II.
Inhaltsverzeichnis Am ersten Reisetage legte der Admiral - mit diesem Titel bezeichnen ihn alle Berichte - nach Süden steuernd, vor Untergang der Sonne fünfzehn (franz.) Meilen zurück. Er schlug dann einen Kurs nach Südosten ein und hielt auf die Canarischen Inseln zu, um dort das beschädigte Steuer der »Pinta« auszubessern, eine Beschädigung, welche vielleicht der über diese Reise erschreckte Schiffszimmermann selbst verschuldete. Zehn Tage später ankerte Christoph Columbus vor Gran-Canaria, wo er die Havarie der Caravelle reparirte. Neunzehn Tage später warf er bei Gomera Anker, dessen Bewohner ihm das Vorhandensein eines unbekannten Landes im Westen ihres Archipels bestätigten.
Christoph Columbus verließ diese Insel nicht vor dem 6. September. Er hatte Nachricht erhalten, daß ihm in offener See drei portugiesische Schiffe auflauerten, um ihm den Weg zu verlegen. Ohne sich hierdurch abschrecken zu lassen, ging er unter Segel, vermied geschickt ein Zusammentreffen mit den Feinden, schlug eine Richtung direct nach Westen ein und verlor das Land bald gänzlich aus dem Gesicht.
Im Verlauf der Reise bemühte sich der Admiral, seinen Gefährten die wirkliche, täglich zurückgelegte Strecke zu verheimlichen, um die Matrosen nicht noch mehr zu erschrecken, wenn sie die thatsächliche Entfernung bis zum Festlande Europas erführen. Tag für Tag beobachtete er aufmerksam die Boussole, und so verdankt man ihm auch die Entdeckung der magnetischen Variation, welche er schon in seinen Rechnungen berücksichtigte. Seine Lootsen beunruhigten sich aber nicht wenig, wenn sie diese Boussole »Nordwestern« sahen, wie sie sich auszudrücken pflegten. Am 14. September bemerkten die Matrosen der »Nina« eine Schwalbe und einen Spitzschwanz. Die Anwesenheit dieser Vögel konnte wohl auf die Nähe von Land hindeuten, da man sie gewöhnlich nicht weiter als fünfundzwanzig Meilen von der Küste noch antrifft. Die Temperatur war sehr mild, das Wetter prächtig. Der Wind wehte aus Osten und trieb die Caravellen in günstiger Richtung fort. Gerade dieses Anhalten des Ostwindes aber erschreckte die meisten Seeleute, welche darin ein ernstes Hinderniß für die Rückkehr sehen wollten.
Am 16. September beobachtete man einige Büschel noch frischen Varecs, die sich auf den Wellen schaukelten. Land zeigte sich indeß nirgends. Diese Pflanzen rührten wahrscheinlich von Felsen unter dem Wasser her und nicht von der Küste eines Festlandes. Am 17., fünfunddreißig Tage nach der Abfahrt der Expedition, sah man wiederholt Grasmassen auf der Oberfläche des Meeres schwimmen. Auf einem dieser Grasbündel befand sich sogar ein lebender Krebs, was als Vorzeichen eines nahen Landes betrachtet wurde.
Während der folgenden Tage umschwärmten die Caravellen große Mengen verschiedener Vögel, wie Tölpel, Spitzschwänze und Meerschwalben. Columbus benützte das Vorkommen dieser Vögel zur Beruhigung seiner Begleitung, welche nicht wenig verwundert waren, auch nach sechswöchentlicher Fahrt noch kein Land zu finden. Er selbst trug stets das größte Vertrauen zur Schau, daß Gott sie nicht verlassen werde. Häufig richtete er mahnende Worte an die Seinigen und versammelte sie jeden Abend, um das Salve Regina oder irgend einen anderen Hymnus an die heilige Jungfrau zu singen. Bei den Worten dieses heroischen, großen, seiner selbst so sicheren und über die gewöhnlichen Schwächen der Menschen erhabenen Mannes schöpften auch die Mannschaften neuen Muth und fuhren vertrauensvoll weiter.
Es versteht sich von selbst, daß die Matrosen und Officiere der Caravellen den westlichen Horizont, auf den sie zusteuerten, geradezu mit den Blicken verzehrten. Alle hatten mindestens ein reges pecuniäres Interesse daran, den neuen Continent zu entdecken, denn Dem, der ihn zuerst sehen würde, hatte Ferdinand eine Belohnung von 10.000 Maravedis (etwa 6400 Mark = 3200 fl.) unserer Münze zugesichert.
In den letzten Tagen des September herrschte ein regeres Leben durch die Gegenwart einer gewissen Menge Felstauben, Fregattvögel und Captauben, lauter große Vögel, welche häufig in starken Schwärmen zusammenflogen, ein Beweis, daß sie sich nicht blos verirrt hatten. Auch Christoph Columbus verblieb bei der unerschütterlichen Ueberzeugung, daß nun das Land nicht mehr fern sein werde.
Am 1. October verkündete der Admiral seinen Leuten, daß sie nun von der Insel Ferro aus 594 Meilen zurückgelegt hätten. Wirklich überstieg jedoch der von den Caravellen zurückgelegte Weg sogar 700 Meilen, was Christoph Columbus zwar sehr gut wußte und nur noch immer dabei verharrte, nach dieser Seite die Wahrheit zu verhehlen.
Am 7. October versetzte ein von der »Nina« ausgehendes Musketenfeuer die Mannschaft der Flottille in ungewohnte Aufregung. Die Befehlshaber derselben, die beiden Brüder Pinzon, glaubten das Land entdeckt zu haben. Es zeigte sich jedoch bald, daß sie sich getäuscht hatten. Da sie indeß behaupteten, Papageien in der Richtung nach Südwesten hin fliegen gesehen zu haben, stimmte der Admiral zu, seine Richtung um einige Compaßstriche nach Süden zu ändern. Diese Aenderung hatte für die Zukunft die segensreichsten Folgen, denn hätten die Caravellen ihren Kurs direct nach Westen noch ferner beibehalten, so wären sie jedenfalls auf die große Sandbank von Bahama aufgefahren und daselbst zu Grunde gegangen.
Noch immer erschien das so heiß ersehnte Land nicht. Jeden Abend verschwand die Sonne am Horizonte nur hinter der unbegrenzten Wasserlinie. Die Besatzung der drei Schiffe, welche wiederholt einer optischen Täuschung zum Opfer fiel, begann gegen Columbus, »einen Genuesen, einen Fremden«, der sie so weit von ihrem Vaterlande weggeschleppt habe, zu murren. Es kam sogar bis zu einigen Anzeichen von Ungehorsam an Bord, und am 10. October erklärten die Matrosen, daß sie nicht weiter mitgehen würden. Mehrere etwas phantastische Geschichtsschreiber, welche die Reisen Christoph Columbus' erzählt haben, erwähnen hierbei gewisser ernster Scenen, deren Schauplatz die Caravelle des Anführers gewesen sei. Ihren Angaben nach soll sogar sein Leben durch die Empörer auf der »Santa Maria« bedroht gewesen sein. Sie sagen ferner, daß in Folge dieser Auftritte und einer Art Verhandlung dem Admiral noch drei Tage Frist bewilligt worden wären, nach deren Ablauf die Flotte, wenn sich auch dann kein Land gezeigt hätte, den Weg nach Europa einschlagen sollte. Jetzt weiß man, daß diese Berichte nur aus der Phantasie der Romantiker jener Zeit entsprungene Legenden sind. In Columbus' hinterlassenen Papieren findet sich nichts, was jene Erzählungen bestätigte. Wir erwähnen dieselben hier nur deswegen, weil es uns gut scheint, nichts zu übergehen, was auf den großen genuesischen Seehelden Bezug hat. Und ein wenig Legende thut ja der großartigen Erscheinung eines Columbus keinen Abbruch. Doch wie dem auch sei, es steht fest, daß man auf den Caravellen anfing, zu murren, doch verweigerten die Mannschaften auf eine Ansprache des Admirals hin und angesichts seiner energischen Haltung wenigstens nicht, vorläufig ihre Pflichten zu erfüllen.
Am 11. Oktober sah der Admiral neben seinem Schiffe einen noch grünen Rosenstock bei stürmischem Meere hintreiben. Gleichzeitig fischte die Besatzung der »Pinta« einen anderen Rosenstock, ein Brett und einen Stock, der mit einem eisernen Instrumente zugeschnitten schien, auf. Die Hand des Menschen hatte ihr Merkzeichen auf diesen Seetriften zurückgelassen. Fast in demselben Augenblicke bemerkten die Leute der »Nina« einen Dornenzweig mit Blüthen daran. Alle fühlten sich neu belebt. Jetzt konnte ja die Küste nicht mehr fern sein.
Allmälig sank die Nacht über das Meer herab. Die »Pinta«, der beste Segler der Flottille, hielt sich an deren Spitze. Schon glaubten Christoph Columbus selbst und ein gewisser Rodrigo Sandez, ein Controleur des Kapitäns, ein Licht bemerkt zu haben, das sich im Schatten des Horizontes hin und her bewegte, als der Matrose Rodrigo von der »Pinta« den Ruf: »Land! Land!« ertönen ließ. Was mochte in diesem Moment in der Seele Christoph Columbus' vorgehen? Gewiß empfand noch Niemand, seit Menschen auf der Erde wandeln, eine solche Erregung wie jetzt der große Seefahrer. Oder war es doch das Auge des Admirals selbst, der zuerst mit jenem unsicheren Lichte das Land entdeckte? Sei dem wie es will, nicht daß Christoph Columbus ankam, begründet seinen Ruhm, sondern daß er wagte, nach diesem Ziele hin abzureisen.
Zwei Uhr Nachts war es, als man mit Bestimmtheit das Land erkannte. Die Caravellen segelten keine zwei Stunden entfernt von demselben. Alle Mannschaften stimmten tiefbewegt das Salve Regina an.
Bei den ersten Strahlen der Sonne sah man dann eine kleine Insel, zwei Stunden weit unter'm Winde vor sich. Diese gehörte zur Bahama-Gruppe. Columbus nannte sie San Salvador, fiel auf beide Knie und betete mit St. Ambrosius und St. Augustin: » Te Deum laudamus, te Dominum confitemur«.
Da erschienen einige vollkommen nackte Eingeborne auf der neuen Küste. Christoph Columbus begab sich mit Alonzo und Yanez Pinzon, dem Controleur Rodrigo, dem Secretair Descovedo und einigen Anderen in ein Boot. Er trat an's Land, während er das königliche Banner in der Hand hielt und die beiden Kapitäne das Banner des grünen Kreuzes mit den verschlungenen Namenschiffern Ferdinands und Isabellens trugen. Dann nahm der Admiral im Namen des Königs und der Königin von Spanien von der Insel Besitz und ließ ein Protokoll darüber aufnehmen.
Inzwischen umringten die Eingebornen Christoph Columbus und seine Gefährten. Nach Charton, der hierbei Columbus' eigenem Berichte folgt, wird diese Scene folgendermaßen geschildert:
»Um ihnen (den Eingebornen) Freundschaft...