Schweitzer Fachinformationen
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Vor dem Eingang einer Mietskaserne im San-Lorenzo-Viertel wartete schon eine schlanke, elegante Blondine auf sie.
Deboras Wagen war noch nicht ganz zum Halten gekommen, da war die Signora schon eingestiegen. Sie musste es sehr eilig haben.
»Bringen Sie mich bitte in die Via Bartoloni.«
Debora hantierte an ihrem Navi. Sie war in Ostia aufgewachsen, und bevor sie die Taxilizenz vom Vater geerbt hatte, war sie nur am Samstagabend nach Rom ins Zentrum gekommen, um sich mit Freunden an stets denselben Orten zu treffen: Via del Corso, Campo de' Fiori, Trastevere. Nun entdeckte sie neue Viertel und machte sich diese Stadt, die Grande Bellezza, Stück für Stück zu eigen.
Die Dame half ihr: »Das ist eine Querstraße vom Viale Parioli.«
Daraufhin ließ Debora das Navi außer Acht, das ohnehin noch nichts ausgespuckt hatte, und fuhr los.
Besorgt sah die Signora auf ihre Uhr, dann holte sie ihre Puderdose aus der Tasche. Sie richtete sich vor dem Spiegel die leicht derangierten Haare und zog ihren Lippenstift nach.
Bei jedem Ampelstopp beobachtete Debora sie heimlich im Rückspiegel. Das machte sie bei allen Kunden. Am Anfang eher schüchtern aus dem Augenwinkel, aber mit der Zeit war sie selbstsicherer geworden und tat es jetzt ziemlich unverblümt. Sie war neugierig, beobachtete gern ihre Fahrgäste und stellte sich dabei vor, wer sie wohl waren, was sie machten, wohin sie fuhren und aus welchem Grund. Das liebte sie an ihrem Beruf, den sie sich ja nicht ausgesucht hatte und zu dem sie der Zufall, oder besser gesagt ein Unglücksfall gebracht hatte. Manchmal, wenn Kunden sie allzu neugierig machten, versuchte sie auch, ein Gespräch anzufangen. Doch im Allgemeinen reichte es ihr, sie ausgiebig zu studieren.
Die Signora hatte ihren Lippenstift nachgezogen - ein Zyklamrot, das hervorragend zu ihrem hellen Teint und den grünen Augen passte - und legte nun Puder auf. Immer wieder unterbrach sie ihre Verschönerungsmaßnahmen, um einen nervösen Blick auf ihre Uhr zu werfen. Als sie ins Taxi gestiegen war, hatte Debora sie auf fünfunddreißig geschätzt. Groß und schlank, eine perfekte, noch mädchenhafte Figur. Doch während sie das Gesicht im Rückspiegel betrachtete, waren ein paar Jahre dazugekommen. Vierzig? Fünfundvierzig, aber gut gehalten? Oder fünfzig, aber dann wirklich fantastisch gehalten? Bei diesen Damen aus den wohlhabenden Vierteln konnte man das nie so genau sagen, wenn sie mit ihren Töchtern ins Fitnessstudio gingen, sahen sie wie deren ältere Schwestern aus. Sie musste an ihre Mutter denken: Seit sie verwitwet war, ging sie nicht einmal mehr zum Friseur.
Inzwischen hatte die Signora aus ihrer Gucci-Handtasche einen Parfümflakon hervorgeholt und besprühte sich damit ausgiebig. Ein intensiver, leicht pudriger Blumenduft erfüllte den Wagen.
»Mmh, riecht das gut! Was für ein Parfüm ist das?«
»Ein englisches. Ich benutze es seit zwanzig Jahren, aber mittlerweile wird es nicht mehr hergestellt, man bekommt es kaum noch.«
»Schade, ich hätte es gern meiner Mutter geschenkt .«
Die andere verzog den Mund zu einem Lächeln, doch es wurde eher eine Grimasse.
Aus ihrer Gucci-Tasche schrillte jetzt der Türkische Marsch von Mozart. Die Signora zuckte zusammen. Hastig holte sie ihr Smartphone hervor, sah dann aber zunächst aufs Display, ohne den Anruf anzunehmen. Unentschlossen hielt sie das Telefon in der Hand, doch dann ging sie schließlich dran.
»Ja, was gibt's?«
».«
»Warum bist du noch da?« Sie wirkte verärgert. »Jetzt kann ich nicht. Es ist zu spät.«
»Ich habe dir alles gesagt. Nun ist es genug.«
Obwohl sie leise sprach, konnte Debora alles verstehen. Sie bemerkte, dass die Stimme der Frau zitterte.
»Bitte dräng mich nicht weiter.«
Darauf schien ihr Gesprächspartner etwas zu sagen, das sie erschreckte.
»Was fällt dir ein! Bist du verrückt?«, wurde sie kurz laut, senkte die Stimme jedoch gleich wieder. »Na gut, ich komme zurück und dann reden wir darüber. Aber beruhige dich . Und tu es nicht. Bitte.«
Rasch beendete sie das Gespräch. Dann legte sie mit einer spontanen, beinahe vertraulichen Geste ihrer jungen Fahrerin die Hand auf die Schulter.
»Würden Sie mich bitte zurückbringen?«
Als Debora plötzlich diese knochigen Finger auf ihrer Schulter spürte, erschrak sie fast.
Sie bremste abrupt und fuhr an den Straßenrand, was ihr einen Stinkefinger von ihrem Hintermann eintrug, und drehte sich zu ihrem Fahrgast um.
Eine schöne Frau, ganz egal, wie alt sie nun wirklich war und wie gut oder weniger gut sie sich gehalten hatte. Schön und völlig durcheinander.
»Wohin wollen Sie zurück?«
»In die Via degli Ausoni. Ich habe dort etwas vergessen«, stammelte die Frau, als müsste sie sich vor Debora rechtfertigen.
Mit der für die Bewohner Roms typischen Nonchalance und Schicksalsergebenheit zuckte Debora nur mit den Schultern. »Kein Problem .«
Auf der Fahrt zurück nach San Lorenzo herrschte im Taxi Grabesstille. Die Signora starrte mit traurigen Augen verloren aus dem Fenster. Jetzt wirkte sie beinahe älter als ihre Mutter, dachte Debora, die sich inzwischen fühlte, als würde sie ihren Gast zu einer Beerdigung fahren. Mehr als einmal war sie drauf und dran, die Frau zu fragen, was vorgefallen war. Sie hatte sich schon öfter hemmungslos in die persönlichen Angelegenheiten ihrer Kunden eingemischt, wenn ihre Neugier sie zu sehr quälte. Aber in diesem besonderen Fall traute sie sich nicht, aus Angst, ihren Fahrgast aus ihrem ohnehin schon sichtlich wackligen Gleichgewicht zu bringen. Die Frau schien mit den Tränen zu kämpfen, ein falsches Wort hätte alle Schleusentore öffnen können.
Kaum hatten sie die Via degli Ausoni erreicht, kramte die Signora in ihrer Handtasche nach dem Portemonnaie. »Was macht das?«
Sie war so aufgeregt, dass sie in ihrer Hektik alles hervorholte: Schlüssel, Handy, Brille, Puderdose . Dabei zitterten ihr die Finger.
Debora sah auf den Taxameter. »Das sind dann fünfundzwanzig Euro .«
Inzwischen hatte die Signora ihr Portemonnaie gefunden, natürlich wie die Handtasche von einer Nobelmarke. Sie holte einen Fünfziger hervor und wollte ihn gerade nach vorn reichen, als sie in der Bewegung innehielt. Sie sah Debora an, als wollte sie ihr etwas sagen. Ihr Blick schien sie geradezu anzuflehen.
»Könnten Sie hier auf mich warten? Ich spring nur kurz hoch, hole das, was ich vergessen habe, und dann fahren Sie mich zurück ins Parioli-Viertel.«
Debora akzeptierte ihre Bitte mit demselben ergebenen Schulterzucken wie vorher.
»Kein Problem. Ich rauch dann mal eben eine.«
Die Dame sammelte ein, was sie in ihrer Hektik aus der Handtasche geholt hatte, und warf es einfach dorthin zurück. Kurz darauf war sie im Eingang des Wohnhauses verschwunden.
Debora schob ihren Sitz zurück, streckte die Beine aus, zog ein Päckchen Camel Blue aus ihrer Tasche, holte eine Zigarette heraus und zündete sie an. Genüsslich inhalierte sie den Rauch. Sie schloss die Augen und ließ sich von den lauten Geräuschen der Großstadt einlullen. Nichts entspannte sie mehr als Chaos. Der Lärm um sie herum erinnerte sie an ihre Kindheit, wenn sie vor dem dröhnenden Fernseher einschlief und ihr Vater sie dann wie eine Puppe auf seinen Armen ins Bett trug, während sie selig vor sich hin dämmerte und davon überhaupt nichts mitbekam. Diese Geräusche - die Motoren, das Geschrei, das Hupkonzert, ein bellender Hund irgendwo - waren das Leben, das um sie herum tobte und über sie wachte, während sie in aller Seelenruhe mit den Gedanken ganz woanders sein konnte. Stille dagegen jagte ihr Angst ein. Die erinnerte sie an den Tod. Wobei sie weniger an ihren eigenen Tod denken musste als an die Menschen, die nicht mehr waren. Ihre Großmutter, eine Lehrerin aus der Mittelstufe, einer ihrer Freunde, der mit dem Mofa verunglückt war. Und vor allem musste sie an ihren Vater denken.
Als Debora die Augen öffnete und auf ihren Taxameter sah, stellte sie fest, dass fast eine halbe Stunde vergangen war. Vielleicht war sie eingeschlafen, ohne es zu merken.
Sie hupte einmal laut, nur um die Dame daran zu erinnern, dass sie hier unten wartete und der Taxameter immer noch lief.
Es vergingen weitere zehn Minuten, aber von ihrem Fahrgast keine Spur. Debora stieg aus dem Taxi und trat in den Hauseingang.
Es handelte sich um einen großen Wohnblock mit weitläufigem Hof, um den sich weitere kleinere Häuser gruppierten. Gerade kam eine alte Frau mit einem Kinderwagen eine Treppe herunter. Debora fragte sie, ob sie eine elegante blonde Dame um die vierzig gesehen habe .
Die Frau schüttelte den Kopf. »Sind Sie sicher, dass die hier wohnt?«
Von draußen hörte man ein lautes Hupen.
»Entschuldigen Sie, ich muss mein Taxi woanders abstellen .«
Die alte Frau bückte sich, um den Schnuller aufzuheben, den ihr Enkel auf den Boden geworfen hatte. »Geh nur, Schätzchen, tut mir leid, ich kann dir nicht weiterhelfen. Also hier auf meiner Seite wohnt so eine bestimmt nicht .«
Das Taxi versperrte einem verbeulten Panda den Weg, dessen Fahrer, ein junger Mann mit Bart, bereits tobte und in einer Tour hupte und dabei brüllte:
»Verfluchte Scheiße, welches Arschloch lässt denn sein Taxi so bescheuert stehen?«
Debora packte ihr strahlendstes Lächeln aus und spielte das Dummchen. »Entschuuuldigung . Ich bin sofort weg.«
Der junge Mann, das Gesicht feuerrot und die Halsschlagader schon kurz vorm Platzen, stellte sein Gebrüll so schlagartig ein, wie ein Auto mit hundertachtzig Stundenkilometern...
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