Schweitzer Fachinformationen
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Das Buch geht der Frage nach, ob der bekannte Anarchist Gustav Landauer (1870-1919) auch als jüdischer Intellektueller gelten kann und wie er in die jüdische Geistes- und Kulturgeschichte seiner Zeit einzuordnen ist. Dabei wird ebenfalls der Einfluss seines Aufwachsens und der von ihm als jüdisch verstandenen angeeigneten Traditionen auf sein Werk untersucht.
Als intellektuelle Biografie entfaltet das Buch die chronologische Entwicklung Landauers im Laufe seines Lebens und zeigt Brüche, Wendungen und Kontinuitäten auf. Dazu werden Texte und Briefe ausgewertet und analysiert sowie die Freundschaft zu Martin Buber besonders in den Blick genommen, um Landauers Entwicklung nachzuvollziehen. Seine Entwicklung wird durch die jüdische Kultur- und Geistesgeschichte des Kaiserreiches kontextualisiert.
Es ist die erste umfassende Studie zu Gustav Landauer vor dem Hintergrund der jüdischen Geistes- und Kulturgeschichte. Das Buch bringt es den bisherigen Forschungsstand zusammen und reflektiert diesen kritisch. Außerdem wertet die Studie bekanntes Archivmaterial aber auch neue Archivfunde aus. Damit ergibt sich ein neues Fundament für die zukünftige Landauerforschung in diesem Bereich.
Gustav Landauer wuchs behütet auf. In seiner Kindheit war er viel bei der ländlichen Verwandtschaft in Württemberg und begeistert von Literatur und Theater. Während des Studiums begann er sich zu politisieren und in der Dekade vor 1900 entwickelte er sich zu einem Anarchisten.
Landauers Kindheit und Jugend ist schon vielfach beschrieben worden.1 Angesichts der eher dürftigen Quellenlage ist es mittlerweile schwer, neue Erkenntnisse aus den Archiven zu bergen. Eine genaue Analyse und vor allem Kontextualisierung hingegen hilft den geistigen und sozialen Hintergrund zu verstehen, vor dem Landauer aufwuchs und seine grundlegenden Überzeugungen und Weltzugänge entwickelte.
Hermann Landauer kam aus Buttenhausen und Rosa Neuburger aus Buchau am Federsee, beide entstammten also den ländlichen jüdischen Gemeinden Württembergs. Als Hermann und Rosa Landauer zogen sie nach Karlsruhe, wo am 7. April 1870 ihr drittes Kind geboren wurde: Gustav Landauer. Gustav hatte zwei ältere Brüder, Friedrich Salomon, geboren 1866, und Felix, geboren 1867. Alle drei besuchten das Gymnasium, wobei der älteste, Friedrich, anschließend Jura studierte und bis zum Landgerichtsrat aufstieg, Felix übernahm das väterliche Geschäft und Gustav entwickelte sich zum Freigeist, Autoren und Aktivisten.2
Hermann Landauer war im Handel aktiv und machte sich 1872 mit einem Schuhgeschäft selbstständig, wozu er ein eigenes Haus errichten ließ. Das Geschäft lief gut und ermöglichte Gustav Landauer nicht nur den Besuch des Gymnasiums und ein Studium, sondern ließ ihn in materiell gesicherten Verhältnissen aufwachsen. Die Familie Landauer wird in der Forschung als bürgerlich beschrieben, was angesichts der materiellen Verhältnisse plausibel erscheint.3 Rechtlich waren Juden in Württemberg schon 1864 anderen Bürgern gleichgestellt worden, reichsweit wurde die formale Gleichstellung erst mit der Reichseinigung und -gründung 1871 vollzogen. Damit gelangte die rechtliche Emanzipation der Juden an ihr Ziel.4 In der Forschung wird mithin auf die höhere soziale und räumliche Mobilität von Jüdinnen:Juden im Vergleich zur übrigen Bevölkerung des Kaiserreiches hingewiesen, wobei Monika Richarz die Tendenz des jüdischen Bürgertums treffend zusammenfasste: "Die meisten jüdischen Familien zogen während des Kaiserreiches vom Land und aus den Kleinstädten in die Großstädte, wo sie ihre Kinderzahl einschränkten, die Ausbildung ihrer Kinder verbesserten und mit dem wirtschaftlichen Aufstieg in immer größerer Zahl den Lebensstil des Bürgertums annahmen."5
Über Juden als Paradigma der Verbürgerlichung (Shulamit Volkov), ebenso wie über die Annahme einer großflächigen Verbürgerlichung von Juden im Kaiserreich überhaupt, ist in der Forschung gestritten worden. Berücksichtigt man die Situation von Gustav Landauers Eltern, die in Karlsruhe ein Wohn- und Geschäftshaus bauten und ein erfolgreiches Schuhgeschäft führten, kann die Familie als bürgerlich bezeichnet werden, auch im Hinblick auf die in der Forschung konstatierten Entwicklungen zur beruflichen und sozialen Struktur der Juden in dieser Zeit.6 Durch diese Bürgerlichkeit war Gustav Landauers Kindheit und Jugend geprägt. Er ging zur Schule, ins Theater und las viel, vor allem Klassiker wie Goethe, Schiller oder Kleist.
Bildung hatte einen hohen Stellenwert in der Familie Landauer, allen drei Söhnen wurde eine Schulbildung und ein Studium ermöglicht. Gustav Landauer interessierte sich schon früh für Literatur und Philosophie - dieser Bildungsdrang findet sich in einem von der Forschung ausgemachten Trend innerhalb des jüdischen Bürgertums. In diesem Rahmen machte beispielsweise Shulamit Volkov auf die Übernahme einer bürgerlichen Sprache und des Bildungsideals aufmerksam.7 Während sich im 19. Jahrhundert weltliche Bildung neben der religiösen - wie in der Interpretation des Diktums Tora im Derech Eretz von Samson Raphael Hirsch festgehalten - zu etablieren begann, ersetzte die weltliche Bildung gegen Ende des Jahrhunderts zunehmend die religiöse und bot einen Weg zur Akkulturation an die nichtjüdische Mehrheitsgesellschaft. Da der Bildungsbegriff, wie George Mosse festhielt, nicht nur Wissen bedeutete, sondern ebenso "charakterliche und sittliche Erziehung", entwickelte sich im Nachgang an die jüdische Aufklärung und Emanzipation ein auf Bildung basierendes jüdisches Selbstverständnis, Teil der deutschen Bevölkerung und des deutschen Volkes zu sein.8 Bildung war für Juden in Deutschland eine Möglichkeit der Integration und wurde zu einem zentralen Moment des jüdisch deutschen Bewusstseins. Diese Stellung von Bildung diente auch einer Annäherung an das Bürgertum der deutschen Gesellschaft, da sich dieses seit dem 19. Jahrhundert immer mehr mit den Werten der Bildung identifizierte.9
Bildung stand bei den Landauers nicht nur formal hoch im Kurs, sondern der junge Gustav Landauer interessierte sich für Theater und Literatur, wie er immer wieder seinem Tagebuch anvertraute.10 In diesem Tagebuch notierte er auch seine vielzähligen Versuche selbst zu schreiben, darunter sind Dramen, Novellen, Gedichte und Abhandlungen.11 Mit zunehmendem Alter wurde Gustav Landauer die Frage nach seinem künftigen Beruf und in diesem Zusammenhang zu seiner weiteren Ausbildung immer öfter gestellt. Sein Vater hatte spezielle Vorstellungen, was das Berufsleben seines jüngsten Sohnes anging, nach Landauers Tagebuch vom 8. April 1885 war der erste Wunsch von Hermann Landauer, dass Gustav Zahnarzt würde, dieser weigerte sich aber strikt, sodass als nächster Vorschlag ein Studium der Chemie im Raum stand. Zu diesem Zeitpunkt träumte Landauer aber noch von einer Teilhabe an einem Kolonialwarenladen.12 Knapp zwei Wochen später machte Landauer einen emotionalen Eintrag in seinem Tagebuch, indem er seiner Weigerung Ausdruck verlieh dem Wunsch seines Vaters zu folgen. Der Fünfzehnjährige rebellierte und wollte keinen Beruf nur des Geldes wegen ausüben.13 Im Herbst schien ein Kompromiss ausgehandelt worden zu sein: Landauer wollte nun Philologie studieren und der Vater hatte nichts dagegen. Allerdings waren noch einige Dinge zu bedenken: Die Kosten seien recht hoch, außerdem musste Landauer die Schule wechseln, vom Realgymnasium auf ein humanistisches Gymnasium, u.?a. um Griechisch zu lernen.14 Hier wird deutlich, dass der junge Landauer das Ethos von Bildung verinnerlicht hatte. Sein Fokus auf deutschsprachige und klassische Autoren unterstreicht die Darstellung in der Forschung, dass durch Bildung ein Weg in die deutsche Gesellschaft gebahnt werden sollte; Akkulturation ist hierbei das Stichwort.15 Darüber hinaus zeigt die Hartnäckigkeit der Eltern, dass Landauer etwas studieren sollte, wie sehr sie am Bildungserfolg ihrer Kinder interessiert waren.
Gustav Landauer ist in dieser Phase seines Lebens Teil des akkulturierten jüdischen Bürgertums, das bedeutet allerdings nicht, dass die Familie gar keinen Bezug mehr zu ihren jüdischen Traditionen hatte. So beispielsweise hielt Paul Mendes-Flohr fest, dass Akkulturation nicht pauschal "mit einer Preisgabe des Judentums gleichgesetzt werden [kann]." Auch wenn akkulturierte Juden auf der eben beschriebenen Verbindung von Jüdischsein, Bürgerlichkeit und Bildung "nicht mehr auf eine einfache und eindeutige Weise jüdisch [waren]."16
Das frühe und familiäre Umfeld Landauers war jüdischer geprägt, als es die Forschungsliteratur mitunter vermuten lässt. Es ist Carolin Kosuch mit ihrer Rekonstruktion Landauers früher Jahre und seines Umfeldes zu verdanken, dass seine Nähe zu jüdischen Traditionen und Lebensformen deutlicher wurden. Außerdem hat Christoph Knüppel wichtige genealogische Zusammenhänge aufgezeigt sowie auf die enge Beziehung zur Verwandtschaft aus dem ländlichen Judentum hingewiesen.17 Die Großeltern und andere Verwandte lebten noch in Württemberg, das von Dörfern mit hoher jüdischer Bevölkerung geprägt war. Dort war er in den Ferien zu Besuch, auf Hochzeiten eingeladen und aus diesem Milieu kamen seine ersten Liebesbeziehungen.18 Monika Richarz zeigte, dass im Milieu des ländlichen Judentums die Tradition einen hohen Stellenwert besaß, wenngleich auch oft nur aus sozialen Gründen. Außerdem machte sie deutlich: "Jede jüdische Familie, war sie auch noch so säkularisiert, kannte jüdische Traditionen, bewahrte oder vernachlässigte sie - oder machte Witze über sie. Aber die Tradition war da, wenn auch oft nur noch in Resten, und sie bestimmte das Leben der jüdischen Familie in unterschiedlichem Grade mit."19 Gleichzeitig kann diese Tendenz, wie Shulamit Volkov dies tut, als Aushöhlung jüdischer Familientradition interpretiert werden wie es sich durch Nichteinhaltung des Schabbats oder Nichtbegehen der Feiertage ausdrückte. Dennoch kommt auch Volkov zu dem Schluss, dass dies der Weg zu einer neuen jüdisch deutschen Erscheinungsform wurde, die nicht mehr traditionell, aber dennoch spezifisch jüdisch war.20
Auf die Herausforderungen und Komplexitäten des ländlichen Judentums, insbesondere bei dessen...
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