Schweitzer Fachinformationen
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Das Gebäude der seggiovia an der Piazza Vittoria war ein weiß gestrichener Kuppelbau mit einem Bild an der Fassade, das aus bunten Kacheln bestand und eine Frau mit Sonnenhut zeigte, die im Sessellift, beinahe lebensgroß, über eine grüne Landschaft schwebte.
Rizzi setzte seine Sonnenbrille auf, und Savio tat es ihm nach. Seit der Kollege einen Dreitagebart trug, sah sein rundes Gesicht etwas kantiger aus. Die Leute, die im Schatten unter der Pergola auf den Bus warteten, starrten respektvoll herüber, als Rizzis Telefon in der Brusttasche zu klingeln begann.
»Wo seid ihr?«, fragte Teresa Villa am anderen Ende und klang beinahe so, als wäre Rizzi ihr eine Erklärung schuldig.
»In Anacapri«, antwortete Rizzi. »Und wo warst du heute Morgen? Hast du gehört, was passiert ist? An der seggiovia wurde ein Toter gemeldet. Keiner weiß, was los ist, und außer Savio und mir war niemand verfügbar.«
»Und wo ist Cirillo?«, fragte Teresa.
»Keine Ahnung. Sag du es mir.«
Teresa am anderen Ende schwieg, und Rizzi erklärte in wenigen Worten, er habe bereits den Dottore verständigt, dem Ispettore eine Nachricht geschickt und Cirillo aufs Band gesprochen. Was er nicht aussprach: Er hatte Teresas verdammten Job erledigt.
»Ich entschuldige mich, dass ich zu spät gekommen bin, und verspreche, dass es nicht wieder vorkommt«, erklärte Teresa geduldig. »Jetzt sag: Was kann ich tun? Soll ich Gatti Bescheid geben?«
»Ich denke, das ist nicht nötig«, antwortete Rizzi versöhnlich. »Lass ihm seinen freien Tag. Savio und ich haben alles im Griff. Ansonsten melde ich mich wieder.«
Rizzi stieg mit Savio die Stufen hinauf zum Eingang vom Sessellift. Ein Kleinkind weinte, Pärchen machten Self?ies, und Frauen, die in einer Gruppe beisammenstanden, winkten, kicherten und riefen vorwitzig: »Agenti, bitte verhaften Sie uns!«
Der Vorraum war voller Menschen, die Luft stickig, die Kasse nicht besetzt. Ein Mann im Poloshirt mit der Aufschrift Seggiovia Monte Solaro stand am Drehkreuz und machte einen überforderten Eindruck, während ein Typ mit Strohhut ihm zwei Tickets unter die Nase hielt und sich mit hochrotem Kopf und deutschem Akzent erkundigte, wann er nun endlich mit seiner Frau auf den Monte Solaro hinauf?fahren könne.
»Bitte verlassen Sie die Station!«, rief Rizzi mit lauter Stimme. »Der Betrieb ist bis auf Weiteres eingestellt.«
»Ein Notfall.« Savio bewegte die Arme, als würde er auch hier den Verkehr regeln. »Haben Sie gehört? Gehen Sie bitte raus!« Er holte aus seiner Umhängetasche die Rolle mit dem Absperrband hervor.
Der Mitarbeiter am Drehkreuz hatte sein Basecap verkehrt herum aufgesetzt, gerötete Augen und kleine Schweißperlen auf der Stirn. »Gut, dass Sie da sind«, sagte er, als er für Rizzi den Durchgang öffnete, und stellte sich als Mario Valente vor.
»Wo ist der Tote?«, fragte Rizzi.
»Oben«, antwortete Mario Valente und klang eher empört als fassungslos.
»Oben?«, wiederholte Rizzi überrascht. »Sie meinen, an der Bergstation?«
»Hatte ich das nicht am Telefon gesagt?«
»Nein, aber das ist jetzt egal«, sagte Rizzi, als er Mario Valente über breite Stufen eine Treppe hinauf?folgte. »Wissen Sie inzwischen, was passiert ist?«
»Ich habe wirklich keine Ahnung, Agente. Alles war wie immer.« Er machte eine Handbewegung, die alles einbegriff. »Alessandro kam wie jeden Morgen mit seiner Thermoskanne hier an. Er war immer der Erste, der auf den Monte Solaro fuhr, grundsätzlich. Und hat einen völlig normalen Eindruck gemacht. Auf mich wirkte er kerngesund.«
»Alessandro heißt der Tote also«, sagte Rizzi. »Und wie ist sein Nachname?«
Mario Valente zuckte die Schultern. »So gut kenne ich ihn nicht. Wir haben nie viel geredet und sind über ein >Hallo, wie geht's< nie hinausgekommen.«
Sie schauten zu den Sesseln hinauf, die wie Strandstühle aussahen, nur dass sie keinen Bodenkontakt hatten, sondern in gleichmäßigem Abstand hintereinander in der Luft hingen. Die Aufhängung war unter der Sitzfläche befestigt und führte als geschwungenes Rohr seitlich am Sitz vorbei zum Drahtseil hinauf.
»Er wollte also wie jeden Morgen auf den Monte Solaro«, stellte Rizzi fest. »Und was ist dann passiert?«
Mario Valente schaute hinauf auf den Berg, an den Masten entlang, die immer kleiner wurden und sich in der Ferne verloren. »Sein Herz muss irgendwo auf dem Weg einfach aufgehört haben zu schlagen. Als er oben ankam, war er tot.« Er schüttelte fassungslos den Kopf und hatte Tränen in den Augen. »Wenigstens war das Letzte, was er gesehen hat, die wunderschöne Landschaft. Der erhabenste Ausblick der Welt.«
»Was ist oben passiert, als der Tote ankam?«
»Fabrizio war da.« Mario Valente schaute Rizzi an, als wäre damit alles gesagt. »Ich weiß nicht, wie er ihn da oben aus dem Sessel bekommen hat. Fabrizio ist kein Schwächling, aber er hat auch nicht gerade die Statur eines Boxers, und Alessandro war sicher siebzig, achtzig Kilo schwer.«
Rizzi betrachtete die blauen Markierungen auf dem Betonboden, Pfeile und Fußabdrücke, die anzeigten, wo man sich bei der Abfahrt hinzustellen hatte.
»Können Sie den Sessellift für mich in Betrieb nehmen?«, fragte er. »Ich denke, es ist der schnellste Weg, auch für den Dottore, der hier demnächst eintreffen wird.«
»Selbstverständlich, Agente.«
»Wie lange braucht es nach oben?« Rizzi holte sein Telefon hervor.
»Keine fünfzehn Minuten.«
»Savio«, rief Rizzi in den Kassenraum hinunter, wo der Kollege die ratlosen und empörten Touristen beruhigte. »Ich fahre jetzt rauf.« Als Savio näher kam, fügte Rizzi hinzu: »Der Tote befindet sich oben auf dem Monte Solaro.«
Er bat den Kollegen, hier unten an der Sesselliftstation zu bleiben und dafür zu sorgen, dass es am Eingang zu keiner größeren Menschenansammlung kam, und Antonia Cirillo, wenn sie eintraf, auszurichten, sie solle nachkommen.
»Alles klar, Chef«, antwortete Savio.
Rizzi setzte sich in den Sessel, der ihm am nächsten war, und klappte vor seiner Brust den Bügel herunter, der wie eine kleine Schranke einrastete.
»Attenzione!«, rief Mario Valente.
Fast zeitgleich ertönten ein Signal und ein Quietschen, und der Sessellift setzte sich ruckelnd in Bewegung.
Rizzi verlor den Kontakt mit dem Boden, der Sitz an der Stange schwankte hin und her, und Mario Valente hob grüßend die Hand. Die Plattform unter Rizzi entschwand. Terrassen und Dächer tauchten auf und entfernten sich wieder.
Er ließ seinen Blick über die Ebene schweifen, eine sonnenverbrannte Macchia mit Mastixsträuchern und wilden Pistazien, struppigem Ginster und Grüppchen von Steineichen. Die Böschung linker Hand schien streckenweise zum Greifen nahe und bestand aus dornigem Gestrüpp, während rechter Hand Anacapri zu sehen war, kleine weiße Häuser, wie über die Anhöhen gewürfelt. Dahinter schimmerte das Meer in leuchtenden Blautönen, und mittendrin thronte Ischia, die grüne Insel. All das hatte der unbekannte Mann, Alessandro, Stammgast der seggiovia, auf seiner Fahrt auf den Monte Solaro vor nicht mal einer Stunde auch gesehen, bevor er plötzlich gestorben war. Ob er gespürt hatte, dass der Tod nahe war? Ob er in Panik verfiel, aussteigen wollte und noch um Hilfe rief? Oder war er einfach in sich zusammengesackt? Rizzi war sich nicht sicher, ob es hier oben der schönste oder der schrecklichste Ort war, um einen Herzinfarkt zu bekommen.
Die Plattform auf dem Monte Solaro kam in Sicht, eine glatte Betonfläche auf einem steil abfallenden Felsen, von einem Geländer begrenzt. Am Rand befand sich ein grünes Häuschen, das ganz neu aussah, mit großen, modernen Fenstern und einer Tür, die offen war. Davor standen ein Campingtisch, ein Stuhl und ein Mann, der dasselbe Polohemd mit der Aufschrift Seggiovia Monte Solaro trug wie sein Kollege Mario Valente an der Station unten.
»Ich bin froh, dass Sie so schnell kommen konnten«, sagte der Mitarbeiter, der sich als Fabrizio Fabbri vorstellte. Trotz seiner Bräune sah er blass aus, aber er versuchte zu lächeln, als er seine Hand ausstreckte, um Rizzi aus dem Sitz zu helfen.
»Danke. Wo ist der Mann?«, fragte Rizzi, sah jedoch im selben Moment hinter dem Campingtisch zwei Sneaker, die mit den Schuhspitzen nach oben ragten, behaarte Männerbeine und ein weißes Tischtuch, mit dem der restliche Körper bedeckt war.
»Ich hoffe, ich habe nichts falsch gemacht«, stammelte Fabrizio Fabbri und fuhr sich nervös mit der Hand durchs verstrubbelte Haar. »Ich wusste nicht, wohin mit ihm, wollte ihn aber auch nicht einfach in der Sonne liegen lassen. Ich konnte ihn allerdings nicht weit bewegen und nur ziehen.« Der Mann verstummte und starrte fassungslos auf die Sneaker, die Beine und das Tuch, unter dem sich der Körper abzeichnete.
»Sie haben alles richtig gemacht«, sagte Rizzi, bückte sich und hob das Tuch an.
Der Tote hatte ein gebräuntes Gesicht mit glatt rasierten Wangen und einem vorspringenden Kinn, das ihm etwas Energisches gab. Das rotblonde Haar war akkurat geschnitten, in der Mitte gescheitelt und fiel über die geschlossenen Augen. Der Mund war auf?fallend klein und eine Oberlippe fast nicht vorhanden. Die Unterlippe dagegen sinnlich geschwungen. Rizzi schätzte den Mann auf Mitte dreißig, also auf etwas älter, als er selbst war.
»Wie hat es sich abgespielt, als er hier oben ankam?«, fragte Rizzi und zog das Tuch nun ganz weg. Ein hellblaues Hemd und eine knielange Leinenhose kamen zum Vorschein. »Hat er...
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