten ein, die Nomaden aus der Wüste mitgebracht und den französischen Behörden...