Schweitzer Fachinformationen
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5.
Kalt wie ein Grab, durchfuhr es May auf dem Weg zur Bordküche. Der Korridor, den sie entlangging, war das Erste, was sie außerhalb der Krankenstation von dem Raumschiff zu sehen bekam, und dieses schien nur noch wenig mit dem Schiff gemein zu haben, das sie ein paar Monate zuvor triumphierend aus dem Weltraumdock pilotiert hatte. Die Dunkelheit war allumfassend, bis auf das trübe Flackern einiger schwacher Notlichter, die überall verstreut waren. Der Strahl der Taschenlampe erleuchtete einen schmalen Pfad auf dem Metallfußboden, schaffte es aber nicht, weiter vorzudringen. Abgesehen vom leisen Brummen der Triebwerke war die Stille ebenso beherrschend wie die Dunkelheit.
Bei einem Raumschiff von dieser Größe war die Leere zutiefst verstörend und warf einen kalten, erdrückenden Schatten auf jeglichen Hoffnungsschimmer.
»Das Raumschiff ist dunkel«, sagte May. »Von der Crew ist nichts zu sehen . Eigentlich sehe ich gar nichts.«
Sollte das die Summe ihrer Errungenschaften sein? Eine wunderschöne Bekundung all der Stärke und der guten Absichten der Menschheit, über Bord geworfen und im freien Fall, ohne die Hoffnung, jemals auf dem Boden anzukommen? Wie konnte ich zulassen, dass das passiert? Wie konnte alles so schiefgehen?
»Ist es irgendwie möglich, mehr verdammte Lampen einzuschalten?«, wollte May von der KI wissen.
Keine Antwort.
»Hallo? Hier ist es wie in einer Höhle. Ich sehe kaum meine eigene Hand vor den Augen.«
Noch immer keine Antwort. Wütend ging sie zurück zur Krankenstation.
»Warum antwortest du mir nicht?«, fragte sie die KI.
»Tut mir leid, ich habe Sie nicht gehört.«
»Du hörst mich nicht, wenn ich im Gang bin?«
»Fehlanzeige, Commander Knox. Anscheinend sind meine Prozessoren nicht mehr mit dem Netzwerk der Raumfähre verbunden. Ich sehe und höre Sie nur in Räumen mit Kommandokonsolen, in die Sie sich eingeloggt haben, wie in diesem.«
»Dann ist dir also nicht bewusst, dass auf dem Raumschiff Dunkelheit herrscht und von der Crew weit und breit nichts zu sehen ist?«
»Nein. Ich empfange von nirgendwo auf dem Raumschiff Daten. Haben Sie eine Ahnung, was los ist, Commander Knox?«
Die Frage klang seltsam kindisch, und May kam in den Sinn, dass das, was für den Ausfall der internen Energieversorgung verantwortlich war, womöglich auch die KI beschädigt hatte.
»Das wollte ich dich fragen. Soweit ich es beurteilen kann, funktionieren die internen Energiesysteme des Raumschiffs nicht mehr richtig.«
»Das ist sehr beunruhigend.«
»Nicht so beunruhigend wie die Tatsache, dass du dir dessen nicht einmal bewusst warst. Oder, noch schlimmer, nicht so beunruhigend wie die Tatsache, dass ich auf dem Raumschiff noch nichts von einem anderen menschlichen Wesen gesehen oder gehört habe, seit ich aufgewacht bin.«
»Laut Vorschrift müssen alle Posten rund um die Uhr besetzt sein.«
Wieder die kindliche Naivität. Die KI wusste noch weniger als May.
»Ich glaube, über Vorschriften brauchen wir uns schon lange keine Gedanken mehr zu machen«, flachste sie. »Weißt du wenigstens, wann du den Kontakt zum Rest des Raumschiffs verloren hast?«
»Ich bin nicht in der Lage, den Zeitpunkt zu bestimmen, da ich keinen Zugriff auf die Uhr des Raumschiffs habe.«
»Aber erinnerst du dich wenigstens daran, dass du den Kontakt verloren hast?«
»Ich bin nicht in der Lage, irgendwelche Daten zu finden, die im Zusammenhang mit diesem Ereignis stehen.«
»Tja, das ist ganz große Kacke«, sagte May.
»Ich verstehe nicht.«
»Dann sind wir schon zu zweit. Aber da es so aussieht, als würden wir beide unter Amnesie leiden, weiß ich nicht, was ich als Nächstes tun soll.«
»Vielleicht können Sie mich wieder verbinden?«
»Wie denn? Das ist ein Fall für die Technikabteilung. Nicht mein Gebiet. Ich war noch nicht ein einziges Mal da drin.«
»Wenn Sie sich in meinen Prozessorraum begeben, kann ich Ihnen bei der Analyse des Problems helfen. Wenn es behebbar ist, werde ich die entsprechenden Wartungsarbeiten Schritt für Schritt mit Ihnen durchgehen.«
»Wenn es behebbar ist?«
»Meine Prozessoren bestehen zum Teil aus organischer Materie, die sich in einer hochgradig regulierten Umgebung befindet. Ein Stromausfall, der auch nur zu kleinsten Veränderung der Umgebung führt, kann katastrophale Folgen haben. Da ich keine Verbindung zum Reinraum habe, bin ich nicht in der Lage .«
»Ich habe schon verstanden«, sagte May knapp. »Sieht so aus, als müsste das Abendessen warten. Bitte schick mir eine neue Wegbeschreibung zum Reinraum.«
»Ist unterwegs.«
May stopfte einen Kopfkissenbezug mit Taschenlampen, Nutri-Gel-Packungen und Wasserflaschen voll und eilte zurück in den Korridor. Ohne die KI bestand keine Hoffnung auf Überleben, und jede Sekunde war kostbar, falls die organische Materie in den Prozessoren bereits abzusterben begonnen hatte. Sie erinnerte sich daran, dass sie einst die Blumen ihrer Mutter eine Woche lang nicht gegossen hatte und alle eingegangen waren. Sie hatten ausgesehen wie tote Soldaten in der Schusslinie eines Exekutionskommandos, vornübergebeugt und zerfetzt. Du hattest eine einzige Aufgabe, hatte ihre Mutter vorwurfsvoll gesagt.
»Hier ist Commander Knox«, rief sie. »Ist jemand auf dem Raumschiff?«
Sie erinnerte sich an die Namen einiger ihrer Crewmitglieder und rief nach ihnen.
»Captain Escher? Gabi Dos Santos? Hört mich jemand?«
Ihre Taschenlampe wurde kurz dunkler, und sie klopfte panisch auf das Batteriefach, um sie wieder zum Leben zu erwecken. Waren die anderen womöglich aus irgendeinem Grund von Bord gegangen? Wegen der Krankheit? Das bedrohliche Gefühl, abgekapselt zu sein, kroch in ihren Magen und verknotete ihn. Um den neuerlichen Anfall von Paranoia abzuschütteln, konzentrierte sie sich darauf, sich Details zu ihrer Crew ins Gedächtnis zu rufen: Jon Escher, Pilot und ihr Stellvertreter. Ein draufgängerischer US-Navy-Pilot, der wie die großspurigen Cowboy-Astronauten der Vergangenheit ziemlich von sich eingenommen war. Mit seiner Igelfrisur, dem kantigen Unterkiefer und seinem aggressiven Trainingsplan war er in Mays Augen allerdings eher eine Karikatur dieses archaischen Typus. Er war fähig, doch May hatte auf einen erfahreneren Piloten als ihre rechte Hand gehofft.
Gabriella Dos Santos, Flugingenieurin. Gabi und sie waren Seelenverwandte, beide jung und vor Talent strotzend und beide ständig gezwungen, ihren Wert unter Beweis zu stellen. Wie May stammte Gabi aus einer Militärfamilie und war eine interessante Mischung: Ihr Vater war ein brasilianischer Helikopterpilot und ihre Mutter NATO-Flugärztin. May hoffte inständig, dass Gabi sich noch irgendwo lebend im Raumschiff befand. Niemand kannte die Hawking II besser, und sie würde bestimmt alles wieder reparieren können.
Matt Gallagher, Nutzlast-Commander. May hatte immer gewitzelt, er sei der vollkommenste Langweiler, den sie jemals kennengelernt habe. Alles an ihm war durchschnittlich, bis auf sein enormes Wissen auf dem Gebiet der Raumfahrttechnik und -forschung. Er kannte ihren Ehemann Stephen gut, da er unter Rajah Kapoor arbeitete, dem Mann, der die Hawking II für die Europa-Mission entworfen hatte. May hatte den gewaltigen Aufwand nicht gerne auf sich genommen, sechsundzwanzig Intellektuelle ins All mitzunehmen, die keine Astronauten waren, damit sie all die wichtigen Aufgaben erledigten, die Stephen und sein Team angesetzt hatten. Matt hatte ihr hervorragend den Rücken frei gehalten, indem er ihre völlig unterschiedlichen Persönlichkeiten gehandhabt und gleichzeitig sichergestellt hatte, dass ihr Equipment mit maximaler Effizienz funktionierte. Der gute alte langweilige Matt, dachte sie.
Sie hörte ein leises, mechanisches Geräusch in der Ferne und blieb stehen.
»Hallo?«
Das Geräusch setzte erneut ein. Dieses Mal klang es sehr nach Schritten, nach schweren Stiefeln, die energisch über den metallenen Fußboden stampften.
»Ist da jemand?«
Das Geräusch dröhnte und nahm Geschwindigkeit auf, als hätte irgendetwas Großes ihre Anwesenheit wahrgenommen und würde sich nähern, um sie zur Strecke zu bringen. Sie verfügte weder über die Waffen noch über die Kraft, um sich zu verteidigen. Um was oder wen mochte es sich handeln?
»Halt! Wer ist .«
Das rhythmische Poltern beschleunigte zu einem explosiven, ohrenbetäubenden Vibrieren. Das Raumschiff zitterte heftig und neigte sich weit nach backbord wie ein Schoner, der es bei Sturm mit schwerem Seegang aufnahm. May stürzte hart, schlug mit der Stirn auf dem Fußboden auf und rutschte gegen eine Wand. Sie spürte eine Stütze im Rücken und klammerte sich daran fest, um heil zu überstehen, was sich anfühlte wie ein Erdbeben. Als das Raumschiff wieder zur Ruhe kam und sich aufrichtete, rappelte May sich hoch, obwohl ihr schwindelig war. Leichtere Erschütterungen dauerten noch einige Minuten an, krochen wie Nachbeben kreuz und quer durch die Eingeweide des Schiffs. Ihre Taschenlampe verdunkelte sich zu einem trüben Glühen und erlosch dann ganz. Dieses Mal erweckte sie Mays Klopfen auf das Batteriefach nicht mehr zum Leben.
»Nein, nein, nein, nein, nein .«
Ein warmes Rinnsal Blut aus einer klaffenden Wunde über ihrer rechten Braue lief ihr ins Auge. Sie riss die Brusttasche von...
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