Schweitzer Fachinformationen
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Stella sitzt mit zwei Polizisten an ihrem Küchentisch, und eine Zeitlang sagt keiner etwas. Sie sitzen einfach da, schauen alle weg oder nach unten, eine lange Pause. Der ältere Polizist räuspert sich. Er riecht nach abgestandenem Kaffee und Schnee und sieht sich in Stellas Zuhause um, in ihrer sauberen Küche und dem dunklen Wohnzimmer nebenan, als versuchte er, Beweise für irgendetwas zu finden. Der Jüngere geht seine handschriftlichen Notizen durch, blättert die knittrigen Seiten seines kleinen Spiralhefts um.
Eine Decke um die Schultern, hat Stella die eine Hand um einen Becher heißen Kaffee gelegt, nimmt dessen Wärme auf und zittert doch. Mit der anderen Hand knüllt sie ein Papiertaschentuch zusammen. Sie schaut nach unten. Ihre Hände sehen aus wie früher die ihrer Mutter, älter aussehende Hände bei einer jungen Frau. Alte-Frauen-Hände. Ihre Kookom hatte früher auch solche Hände, und jetzt, wo sie von Kopf bis Fuß eine alte Frau ist, sind ihre Hände praktisch transparent, die Haut dort ist ganz dünn. So schlimm ist es bei Stella noch nicht, aber auch ihre Hände sind zu runzlig, sehen zu alt aus für ihren Körper, als wären sie schon vorausgealtert.
Der Polizist atmet schwer. Stella blickt schließlich auf und braucht all ihre Kraft, um ein weiteres Mal alles zu erzählen. Die Polizisten sitzen beide mit gestrafften Schultern da und rühren die Becher mit dampfendem Kaffee nicht an, die sie ihnen hingestellt hat. Aus den Funkgeräten an ihren Schultern knistert und rauscht es, zwischendurch gedämpfte Stimmen, Zahlen, Meldungen.
Sie hat den Versuch aufgegeben, vor diesen Fremden nicht zu weinen.
Officer Scott, der jüngere der beiden, bricht schließlich das Schweigen.
»Also, wir wissen sicher, dass da draußen etwas Schwerwiegendes passiert ist.« Er schaut sie von der Seite an. Sein Ton ist sachlich, er spricht langsam, legt das Gewicht auf die Wörter da draußen und passiert. Verzieht den Mund in geübter Anteilnahme, die Stella als vorgetäuscht erkennt, aber trotzdem annimmt. Der Ältere, bärtige, Officer Christie, sieht sie nicht an, er stimmt nur mit einem kurzen Nicken zu und räuspert sich erneut. Stella glaubt, dass er sich langweilt; der Jüngere dagegen, sehr jung ist er, wirkt eifrig, womöglich sogar aufgeregt.
Officer Scott versucht - noch einmal - nett auszusehen und fragt sie noch einmal: »Fällt Ihnen sonst noch etwas ein? Irgendetwas?«
Stella blinzelt eine Träne weg und schüttelt den Kopf. Sie schaut aus dem Fenster auf die Brache hinaus, auf das leere Grundstück neben ihrem Haus. Sie muss nicht hinsehen, um zu wissen, dass es leicht schneit. Sie hört das leise, tiefe Summen der Leitungen zwischen den nahen, aber nicht sichtbaren Strommasten. Auch jetzt in der Nacht ist der Himmel noch leuchtend rosa, prall von weiterem Schnee. Die Brache ist eine größtenteils unberührte Fläche, die sich bis zu dem Haus auf der anderen Seite erstreckt. Dessen Holzwände und der Schnee reflektieren das Licht von Mond und Straßenlampen, aber die Fenster sind natürlich dunkel. Alle Fenster sind dunkel, außer denen von Stella.
Die beiden Polizisten sind vorhin dort draußen gewesen, sind um das Blut herumgestapft, um die Lache, die den Schnee geschmolzen hat. Stella kann sie vom Fenster aus gerade noch sehen, einen Teil zumindest. Sie liegt auf dem weißen Boden wie ein dunkler Schatten, ist inzwischen wahrscheinlich gefroren. Schneeflocken fallen darauf, wollen das Blut verdecken. Es sieht nicht unheilvoll aus. Nicht wie das, was es wirklich ist.
Stella geht im Kopf noch mal alle Einzelheiten durch, erinnert sich an alles, will es vergessen. Es dürfte jetzt ungefähr vier Uhr sein, Jeff wird bald nach Hause kommen. Sie will nichts so sehr, wie dass Jeff nach Hause kommt. Sie horcht nach ihren Kindern, ist vorbereitet, falls sie aufwachen sollten, wundert sich, dass sie noch nicht aufgewacht sind bei all dem Getrampel, als die Polizisten hereingekommen sind, aber oben ist alles ruhig. Das Baby schläft, seit Stella die Kinder vor etwa vier Stunden, nachdem sie den Notruf 911 angerufen hatte, schließlich ins Bett gebracht hat. Die Kinder sind eingeschlafen, aber Stella konnte nicht schlafen. Sie wartete und schaute aus dem Fenster, nichts als ihre bangen Gedanken im Kopf. Also stand sie wieder auf und fing an zu putzen. Als die Polizei endlich kam, war alles blitzblank.
Ihre Gedanken zerfasern, aber sie erinnert sich an alles, immer wieder.
»Sie war klein, so klein.« Stellas Schultern beben, als sie die Sprache wiederfindet. »Eine ganz kleine Frau, vielleicht einen Meter fünfzig groß, jedenfalls nicht viel mehr.« Sie klammert sich an der Decke fest, in die sie sich gehüllt hat. »Lange, glatte schwarze Haare. Ihr Gesicht konnte ich nicht sehen. Ganz klein und schmal.« Stella fasst an ihr eigenes langes schwarzes Haar und erinnert sich noch an etwas anderes. Einen Moment lang versagt ihre Stimme. Sie weiß, dass sie sich wiederholt.
»Also, Sie haben sie nur durch die Tür gesehen, richtig?« Scott hat aufgehört, sich Notizen zu machen. Sein Stift ruht auf dem Heft, oberhalb der paar in Blau gekrakelten Wörter. Christie trinkt schließlich doch einen Schluck Kaffee.
»Ja, durch die Vortür. Durch die Glasscheibe.« Stella macht eine vage Handbewegung. Sie kann die Frau immer noch sehen, durch die Milchglasscheibe, wie sie sich langsam entfernt, langsam in das Seitensträßchen verschwindet.
»Das ist eine ziemliche Entfernung, Mrs McGregor. Sind Sie sicher, dass es nicht vielleicht ein junger Mann war? Sie wissen ja, dass viele von den jungen Indigenen die Haare lang tragen.«
Stella schaut ihn bloß an. Sein zu junges Gesicht, immer noch die Maske eines Lächelns, festgefroren. Naiv. Sie denkt an dieses Wort, wälzt es im Kopf herum. Naiv.
»Nein, es war ein Mädchen. Eine Frau.« Sie schaut wieder nach unten, wickelt die Hände in ihre Decke, zittert aber immer noch.
»Okay, okay. Erzählen Sie es uns noch mal«, versucht Scott es sanft. »Von Anfang an bitte. Sie haben draußen Geräusche gehört.«
Stella schüttelt den Kopf. »Draußen habe ich nichts gehört. Das Baby ist aufgewacht. Ich bin hochgegangen, um den Kleinen zu holen, und hab oben aus dem Fenster geschaut. Zuerst wusste ich nicht, was ich da sehe, ich dachte, das ist eine Schlägerei oder so was. Es hat schlimm ausgesehen, deswegen hab ich die 911 angerufen. Aber ich konnte nichts machen, weil mein Baby so geschrien hat. Er zahnt gerade.«
Sie blickt auf und sieht, wie dieser Scott nickt und sich vorbeugt. Geübt. Sein Partner schlürft noch mal von seinem Kaffee und schaut auf die Uhr. Stella dreht sich nach der alten Wanduhr um - 4.05 Uhr. Ja, Jeffs Schicht ist zu Ende, er wird auf dem Heimweg sein.
»Notrufzentrale 911.«
»Ja, hallo. Vor meinem Haus ist jemand überfallen worden. Da wird jemand zusammengeschlagen oder so was.«
»Tut mir leid, ich verstehe Sie nur ganz schlecht. Überfallen, haben Sie gesagt? Vor Ihrem Haus?«
»Ja, genau. Schschsch, Adam, schschsch, mein Kleiner.«
»Und wo ist das, wo wohnen Sie?«
»Magnus. 1243 Magnus. Westlich von McPhillips. Gleich neben der Brache, also, dieser unbebauten Fläche.«
Sie hört ein Seufzen am anderen Ende. »Also gut, hören Sie, ist diese Schlägerei noch im Gang?«
»Ja, ich glaube schon, oder warten Sie mal, ich glaube . Jetzt rennen sie weg.«
»Okay .«
»Oh nein! Oh Gott! Schsch, Adam, ist ja gut.«
»Hallo? Hören Sie? In welche Richtung rennen sie weg?«
»McPhillips. Richtung McPhillips. Aber da liegt jemand, verletzt! Ein Mädchen, eine Frau, glaube ich. Oh Gott!«
»Ich schicke sofort jemanden los. Hallo? Hören Sie mich?«
»Oh Gott oh Gott oh Gott, sie steht nicht auf. Ihre Beine . sie bewegt sich nicht .«
»Hallo? Ich verstehe Sie kaum, weil das Baby so schreit. Ich schicke sofort jemanden zu Ihnen.«
»Oh Gott!«
»Bleiben Sie bitte, wo Sie sind, ja? Hören Sie?«
»Aber sie bewegt sich nicht.«
Scott versucht es noch einmal. »Und dann sind Sie an die Tür gegangen und haben zugesehen, wie sie - wie das Opfer aufgestanden ist?«
»Ja«, bringt sie mühevoll hervor, nickt.
»Und Sie sind nicht hinausgegangen? Haben nicht mit ihr gesprochen?«
Stella schüttelt den Kopf, heftet den Blick wieder auf ihre Hände. Sie erträgt es nicht, wie diese Polizisten sie anschauen.
Er versucht es noch einmal. »Ist Ihnen bei den Angreifern irgendetwas aufgefallen? Logos an den Kleidern, irgend so was?«
Stella versucht ihre Wut herunterzuschlucken, ihre Tränen, ihre Scham, und schaut den Polizisten an. Seine Haut ist so jung, dass er noch ein paar Pickel hat. Und um die Nase herum hat er dunkle Sommersprossen. Stella hat diese Art Sommersprossen immer gemocht, braune Sprenkel auf der Haut.
»Nein, bloß - hm.« Stella verstummt, denkt kurz nach. »Sie hatten dunkle, weite Sachen an, Bomberjacken wahrscheinlich. Einen langen schwarzen Zopf hab ich gesehen. Die anderen hatten Kapuzen auf. Schwarze Kapuzen. Große dunkle Jacken.« Das hat sie alles schon gesagt. Vielleicht, denkt sie, versuchen die, ihr eine Falle zu stellen, sie bei einer Lüge zu ertappen oder so.
Scott lehnt sich zurück. Christie schlürft wieder von seinem Kaffee, so laut, dass man ihn fast »Aah!« sagen hört.
»Wenn Sie sich noch an irgendetwas anderes erinnern, Mrs McGregor, auch wenn es Ihnen völlig belanglos erscheint .«
Stella schüttelt nicht nur den Kopf, sondern den ganzen Körper. Sie will nicht daran denken, kann aber nicht anders. Es läuft immer wieder vor ihrem inneren Auge ab, ein visuelles...
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